STELLUNGNAHME zum Bildungsreformgesetz 2017

Als Schulleiterin bekenne ich mich zur „Schule der Zukunft“ - eigenverantwortlich - regional ausgerichtet, frei in der Gestaltung.

Jedoch ist der vorliegende Gesetzesentwurf in weiten Teilen keine Bildungsreform, sondern eine Verwaltungs- und Organisationsreform. Doppelgleisigkeiten zwischen Bundes- und Landesverwaltung bleiben bestehen. Die gesetzten Maßnahmen machen keine positiven Effekte für das einzelne Kind erkennbar. Der bereits existierende hohe Verwaltungsaufwand wird nicht reduziert, sondern ausgebaut. Wiener PflichtschulleiterInnen lehnen das vorliegende Paket daher ab und ich schließe mich der Kritik in allen Punkten an.

Kritikpunkte im Einzelnen:

Schulautonomie

§ 9 Abs. 2, …der für Schulen mit Klassenlehrersystem eine Kontinuität des Klassenlehrers über die vier Stufen der Grundschule vorsieht erscheint pädagogisch überholt und kann in die autonome Entscheidung am Standort übertragen werden.

Wir begrüßen grundsätzlich den Spielraum der schulautonomen Entscheidung, jedoch stellt sich gerade für 6 bis 10 jährige SchülerInnen die kontinuierliche Betreuung über vier Schulstufen durch eine/n KlassenlehrerIn unverändert in hohem Maße pädagogisch relevant dar.

 

Auswahl des Lehrpersonals

Die Auswahl der Lehrer/innen durch die SchulleiterInnenentsprechend der Qualifikationen und Standorterfordernissen ist prinzipiell begrüßenswert.
Lediglich bei ausreichend vielen Bewerbungen kann der/die SchulleiterIn unter
vorhandenen Kandidaten wählen. Bei einem allfälligen LehrerInnenmangel gilt es zu bedenken, dass für SchulleiterInnen aller Schulen die Auswahlmöglichkeit zu gewährleisten ist.

 

Schulversuche

Schulversuche entstehen in den Klassen, an den einzelnen Schulstandorten. Eine ministerielle Anordnung von Schulversuchen „Top-down“ ist abzulehnen.
Freiheit zu pädagogischer Gestaltung ist nun zwar schulautonom leichter möglich jedoch ohne zusätzliche Ressourcen. Pädagogische Entwicklung kann nie kostenneutral sein. Die derzeit für Schulversuche zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel müssen auch weiterhin direkt an den Schulen für Unterricht und Pädagogik zweckgebunden sein.
Für autonome Entwicklungen benötigt es auch autonome Ressourcenspielräume. Laut Gesetzesentwurf sind Schulversuche nur mehr in der Dauer der Schulform plus zwei Jahre möglich, dieser Zeitraum ist deutlich zu kurz.

 

Schulcluster, Schulleitung

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird die Möglichkeit zur Bildung von Schulclustern eröffnet. Ob diese Option im ländlichen Raum zur Erhaltung von Kleinschulen sinnvoll ist, entzieht sich unserer Beurteilung. Für den städtischen Raum, insbesondere den Raum Wien, erscheint die Bildung von Schulclustern in höchstem Maße ungeeignet.

Eine zusätzliche Verwaltungsebene wird eingezogen. Die Bereichsleitung an Schulstandorten steht im Dilemma, Führungsaufgaben zu übernehmen, aber selbst Teil des Lehrkörpers zu sein. Die geplanten Aufgaben der Bereichsleitung reichen bei weitem nicht aus, um den täglichen Anforderungen an einem Schulstandort gerecht zu werden. Die im Alltag tatsächlich anfallenden Aufgaben in wenigen Stunden pro Woche zu leisten, ist nicht möglich.

Durch Einsparung von SchulleiterInnen administrative Hilfskräfte zu finanzieren, ist abzulehnen. Der wichtigen Funktion der SchulleiterInnen als kompetente Entscheidungsträger vor Ort, als Ansprechpartner für Erziehungsberechtigte und SchülerInnen sowie als Support für Lehrkräfte wird im vorliegenden Gesetzesentwurf in keiner Weise Rechnung getragen.

Die Arbeit von SchulleiterInnen ist durch administrative Hilfskräfte nicht zu ersetzen.
Jedoch benötigen SchulleiterInnen Unterstützung durch professionelle administrative Hilfskräfte, um sich zeitlich für fundamentale Aufgaben wie Schulentwicklung und Qualitätssicherung freizuspielen.

Die Tatsache, dass bereits heute viele Wiener Volksschulen von 300 bis 500 SchülerInnen besucht werden, und das durchaus mit der Schülerzahl eines Schulclusters vergleichbar wäre, sind einzelne Schulen in Hinsicht einer administrativer Unterstützung schlechter gestellt.

Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz § 5a:

(7) Die Ausführungsgesetzgebung hat weiters vorzusehen, dass der Leiter oder die Leiterin des

Schulclusters im Rahmen der zugeteilten Personalressourcen administratives Personal zur Unterstützung bei der Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben sowie weiters Bereichsleiter und Bereichsleiterinnen zu bestellen hat.“

 

Die Schulleitung außerhalb eines Clusters kann auf diese Form von administrativer Unterstützung nicht zugreifen. Eine Gleichstellung von SchulleiterInnen und ClusterleiterInnen ist notwendig. Die Zuteilung einer administrativen Unterstützung hat sich prinzipiell nach der Anzahl der SchülerInnen, des Personals und dem Aufgabenumfang der Schulleitung zu richten und nicht nach der Organisationsform (Cluster, …).

Unsere Forderung nach administrativem Personal für alle Schulformen bleibt aufrecht.

 

Änderung des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes § 26c:
(3) Die Bildungsdirektion hat dem Schulcluster für die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben…

Die administrativen Tätigkeiten ergeben sich nicht aus der Clusterleitung,
sondern aus der LehrerInnen- und SchülerInnenverwaltung und betreffen alle Schulen, nicht nur die Schulcluster.
Schulen von mehr als 200 SchülerInnen sind in Wien der Regelfall.
Wir fordern daher eine gesetzliche Gleichstellung von Schulleitung und Clusterleitung, im Hinblick auf administrative Unterstützung.

Die Einführung eines Schulclusters von Amts wegen wird abgelehnt.

Der explizite Ausschluss der Bildung von Clustern zwischen Bundesschulen und Pflichtschulen verhärtet die Problematik der Schule der 10 bis 14 jährigen und rückt eine Lösung in weite Ferne. Es ist bedauerlich, dass der Gesetzesvorschlag in dieser Hinsicht keine Perspektiven bietet.

 

Sonderpädagogik

Zu Z 29 (II. Hauptstück Teil A Z 3 lit. c, § 27a – Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik):

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf sollen die Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik aufgelöst und deren Aufgaben unmittelbar von den Bildungsdirektionen wahrgenommen werden.

Die SchulleiterInnen befürchten mit der Besetzung der Bildungsdirektion eine Verlagerung- weg von Pädagogik, hin zu juristischen, verbeamteten Entscheidungen.

Der sonderpädagogische Förderbedarf soll abgeschafft werden. Das bewährte System unter Einbindung des schulpsychologischen Dienstes und der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik, Kindern mit besonderen Bedürfnissen Unterstützung angedeihen zu lassen, wird nicht mehr existieren.
Es wird ein qualitativ hochwertiges Supportsytem abgeschafft und hoch qualifizierte SonderpädagogInnen sollen durch billige Assistenzkräfte („Hilfslehrer“) ersetzt werden. Sowohl Erziehungsberechtigte, als auch LehrerInnen und SchulleiterInnen verlieren dadurch ihre fachlich hochkompetenten AnsprechpartnerInnen in der Region. Leidtragende sind Kinder mit besonderen Bedürfnissen, da die derzeit individuell abgestimmte Beschulung und Betreuung verloren gehen.

Diese qualitative Verschlechterung für die SchülerInnen kann nicht unterstützt werden. Die SchulleiterInnen lehnen die Auflösung der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik ab.

 

 

Ressourcenzuteilung:

Die Zuteilung von LehrerInnenstunden für Zusatzangebote sind in der Gesetzesvorlage auf die Zahl der SchülerInnen, das Bildungsangebot, den sozio-ökonomischen Hintergrund, den Förderbedarf, den Gebrauch der Bildungssprache und dieregionalen Bedürfnisse beschränkt. Dafür bedarf es einer klaren, transparenten Definition.

Wir fordern, dass die Ressourcenzuteilung sowohl nach den individuellen Bedürfnissen der SchülerInnen, als auch nach der Anzahl der Klassen (Kleinstklassen, basale Klassen, Förderklassen, …) gewährleistet sein muss. Die Ressourcenzuteilung ausschließlich nach der Anzahl der SchülerInnen entspricht nicht den vielen individuellen Bedürfnissen der Kinder.

 

Änderung Schulzeitgesetz:

Der vorliegende Gesetzesentwurf bedeutet für die ganztägigen Pflichtschulen in Wien das Ende. Die verschränkte Form der Ganztagsschule (GTVS/GTNMS) ist nicht mehr umsetzbar, und die nicht verschränkte Form (OVS/OMS), wird zur Verschränkung gezwungen.

10. § 5 Abs. „(6) An ganztägigen Schulformen ist der Betreuungsteil bzw. der Unterrichts- und Betreuungsteil an allen Schultagen mit Ausnahme des Samstags bis mindestens 16.00 Uhr und längstens 18.00 Uhr anzubieten, wobei Unterrichts- und Lernzeiten nur bis 16.00 Uhr und am Freitag sowie an einem weiteren Tag, den der Schulleiter oder die Schulleiterin schulautonom festzulegen hat, nur bis 13.00 Uhr vorgesehen sein dürfen. Während der Unterrichtsstunden (einschließlich der dazugehörigen Pausen) für die zum Betreuungsteil angemeldeten Schüler entfällt die Betreuung. Eine Stunde des Betreuungsteiles umfasst 50 Minuten und die Dauer einer allenfalls vorangehenden Pause. Aus Gründen der pädagogischen Zweckmäßigkeit oder aus organisatorischen Gründen kann die Dauer einzelner oder aller Stunden des Betreuungsteils durch den Schulleiter oder die Schulleiterin an einzelnen oder allen Unterrichtstagen unter Beachtung der lehrplanmäßig für den Betreuungsteil vorgesehenen Wochenstundenzahl auch mit weniger oder mit mehr als 50 Minuten festgelegt werden.“

§ 45 1 bis 6 SchUG: „Das Fernbleiben vom Betreuungsteil an ganztägigen Schulformen ist nur zulässig .... wird ergänzt um Abs.7 lit c) auf Verlangen der Erziehungsberechtigten, wenn es sich um Randstunden handelt, die Freizeitstunden sind.“

Die Veränderung des Schulzeitgesetzes stellt für Wiener ganztägige Schulformen eine Einschränkung der autonomen Gestaltungsmöglichkeiten dar und führt zu einer qualitativen Verschlechterung.

Das bedeutet einen extremen Qualitätsverlust von ganztägig geführten Schulen, da in der verschränkten Form alle Freizeitstunden auf zwei Tage konzentriert werden, und keine weiteren Freizeitstunden für die verbleibenden drei Wochentage bleiben. Der qualitätsvolle Wechsel von Unterricht und Freizeit über eine Schulwoche hinweg und die Möglichkeit, situationsgerecht auf die Bedürfnisse der SchülerInnen reagieren zu können, ist nicht mehr gegeben.
Damit geht vorhandene Schulautonomie zu hundert Prozent verloren.

Für die nicht verschränkte Form ergibt das eine notwendige Erweiterung des Unterrichts auf mindestens einen Nachmittag oder an einem Tag Unterrichtsschluss um 11:00, da derzeit Essen plus Lernzeit als „Paket“ gebucht werden müssen. Auch in dieser Schulform ist das gesamtpädagogische Konzept (siehe Leitfaden „Betreuungspläne ganztägige Schulen“ BMB 2.5) nicht mehr durchführbar.

Für die Praxis bedeutet dies, dass an ganztägigen Pflichtschulformen räumliche, zeitliche und personelle Engpässe (Turnsäle, Speisesäle, LehrerInnen mit mehreren Schulstandorten,…) entstehen. Zudem ergeben sich zwangsweise pädagogisch wertlose Stundenpläne für die SchülerInnen.

Die Konzentration von Unterricht und Lernzeit auf drei ganze Tage widerspricht zudem den Anforderungen des Betreuungsplans des BMB (Veröffentlichung: Oktober 2016!).

§ 3 Abs „(3) Der Schulleiter oder die Schulleiterin kann nach den beruflichen Erfordernissen der Erziehungsberechtigten und nach infrastrukturellen Gegebenheiten vorsehen, dass vor Beginn des Unterrichts und nach dem Ende des Unterrichts sowie an den gemäß § 2 Abs. 5 schulfrei erklärten Tagen eine Beaufsichtigung von Schülerinnen und Schülern in der Schule durch geeignete Personen gemäß § 44a des Schulunterrichtsgesetzes erfolgt.“

Den SchulleiterInnen werden damit Verantwortungen auferlegt, ohne dass ihnen die erforderlichen Mittel und Möglichkeiten zur Umsetzung zur Verfügung gestellt werden.
Wir fordern, dass in Wien für die Betreuung an schulfrei erklärten Tagen das bisher bewährte Modell auch weiter zur Anwendung kommt.

 

Bildungsdirektionen

Von fundamentaler Bedeutung erscheint eine Beibehaltung der zentralen Steuerung der Schülerströme. Ein freier Wettbewerb zwischen Schulen mit hohem und niedrigem Sozialindex wird seitens der SchulleiterInnen abgelehnt.
Die schulautonome Festsetzung der Klassenschülerzahl, sowie der Entfall der Eröffnungs- und Teilungszahlen werden daher nicht uneingeschränkt positiv gesehen.

Durch derzeit steigende SchülerInnenzahlen bei gleichzeitiger Raum –und
Personalnot muss befürchtet werden, dass die daraus resultierenden Probleme durch Erhöhung der Klassenschülerzahlen gelöst werden. Das ginge eindeutig zu Lasten der
Qualität des Unterrichts und zu Lasten unserer Kinder und wird daher abgelehnt.

Die SchulleiterInnen befürchten mit der Besetzung des Präsidialabteilung durch Juristen und deren weitgehender Übernahme der Funktionen der Schulaufsicht eine Verlagerung der Schwerpunktsetzung weg von pädagogischen, hin zu juristischen Sichtweisen.

Juristische statt pädagogischer Sichtweisen entsprechen nicht den Bedürfnissen der Kinder.

 

Die Wiener PflichtschulleiterInnen stehen wie in der Vergangenheit zur Qualitätssteigerung des Bildungssystems und sind bereit sich an einem Reformprozess zu beteiligen. Im vorliegenden Gesetzesentwurf sehen wir keine markante, beim einzelnen Kind ankommende Verbesserung.

Karin Zunzer, Schulleiterin in WIen