Sektion Pädagogische Psychologie

                         Leitung: Dr. Luise Hollerer

                                                 Tel. ++43 676 47 75 328

                                                                                                    Mail: luise.hollerer@aon.at

 

 

                                                                                                                       Graz  30. 04. 2016

 

 

An das Bundesministerium für Bildung und Frauen, begutachtung@bmbf.gv.at

 

An das Präsidium des Nationalrates, begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

Betrifft: Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Bundesgesetz über Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern, das Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, das Schulunterrichtsgesetz, das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 9/2012, das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge, das Hochschulgesetz 2005, das Schulpflichtgesetz 1985, das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten, das Bildungsdokumentationsgesetz, das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, das Prüfungstaxengesetz – Schulen/Pädagogische Hochschulen und das Unterrichtspraktikumsgesetz geändert werden (Schulrechtspaket 2016)

 

Bezüge: BMBF-12.660/002-Präs.10/2016 / BEGUT_COO_2026_100_2_1210765

 

 

Die Leitung des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen  – Fachsektion pädagogische Psychologie  erlaubt sich zu folgenden Punkten Stellung zu beziehen bzw. Änderungsvorschläge einzubringen:

 

Ad Artikel 9  S. 63

Änderung des Schulpflichtgesetzes:

Aufnahme in die Volksschule zu Beginn der Schulpflicht

§ 6. (1) Die schulpflichtig gewordenen Kinder sind von ihren Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten zur Schülereinschreibung bei jener Volksschule anzumelden, die sie besuchen sollen. Hiebei sind die Kinder persönlich vorzustellen und allfällige Unterlagen, Erhebungen und Förderergebnisse, die während der Zeit des Kindergartenbesuches zur Dokumentation des Entwicklungsstandes, insbesondere des Sprachstandes erstellt wurden, vorzulegen.

 

 

 

 

 

Ad:  Vorblatt:

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Begut&Dokumentnummer=BEGUT_COO_2026_100_2_1210765

 

 

ad Problemanalyse S. 3-4

 

Problemdefinition

 

1. Grundschule:

Die Grundschule vermittelt allen Schülerinnen und Schülern eine gemeinsame Elementarbildung. Mit dem Erwerb der Grundkompetenzen und Kulturtechniken, insbesondere auch der Unterrichts- und Bildungssprache Deutsch, wird jedoch bereits wesentlich früher begonnen. Der Bruch zwischen Kindergarten und Schule stellt somit ein Hindernis für die optimale kontinuierliche Förderung der jährlich rund 82.000 schulpflichtig werdenden Kinder dar. Aber auch eine Organisation der Grundschule in nach Schulstufen getrennten Klassen und die Leistungsbeurteilung innerhalb dieser vierjährigen Elementarbildung stehen der bestmöglichen individuellen Förderung der insgesamt rund 328.000 Volksschülerinnen und -schüler im Unterricht entgegen. Der Lehrplan der Volksschule entspricht in vielen Teilen nicht der geforderten Kompetenzorientierung und unterstützt nicht die derzeitigen Entwicklungen im Bereich der Bildung.

 

 

Der vorliegende Entwurf setzt im Schuleingangsbereich (ausgeweitet auf die 3. Schulstufe) folgende Schwerpunkte:

1.      Schülerinnen- und Schülereinschreibung NEU: gezielte Förderung auf Basis der im Kindergarten durchgeführten Erhebungen und Förderergebnisse (insbesondere im Bereich der Sprachförderung); Verschiebung der Frist für die Schülerinnen- und Schülereinschreibung.

 

Zu Punkt 1 (Schnittstelle zum Kindergarten, Schülerinnen- und Schülereinschreibung NEU):

Gemäß den derzeit geltenden Landesgesetzen ist der Besuch des Kindergartens im letzten, dem Schulbesuch unmittelbar vorangehenden Kindergartenjahr für alle Kinder verpflichtend. Dieses Kindergartenjahr soll vor allem dafür genützt werden, um Sprachscreenings durchzuführen und gezielte Sprachförderung vorzunehmen. Dadurch soll bestmöglich auf den Übergang vom Kindergarten zur Schule vorbereitet werden. Das Wissen um den Sprachstand eines Kindes sowie um allfällige im letzten Kindergartenjahr getroffene Fördermaßnahmen soll es ermöglichen, dass im ersten Schuljahr ohne zeitliche Verzögerung gezielte Fördermaßnahmen begonnen bzw. fortgeführt werden können. Es ist daher vorgesehen, dass die Erziehungsberechtigten im Zuge der Schülerinnen- und Schülereinschreibung des Kindes in der Volksschule die ihnen von der Kindergartenleitung überlassenen Unterlagen, Erhebungen, Förderergebnisse usw., die während der Zeit des Kindergartenbesuches durchgeführt wurden, vorzulegen haben. Auf diesen Informationen aufbauend können Fördermaßnahmen umgehend veranlasst werden.

Der erste B-VG Art. 15a Vertrag zur frühen sprachlichen Förderung der 5-Jährigen im Kindergarten lag in der Zuständigkeit des Ressorts, das beim BIFIE die Entwicklung eines Sprachstandardsfeststellungsinstruments beauftragte. Dieses wurde in zwei Varianten erarbeitet: BESK für Kinder mit Deutsch als Erstsprache und BES/DaZ für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Im Jahr 2009 wurden alle Kindergartengruppen in Österreich mit den Beobachtungsbögen, Handbüchern für die PädagogInnen und erforderlichen Spielmaterialien ausgestattet. BESK und BESK/DaZ sind keine punktuellen Testverfahren sondern Beobachtungsinstrumente über einen Zeitraum von mehreren Tagen/Wochen. Sie liefern die Basis für die individuelle, bedarfsgerechte Förderung der Kinder im Kindergarten.

 

 

Ad Ziel 2: Individualisierung und Kompetenzorientierung in der Primarstufe S. 7

 

Zielzustand Evaluierungszeitpunkt

Daten über Förderungen aus dem Kindergarten werden beim Übergang in die Schule berücksichtigt. Beschreibungen über individuelle Entwicklungen fließen in die passgenaue Förderplanung der Grundschule ein. Elementar-, Grundschulpädagoginnen und -pädagogen sowie anderes Fachpersonal unterstützen den kindgerechten Übergang.

Pädagoginnen und Pädagogen beider Institutionen wissen genau über Entwicklung, Stärken, Schwächen, Talente, Interessen und Begabungen jedes einzelnen Kindes Bescheid, auf Basis dieses Wissens wird aufbauend und zielgenau gefördert.

 

 

 

Intensivierung und Ineinandergreifen der Kompetenzen auf Ebene der Kindergarten- und Schulaufsicht ist gegeben und wird gelebt.

Die Anzahl der Schulstandorte mit jahrgangsübergreifendem Unterricht ist signifikant gestiegen.

Ein umfassendes Informationssystem zur Lernsituation der Schülerinnen und Schüler bis einschließlich der 3. Schulstufe wird umgesetzt.

Der Lehrplan der Volksschule ist im Sinne der Kompetenzorientierung vollständig überarbeitet und gesetzlich verankert.

 

 

 

 

 ad Maßnahmen S. 9

 

Maßnahme 1: Neugestaltung der Schuleingangsphase und weitere Anpassungen der Grundschule S. 9

Beschreibung der Maßnahme:

Diese Maßnahme ist insbesondere dem „Schuleingangsphase- und Volksschulpaket, sprachliche Förderung“ sowie dem „Autonomiepaket“ der Bildungsreform zuzuordnen.

 

1. Schnittstelle zum Kindergarten:

Das derzeit verpflichtende letzte Kindergartenjahr soll vor allem für Sprachscreenings und gezielte Sprachförderung genutzt werden. Dadurch soll bestmöglich auf den Übergang vom Kindergarten zur Schule vorbereitet werden. Das Wissen um den Sprachstand eines Kindes sowie um allfällige im letzten Kindergartenjahr getroffene Fördermaßnahmen soll gezielte Fördermaßnahmen  im ersten Schuljahr ohne zeitliche Verzögerung ermöglichen. Es ist daher vorgesehen, dass die Erziehungsberechtigten im Zuge der Schülereinschreibung des Kindes in der Volksschule Unterlagen, Erhebungen, Förderergebnisse usw., die während der Zeit des Kindergartenbesuches durchgeführt wurden, vorzulegen haben.

Beobachtungsergebnisse über Entwicklungen, Stärken, Schwächen, Talente, Interessen und Begabungen aus dem Kindergarten fließen in die Datenerhebung ebenfalls mit ein und ermöglichen eine aufbauende und zielgenaue ganzheitliche Förderung. (Bildungsreform: Schülerinnen- und Schülereinschreibung NEU)

 

 

 

 

 

 

 

Ad 2. Information statt Beurteilung: ( S. 9)

Derzeit existieren mehr als 2.000 Schulversuche zu alternativen Formen der Leistungsbeurteilung. Diese haben gezeigt, dass eine Ziffernbeurteilung nicht immer zielführend ist und einer bedarfsgerechten Förderung in einem gemeinsamen Bildungsraum oft auch nicht zuträglich ist. Dazu kommt, dass an der Neuen Mittelschule seit Jahren mit dem Modell der Kind-Eltern-Lehrer – Gespräche sowie der ergänzenden differenzierten Leistungsbeschreibung Erfahrungen gesammelt werden, die auch in der Grundschule genutzt werden sollen. Es erscheint zweckmäßig, die Entscheidung darüber, ob an Stelle des bekannten Notensystems eine Beratung und Information der Erziehungsberechtigten über die Leistungs- und Entwicklungssituation des Kindes zur Anwendung kommen soll, der Schulautonomie am Standort zu übertragen.

 

 

 

Ad Maßnahme 3: Flexibilisierung der Schulorganisation und des Personaleinsatzes S. 11

Beschreibung der Maßnahme:

Diese Maßnahme ist insbesondere dem „Autonomiepaket“ der Bildungsreform zuzuordnen.

 

Ein bedarfsgerechtes und zeitgemäßes Bildungsangebot erfordert Flexibilität in der Schul- und Unterrichtsstruktur. Im Rahmen des Schulrechtspakets 2016 sollen ein flexibler Einsatz von qualifiziertem Personal und eine größere Freiheit der Schülerinnen und Schüler bzw. der Erziehungsberechtigten bei der Schulwahl ermöglicht werden.

 

 

Ad Auswirkungen auf Kinder und Jugend S. 18

 

Auswirkungen auf die Betreuung von Kindern

Durch die Einführung der Erzieherinnen bzw. Erzieher für die Lernbegleitung ist die individuelle Betreuung aller Schülerinnen und Schüler in ganztägigen Schulformen im Rahmen der Lernzeiten sichergestellt.

 

Auswirkungen auf den Zugang von Kindern zu Bildung und das Erreichen eines Bildungsziels

1. Die Neugestaltung der Schuleingangsphase im Bereich der Grundschule, die Schüler- und Schülerinneneinschreibung NEU, der förderbezogene Datenaustausch zwischen den Institutionen Kindergarten und Grundschule, die Weiterentwicklung und der Ausbau der Kooperation von Kindergarten- und Schulpädagoginnen und -pädagogen, gemeinsame Dienstbesprechungen von Kindergartenaufsicht und Schulaufsicht gewährleisten einen transparenten, durchgängigen Bildungsweg für Schülerinnen und Schüler von Anfang an, sowie Förderung ohne Brüche in alle Richtungen. Individuelle Bildungswege optimieren die Bildungschancen im weiteren Verlauf.

 

2. Durch die Anpassung weiterführender Schularten an aktuelle Erfordernisse auch im Sinne eines zeitgemäßen Unterrichts wird das Erreichen der Bildungsziele der berufsbildenden mittleren und höheren Schulen im weiteren Sinn gefördert.

 

3. Die bestmögliche Förderung der Kinder ist zentrales Anliegen der Schule. In der Gesamtheit aller Schülerinnen und Schüler gibt es jedoch unterschiedliche Gruppen mit besonderen Förderbedürfnissen, auf die das System Schule mit geeigneten Maßnahmen reagiert, die alleine Angehörigen dieser Gruppen vorbehalten sind. Ein möglicher Anknüpfungspunkt ist die mangelnde Kenntnis der Unterrichtssprache, ein anderer eine psychische oder physische Behinderung. Oft ist die Zuordnung zu einer Gruppe nicht eindeutig möglich, weil es Überschneidungen gibt. Die Ressourcen für die Fördermaßnahmen sind in beiden Fällen beschränkt, wobei die Förderung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Regel ressourcenintensiver ist als jene für Kinder mit mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache. Im Überschneidungsbereich von Sprachförderung und Sonderpädagogik kann durch Stärkung der Sprachförderung der in der Praxis feststellbare Druck auf die Ressourcen der Sonderpädagogik gelindert werden, da die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sinken würde. Jene Ressourcen, die derzeit im Rahmen der Sonderpädagogik für Kinder mit mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache eingesetzt werden, können zur weniger ressourcenintensiven, für diese Gruppe von Schülerinnen und Schülern jedoch effektiveren Sprachförderung umgeschichtet werden, die dadurch frei werdenden Ressourcen können dann zweckentsprechend in der Sonderpädagogik eingesetzt werden, wodurch auch die von der Maßnahme „Ausweitung der Sprachstart- bzw. Sprachförderkurse“ primär gar nicht adressierte Gruppe der Kinder mit psychischer oder physischer Behinderung profitieren würde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir möchten auf die Herausforderung durch Migrationsströme hinweisen:

 

Eine Herausforderung im Bildungsbereich stellt dabei die starke Heterogenisierung der SchülerInnen in ihren Sprachmöglichkeiten und Lernzugängen dar.  Es gilt zu berücksichtigen, dass Kinder mit Migrationserfahrung zudem besondere Belastungen mitbringen. Für die Etablierung einer Lernumgebung bietet die Schulstruktur einen sichernden Rahmen. Für die Bewältigung von Flucht-, Trennungserlebnissen  sind zusätzliche personelle Ressourcen in der Schulpsychologie vorzusehen.

 

Darüber hinaus besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit, die Curricula in der Aus-, Fort- und Weiterbildung wesentlich stärker in Richtung psychologischer Inhalte zu entwickeln. Es braucht deutlich mehr Module, in denen originär psychologische Inhalte (z.B. entwicklungspsychologische, bildungspsychologische, sozialpsychologische, kognitionspsychologische oder persönlichkeitspsychologische, diagnostische Inhalte) thematisiert werden, um für die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Fachdidaktiken eine entwicklungsbezogene Basis zu schaffen.

Nur so kann es gelingen, dass die (zukünftigen) PädagogInnen die für die Differenzierung und Heterogenisierung der Lernbegleitung relevanten Kompetenzen erwerben können.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Die Fachsektion pädagogische Psychologie

 

Dr. Luise Hollerer Dr. Petra Wagner Dr. Elfriede Wegricht