Stellungnahme zum Entwurf des geänderten Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2017)

 
 

 

 

 

 

 

 


Wien, am 14. März 2017

 

 

 

Der ÖZIV Bundesverband – eine Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen - erlaubt sich, zu oben angeführtem Entwurf folgende Stellungnahme abzugeben mit der eindringlichen Bitte, dieser die notwendige Achtung und Ernsthaftigkeit teil werden zu lassen und im Interesse der betroffenen Menschen die geplante Gesetzesänderung zu korrigieren.

 

Als Verein, der sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt, treten wir für die Ermöglichung einer selbstbestimmten und gleichberechtigen Lebensführung von Menschen mit Behinderungen ein, arbeiten an einem Abbau von Barrieren und Vorurteilen und befürworten den Inklusionsgedanken. Wir treten für bedarfsgerechte Angebote für Menschen mit Behinderungen ein und verfolgen so das langfristige Ziel, Menschen mit Behinderungen eine umfassende Teilhabe an der Gesellschaft in allen Facetten zu ermöglichen.

 

Inhaltlich wollen wir zum Entwurf des Bundesvergabegesetzes 2017 folgendermaßen Stellung nehmen:

 

Zu § 107 (Barrierefreiheit)

 

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass der Bundesgesetzgeber die Vorgaben der UN-BRK betreffend Vorgaben zur Barrierefreiheit als Querschnittsmaterie versteht und im BundesvergabeG mitberücksichtigt.

 

1. In den Bestimmungen für Besondere Dienstleistungen gem. Anhang XVI scheint das Erfordernis der Zugänglichkeit nach § 107 allerdings gänzlich ausgenommen zu sein, weil dieses in der taxativen Aufzählung in Absatz 1 des § 151 nicht genannt wird. Gerade bei besonderen Dienstleistungsaufträgen im Sinne des Anhanges XVI erscheint aber das Kriterium der Barrierefreiheit ein unentbehrliches zu sein, will man vorbeugen, dass Auftraggeber oder Auftragnehmer in Konflikt mit den Vorgaben betr. Barrierefreiheit gem. der UN-BRK (bzw. mit dessen innerstaatlicher Umsetzung im BGStG) kommen.

 

Eine Ergänzung des § 151 Abs. 1 mit § 107 halten wir daher für unbedingt erforderlich.

 

2. Die Ausnahme in Absatz 2 des § 107 ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu sehen:

 

a.) Da die Ziffern 1. und 2. bloß deklarativen Charakter haben, wäre im Gesetz jedenfalls festzulegen, welche „ordnungsgemäß begründeten Fälle“ der Gesetzgeber – abgesehen von diesen beschriebenen Fällen - noch bei einer solchen Ausnahme vor Augen hat. Zumindest müssten weitere Anhaltspunkte für eine solche „ordnungsgemäße Begründung“ festgelegt werden, ansonsten droht eine völlige Aushebelung der grundsätzlichen Verpflichtung gem. Absatz 1. Außerdem fehlt eine Klarstellung, wer das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes konkret prüfen bzw. festlegen wird: Liegt es in der Kompetenz des Auftraggebers selbst, zu entscheiden, ob ein begründeter Fall nach Absatz 2 vorliegt? Wer hat – abgesehen vom Treffen dieser Entscheidung – letztlich ordnungsgemäß zu begründen und nach welchen Kriterien hat eine solche Begründung zu erfolgen? Hierzu wäre es etwa denkbar, zumindest eine Stellungnahme einer anerkannten Organisation als ausschlaggebendes Kriterium vorzusehen, um dem in der UN-BRK normierten Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Partizipation (iSv Teilhabe an Entscheidungsprozessen) am besten Rechnung zu tragen.

 

Eine Ergänzung der Bestimmung um diese Kriterien in Absatz 2 halten wir daher für dringend geboten.

 

b.) Der Ausnahmetatbestand der Ziffer 1 lässt völlig offen, nach welchen Kriterien diese Erwartung des Auftragsgebers erfolgen soll. Der Gesetzgeber legt nicht offen, was derartige „begründete Fälle“ sein könnten und nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, dass keine Notwendigkeit einer Nutzung durch Menschen mit Behinderungen zu erwarten ist. Weder wird bestimmt, wer beurteilen soll, ob der Auftraggeber davon ausgehen kann, dass keine Notwendigkeit einer Nutzung durch Menschen mit Behinderungen zu erwarten ist, noch wird bestimmt, wie sich der Gesetzgeber hierbei das Prozedere vorstellt.

 Außerdem ist kritisch anzumerken, dass hier von der Erwartung der „Notwendigkeit“ einer Nutzung durch Menschen mit Behinderungen, nicht von der Nutzung selbst die Rede ist. Das bedeutet letztlich, dass zu beurteilen sein würde, ob es „notwendig“ ist, dass Menschen mit Behinderungen die Leistung benutzen; nicht, ob eine „Nutzung“ der Leistung durch Menschen mit Behinderungen erwartbar ist. Auch hier ist an die völkerrechtliche Verpflichtung durch die UN-BRK zu erinnern, die ganz grundsätzlich die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung normiert und Barrierefreiheit als Voraussetzung festlegt. Dass also Menschen mit Behinderungen eine Leistung vielleicht nicht notwendigerweise in Anspruch nehmen, darf auch im Vergaberecht nicht dazu führen, vom Erfordernis der Barrierefreiheit Abstand zu nehmen.

Und letztlich ist anzumerken, dass eine solche „Erwartbarkeitsprüfung“ im Einzelfall wohl nicht dazu führen wird können, vorab alle Aspekte von Barrierefreiheit und Zugänglichkeit derart abzuschätzen, als der Ausnahmetatbestand „ordnungsgemäß“ begründbar sein kann. Neben baulichen und gestalterischen Barrieren diskriminieren auch andere (etwa kommunikative Barrieren) mittelbar Menschen mit Behinderungen und müssten bei einer derartigen Prüfung mitbedacht werden.

Aus unserer Sicht ist deshalb Z.1 zu streichen oder derart zu konkretisieren, dass eine Aushebelung der Verpflichtung nach Abs.1 verhindert wird.

 

c.) Der Ausnahmetatbestand der Ziffer 2 müsste ergänzt werden um klare Anhaltspunkte dafür, wann der Gesetzgeber von „unverhältnismäßigen zusätzlichen Kosten“ ausgeht. Für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es grundsätzlich – nach den Regeln der Logik – eines Verhältnisses, auf das in der Prüfung abgestellt wird. In der vorliegenden Fassung dürfte der Gesetzgeber dieses Verhältnis mit dem Begriff „zusätzlich“ („zusätzliche Kosten aufgrund der Berücksichtigung der Kriterien“) äußerst vage angedacht haben. Allerdings muss hier eingewendet werden, dass zum einen nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden darf, dass das Kriterium der Barrierefreiheit für den Auftragnehmer zusätzliche Kosten verursacht (Man denke nur an den Fall, dass Barrierefreiheit durch einen Auftragnehmer stetig ernst genommen und umgesetzt wurde. Nach § 107 Abs. 2 Z.2. würden diese Auftragnehmer für ihr Engagement iSd. UN-BRK gegenüber anderen Auftragnehmern benachteiligt bzw. bestraft.). Zum anderen lässt es der Gesetzgeber völlig offen, in welchen Fällen er zusätzliche Kosten als unverhältnismäßig ansieht.

Absolut notwendig wäre es daher, die Ziffer 2. derart zu verändern, dass klar hervorgeht, im Verhältnis zu welchen Komponenten (Aufwand für Barrierefreiheit ist unverhältnismäßig z.B. zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers oder zum Auftragsvolumen o.a.) der Gesetzgeber eine Unverhältnismäßigkeitsprüfung zulassen möchte. Ähnlich den Bestimmungen im BGStG, allen voran § 6 (Unverhältnismäßige Belastungen), müsste der Gesetzgeber in einem zweiten Schritt klare Anhaltspunkte festlegen, nach welchen Kriterien eine Unverhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat. Denkbar wäre aus unserer Sicht eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers, der Auswirkungen der Benachteiligungen auf die allgemeinen Interessen von Menschen mit Behinderungen bzw. etwaiger finanzieller Förderungen für entsprechende Maßnahmen der Barrierefreiheit.

 

Der ÖZIV Bundesverband hofft, mit dieser Stellungnahme auf bestehende Verpflichtungen gegenüber Menschen mit Behinderungen aufgrund der UN-BRK derart hingewiesen zu haben, dass notwendige Anpassungen Eingang in die Gesetzesänderung finden.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Julia Jungwirth

ÖZIV Bundesverband