Betrifft: Schul“autonomie“paket

 

 

Sehr geehrter Damen und Herren!

 

Als verantwortungsbewusster Bürger kann ich mit dem neuen Gesetzesentwurf in keinster Weise einverstanden sein.

 

Es ist für mich selbstverständlich, dass in der Schule dringender Reformbedarf vorhanden ist, was jedoch in den letzten Jahren in der Schulpolitik durchgepeitscht wurde kommt weder Eltern oder LehrerInnen und schon gar nicht den Schülern zu Gute (NMS mit all ihren angeblichen Vorteilen, neue Ausbildung für LehrerInnen, PISA und andere Testungen, SQA, Grundschulpaket, …).

Fakt bei all diesen Neuerungen ist, dass im Prinzip nichts oder sehr wenig bei den SchülerInnen ankommt und es sich letztendlich um eine Art Beschäftigungstherapie für die LehrerInnen handelt, um von den eigentlichen Problemen der Schule abzulenken (in einer Großstadt wie Wien sind die Probleme natürlich mannigfaltiger und einschneidender als an Pflichtschulen am Land).

 

Die Krönung ist aber nun das „Schulautonomiepaket“.

Ich habe viele Gespräche geführt – mit DirektorInnen, LehrerInnen, Eltern, aber auch mit Bekannten und Freunden … letztendlich lief es immer darauf hinaus, dass es so nicht mehr weitergehen kann, und jetzt ein Punkt erreicht ist, wo man als verantwortungsvoller Bürger oder besorgter Elternteil sagen muss:

 

*** Stopp! ***

*** Es reicht! ***

***Das können und wollen wir nicht mehr hinnehmen! ***

 

Bei diesem Schulautonomiepaket wird nahezu alles umgekrempelt und entfernt, was sich bewährt und Sinn gemacht hat, nur um das Gegenteil der eigentlichen Namensgebung des Reformpaketes zu erreichen:

 

Wo „Autonomie“ draufsteht, ist „Diktat(ur)“ drinnen!

 

 

Ich möchte einige Punkte des Autonomiepaketes im Detail anführen:

 

1) Öffnungszeiten, schulautonome Tage, Auflösung der 50-Minuten-Einheiten

 

Fein – hier handelt es sich um drei Punkte, die man problemlos auch auf das jetzige Schulrecht/Schulsystem anpassen könnte bzw. dem jeweiligen Schulstandort darüber entscheiden lassen könnte – auch wenn die SchülerInnen davon keinen nachweislichen Nutzen haben.

 

Einige Überlegungen dazu:

-         In vielen Bundesländern wird der Schulbeginn bereits autonom am Standort entschieden (da man auf die Zubringerbusse aus den kleineren Ortschaften angewiesen ist) – also keine wirkliche Neuerung.

-         Für Wien müsste man sich überlegen, ob ein Landesgesetz ein Bundesgesetz „aushebeln“ kann (siehe „Wiener Schulgesetz“, das die genauen Beginn- und Pausenzeiten einheitlich für das Bundesland Wien regelt).

-         Auflösung der 50-Minuten-Einheiten: Prinzipiell eine gute Idee – ich würde dann gerne die Befürworter an einer NMS als Stundenplanersteller verpflichten … vielleicht wäre vorher auch eine Machbarkeitsstudie interessant …

 

 

2) Klassenschülerhöchstzahl

 

Es gilt derzeit die Schülerhöchstzahl von 25, die in Ausnahmefällen um 20 % überschritten werden darf (also 30 SchülerInnen pro Klasse). Würde diese Schülerhöchstzahl aufgehoben, ist es nur eine Frag der Zeit, bist 30, 35 oder mehr SchülerInnen in einer Klasse sitzen. Hier wird bereits sichtbar, dass eigentlich der Spargedanke und nicht der Autonomiegedanke im Vordergrund steht.

 

Auch hierzu einige Überlegungen und Facts:

-         In Wien gibt es nahezu keine Klassen, wo die Schülerzahl unter 24 ist.

-         Die Klassengröße (Raumgröße) sollte 63 m2 sein – es gibt aber auch Klassenräume, die nur 50 m2 oder weniger haben, und trotzdem 25 SchülerInnen reingesteckt werden (müssen) – für jedes Huhn ist vorgeschrieben wie viel Platz es haben muss, bei unseren Kindern …?

-         Es werden in Wien bereits Computerräume „rückgebaut“ um Klassenraum zu schaffen – die Standorte bekommen dann Laptops, diese werden in Kisten gelagert. Diese Kisten müssen dann in die Klassenräume transportiert werden – eine Herausforderung für erste Klassen, wenn es im Schulhaus keinen Lift gibt und nicht mal der Gang barrierefrei ist (abgesehen davon, dass die Laptops nicht die ganze Einheit genutzt werden können, da sie ja geholt und auch wieder zeitgerecht zurückgebracht werden müssen …)

 

 

3) Auswahl des Lehrpersonals

 

Auch prinzipiell eine feine Sache: Der Direktor (bzw. der zukünftige Clusterleiter) darf sich seine neuen LehrerInnen selbst aussuchen. Aber wurde das auch zu Ende gedacht?

 

Auch hierzu einige Fakten und Überlegungen:

-         Oftmals hängt die Attraktivität eines Schulstandortes von der Gebäudeeinrichtung (Neubau, Renovierung, Ausstattung, Erscheinungsbild, …) ab. Es gibt dann auch noch einige Schulen mit gewissen Schwerpunkten, die sowohl für SchülerInnen als auch für LehrerInnen attraktiv sind (z. B. Sportmittelschulen).

-         Es wird in den nächsten Jahren einen LehrerInnen-Mangel geben. Für Wien bedeutet dies: Viele LehrerInnen werden in die Bundesländer zurückgehen (können). Da die LehrerInnenausbildung verlängert wurde, gibt es auch ein Jahr, wo keine LehrerInnen ihre Ausbildung abschließen können …

-         Die „neuen LehrerInnen“ können sich dann aussuchen ob sie

o   sich an einer Schule in einem anderen Bundesland als Wien bewerben

o   sich an einer Schule in Wien bewerben, hierbei können sie sich aber auch noch aussuchen ob sie

o   sich in einem Gymnasium Unterstufe bewerben

o   sich in einer NMS mit Schwerpunkt oder zumindest einer neu errichteten Pflichtschule (z. B. ein Campus mit ausgesuchtem Publikum könnte auch sehr beliebt sein) bewerben oder ob sie

o   sich in einer Brennpunktschule bewerben (wo sie unter viel schlechteren Bedingungen genau das gleiche verdienen …)

-         Der Direktor bzw. Clusterleiter einer Brennpunktschule kann sich dann also die LehrerInnen aussuchen … die noch übrigbleiben (und falls noch welche übrigbleiben) …

 

 

4) Auslagerung der Verwaltung von IntegrationslehrerInnen an die Bildungsdirektionen

 

Auch hier ist wie bei so vielen Ideen der Spargedanke der Auslöser – über die Sinnhaftigkeit und über die Machbarkeit wird nicht mal ansatzweise nachgedacht.

Es gibt SchülerInnen mit besonderen Bedürfnissen, die eben auch eine besondere Betreuung benötigen, die in einem normalen Klassenverband nicht möglich ist.

 

Anmerkungen und Fakten:

-         Von der geplante Inklusion und Abschaffung der Sonderschulen (bzw. ZIS) mögen zwar internationale realitätsferne Philosophen Lobeshymnen singen, Praktiker und Personen mit Hausverstand können sich aber nur fragen, wie dies ohne zusätzliche Ausstattung und zusätzliche Personalressourcen schaffbar sein soll.

-         Es ist interessant, dass in Wien die Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf um 0,5 Prozentpunkte gesenkt werden soll bzw. schon gesenkt wird … nämlich von 2,7 % auf 2,2 % - auch hier ist wieder mal der Sparstift die Veranlassung … sollte sich nicht der prozentuelle Anteil nach den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen richten?

-         Einzelintegration hat mittlerweile in den Volksschulen Einzug gehalten: SchülerInnen mit sonderpädagogischen Förderbedarf sitzen ohne zusätzliche LehrerInnen in den Klassen. Es ist zwar schön, dass man den LehrerInnen so viel Differenzierung und Individualisierung zutraut, nur ist die Bandbreite an „Begabungen“ und Leistungswilligkeit von SchülerInnen in einer Klasse mittlerweile so groß, dass es auch ohne Schülerinnen mit sonderpädagogischen Förderbedarf kaum mehr machbar ist …also wiederum ein Nachteil für alle am Schulsystem beteiligten Personen …

 

 

5) Clustergröße

 

2 bis 8 Schulstandorte können zu einem Cluster zusammengefasst werden. In den Medien wurde von der Frau Minister Hammerschmied immer betont, dass dies auf Freiwilligkeit beruhe. Liest man sich den Gesetzesentwurf durch erkennt man aber, dass bei einer Clusterbildung von 3 Schulen bzw. weniger als 1300 SchülerInnen kein Einspruchsrecht besteht – so viel also zur Freiwilligkeit.

 

Weitere Überlegungen:

-         Jede „verclusterte Schule“ bekommt dann einen Bereichsleiter. Dieser wird für einige Stunden freigestellt und unterrichtet die restliche Zeit – hat aber nahezu die gleichen Aufgaben wie ein Schulleiter. Es ist absurd anzunehmen, dass sich jemand unter diesen Bedingungen freiwillig für eine Bereichsleitung mit diesem Aufgabenfeld und der damit verbundenen Verantwortung melden wird.

-         Momentan ist der Direktor einer Schule erster Ansprechpartner für LehrerInnen, Eltern aber auch für SchülerInnen am Standort. Ein Großteil der Arbeit am Vormittag besteht aus Konflikt- und Beschwerdemanagement. In Zukunft wird hierfür niemand mehr vor Ort dafür zur Verfügung stehen, da der Bereichsleiter ja im Unterricht sein muss. Der Clusterleiter ist nicht vor Ort (wird auch nicht auf Abruf bereit stehen, da er ja für bis zu 8 Schulen zuständig ist) und somit gibt es keine Ansprechpartner am Standort für dringende Probleme der Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen. Letztendlich führt das Schulautonomiepaket also dazu, dass alle im Schulsystem involvierten Personen im Stich gelassen werden.

 

 

6) Bestellung der Clusterleiter auf 5 Jahre

 

Hierzu muss auch noch erwähnt werden, dass die Clusterleitung direkt dem Unterrichtsministerium untersteht. Der Clusterleiter kann auf weitere 5 Jahre bestellt werden, wenn er sich bewährt hat … muss aber nicht …

 

Es wird sehr oft von einer „Entpolitisierung“ des Schulsystems gesprochen – das genaue Gegenteil ist hier der Fall!

 

Denn offensichtlicher als hier geht politische Einflussnahme nicht.

Es spricht gegen jegliche Kontinuität und ist eigentlich erschreckend, dass innerhalb von 5 Jahren alle Clusterleiter ausgetauscht werden können!!!?!!!

 

Es gäbe noch viel mehr zu diesem Paket zu sagen, aber ich habe mich hinreißen lassen und schon zu viel gesagt …

 

 

Abschließend möchte ich trotzdem noch Folgendes festhalten:

 

a) Es handelt sich um kein Autonomiepaket, sondern um ein Sparpaket, und zwar nur um ein Sparpaket!

b) Dieses Paket bringt den SchülerInnen absolut nichts und auch den Eltern nichts – den LehrerInnen bringt es wieder mal Verschlechterungen!

c) Es wird kein einziges Problem von Schulen im Ballungsraum gelöst oder zumindest verbessert – das Gegenteil ist der Fall!

d) Die Überlegungen sind weder ausgereift noch bis zu Ende gedacht – und die „Entwickler“ dieses Pakets werden nicht vor Ort sein, wenn dies alles im Chaos an den Schulstandorten endet!

e) Ich verstehe nicht, warum sich verantwortungsvolle Politiker für so ein Gesetzespaket hergeben, wenn sie sich intensiv mit allen Details und den möglichen Folgen beschäftigt haben?

 

Ich bin ein Mensch, der für Veränderungen offen ist, auch gerne mitplant und selbst Hand anlegt – sofern die Veränderungen vorausschauend, und sinnvoll sind und den Betroffenen etwas bringen.

 

Leider werden in der letzter Zeit die Menschen von der Politik oft für dumm verkauft, Argumente vorgeschoben, die keine sind, Fakten verschwiegen, falsche Tatsachen vorgespiegelt, Phrasen wiederholt, die in keinem logischen Zusammenhang stehen, …

Man darf sich dann nicht wundern, dass viele dieser Personen, die diese versuchte „Manipulation“ und Unehrlichkeit durchschauen, es mit der Zeit satt haben, für dumm verkauft zu werden!

 

Es bleibt zu hoffen, dass  in Zukunft eine vernünftige Bildungspolitik zum Wohle unserer Kinder gemacht wird.

 

Hochachtungsvoll

 

 

Herbert Nemetz