Sehr geehrte Damen und Herren,

 

 

 

zum Gesetzentwurf Bildungsreformgesetz 2017 – Schulrecht des BM für Bildung nimmt die Arbeitsgemeinschaft der Patientenanwälte Österreichs wie folgt Stellung:

 

1.    Anlass

Im Rahmen des Bildungsreform-Gesetz-Entwurfs 2017 wird auch auf die Gesundheitsbetreuung von Schülerinnen und Schülern durch Schulärztinnen und Schulärzte im Schulunterrichtsgesetz § 66 eingegangen. An die Patientenanwälte Österreichs werden immer wieder Probleme herangetragen, die sich für Kinder beim Bedarf an medizinisch-pflegerischen Leistungen während des Schulbesuches ergeben. Der vorliegende Gesetzesentwurf bietet daher der ARGE Patientenanwälte Österreichs Anlass für folgende Stellungnahme.

 

 

2.    Stellungnahme

Die Österreichischen Patientenanwälte begrüßen die Initiative des Gesetzgebers sehr. Er kommt damit einer langjährigen Forderung von Expertinnen und Experten, die Agenden der Schulgesundheitspflege neu zu ordnen, nach.

Es erscheint den Patientenanwälten Österreichs dringend geboten, die Befriedigung von gesundheitlichen und pädagogischen Bedürfnissen/Anforderungen im Schulalltag von Kindern nicht weiterhin getrennt sondern gemeinsam in den Blick zu nehmen.

 

Die von Eltern, Expertinnen und Experten, Pädagoginnen und Pädagogen z.T. berichtete massive Unter- und Fehlversorgung von chronisch kranken Kindern (an physischen und/oder psychischen Erkranken bzw. an Auffälligkeiten im Sozialverhalten leidend) während des Schulbesuches muss zukünftig der Vergangenheit angehören. Es darf nicht weiterhin notwendig sein, dass ein Elternteil und hier meist die Mutter, auf ihre Berufstätigkeit verzichten muss, um ihrem Kind während des Schulbesuches notwendige medizinisch-pflegerische Leistungen angedeihen zu lassen.

 

 


 

 

Im Detail sind wesentliche Anmerkungen zu machen:

 

§32 Abs.2a

Der Schulbesuch sollte nicht nur für „ein weiteres Jahr“ sondern für dieselbe Zeit wie für alle anderen Schülerinnen und Schüler möglich sein. Es handelt sich meist um benachteiligte Jugendliche, deren  Lebens- und Ausbildungssituation sich in einem einzigen Jahr nicht nachhaltig verbessern lässt und die durch diese Begrenzung eine schwere Diskriminierung erfahren.

 

 

§66  Überschrift Änderung auf: Gesundheitsberufe an Schulen

Die ARGE Patientenanwälte Österreichs regt dringend an, die Überschrift  „Schulärztin, Schularzt“  auf „Betreuung durch Gesundheitsberufe“ zu ändern.

Die Erweiterung der Berufsgruppe auch auf andere Gesundheitsberufe wie Krankenpflegepersonen oder andere Assistenzberufe aus dem Bereich der Gesundheitsberufe entspricht den praktischen Anforderungen und auch der internationalen Praxis. Die Nennung anderer Gesundheitsberufe ermöglicht es auch der Gesundheitsministerin, entsprechende Pflegepersonen per Verordnung an Schulen tätig werden zu lassen

Die Reform des Gesundheits-Krankenpflege Gesetzes 2016 ermöglicht, die im „Berufsbild und Kompetenzbereich“ § 12 Absatz 5 verankerten Aufgaben u.a. der Schulgesundheitspflege wirksam werden zu lassen. Hingegen ist  das Berufsbild der Schulärztinnen und -ärzte im Gegensatz dazu in keinem entsprechenden österreichischen Gesetz geregelt.

In einem WHO/EU - Survey von Schulgesundheitsdiensten aus 2010 und den ebenfalls von der WHO entwickelten Qualitätsstandards für Schulgesundheitsdienste 2014 werden immer auch mehrere relevante Gesundheitsberufe genannt, die bereits in einem Großteil der europäischen Länder in Kooperation die Gesundheitsbetreuung von Schülerinnen und Schülern durchführen. [1,2].

 

 

§ 66 (1) Beratung in allgemeiner Form

Vorangestellt sei, dass laut der österreichischen Health-Behaviour in School-aged Children (HBSC-Studie [3]), die durch internationale Ergebnisse bestätigt wird, nahezu ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler in Österreich eine chronische Erkrankung aufweisen, die im Schulalltag gemanagt werden muss. Die Daten zeigen, dass sich in jeder Schule bzw. in jeder österreichischen Schulklasse Kinder mit chronischen Erkrankungen befinden, die in der derzeitigen Situation - häufig durch Unkenntnis des pädagogischen Personals [4] - Diskriminierung erfahren.

Eine Verbesserung der Situation für Kinder, Eltern und für das pädagogische Personal kann nur erreicht werden,  wenn zusätzlich zur Beratung in allgemeiner Form, Lehrerinnen und Lehrer auch in denjenigen spezifischen gesundheitlich-pflegerischen Belangen beraten und geschult werden, die für die pädagogische Arbeit von Bedeutung  sind

Chronische Erkrankungen wie z.B. Typ 1 Diabetes mellitus, Epilepsie, rheumatoide Arthritis, Asthma, Allergien machen sich im Schulalltag bemerkbar und können teilweise in lebensbedrohliche Situationen münden. Das Wissen, wie das Lehrpersonal in einer Akutsituation reagieren soll und das Vorhandensein entsprechender Notfallmedikamente und medizinischer Hilfsmittel sind entscheidend für den weiteren Verlauf der gesundheitlichen Krisensituation. Neben den zielgerichteten Maßnahmen der Ersten Hilfe entsprechend den aktuellen Richtlinien müssen Lehrerinnen und Lehrer aber auch ganz allgemein Kenntnis über den körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheitszustand von Schülerinnen und Schülern haben, wenn dieser unmittelbare Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung, die pädagogische Arbeit und auf das generelle Management des Schulalltages mit sich bringt.

 

 

§ 66 Abs. 2

Wenn gesundheitliche Mängel bei der Untersuchung festgestellt wurden, sind nicht nur die Schülerin, der Schüler sondern im Normalfall auch deren Erziehungsberechtigte in Kenntnis zu setzen. (Ausnahme: wenn die einsichts-und urteilsfähige Schülerin/der Schüler diese Informationsweitergabe ausdrücklich ablehnt, oder diese offenkundig zum Schaden des Kindes wäre (wie z.B. familiäre Probleme, Gewalt)

 

 

§ 66 Abs. 3

Die „beratende“ Stimme in Konferenzen, oder im Schulgemeinschaftsausschuss ist zu ersetzen durch „entscheidende“ Stimme.

 

 

§ 66b Ausübung ärztlicher Tätigkeiten nach § 50a Abs. 1 Ärztegesetz durch Lehrpersonen

Die erklärte Übernahme dieser ärztlichen Tätigkeiten in die Dienstpflichten und damit in die Amtshaftung von Lehrpersonal stellt einen großen Fortschritt dar, der von der ARGE Patientenanwälte Österreichs sehr begrüßt wird.

 

Folgende Präzisierungen sind aus unserer Sicht noch vorzunehmen:

Absatz 1: Da die Übernahme auf freiwilliger Basis erfolgt, muss jedenfalls geklärt werden, wer im Falle einer Ablehnung durch Lehrpersonen diese Tätigkeiten am Schulkind verrichtet.

 

Absatz 2: dienstliche medizinische Tätigkeiten in einem Notfall, sind, wie bereits erwähnt entsprechend aktuellen Richtlinien der Ersten Hilfe zu handhaben (andernfalls eine Übernahme der Amtshaftung auch problematisch erscheint)

 

Unserer Ansicht nach wird von der österreichischen Bevölkerung von Lehrpersonen im öffentlichen Dienst eine Erste Hilfeleistung entsprechend den jeweils aktuellen Richtlinien erwartet. Sie ist nicht nur aufgrund der hohen Anzahl von Kindern mit chronischen Erkrankungen in den einzelnen Schulen notwendig, sondern auch in Anbetracht die vielfältigen Notfallsituationen bei Kindern (Unfälle, unerwartete Allergien und Anfälle) aber auch in der Lehrerschaft sinnvoll. (Akutereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall bei älteren Personen am Schulstandort).

Aktuelle Erste Hilfe Kenntnisse von allen Lehrerinnen und Lehrern und dem Schulpersonal erhöhen die Sicherheit für die Kinder und reduzieren die Ängste von Pädagoginnen und Pädagogen im Umgang mit Kindern mit chronischen Erkrankungen.

 

Ergänzend wird wegen der in Österreich erst nun bekannten hohen Prävalenz von psychosozialen Auffälligkeiten und kinder-jugendpsychiatrischen Erkrankungen [5] vorgeschlagen, dass an bestimmten Schul-Standorten tagesklinische Therapieeinrichtungen angeschlossen werden, in denen diese Kinder ihre notwendigen ambulanten Therapien erhalten können. Es herrscht in Österreich nach wie vor eine ausgesprochene Mangelversorgung bei diesen Therapien, was den Bildungserfolg der betroffenen Kinder ebenso wie ihre gesundheitliche Situation gefährdet.

Die Bundesregierung bekennt sich in ihrem Arbeitsprogramm 2017/2018 „Für Österreich“ vom Jänner 2017 „zum Ausbau und einfachen Zugang zu psychischer Versorgung u.a. „durch Versorgung im Bereich Mental Health Kinder-/Jugendgesundheit im Rahmen multiprofessioneller Versorgungsstrukturen“.[6]

 

 

Literatur -Verweise

[1] World Health Organization WHO, Regional Office for Europe (2010): Pairing Children with Health Services. The results of a survey on school health services in the WHO European Region

[2] World Health Organization WHO, Regional Office for Europe (2014): European framework for quality standards in school health services and competences for school health professionals

[3] Ramelow D. et al. (2010): Gesundheit und Gesundheitsverhalten von österreichischen Schülern und Schülerinnen Ergebnisse des WHO-HBSC-Survey.

Hrsg: Bundesministerium für Gesundheit

Damm ist nicht veröffentlicht, statt dessen:

[4] Bürgerinitiative Nr.60 „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ www.parlament.gv.at

[5] Philipp J et al. (2014) The Mental Health in Austrian Teenagers (MHAT(-Study: preliminary results from a pilot study.neuropsychiatr 28:198-207

[6] http://archiv.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=65201

 

 





mfg

Dr. Gerald Bachinger

NÖ PatientInnen- und Pflegeanwalt

Sprecher der PatientenanwältInnen

Tel: 02742/9005/15575

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