An das Präsidium des Nationalrates!

Sehr geehrte Damen und Herrn!

(Bezugnehmend auf das Schulrechtspaket 2016 – Zusammenlegung Textiles und Technisches Werken)

 

Ist der Werkunterricht überholt?

 

Diese Frage beschäftigt mich. Antwort habe ich keine.

Ich bin ein 68er Jahrgang und hatte eine ganz andere Kindheit. Damals war es normal unbeaufsichtigt im Wald zu spielen, mit der Großmutter die eigenen Puppenkleider zu stricken oder zu häkeln, meine Freizeit mit basteln zu verbringen. Meine Kindheit bestand aus realen Erlebnissen und real spürbaren Erfahrungen. Die Aneignung all meiner Handgriffe, die Entwicklung meines Selbstvertrauens (keine Angst vor Fehlschlägen zu haben, immer wieder von Neuem zu beginnen) konnten sich durch mein eigenes Tun von klein auf entwickeln.

Heute sieht die Kindheit völlig anders aus. Die Schüler, die ich unterrichte sind von klein auf an eine Scheinwelt gewöhnt, in der sich die eigene Erfahrung im Konsummieren erschöpft. Sie leben in einer computerbestimmten Welt. In dieser können sie großartige Bilder „malen“ ohne je einen Pinsel mit der Hand geführt zu haben, mühelos ganze Welten erschaffen, Mode kreieren ohne Schere und Nadel... Sie sind glücklich damit, Misserfolge kommen nur selten vor, anstrengen müssen sie sich weder geistig noch körperlich, ideal um keine Frustration zu erleben... Aber ist das gut?

Noch unterrichte ich Werken. Seit gut 20 Jahren. Die Entwicklung, die ich beobachte, ist für mich als kreative Persönlichkeit erschreckend. Es beginnt damit, dass die Kinder keine eigenen Ideen mehr haben. Ihre Ideen erschöpfen sich in den vorgefertigten Computerwelten, Markenzeichen oder Figuren aus dem Fernsehen. Sie sind auch nicht mehr fähig, das Bild im Kopf zeichnerisch aufs Papier zu bringen. Sie benötigen das Handy zum Abzeichnen. Es entsteht kaum etwas Eigenständiges mehr.

Und wenn es dann ans Arbeiten geht, ist die Überraschung und Verunsicherung unglaublich!

Den Nagel mit dem Hammer auf den Kopf zu treffen ist schwierig! Überraschung!

Die Hände werden durchs Sägen ganz rot!!?? Überraschung gepaart mit Verunsicherung!

Beim Schleifen wird das Holz heiß!! Überraschung!

Damit die Glühbirne brennt, darf kein Kurzschluss gemacht werden?? Überraschung!

Ich könnte Seiten mit diesen Überraschungsbeispielen füllen!

Das wundervolle für mich ist: hier, in meinem völlig unbeachteten Werkgegenstand, ERLEBEN die Kinder die Realität. Und ohne es zu wissen, LERNEN sie.

Sie BEGREIFEN, sie FÜHLEN, sie ERKENNEN, sie beginnen ihr geniales Gehirn selbständig einzusetzen, sie erfahren, dass es nicht nur eine richtige Lösung gibt und dass Fehler etwas Positives sein können. Sie TUN etwas völlig Eigenverantwortliches und Einzigartiges ohne all die Lernprozesse zu realisieren, die sie auf diesem Weg ganz nebenbei fürs Leben mitnehmen.

Aber ist Werken zeitgemäß? Ich weiß es nicht.

Ist Werken heute wichtig? JA!!! Wichtiger, denn je! Das kann ich in jeder meiner Werkstunden erleben. Und ich bin der Meinung, wir werden in den kommenden Jahren mehr Werkunterricht benötigen...

Ihre Gesetzesnovelle, die eine Zusammenlegung der Fächer TEC und TEX vorsieht, erscheint mir in dieser Hinsicht als fataler Irrtum! Ich kann darin nichts pädagogisch Sinnvolles erkennen, stattdessen eine reine Kürzung und Einsparmaßnahme.

 

In diesem Sinne, bitte ich die bevorstehende Zusammenlegung von TEC und TEX zu verhindern!

 

Mit freundlichen Grüßen,

Mag. Sabine Wachter