An das

Präsidium des Nationalrates und

das Bundesministerium für Justiz

 

 

 

Institut für Strafrecht und Kriminologie

 

Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin
Abteilung für Kriminologie
des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien
Schenkenstraße 4
A-1010 Wien

 

E-Mail: katharina.beclin@univie.ac.at

Tel.: 01/4277/34624

auf elektronischem Weg an

team.s@bmj.gv.at

begutachtunsverfahren@parlament.gv.at

 

 

 

 

 

Wien, am 3. April 2017

 

 

Betreff:           Stellungnahme zur geplanten Strafrechtsnovelle 2017

                       

GZ.: BMJ-S318.039/0002-IV 1/2017

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin des Nationalrates Doris Bures!

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete zum Nationalrat!

Sehr geehrter Herr Bundesminister Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter!

Sehr geehrter Herr Sektionschef Mag. Pilnacek!

 

 

Aufgrund anderweitiger Verpflichtungen kann ich zu der im Betreff genannten Novelle leider nur punktuell Stellung nehmen.

 

Klar zu begrüßen ist, dass nunmehr (spät aber doch) klargestellt wird, dass die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ein notwehrfähiges Gut ist.  

 

Überhaupt nicht nachvollziehbar sind für mich dagegen die geplanten Absätze § 218 Abs. 2a und 2b StGB. Die Strafdrohungen sind so massiv überzogen, dass man sie wohl als verfassungswidrig bezeichnen muss.

Wie kann denn jemand, der – ohne selbst eine sexuelle Belästigung begangen zu haben – bloß wegen der Teilnahme an einer Zusammenkunft, die auf die Begehung einer sexuellen Belästigung abzielt, mit einer viermal strengeren Strafe bedroht sein als der unmittelbare Täter? Die Strafe ist nicht nur gemessen an den Strafdrohungen anderer Sexualdelikte, etwa in Vergleich zu dem neuen § 205a StGB, unverhältnismäßig hoch, sondern steht auch in krassem Widerspruch zu der Systematik des StGB, wonach „Auffangtatbestände“, die im Falle von Beweisschwierigkeiten die Anforderungen an die Zurechnung der strafrechtlichen Verantwortung deutlich herabsetzen, immer mit deutlich milderer Strafe bedroht sind als der nicht nachweisbare Tatbestand, wie etwa der Tatbestand Raufhandel im Vergleich zur schweren Körperverletzung. Wenn man hier also unbedingt einen neuen Auffangtatbestand schaffen möchte, so sollte die Strafdrohung des Absatz 2a wohl keinesfalls drei Monate übersteigen. 

Es stellt sich aber die Frage, wozu es hier eines Auffangtatbestandes bedarf. So wie dieser formuliert ist, wird man nämlich ohnedies meist zugleich von einer psychischen Beitragstäterschaft ausgehen können.

 

Ähnliches gilt für den § 218 Abs. 2b des Entwurfes:
Wenn man schon glaubt, für die in „verabredeter Verbindung“ begangene sexueller Belästigung einen strengeren Strafrahmen vorsehen zu müssen, so sollte doch jedenfalls eine Verdoppelung ausreichen! Die aktuell vorgeschlagene Versechsfachung ist jedenfalls grob gleichheitswidrig.

 

Ich meine allerdings, dass das besonders Verwerfliche bzw. die besondere Gefahr einer Belästigung in verabredeten Verbindung darin liegt, dass man sich zwei Tätern, die konzertiert vorgehen, nicht so leicht entziehen kann. Solche Fallkonstellationen werden aber häufig schon eine (versuchte) sexuelle Nötigung darstellen, die ohnedies mit entsprechend strenger Strafe bedroht ist.

 

Außerdem muss ich zum wiederholten Mal darauf hinweisen, dass bis jetzt keine einzige kriminologische Studie Hinwiese dafür finden konnte, dass höhere Strafdrohungen besser abschrecken würden als niedrigere. Für die Abschreckung entscheidend ist vielmehr die Entdeckungs- und Bestrafungswahrscheinlichkeit.

 

Wenn man bedenkt, auf welchen Widerstand erst kürzlich die Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 218 StGB gestoßen ist, ist es mehr als erstaunlich, welch exorbitante Strafdrohungen nun plötzlich für einen Auffangtatbestand und die Mittäterschaft von zwei Personen erwogen werden. Der Anlass hierzu und die irrational hohen Strafdrohungen legen leider die Befürchtung nahe, dass das treibende Motiv hinter dieser Reform nicht Opferschutz sondern eher Xenophobie war. Würde man nämlich ernsthaft die Opferperspektive in den Mittelpunkt stellen, dann hätte man die Qualifikation wohl etwas allgemeiner formuliert, etwa für alle Fälle, in denen der Täter den Umstand ausnützt, dass das Opfer in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, oder für alle Fälle, in denen das Opfer an seinem Arbeitsplatz belästigt wird. Dann wären auch die Belästigungen im Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln erfasst, Belästigungen von physisch beeinträchtigten Personen, von Kellner*innen und Krankenpfleger*innen und anderem Gesundheitspersonal sowie ähnlich exponierten Berufsgruppen.

Die Strafdrohung einer solchen Qualifikation sollte aber auch keinesfalls ein Jahr übersteigen.

 

Schließlich möchte ich noch zu dem geplanten § 246a StGB Stellung nehmen:

Ich teile nämlich die Befürchtung einiger NGOs, dass damit schon die indirekte Unterstützung zivilen Ungehorsams unter Strafe gestellt würde und somit sogar Spender*innen für die Unterstützung solcher NGOs strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Sollte auf diesen Tatbestand nicht überhaupt verzichtet werden, so wären meines Erachtens jedenfalls zwei Änderungen unerlässlich:

Die bloße Ausrichtung einer Bewegung auf das „Nicht-Anerkennen von Hoheitsrechtendarf keinesfalls zu einer Strafbarkeit führen, das wäre nämlich „Gesinnungsstrafrecht“. Weiters sollte der Zweck darauf gerichtet sein müssen, auf strafgesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen zu verhindern. Gesetzwidrig ist schließlich sehr viel, etwa auch ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung …

 

In der Hoffnung, dass meine Anregungen Ihre Zustimmung finden, verbleibe ich
mit hochachtungsvollen Grüßen,

Dr. Katharina Beclin

 

Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin

Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien

Abteilung für Kriminologie