Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich nehme hiermit Stellung zu der geplanten Bildungsreform – vor allem betreffend der Streichung des § 27a und der damit verbundenen Schließung der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik als eigene Schulstandorte. Für mich ist diese Verwaltungsreform eine reine Sparmaßnahme und gleichzeitig ein Rückschritt ins pädagogische Mittelalter, vor allem in der Sonderpädagogik. Es entsteht für mich der Eindruck, dass Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen anscheinend keine ihren eben sogenannten „besonderen Bedürfnissen“ angepasste, qualitativ hochwertige Betreuung und Förderung erhalten werden, sondern ein Beaufsichtigen durch pädagogische Assistenzkräfte innerhalb eines strukturell nicht passenden Rahmens stattfinden wird. Die geplante Bildungsreform ist für mich eine Sparmaßnahme, ausgetragen auf dem Rücken ALLER, da ich durch die Schließung der ZIS auch gravierende Probleme/qualitative Mängel im Regelunterricht befürchte. Ich bin im pädagogischen Berufsfeld tätig und sehe mich somit gezwungen, meinen Unmut kundzutun und Sie dazu anzuhalten, nochmals über die geplanten Inklusionsmaßnahmen für Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen nachzudenken.

Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen brauchen auch besondere Betreuung

Viele, aber nicht alle Kinder/Jugendliche sind inklusionsfähig. Sie haben einen anderen Tagesablauf, ein langsameres Arbeitstempo und andere Lerninhalte als gesunde Kinder/Jugendliche. Gerade schwer körper- /mehrfachbehinderte Menschen bringen einen erhöhten Pflegeaufwand mit, dem es gerecht zu werden bedarf. Dabei geht es nicht nur um Inkontinenzversorgung/Reinheitstraining, sondern auch um Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme, therapeutisch angeordnete Betreuung und Lagerung und/oder um die Assistenz bei alltäglichen Arbeiten wie Schneiden, An- und Ausziehen oder Schreiben.

Es geht auch um das professionelle Eingehen auf eben diese „besonderen Bedürfnisse“: Zum Beispiel gibt es Kinder/Jugendliche, die keine Großgruppen aushalten, weil sie aufgrund ihrer ohnehin schon eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit mit einer normalen Klassensituation überfordert wären. Oder Kinder/Jugendliche, die den Drang haben, beim Arbeiten laute Geräusche von sich zu geben, sich selbst oder andere zu verletzen, und ihre gesunden MitschülerInnen beim Lernen dadurch massiv ablenken würden. Bei manchen SchülerInnen ist es wichtiger, alltägliche Dinge wie Brote schmieren, einfache hauswirtschaftliche Tätigkeiten, etc. zu erarbeiten/festigen, als z.B. mathematische Fertigkeiten zu erwerben. Diese Aufzählung würde sich beliebig fortsetzen lassen. Besondere Bedürfnisse von Kindern/Jugendlichen müssen berücksichtigt und respektiert werden, ohne dabei die Verschlechterung der Lernsituation für alle herbeizuführen.

In vielen Schulen sind die räumlichen Strukturen für die Betreuung solcher Kinder/Jugendlichen nicht gegeben. Nicht jede Schule hat Wickelräume, Snoezzelen-Räume, den Platz für Therapiegeräte oder ähnliches. Aus diesen Gründen ergeben sich für mich folgende Fragen:

Wie wird die Umsetzung von Ihrer Idee der Inklusion nun aussehen?
Wird auf die Bedürfnisse der behinderten Kinder/Jugendlichen in Zukunft weniger Rücksicht genommen?
Wird das Recht ALLER Kinder/Jugendlichen auf ein geeignetes Lernumfeld missachtet, wenn doch eigentlich das Gegenteil gefordert wird?
Oder wird diesen Kindern, die in ihrer Idee der Inklusion nicht tragbar sind, einfach die Schulfähigkeit abgesprochen?
Warum werden gerade die ZIS geschlossen, welche die oben genannten räumlichen, personellen und strukturellen Anforderungen abdecken?

Aufgrund dieser Fragen, die sich mir auch durch meine beruflichen Erfahrungen stellen, liegt die Vermutung nahe, dass die praktische Umsetzbarkeit der geplanten Bildungsreform nicht genügend durchdacht wurde.

Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen brauchen die bestausgebildetsten Fachkräfte, die ihren vielfältigen Ansprüchen gerecht werden können

Oftmals gibt es in den bestehenden Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik eine Mischung aus VS-/NMS-/WMS- Integrationsklassen, Sonderschulklassen, basale Förderklassen und Therapieangebote –alles in einem Haus vereint. Somit kann jeder Schüler die für ihn möglichen Lernfortschritte machen und genießt bestmögliche Förderung in allen Lebensbereichen. Dort gibt es eine den Bedürfnissen der Schüler angepasste, individuelle Betreuung durch ein interdisziplinär arbeitendes Team bestehend aus PflichtschulpädagogInnen, SonderschulpädagogInnen, SonderhortpädagogInnen, Pflegepersonal/Assistenzkräften und TherapeutInnen. Besonders hier in diesen ZIS, in denen die Forderung auf Chancengleichheit und Miteinander von ALLEN Kindern bereits gelebt wird, sehe ich ein enormes Potential für Inklusion. Im Gegensatz dazu stellt für mich das geplante Inklusionsmodell und die Inkludierung „um jeden Preis“ eine massive Verschlechterung des Bildungssystems dar.

In Zukunft sollen sogenannte „Pädagogische Assistenzkräfte“ die Betreuung von Kindern/Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen übernehmen. So wichtig Assistenzkräfte sind, kann ihnen nicht die Aufgabe der umfassenden Betreuung von Kindern/Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen im Schulwesen übertragen werden. Einerseits wird das Recht auf gleiche Bildungschancen für alle Kinder/Jugendlichen gefordert, andererseits genügen dann pädagogische Assistenzkräfte und nicht genügend ausgebildetes Personal (eine Spezialisierung in der Endphase eines Studiums ist für mich kein adäquater Ersatz eines Sonderschullehramts) um Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen zu betreuen?

Kinder mit besonderen Bedürfnissen brauchen individuelle Betreuungslösungen und individuelle Ressourcenverteilung

Die Verwaltungsreform sieht die Organisation von sogenannten Schulclustern vor, die von einer Bildungsdirektion gesteuert/verwaltet werden. Dass heißt, es werden in Zukunft Menschen Ressourcen verteilen, ohne über die Kinder/Jugendlichen und ihren Bedürfnissen genauer Bescheid zu wissen. Die Vergabe eines Sonderpädagogischen Förderbedarfes wird ein Jurist übernehmen, ohne Fachwissen im pädagogischen Bereich, ohne das Kind vielleicht gesehen zu haben? Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen haben ein Recht auf individuelle Förderung und Bildung, und die in den Schulen tagtäglich anwesenden DirektorInnen können meiner Meinung nach die Bedürfnisse der Kinder/Jugendlichen besser einschätzen als praxisferne Juristen/Mitglieder einer Bildungsdirektion.

Ich fasse zusammen:

·         Kinder/Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen brauchen ein ihrem Tagesablauf, ihren Bedürfnissen und ihrem Lernvermögen angepasstes Umfeld in einer Integrationsklasse, in einer Sonderschule oder in einem ZIS sowie die Betreuung durch pädagogische Fachkräfte im Unterricht sowie in der Freizeitbetreuung.

·         Integration darf nicht um jeden Preis erfolgen, sondern muss, wenn möglich, mit viel pädagogischem Fachwissen und den geeigneten Rahmenbedingungen behutsam angebahnt/umgesetzt werden, sodass gesunde und behinderte Kinder davon profitieren können.

Jasmin Karner