Stellungnahme der Wiener StützlehrerInnen zum Entwurf  BILDUNGSREFORMGESETZ 2017 – Schulrecht (299/ME)

 

Wer sind wir?

 

Die Wiener StützlehrerInnen sind eine seit 35 Jahren bestehende, inklusiv tätige Gruppe

des Wiener Sonderschulwesens. 

Wir arbeiten als SonderpädagogInnen an Wiener Volksschulen.

Wir betreuen lernschwache Kinder und ermöglichen mit zielgerichteten, individuell abgestimmten Maßnahmen vielen Kindern den Verbleib im Regellehrplan. 

Wir beraten Eltern, Kolleginnen und Kollegen und vernetzen schulische und

außerschulische Förderoptionen.

 

 

Wie kann sich der vorliegende Gesetzesentwurf auf unser Arbeitsfeld auswirken?

 

Kinder, die aus verschiedenen Gründen leistungsschwach sind, brauchen Flexibilität.

Jede Maßnahme, die sie klassifiziert, nimmt ihnen Chancen.

 

Wichtig ist, den Kindern durch laufende Diagnostik und Förderung Entwicklungschancen offen zu halten und sie nach ihren Möglichkeiten in allgemeinen Schulen zu integrieren.

 

Es ist notwendig, für sie zusätzliche Ressourcen bereitzustellen,  z.B. durch ambulante Dienste und Spartenschulen, die kleinere Betreuungsformen zulassen.

Entsprechend der individuellen Gegebenheiten sollte dauerhafter Exklusion

entgegengewirkt werden.

 

Der Gesetzesentwurf sieht, unserer Meinung nach, die Einführung einer Berufsbeamtenebene ohne dezidiertem pädagogischem Werdegang vor

(= Bildungsdirektoren  – auch wenn diese sonderpädagogisch beraten werden).

Damit ist die Gefahr der schnellen Klassifizierung lernschwacher Kinder erhöht.

 

Das vorgesehene Qualitätsmanagement mit allumfassendem Bildungscontrolling und

zentral erhobenen Indikatoren, bis hin zum dreijährigen nationalen Bildungsbericht

birgt systemimmanente Gefahren für „minderleistende“ Kinder:

Lernschwache Kinder verschlechtern das Controlling.

Noch mehr als bisher wäre es folglich gut, sie wären nicht da.

Ihre Leistungsdefizite werden objektiviert.  Die Kinder werden säuberlich in die Kategorien „Standardleistung – weniger – mehr“  einsortiert.  Aussagekraft hat dies hinsichtlich der Ätiologie nur für die Standardgruppe. Kinder, die über- oder unterdurchschnittliche Leistungen zeigen, haben dafür äußerst individuelle Gründe, die dann nicht oder zu wenig berücksichtigt werden.

 

Kolleginnen und Kollegen kämen in einen dauernden Vergleichsstress, ihre Arbeit würde durch den Druck der Statistik möglicherweise beeinflusst. 

Die Reduzierung und Anpassung des Lehrstoffes an die individuellen Erfordernisse wäre im Fall zentral verordneter Indikatoren noch weniger möglich.

 

Schulautonomie ist bei gleichzeitigem Einsparungsdruck eine wenig attraktive Option. Die Erhöhung von Klassenschülerhöchstzahlen gibt einen Vorgeschmack darauf, dass Autonomie – wie bereits bisherige Konzepte gezeigt haben – eher auf eine Mangelverwaltung hinausläuft als auf die Eröffnung neuer Möglichkeiten.

 

Das selektive Schulsystem mit SPF-Kindern – regulären Pflichtschulkindern – Bundesschulen (AHS) -Kindern wird im Entwurf leider wieder bestätigt.

 

Die Abwertung der ZIS wäre für Wien sehr negativ. 

Die meisten von ihnen haben die Anzahl der von ihnen intern betreuten, (lern-)behinderten  Schülerinnen und Schüler auf ein absolut notwendiges Minimum reduziert.

Umgekehrt wird durch die von diesen Standorten verwalteten Beratungs- und Betreuungssysteme ein unabdingbarer Dienst für den städtischen Ballungsraum mit

seinen vielfältigen Herausforderungen geleistet.

So sehr die Wiener StützlehrerInnen für ein diskriminierungsfreies Schulsystem eintreten,

ist uns dennoch durch unsere tägliche Arbeit bewusst, dass lernschwache Kinder spezielle Maßnahmen benötigen. Dafür sind zusätzliche Ressourcen notwendig.

Einsparungen und Inklusion vertragen sich nicht. 

 

Nicht notwendig ist die Etikettierung lernschwacher Kinder mit SPF-Erteilungen. 

 

Die Institution ZIS stellt mit ihrer Grundstruktur und ihrer Expertise einen Wert im Schulsystem, wie auch in der Gesellschaft, dar, die humanistisch für die Förderung und Gleichberechtigung aller Menschen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen, unabhängig von ihren sozio-ökonomischen Möglichkeiten, eintritt. Die emanzipatorischen Grundsätze, die bisher im Schulsystem verankert waren, sollten in einer Reform, die diesen Namen verdient, nicht abgeschwächt oder ausgehöhlt werden.

 

Clusterbildungen sind prinzipiell nicht abzulehnen, sofern pädagogische Richtlinien und Rahmenbedingungen beachtet und das Wohl der Kinder im Mittelpunkt der Tätigkeiten liegt!

 

Wir fordern:

 

-         Die Beibehaltung individueller Fördermöglichkeiten für leistungsschwache oder lernbehinderte Kinder.

-         Inklusion auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung, dass diese MEHR finanzielle Mittel erfordert und nicht mit Einsparungen einhergehen darf.

-         Die Einbeziehung der betroffenen, bisher aktiven SchulpartnerInnen unter Berücksichtigung ihrer langjährigen Erfahrungen und ihres ExpertInnenwissens.

-         Die Abschaffung von Ettiketierungssystemen für leistungsschwache und lernbehinderte Kinder. Ziel ist vielmehr eine Förderung in Regelschulen, so lange dies möglich und sinnvoll ist, und gut ausgestattete Spartenschulen für jene Kinder, deren Bedürfnisse im Regelschulwesen nicht ausreichend berücksichtigt werden können.

 

Regina Tonitz, Romy, Lechner, Gudrun Wegscheider

Koordinatorinnen der Wiener StützlehrerInnen