Wien, 18.4.2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mein Name ist Petra Bauer und ich leite ein Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS), sowie eine öffentliche Schule der Stadt Wien (Zentrum Inklusiver Schulen).

Vielleicht sind die von Ihnen erarbeiteten Gesetzesvorschläge im Bereich der Sonderpädagogik für andere Bundesländer passend und zukunftsweisend. Das kann ich nicht beurteilen.

Für Wien stellt der Wegfall des Inhaltes des jetzigen Paragraphen 27a des SchOG eine Zerschlagung aller in den vergangenen dreißig Jahren gewachsenen schulischen Strukturen und Kompetenzen dar, die sich immer innovativ und umfassend in den Dienst der Integration und Inklusion gestellt haben.

„ (1) Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik sind Sonderschulen, die die Aufgabe haben, durch Bereitstellung und Koordination sonderpädagogischer Maßnahmen in anderen Schularten dazu beizutragen, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in bestmöglicher Weise auch in allgemeinen Schulen unterrichtet werden können.“

Diese Aufgabe hat dazu geführt, dass heute ZIS-Standorte in Wien Kompetenzzentren sind, die strukturell und individuell dafür Sorge tragen, dass Kompetenztransfer im sonder- und förderpädagogischen Bereich in die sogenannten Regelschulen stattfinden kann. Inklusives Schulqualitätsmanagement findet statt.

Dies geschieht durch Fortbildungsveranstaltungen für die PädagogInnen der Schulen in der jeweiligen Verantwortungsregion, durch Einsatz von SonderpädagogInnen an den Pflichtschulen, die die PädagogInnen und Eltern vor Ort beraten und SchülerInnen unterstützen, um auch präventiv zu wirken und durch die Arbeit von mobilen ExpertInnenteams z.B. für den Bereich des Sehens und Hörens. Diese Arbeit beginnt oft schon im Kindergarten und kann immer wieder verhindern, dass ein Kind einen Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) braucht. Das ist das Ziel der fachlich kompetenten Bemühungen. Inklusion ohne Zuordnung des Begriffes „Behinderung“.

Wenn aber trotz der effizienten Arbeit der Förderkommission, in der alle SchulleiterInnen aller Pflichtschulen mit der ZIS-Leitung jedes einzelne Kind und dessen schulische und außerschulische Förderung immer wieder besprechen, sowie des Einsatzes aller möglichen Förderressourcen die Zuerkennung des SPFs von den Eltern/Erziehungsberechtigten gewünscht wird, wird dies geprüft. Hier ist kontinuierliche Elternarbeit unerlässlich, die die Familien stärkt und begleitet, wenn es gilt, das eigene Kind mit seinen besonderen Bedürfnissen anzunehmen und positiv sowie zuversichtlich zu begleiten. Das leistet ein Wiener ZIS.

Damit das betreffende Kind die Förderung erhält, die es braucht, damit es zu seinem Menschenrecht auf höchstmögliche Bildung kommt, stellen die Eltern/Erziehungsberechtigten einen schriftlichen Antrag. Ein (schul-) psychologisches Gutachten, normierte LehrerInnenberichte, andere von den Eltern beigebrachte Berichte und Gutachten, sowie das sonderpädagogische Gutachten der ZIS-Leitung basierend auf standardisierten Begutachtungen werden mit dem Elternantrag in einer kommissionellen Sitzung einer ExpertInnengruppe besprochen und diskutiert. Die Schulaufsicht bescheidet. Die Lehrplanzuordnung erfolgt auch in dieser bescheidmäßigen Art und Weise.

Nun wird unter ständiger Einbindung der Eltern entschieden, welcher Schulplatz, welches Klassensetting für dieses Kind individuell passend ist.

Durch den bereits zitierten Absatz 1 des §27a des SchOG wird garantiert, dass die pädagogischen Fachkräfte, die nun in einer Integrationsklasse einer Volksschule oder Neuen Mittelschule das Kind unterrichten eine Dienst- und Fachaufsicht haben, die präventiv- und sonderpädagogisch ausgebildet und erfahren ist. Der ZIS-Leitung. Dies ist auch im Absatz 3 des §27a des SchOG aus diesem Grund so formuliert:

„ (3) Landeslehrer, die an allgemein bildenden Schulen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzlich eingesetzt werden, sind durch Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik zu betreuen.“

Da die Schulentwicklung im sonderpädagogischen Bereich in Wien ja zukunftsorientiert inklusiv verläuft ist ja eine ehemalige Sonderschule in diesem Sinne nicht mehr üblich. Falls die Schülerin/der Schüler ein anderes Klassensetting als das an einer sogenannten Regelschule braucht, um schulisch erfolgreich zu sein, können sich die Eltern auch für einen Schulplatz wie in meiner Schule entscheiden:

Rund 180 Kinder von 6 bis 16 Jahren mit und ohne Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) lernen in 14 Klassen in über fünf unterschiedlichen Klassensettings nach den Lehrplänen der Volksschule, der Neuen Mittelschule, der Allgemeinen Sonderschule und der Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf mehrstufig miteinander. Das Ziel ist, dass jedes Kind den höchstmöglichen Bildungsabschluss erreicht, der für die Schülerin/den Schüler individuell möglich ist. Das ist die Schule, die inklusiv arbeitet. Eine Wiener Sonderschule.

Sobald das Kind die Unterstützung (kleinere Lerngruppe, fixe pädagogische Bezugsperson, besondere Lernmaterialien, ...) nicht mehr braucht, wird der SPF aufgehoben.

Die schulische Begleitung des Kindes und seiner Familie bis zum Ende der Pflichtschulzeit wird durch das ZIS weiterhin geleistet.

Das Schulautonomiepaket zerstört die über 30 Jahre lang aufgebaute Förderexpertise der ZIS-Standorte für ALLE Kinder in Wien, da sie nicht mehr wirken darf, weil  der Gesetzgeber mangelnde Objektivität und fachliche Unkenntnis annimmt. Meine Kolleginnen arbeiten voller Ideale und Kraft für die, die Hilfe brauchen ... und nun müssen sie hinnehmen, wie dies ideologisch verurteilt und vernichtet wird.

Bitte überdenken Sie Ihr gesetzliches Vorhaben in Bereich der Sonderpädagogik in der von Ihnen vorgeschlagenen Art und Weise. Denn Neuerungen sind nie sofort abzulehnen. Verbesserungen sind in jedem System wichtig und notwendig.

Ein großer Teil der Sozial- und Bildungsarbeit in Wien, vor allem der für die Kinder, die es besonders schwer haben, würde unwiderruflich zerstört werden.

Danke!

 

Mit freundlichen Grüßen

SDn Petra Bauer, Dipl.Pädn.

ZIS 17, Leopold Ernst Gasse 37, 1170 Wien