Stellungnahme zum Schulautonomiepaket von VDn Barbara Rosenberger-Fellner

1030 Wien, VS Petrusgasse 10

 

Sehr geehrte Frau BM Mag. Hammerschmid!

 

Ich bin seit fast sechs Jahren Schulleiterin im dritten Bezirk in Wien und jeden Tag mit großen Herausforderungen konfrontiert: Sozialpolitische Probleme, hoher Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, Platzmangel, rigide Öffnungszeiten seitens der MA 56, keine Nachmittagsbetreuung am Standort, etc.

Es gäbe viele Visionen, wie man diese Probleme professionell mildern könnte. Leider kann ich keine einzige in dem von Ihnen und „SchulexpertInnen“ entwickelten Schulautonomiepaket erkennen.

 

Es wird weder möglich sein, die Schule länger offen zu halten, noch eine passende Nachmittagsbetreuung zu installieren (auch wenn die Schulpartnerschaft es wünscht), wenn das der Schulerhalter (in unserem Fall ist das die MA 56 bzw. MA 10) nicht für notwendig erachtet. Dass durch diese ungleiche Behandlung einiger Schulstandorte von Ihrer Partei jetzt schon „Ghettos“ entstanden sind, wird verschwiegen.

 

SONDERPÄDAGOGIK:

In die bereits große Heterogenität in den Klassen sollen jetzt auch Kinder inkludiert werden, die sonst als Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf geführt würden. Aber da muss wieder eine Quote gesenkt werden und jetzt sollen Kinder mit besonderem Förderbedarf plötzlich einfach mitbetreut werden – ohne die damit verbundenen Ressourcen (bisher bestmögliche Betreuung durch eine gut ausgebildete Lehrperson – Zeit und Raum für Entwicklungen waren dadurch gewährleistet).

Ich frage mich nur: WER SOLL DIESE KINDER ADÄQUAT BETREUEN UND FÖRDERN?

LERNEN BRAUCHT BEZIEHUNG und eine Lehrperson wird diesen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass auf sämtlichen Werbungen über die Schule oder auch in Zeitungsartikeln immer eine LehrerIn mit drei oder vier SchülerInnen zu sehen ist, wobei diese noch dazu meistens blond sind. Wenn das der Schlüssel für die Berechnung der neuen LehrerInnenressourcen ist, dann wären wir damit einverstanden, aber IHR Autonomiepaket soll ja kostenneutral sein. Das kann sich auch mit einer einfachen Milchmädchen(buben)rechnung nicht ausgehen.  Leider geht das alles auf Kosten der KINDER UND LEHRERINNEN - ich frage mich, ob hier Gleichgültigkeit vorliegt!

 

WIR LEHRERINNEN lösen soundso seit Jahren alle gesellschaftspolitischen Probleme – kostenneutral. Jetzt darf’s einfach noch ein bisschen mehr sein. DANKE!!

 

KLASSENSCHÜLERHÖCHSTZAHL aufheben:

Als Dank werden dann (weil Schulraumprobleme und LehrerInnenmangel gleich mit einem Schlag gelöst werden sollen) noch die SchülerInnenzahl in den Klassen erhöht – natürlich nur nach Festlegung  durch die Schulleitung bzw. Clusterleitung. Viele LehrerInnen sind trotz vieler Fortbildungen und Methodenänderungen, Reflexionen und Supervisionen mit den Anforderungen in den Klassen überlastet. Ich ziehe jeden Tag den Hut vor meinen PädagogInnen, wie sie trotzdem alles aus den Kindern herausholen und versuchen, sie optimal zu begleiten und zu BILDEN. 

 

STRUKTURVERÄNDERUNGSPAKET:

Ihr Autonomiepaket sieht keine einzige pädagogische Maßnahme vor, Schule zu verbessern,  sondern wurde nur, quasi auf dem Reißbrett, nach marktwirtschaftlichen Kriterien rationalisiert. In zahlreichen Managementseminaren, wo wir nicht nur zu Schulmanagern ausgebildet werden sollten, sondern uns, trotz der strengen hierarchischen Ordnung (und Befehlsketten) im Leadership üben sollten, habe ich immer gehört, dass Schulen sowie Krankenhäuser , immer als eigene Organisationen gesehen werden müssen. Das hat auch etwas mit dem Dienstrecht der LehrerInnen zu tun und dass LehrerInnen durch die Methodenfreiheit sehr autonom agieren können. Darum ist auch die Rolle bzw. die Funktion der SchulleiterIn immer eine andere, als in anderen Konzernen. Auch dieses Problem wird von Ihnen in einer sehr saloppen Art und Weise gelöst, indem Sie uns einfach absetzen bzw. umverteilen. Danke, dass ich in den letzten sechs Jahren (mit sehr viel Zeitaufwand) meiner Schule mit meinem Team ein neues Profil gegeben habe, PR für unsere Schule gemacht habe, mit meinem LehrerInnenteam eine neue Dynamik entwickelt habe, neu Schwerpunkte gesetzt habe, kompetenzentwicklende Jahresplanungen entworfen habe, neue Kommunikationsstrukturen aufgebaut habe und Problemlösungsstrategien entwickelt habe, um den Herausforderungen am Standort gerecht zu werden. Dies geschah auch oft in den Nachtstunden und am Wochenende – oft auf Kosten meiner eigenen Familie (meine beiden Söhne sind auch noch im Schulsystem), für die ich mich auch in der Causa Bildung sehr verantwortlich fühle – von nix kommt nix.

Danke, dass das alles offensichtlich nichts Wert ist, weil vielleicht plötzlich jemandem einfällt, meine Schule zu „clustern“. Dann bin ich wohl leider am falschen Feld gestanden, als ein anderer oder eine andere einen Sechser gewürfelt hat. Mit dieser Beliebigkeit habe ich als Beamtin des Österreichischen Staates nicht gerechnet. Das hat mich auch nach 30 Jahren im Schuldienst wirklich noch verblüfft. Das passiert natürlich wirklich vielen Personen, die 50 + sind. Manche haben noch die Chance, den Konzern zu wechseln – diese Chance habe ich leider nicht. Es gibt für mich nur diesen Konzern und der heißt Österreichisches Schulsystem.

 

Da ich früher auch in der Privatwirtschaft gearbeitet habe,  konnte ich mich auch mit anderen Firmenstrukturen beschäftigen. Es wird für einen Super-Cluster-Manager nicht möglich sein, Verantwortung für 100 oder 150 LehrerInnen zu übernehmen bzw. sie zu „führen“, ohne dass ein mittleres Management eingezogen wird. Jede Firma in der Privatwirtschaft ist anderes aufgebaut.  So gibt es in mittleren Betrieben neben dem Chef oder der Chefin einen Personalchef, einen Finanzchef, einen Kommunikationschef, etc.

Aus den Entwürfen ist noch nicht genau zu erkennen, wofür der Clustermanager eigentlich zuständig ist. Ist er mehr mit Konfliktmanagement, mit Schulentwicklung, mit Personalmanagement oder vielleicht doch mehr mit Schulverwaltung und Administration beschäftigt? Vielleicht könnte man auch die Schulwarte einsetzen – sie verdienen in manchen Schulen jetzt schon mehr, als die DirektorInnen.

So kann ein Betrieb, indem es darum geht, junge Menschen auf ihrem Weg zur Bildung zu begleiten, nicht funktionieren.

 

AUCH FÜHRUNG BZW. LEADERSHIP BRAUCHT BEZIEHUNG!!

 

Es ist auch sicher angenehm, wenn man in einem hierarchischem System über längere Zeit in einer Führungsposition gestanden ist,  durch die Degradierung zum Bereichsleiter plötzlich wieder auf der gleichen Ebene mit den früheren KollegInnen zu stehen. Wie soll das funktionieren? Es ist auch sicher sehr qualitätssteigernd für den Unterricht, wenn man bzw. frau nach 10 oder 15 Jahren an der Spitze einer Schule, plötzlich wieder unterrichtet. Ich habe mich sehr in meiner Arbeit als Schulleiterin professionalisiert und dabei nicht methodisch didaktisch an meinem Unterricht gefeilt. Und so nebenbei werde ich dann die gleiche Arbeit, die ich früher als Direktorin geleistet habe, zusätzlich machen, weil ich IMMER am Standort Ansprechpartnerin und somit für eben diesen verantwortlich sein werde.

In diesem Zusammenhang finde ich es auch als eine Verhöhnung, dass Sie denken, es sei nicht notwendig, an Standorten unter 200 SchülerInnen einen Bereichsleiter zu installieren. Das heißt, der Standort organisiert sein Tagesgeschäft ganz von alleine, ohne Verantwortlichen – ich kann noch immer nicht glauben, dass das Ihr Ansinnen ist. Außerdem vergessen Sie, dass wir LehrerInnen keinen Bürojob haben, den ganzen Tag am Computer sitzend und Mails lesend, die die Chefin schreibt. Nein – wir arbeiten intensiv mit den SchülerInnen, sprechen mit den Eltern, bereiten uns auf den Unterricht vor, schreiben lange Verlaufsprotokolle und Förderpläne, anschließend noch Rechtfertigungsdokumentationen und Reflexionen, warum die Bildungsziele vielleicht doch nicht erreicht wurden – und daran sind dann bestimmt auch noch WIR LehrerInnen schuld.

 

PERSONALHOHEIT:

Dienstrechtlich ist es soundso nicht möglich, Chefin des Personals zu sein. Zu sagen, man dürfe sich die LehrerInnen aussuchen (die es bald nicht mehr in Hülle und Fülle geben wird), aber keine abgeben. Was soll das bedeuten?

 

Sie könnten uns mit ein paar Gesetzesänderungen viele Handlungsspielräume freischalten, damit wir mit Engagement und Enthusiasmus UNSERE Schulen zu Bildungseinrichtungen mit besonderen Schwerpunkten entwickeln können. In jedes Zukunftsprojekt muss zuerst einmal investiert werden - auch in Ihr Schulautonomiepaket! Mit diesem vorliegenden Entwurf fehlt uns leider jede Perspektive für eine positive Entwicklung – ich finde ihn schlichtweg zynisch!

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Barbara Rosenberger-Fellner

Wien, am 19.4.2017