STELLUNGNAHME zum Bildungsgesetz 2017

 

 

 

Seit 25 Jahren unterweise ich im Projekt  „Berufseinstieg“ Jugendliche aus  NMS, PTS, ASO und AHS im letzten Jahr ihrer schulischen Ausbildung  im „Vorstelltraining“ im richtigen Auftreten bei Bewerbungsgesprächen mit bis zu 1.700 Probanden pro Schuljahr  und habe daraus die Erkenntnis erlangt, dass das Basiswissen besonders in Mathematik, Fremdsprachen, Realienfachwissen und Allgemeinwissen stetig abnimmt, was sich mit den Ergebnissen der durchgeführten Studien deckt. Ich habe mir daher erwartet, dass die vorliegende Gesetzesnovelle darauf Bezug nimmt und zu einer Verbesserung des Wissenstands am Ende der Pflichtschulzeit führen wird können und die pädagogische Kompetenz des Lehrpersonals stärkt. Wenn in einem Betrieb die Belegschaft, die Betriebsleitung  mit dem Betriebsklima und die Konsumenten mit der Qualität der Erzeugnisse der Firma  unzufrieden sind, steigert eine rein organisatorische Kosmetik weder die Zufriedenheit der Belegschaft noch die Qualität der erzeugten Produkte. Außerdem möchte ich  darauf hinweisen, dass gerade in Wien die Pflichtschulklassen überfüllt sind,  derzeit noch immer  Eltern für ihre schulpflichtigen Kinder auf die Zuweisung eines Schulplatzes warten, wenn sie nach der Einschreibwoche übersiedelt oder nach Wien zugezogen sind. Schon jetzt hat das Bundesland Wien zu wenige Pflichtschullehrer, Lehrer die in Dauerkarenz bzw. in den Ruhestand treten können nicht ersetzt werden. Ungeprüfte Lehrpersonen werden vermehrt über die Aktion „Teach for Austria“ eingesetzt, um das Personaldefizit ein wenig zu kaschieren. Besonders Lehrer mit Sonderschulausbildung fehlen für die neu zu entstehenden Inklusionsklassen, die Ausbildung der Junglehrer an den PH erscheint gerade für die Herausforderungen bei der Betreuung von Kindern mit speziellen pädagogischen und sozialen Defiziten unzureichend, da das Lehramt für Sonderschulen abgeschafft worden ist.

 

Ich stelle daher Folgendes fest:

 

*) Die vorliegende Gesetzesnovelle stellt die Umstrukturierung des österreichischen Schulwesens im Bereich der Organisation in den Vordergrund, um die Schräglage im Bildungsbereich zu verbessern.

Das ist unserer Meinung nach eindeutig zu einseitig . Weder Eltern noch Lehrer sind eingebunden, konkrete dienstrechtliche, besoldungsrechtliche Auswirkungen auf die Lehrerschaft, noch das Mitspracherecht über die derzeitigen Bestimmungen der Schulpartnerschaft sind schwammig bis gar nicht berücksichtigt.

 

*) Die angedachte Öffnung der Klassenschülerhöchstzahl widerspricht den derzeitig geltenden Regeln mehrerer Bundesländer, die mit 25 Schülern pro Klasse per Landesgesetzen festgelegt sind.

 

*) Inklusion „von oben“ verordnet ist zum Scheitern verurteilt. Nicht jedes Kind mit besonderen pädagogischen  Defiziten ist in einer Regelklasse adäquat zu seinen Bedürfnissen optimal betreut.

Eine dauernde Betreuung durch Lehrpersonal mit Schwerpunktausbildung für Sonderpädagogik steht in der  dazu nötigen Zahl nicht zur Verfügung,  nunmehrige Ausbildung in Sonderpädagogik an den Pädagogischen Hochschulen als Ersatz für das vormalige Sonderschullehramt  stellt eine Sparvariante  mit Pseudoausbildungscharakter dar.

 

*) Eine ersatzlose  Auflösung der Sonderschulstandorte bedeutet nicht nur eine ausgezeichnete Ausbildungsstätte zu zerschlagen, sondern gleichzeitig der Elternschaft die Wahlmöglichkeit zwischen Inklusionsklassen und Beschulung an der Sonderschule zu nehmen. Die derzeit bestehenden Zentren für Inklusion und Sonderpädagogik – ZIS betreiben  wegweisende für eine Schülerklientel, für die von Jahr zu Jahr mehr Bedarf herrscht. Es stellt einen Anachronismus dar, gerade diese Zentren auflösen zu wollen.  Sparen in diesem Bereich rächt sich später in erhöhtem finanziell teuren Betreuungsbedarf nach Ende der Schulzeit.

 

*) Inklusion kann nur dann erfolgreich geführt werden, wenn genug sonderpädagogisch ausgebildetes Personal mit mindestens 20 Wochenstunden pro Klasse zum Einsatz gelangt und die Schülerzusammensetzung  einer Inklusionsklasse nicht mit Schülern mit Migrationshintergrund aufgefüllt worden ist, wie derzeit an vielen Pflichtschulstandorten gang und gäbe. Dies fördert weder die Kinder mit Migrationshintergrund noch die Schüle mit sonderpädagogischen Bedürfnissen, was einen eklatanten Rückschritt zum derzeitigen System darstellt.

 

*) Die Bildung von Clusterschulen erscheint uns in manchen ländlichen Regionen sinnvoll, für Ballungsräume jedoch ungeeignet. In der Gesetzesvorlage fehlen  genaue Bestimmungen für die Beibehaltung der pädagogischen wie administrativen Autonomie am Cluster-Standort. Die Bündelung aller Kompetenzen an einem Standort erscheint  kontraproduktiv und würde dazu führen, dass die Abwanderung aus den bevölkerungsarmen Gegenden Österreichs weiter zunehmen wird. Die Schulstandorte in den Ballungszentren Österreichs haben allein schon wegen der steigenden Geburtenraten Probleme mit der Beschulung aller angemeldeten Schüler auf der einen Seite und Lehrermangel auf der anderen.

 

*) Die Schulorganisation zwischen Bund und den Ländern im vorliegenden Gesetzestext  ist wegen Ineffizienz, Kompetenzüberschneidungen und Doppelgleisigkeiten mehr als mangelhaft geregelt und daher abzulehnen.

 

*) Die Zeitspanne zur Umsetzung des Gesetzes bis 1. 9. 2018 ist zu kurz bemessen, und die dafür notwendigen Personalressourcen sind nicht vorhanden. Schon jetzt haben mehrere Bundesländer zu wenige Lehrer, um den Regelunterricht zu bestreiten, da die Lehrerabgänge während eines laufenden Schuljahres durch Pensionierungen, Karenzierungen und Austritten nicht abgedeckt werden können.

 

*) Der Gesetzesvorlage fehlt die detaillierte Ausformulierung der neu zu etablierenden administrativen wie pädagogisch-psychologischen Einsatzkräfte für die Schulstandorte zur Entlastung des Lehrpersonals wie der Direktionen. Außerdem  fehlt gänzlich der ausformulierte  Kompetenzbereich der nunmehr „degradierten“ ehemaligen Schulleiter zu Hilfskräften des Clusterleiters an den nunmehrigen Clusterschulen wie detailliert angeführten autonome Möglichkeiten, die ein solcher Schulstandort in Zukunft haben wird. Es stellt sich auch die Frage, welche geeigneten Lehrpersonen sich für so eine Hilfstätigkeit zur Verfügung stellen werden. Der Einsatz der Lehrpersonen an mehreren Standorten des Schulclusters führt zu vermehrten Reisebewegungen, die neben dem Anfallen von Reisegebühren pädagogisch ineffizient vergeudete Arbeitszeit bedeutet.

 

*) Die derzeit geltende Schulpartnerschaft  von Schule und Elternschaft soll weitgehend geschafft werden, was so nicht hinzunehmen ist. Die bisher gut funktionierende Schulpartnerschaft darf nicht verwässert werden.

 

Ich erachte aus oben genannten Gründen das zur Begutachtung vorliegende Schulgesetz nicht dazu geeignet, die Defizite im österreichischen Schulwesen zu beheben. Die Änderung  einer Betriebsorganisation allein kann die pädagogische Qualität der österreichischen Schule nicht positiv verändern. Eher passiert das Gegenteil. Eltern wie Lehrer sind jetzt schon an den Grenzen des Machbaren angelangt, die Burnout-Quoten beim Lehrpersonal steigen ständig. Die Maxime „Die Lehrer werden das schon machen!“ ist illusorisch und betriebsfremd. Eine Umstrukturierung wie bei Post, Bank oder Polizei im Schulbereich zu verordnen erscheint mir nicht zielführend. Daher lehnen ich dieses Gesetzeswerk ab.