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Bundesministerium für Gesundheit und Frauen

II/A/4 (Rechtsangelegenheiten Arzneimittel, Apotheken, Krankenanstalten, übertragbare Krankheiten)

zH Hr MMag. Heissenberger

Geschäftszahl: BMGF-92411/0002-II/A/4/2016

Radetzkystrasse 2

1030 Wien

 

Präsidium des Nationalrates

Parlament

Dr. Karl Renner-Ring 3

1017 Wien

 

 

Sehr geehrter Herr MMag. Heissenberger,

Sehr geehrtes Präsidium des Nationalrates,

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Über die Ärztekammer wurden wir als beratendes Organ zur geplanten Novelle des Gewebesicherheitsgesetzes informiert.

Folgende Paragraphen bedürfen unserer Meinung unbedingt der Revision

*        § 1 Abs. 3 Z1

Dieser Paragraph sollte unserer Meinung nach ersatzlos gestrichen werden.

Diese Novellierung würde die gesamte Tätigkeit auf dem Gebiet der Regenerativen Medizin in Österreich zum Erliegen bringen. Dagegen sprechen sich nicht nur die Österreichische Gesellschaft für Regenerative Medizin aus  sondern neben vielen anderen Kollegen auch der Ordinarius für Regenerative Medizin der Donauuniversität Krems als einziger Lehrstuhlinhaber zu diesem Fachbereich.

Wenn es um die Umsetzung der Regulation 1394/2007 geht erhebt sich die Frage, mit welcher Begründung diese EU Vorgabe nicht in den Jahren 2007 bis 2016 umgesetzt wurde. War hier der zeitliche Rahmen für die gesetzliche Adaptierung zu eng gestellt (9 Jahre Bearbeitungszeit) und warum dann jetzt so kurze Begutachtungszeit ?  Wieso war diese Gesetzesänderung bisher nicht notwendig?

 

Im geplanten Gesetzesstext soll es heißen:

.. oder Zellen oder Gewebe nicht dazu bestimmt sind, im Empfänger im Wesentlichen dieselbe(n) Funktion(en) auszuüben wie im Spender. Es soll hier klargestellt werden, dass die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Gewebesicherheitsgesetz (Verwendung als autologes Transplantat innerhalb ein und desselben medizinischen Eingriffs) nur dann greift, wenn die Zellen oder Gewebe nach der Transplantation im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllen wie vor der Entnahme. Ist dies jedoch nicht der Fall, dann unterliegen solche Vorgänge hinsichtlich der Gewinnung jedenfalls dem Gewebesicherheitsgesetz,

Dieser Formulierung liegt ein Verständnis für Stammzellen zu Grunde, welches von vielen Wissenschaftlern nicht geteilt wird.

Die Funktion der Stammzellen wird bestimmt von ihrem genetischen Code und von außen einwirkenden Substanzen, sogenannten Cytokinen, welche die weitere Differenzierung von Stammzellen in Gewebezellen leiten und bewirken. Stammzellen per se haben zwei Funktionen, sich fortzupflanzen und, gegebenenfalls, zu differenzieren (zuerst dedifferenzieren?).  Erst Nachfolgezellen, die durch Umdifferenzierung entstanden sind, haben eine Funktion, die als organspezifisch angesehen werden kann. Diese Umdifferenzierung wird gelenkt durch Substanzen, welche von außen auf die Zellen einwirken, es gibt also nicht Stammzellen, welche per se vorgesehen sind als Muskelzellen und solche , welche Knorpelzellen werden sollen, sonst wären sie ja nicht Stammzellen. Ohne  äußeren Einfluss würden Stammzellen sich nicht umdifferenzieren. Die Forderung, dass die Stammzellen an anderer Stelle nur die gleiche Tätigkeit ausüben dürfen wie an ihrem Ursprungsort, dem Knochenmark, ist daher schwierig zu definieren. „These data indicate that bone marrow stem cells can probably not be defined as discrete entities but must rather be studied on a population basis. They also indicate that mathematical modelling will become progressively more important in this field” [1]Beständig und lebenserhaltend werden die Stammzellen durch direkte Verbindung mit dem venösen System ins periphere Blut transportiert, von wo sie an Stellen des Bedarfs gelenkt werden. Daher sind im peripheren Blut die gleichen Stammzellen wie im Knochenmark, einziger Unterschied ist wahrscheinlich ihre Plastizität, die ab dem Augenblick weniger wird, in dem die Stammzellen aus den Nischen des Knochenmarks ausgeschwemmt oder aspiriert werden.

 Die Funktion der Stammzellen im Knochenmark ist es, sich fortzupflanzen und dabei die höchstmögliche Pluripotenz bereitzuhalten.  Nimmt man diese Gesetzesnovelle genau, wäre es dem Knochenmark verboten, Stammzellen ins periphere Blut freizusetzen, um dort regenerative Prozesse einzuleiten. Wundheilung wäre dann verboten. Ja jeder Knochenbruch mit Freisetzung von Knochenmark ist dann auch ein Gesetzesbruch. Eine i.v. Gabe von Stammzellen als andere Funktion zu werten widerspricht daher der Biologie.  Auch treten Stammzellen bei einem Schlaganfall oder akuter Querschnittssymptomatik über die Blut-Hirnschranke ins Gehirn und Rückenmark. Daher ist die intrathekale Gabe ein physiologischer Vorgang, eine Funktion wie vor der Entnahme.  Indem Stammzellen ins periphere Blut übertreten, ins Myokard  dringen, ins Gehirn eindringen, tun sie nichts anderes als wozu sie seit ihrer Entstehung bestimmt sind. Sie lassen ihre Multipotenz zur Anwendung kommen. Hätten sie nur die Funktion, die sie im Knochenmark haben,  gemeint ist dabei in der Deutung der EMA osteoblastische Tätigkeit,  dann wären die Zellen ja nicht als multipotent zu bezeichnen.

Eine organspezifische  Wirkung entsteht erst durch das Einwirken der Cytokine,  Substanzen  unseres Körpers, deren Wirkung  gesetzlich schwer zu verbieten sein wird.

Es muss nochmals betont werden,  dass ja im Knochenmark ein ständiger und inniger Kontakt mit dem venösen Blut besteht. Hier findet der Austausch der blutbildenden Zellen im Knochenmark mit dem peripheren Blut statt, ein Vorgang, der für unser Leben existentiell ist. Die Funktion der sogenannten Stammzelltransplantation ist es, diesen physiologischen Vorgang zu multiplizieren und dadurch die Selbstheilungskräfte des Körpers zu unterstützen. Es kann keine Rede davon sein, hier medikamentöse Wirkung (Wirkung durch eine körperfremde Substanz)  zu erzielen.

Es gibt aber auch einen anderen sehr interessanten Aspekt in dieser Diskussion.  Eine an der Universitätsklinik Wien hergestellte Heilsubstanz ist Aposec. Die Wirkung dieser Substanz (Plasma und Sekretome) beruht auf der Annahme, dass die mononukleären Zellen als solche gar nicht oder nur kurzfristig  wirksam sind, wirksam sind nur die Abbauprodukte dieser Zellen. Es sind die von Prof. Pischinger beschriebenen Sekretome. Prof. Dr. Jan Ankersmith und andere Forscher der Wiener Universitätsklinik sind der Meinung, und es gibt gute Gründe dafür, dass die Stammzellen als solche gar keine Wirkung haben sondern nur die Sekretome, die Abbauprodukte der mononukleären Zellen, die selbst keine DNA haben, also nicht unter die Definition Zellen fallen.

Im weiteren ist zu bedenken:

Folgende routinemäßig durchgeführten Eingriffe würden durch diese Verordnung akut verboten und nur nach langwierigen Verfahren mit ungewissem Ausgang vielleicht wieder durchführbar werden:

 

*        Retransfusion mit dem Zellsaver bei Herzoperationen (Knochenmark (KM) aus dem Sternum rinnt kontinuierlich in die Wunde , wird mit gesaugt in den Zellsaver und dann intravenös verabreicht)

*        Retransfusion im Rahmen der Unfallchirurgie bei großen Verletzungen von Knochen, bei denen ebenfalls lebenserhaltend Zellsaver verwendet werden.

*        Retransfusionen  bei Wirbelsäulenoperationen

*        Bei Kniegelenksoperationen wird sehr oft  der Femur angebohrt damit KM in die Gelenkhöhle austritt und hier regenerierend für den Knorpel wirkt.

*        Das gleiche gilt für andere große orthopädische Operationen an großen Knochen.

*        Die Gabe von Eigenblutinjektionen ist eine seit über 100 Jahren mehr oder weniger bewährte aber extrem häufig durchgeführte  Methode, die besonders bei  niedergelassenen Praktikern sehr beliebt ist. Venöses  Blut wird  mit Ozon bearbeitet und i.m. gespritzt, um das Immunsystem zu stärken. Hier handelt es sich nach Regulation 1394/2007 um eine substanzielle Bearbeitung von Blutzellen, die an einem anderen Ort mit einer anderen Bestimmung gespritzt werden. Diese Methode würde mit der Novellierung verboten werden.

*        Zu routinemäßig angewendeten Methoden zählt auch die Anwendung von Platelet Rich Plasma bei folgenden Indikationen:

o        Tennisellbogen

o        Fersensporn

o        Gonarthrose Stadium II und III

o        Coxarthrose u.a. bei M. Wilson, eine Erkrankung die ansonsten nur mit Hüftgelenksersatz behandelt werden kann

o        Einspritzung bei Gelenksschäden im Rahmen von Faktor VIII Mangel (eigene Erfahrung).

o        Diskusprolaps als Ergänzung zu anderen Methoden

*        Aus dem World J Transplant 2015 September 24; 5(3): 110-128 zitiere ich: Effectiveness of repeated transplantations of hematopoietic stem cells in spinal cord injury :  CONCLUSION: The method is safe, effective and considerably improves the life quality of SCI patients. The therapy is approved for clinical use as the treatment of choice.

*        Wird hier eine nachgewiesen erfolgreiche Methode verboten? Kann durch ein Gesetz eine Heilung verboten werden?

Zu Z 5 § 5 Abs. 6: Die nunmehr vorgeschlagene Änderung steht im klaren rechtlichen Widerspruch zum aktuell geltenden Medizinproduktegesetz als aus Zellen und Geweben humanen Ursprungs kein Medizinprodukt in Österreich gefertigt werden darf. Hier soll ein Gesetz bewirken, was ein anderes bestehendes Gesetz verhindern sollte.

 

*        Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass die Freiheit des Menschen, über seinen Körper zu verfügen, in der geltenden Gesetzgebung sehr hoch eingeschätzt wird (Abortus aus verschiedensten Indikationen). Wenn es möglich ist, über den Tod seiner Zellen zu bestimmen, dann muss es auch möglich sein, über das Leben seiner Zellen zu bestimmen und zu bestimmen, dass meine Zellen an irgendeinen Ort gespritzt werden. Das Recht über meinen Körper bzw. das Recht der Frauen, über Zellen in ihrem Körper zu bestimmen, ob sie weiterleben oder nicht kann nicht wertvoller sein als das Recht, seine eigenen Zellen zu regenerativen Zwecken zu verwenden.

*        In Österreich ist die Lebendtransplantation zugelassen. Wenn ich Teile meines Körpers jemandem anderen spenden darf, um zu heilen, dann darf ich dies auch im eigenen Körper tun.

*        Jener Paragraph, welcher die Einfuhr von Stammzellprodukten aus dem Ausland bei lebensbedrohlicher Situation im Bereich lediglich maligner Erkrankungen frei stellt.

o        Hier gilt, dass es auch nicht maligne, lebensbedrohliche Zustände gibt

o        Dr Paragraph wäre zu ersetzen durch Notsituation nach Beurteilung durch den behandelnden Arzt auch bei anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen

Wir ersuchen den Gesetzesgeber, diesen Paragraphen ersatzlos zu streichen und die Möglichkeit, Stammzellen in dringenden Fällen zu importieren, auch für dringliche, nicht maligne (Krebs) Notfälle zu ermöglichen.

Im Gesamten erscheint uns der Gesetzesentwurf, auch wenn er einer fast 10 Jahre alten  Europäischen Regulierung entstammt (oder vielleicht gerade deswegen) nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechend und den Fortschritt der Österreichischen Medizin hemmend. Darüber hinaus würden bewährte Methoden, welche klinisch erprobt und bewährt sind, zum Gesetzesbruch werden.

Wir erlauben uns deshalb vorzuschlagen, dass vom Gesundheitsministerium ein Expertenhearing zu diesem Thema abgehalten wird, auf Grund dessen dann eine endgültige Entscheidung gefällt werden könnte, welche breiten Konsens  und wissenschaftliche Grundlage hat. Alternativ könnte auf die Abänderung des GSG insbesondere des § 1 verzichtet werden.

 

Vor allem aber ersuchen wir um einen Gesprächstermin, um mit Ihnen, s.g. Herr Magister als Vertreter des  BMGF in Verbindung mit anderen Organisationen und Universitäten Österreichs über das weitere Vorgehen beraten zu dürfen.

 

Hochachtungsvoll

 

Dr. med.  Univ. Doz. G.S. Kobinia                                                                           Wien, 12.09.2016

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Regenerative Medizin.



[1] Siehe: The Stem Cell Continuum: A New Model of Stem Cell Regulation  P.J. Quesenberry et al.  in  Stem Cells Springer Verlag 2006 Handbook of Experimental Pharmacology Volume 174 Editors : Anna M. Wobus und Kenneth R. Boheler  p 169- 184