Stellungnahme zum Bundesgesetz, mit dem ein Integrationsgesetz und ein

Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz erlassen sowie das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 und die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert werden

 

 

 

vom 1.3.2017,

 

eingebracht von MMag. Dr. Wilfried Grießer,

Friedrich Schiller-Straße 83, 2340 Mödling.

 

 

Im folgenden beziehe ich mich lediglich auf das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, zu dem das Folgende bemerkt sei:

 

Geschütztes Rechtsgut ist zufolge des offenbar als Präambel fungierenden § 1 Abs. 1 (ein Absatz 2 existiert allerdings nicht) „die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben.“ Bemerkt wird: „Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht.“

 

Vor diesem Hintergrund einer expliziten Bezugnahme auf „in Österreich lebende Menschen“ leuchtet nicht ein, warum Touristinnen (überwiegend aus dem arabischen Raum), die nicht in Österreich leben und sich ergo auch nicht in Österreich zu „integrieren“ brauchen bzw. „integriert“ werden sollen, nicht ebenfalls aus dem Gesetz ausgenommen sind, sondern fortan mit Verwaltungsstrafe bedroht werden.

 

Mindestens sollte der Ankunfts- und Abflugbereich der Flughäfen (als zweifellos öffentlicher Ort) aus dem Gesetz ausgenommen sein, da es in manchen Ländern ein Delikt darstellt, sich nicht „verschleiert“ in der Öffentlichkeit zu zeigen und ergo „unverschleiert“ in ein Flugzeug zu steigen. Dann darf es keine Verwaltungsübertretung darstellen, ein Flugzeug mit Burka oder Niqab in Österreich zu verlassen.

Speziell der Aufenthalt im Transitbereich eines Flughafens sollte von der Bestimmung ausgenommen sein, da in diesem Fall der (kurzfristige) Aufenthalt in Österreich nur Mittel zum Zweck ist, von A über B nach C zu gelangen. Mit „Integration“ hat dies rein gar nichts zu tun. Andere Ziele (wie etwa die Hintanhaltung einer Verkleidung als „Frau“ zu kriminellen Zwecken) werden indes nicht genannt.

 

Flughäfen sind übrigens der einzige Ort, an dem dem Verfasser bislang in größerer Anzahl Frauen im Niqab begegneten. Es handelt sich beim Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz nach meiner Einschätzung eher um politischen Aktionismus als um ein tatsächlich nötiges Gesetz. Die Fehler werden bzw. wurden anderswo begangen – etwa im monatelangen Verzicht auf jedwede Grenzkontrolle und Registrierung der überwiegend illegal Einreisenden im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015.

 

Der Einwand, daß Frauen, die eine „Vollverschleierung“ mehr oder minder unter Zwang tragen, fortan überhaupt nicht mehr den häuslichen Bereich verlassen würden (und Integration dadurch erschwert wird), scheint ebenfalls nicht von der Hand zu weisen.

 

Zu fordern ist lediglich (aber dafür unabdingbar!), daß das Gesicht bei Feststellungen der Identität einer Person jederzeit unverzüglich und auch gegenüber Personen des anderen Geschlechts erkenntlich gemacht werden muß. Dies betrifft nicht nur den Umgang mit Gerichten, Ämtern und Behörden (Ausstellung von Dokumenten u.ä.) sowie sicherheitspolizeiliche Identitätsfeststellungen, sondern z.B. auch den Vorweis personalisierter, mit Lichtbild versehener Fahrausweise gegenüber Kontrolloren von Verkehrsbetrieben oder Zugbegleitern. Ein Verwaltungsstraftatbestand sollte sich in einem liberalen Staat – dafür konsequent – auf diesen Kernbestand beschränken.

 

Was Personen aus Gründen kultureller Tradition und Identität durchaus auch freiwillig (und sei es aus versuchter Identitätsfindung bzw. -stiftung) an Kleidungsstücken tragen, sollte den Staat nicht weiter interessieren, sofern Personen sich an die Gesetze der Republik Österreich halten und bereit sind, sich erforderlichenfalls zu „demaskieren“. Leider greift es generell um sich, von den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr nur Gesetzestreue, sondern darüber hinausgehende „Werte“ und „Haltungen“ (also eigentlich Gesinnungen) einzufordern und die „falsche“ Gesinnung zu bestrafen.

Auch in dem Fall, daß eine in Österreich sozialisierte Jugendliche aus freien Stücken einen Niqab trägt, um bestehende Angebote muslimischer Identitäten „auszutesten“, geht es im übrigen nicht um Integration, da der Erwerb der deutschen Sprache, eine hiesige Schulbildung usw. längst erfolgt sind. Was in einem solchen Fall (wie übrigens auch durch den neugeschaffenen § 246a StGB) verfolgt wird, ist vielmehr so etwas wie „Republikflucht“.

 

Ausdrücklich sei bemerkt, daß nicht „Toleranz“, sondern die Berufung auf einen liberalen Staatsgedanken mich das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz skeptisch sehen läßt. Im Konzept der Toleranz liegt ohnehin allzu oft eine subtile Abwertung des „Tolerierten“, einhergehend mit einer Höherstellung des „toleranten“ eigenen Selbst.

 

Ferner sei auf die Merkwürdigkeit hingewiesen, den Verweis auf eine (christlich-abendländische, europäische, aufgeklärte oder was immer) „Leitkultur“ mitunter reflexartig als „rechtslastig“ bis „rechtsextrem“ zu diffamieren, um eine ebensolche in derartigen Strafbestimmungen implizit in Anspruch zu nehmen („In Österreich trägt man keinen Niqab“).

 

Natürlich stimmt es, daß menschliche Kommunikation erschwert ist, wenn das Gesicht des Gegenüber in ein schwarzes Tuch gehüllt ist, doch ließe sich dies auch durch Hausordnungen etwa von Bildungseinrichtungen regeln, die bestimmte Kleidungsstücke untersagen. Wenn jemand daraufhin z.B. Bildungsangebote nicht in Anspruch nimmt, ist dies dessen Verantwortung und nicht die der „Gesellschaft“. Dann gibt es u.U. weniger soziale Zuwendungen, und dies ist in Kauf zu nehmen. Wo Zwang ausgeübt wird, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen, greift ohnehin das Strafrecht, und der bzw. die solcherart Gezwungene sollte nicht auch noch durch eine Verwaltungsstrafe bedroht werden.

 

 

Hochachtungsvoll,

Dr. Wilfried Grießer.