Stellungnahme der Leitung der Wiener Sprachheilschule zur aktuellen Bildungsreform:

 

Die Wiener Sprachheilschule ist ein überregionales Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik welches statistisch erhoben jährlich ca. 4400 SchülerInnen sprachheilpädagogisch betreut. Im Rahmen von ambulanten Settings als flächendeckendes Supportsystem an den Pflichtschulen Wiens, in inklusiven Integrationsklassen und durch mobile Spezialteams.

 

Diese aktuell 134 SprachheilpädagogInnen erhalten über Budgets der PH, KPH und des Ministeriums im Rahmen von Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen ausschließlich durch externe ReferentInnen fachliche Inputs und mit einem teilweise nicht unerheblichen Eigenkostenanteil. Nur dadurch ist ein professionelles und permanent reflektiertes sprachheilpädagogisches Handeln möglich.

 

In Deutschland ist das Studium der Sprachheilpädagogik ein Universitätsstudium. Durch den Dachverband , der Österreichischen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik, besteht ein intensiver Austausch mit den SprachheilpädagogInnen im deutschsprachigen Raum, wie auch ein intensiver interdisziplinärer Austausch mit LogopädInnen, PhoniaterInnen, HNO-SpezialistInnen, und SprachheilpädagogInnen im Elementarbereich.

Diese gewachsene professionelle und qualitative Plattform ist durch eine Dezentralisierung massiv gefährdet.

 

Als Beispiel sei die Dezentralisierung und Auflösung der Förder- und Sprachheilschulen in Bremen angeführt, wo nach einem Kahlschlag der Sonderpädagogik nach einer nur 5jährigen Durststrecke diese Kompetenzen dringend

gebraucht und wieder vollkommen neu in der Ausbildung und im pädagogischen Setting aufgebaut werden mussten.

 

Die zentral organisierte fachliche Fortbildung, der zentral gesteuerte intensive kollegiale Austausch bei monatlichen Konferenzen, die zentral  begleitete und reflektierte wienweite kollegiale Hospitation stellen Qualitätskriterien dar, die ständiger Modifizierung unterliegen.

Die zentral einheitlichen Dokumentationen der sprachheilpädagogischen Interventionen, die zentral durchgeführten statistischen jährlichen Bedarfserhebungen und in zweijährigem Abstand durchgeführten Jahresstatistiken zeigen den stetig steigenden Bedarf in einem sich ständig wechselnden Anforderungsfeld klar und deutlich auf.

 

Eine reine Strukturreform wird es nicht schaffen, das sprachliche Bewusstsein und das sprachliche Niveau der Bevölkerung zu steigern, wenn in der frühkindlichen Förderung keine vermehrten adäquaten realen intensiven Interventionen gesetzt werden. Eine Verbesserung sämtlicher Testergebnisse, besonders im Sekundarbereich, werden nicht erreicht werden, wenn durch die Reduzierung bzw. Abschaffung der so dringend benötigten Vorschulklassen die  „WundergrundschulpädagogInnen“ mit nicht ausreichend erhöhten Personalressourcen eine beinahe mehrstufige (aufgrund des neuen Grundschulerlasses), mit einer möglichen großen Vielfalt an SchülerInnen mit erhöhtem Förderbedarf (Autisten, ADHS, sprachauffälligen, mehrsprachigen, sozial-emotionalen, gehörbeeinträchtigten, sehbehinderten SchülerInnen und eventuell SchülerInnen mit einem massiv erhöhten Förderbedarf)   inklusiv und UN-konventionsgerecht pädagogisch wirken dürfen.

Gerade in Wien war es in hervorragender Weise gelungen, ein niederschwelliges  präventives Netz an Förder– und Stützangeboten zu entwickeln. Es ist absehbar,

dass ohne diese gerade beim Erwerb der korrekten Lautsprache -aber besonders darauf aufbauend der Schriftsprache- für viele Kinder, die unter erschwerten Bedingungen lernen, manche Lebenschancen nicht gewahrt werden können. Es ist unumgänglich, an allen Schulen jedes Schuljahr sprachheilpädagogische Betreuung anzubieten. Die SprachheilpädagogInnen sind für Beratung, Information, Kooperation und die Erstellung von Förderkonzepten präsent.

 

 

Sämtliche in Wien bewährte, höchst professionelle, dringend benötigte und aktuell unterbesetzte sonderpädagogische Spezialsparten agieren mit einem hohen Anspruch an Vernetzung, Flexibilität und mit Berücksichtigung der jeweilig individuell benötigten Ressourcen,  regionsübergreifend in einem engen Kontext. Dazu benötigt es eine hochqualifizierte Ausbildung, ständige Fortbildung, langjährige Erfahrung in der praktischen Umsetzung und gewachsene Strukturen, die autonom und mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung und Engagement für die Bildungslandschaft in der Bundeshauptstadt unverzichtbar sind.

 

Aktuell trifft es nur die Leitungen der sonderpädagogischen Zentren! Doch im Verlauf wird die geplante Dezentralisierung sich auch in der Qualität der Unterstützung massiv bei allen SchülerInnen Wiens bemerkbar machen.

 

Pädagogik lebt von Beziehungen  und ist Beziehungsarbeit!

Die so dringend notwendige intensive Mitarbeit aller Beteiligten (PädagogInnen, Erziehungsberechtigten, SchülerInnen, Schulaufsicht, etc) und die individuelle, zeitnahe, pädagogisch relativierte und akut notwendige Intervention an einem Schulstandort selbst wird nicht mehr möglich sein!

Die Wiener Sprachheilschule hat sich massiv für eine Ausbildung von SprachheilpädagogInnen im Rahmen eines Masterlehrganges für Sprachheilpädagogik, wie auch für eine zwischenzeitliche weitere berufsbegleitende

Fortbildung eingesetzt um den drohenden Zusammenbruch der sprachheilpädagogischen Betreuung zu verhindern.

 

Dieses für Erziehungsberechtigte kostenlose sprachheilpädagogische Angebot bedeutet ökonomisch eine langfristige Maßnahme zur Absicherung des so oft angesprochenen Menschenrechts auf Teilhabe. LogopädInnen sind überlaufen, unterbesetzt und nicht für alle leistbar. Die zuständigen Entwicklungszentren und Ambulatorien sind nur begrenzt aufnahmefähig und ebenfalls extrem unterbesetzt.

 

Bildungsreform mit einem Ergebnis der Bildung 2. Klasse und Vermeidung von Mehrkosten sind  keine Antwort auf ein sich ständig wandelndes Klientel und die darin enthaltenen hochbrisanten Problematiken!

 

Die Abschaffung der Wiener Sprachheilschule durch die Streichung des § 27a bedeutet nicht nur den Verlust der seit langen Jahren bewährten und professionellen  Organisationsstruktur, sondern auf Dauer auch einen schleichenden Verlust an Kompetenzen und fachlichen Inhalten. Die sprachheilpädagogische Betreuung massiv sprachgestörter SchülerInnen ist qualitativ nicht zu gewährleisten, wie auch die ambulante sprachheilpädagogische Betreuung von jährlich über 4000 sprachauffälligen Regelschulkindern in Wien. Sie sind, wie 78 % der SchülerInnen Wiens,  nicht bescheidet und werden inklusiv betreut.

 

Eine kurzsichtige, nur auf Kostenneutralität hin ausgerichtete Bildungspolitik führt zur Notwendigkeit (lebens)langer Unterstützungsmaßnahmen für beeinträchtigte Menschen. Diese Kosten werden die jetzt eingesparten Beträge bei weitem übersteigen.

 

 

 

Im Namen des Kollegiums

der Wiener Sprachheilschule

SDn Marcella Feichtinger

Leiterin der Wiener Sprachheilschule                                     April 2017