An die Begutachtungsstellen des
Bundesministeriums für Bildung
sowie die Abgeordneten des Nationalrats
en, im April 2017
Betrifft: Schulreformgesetzesentwurf
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Eltern eines 8-jährigen Sohnes mit Down-Syndrom appellieren wir an Sie, dass die Rechte von Kindern mit einer intellektuellen Beeinträchtigung im Rahmen des Schulreformgesetzes 2017 beachtet und erweitert werden.
Unsere konkreten Anliegen sind:
1) Recht auf Schule bis 25
Ein junger Mensch mit einer intellektuellen Beeinträchtigung (IB) ist im Alter von 14-15 Jahren meist noch nicht reif für den Einstieg in den Arbeitsprozess, da das Entwicklungsalter von 14 Jahren oft erst um mehrere Jahre verzögert erreicht wird. Daher fordern wir einen Rechtsanspruch auf Schulbesuch bis zum 25. Lebensjahr!
Anm.: Je nach intellektuellen Fähigkeiten kann dies auch den Besuch von AHS-Schulen betreffen. Grundsätzlich sollte das Recht auf Schulbesuch für alle Jugendlichen verlängert werden.Die zusätzlichen Schuljahre können die späteren Chancen am Arbeitsmarkt deutlich erhöhen.
Lage derzeit: bisher gibt es nur ein Recht auf 9 bzw. 10 Schuljahre (ein 11. und 12. Schuljahr werden im Einzelfall genehmigt - die Länder bekommen dafür aber keine zusätzlichen Ressourcen). Gewöhnlich entwickelte Schülerinnen hingegen dürfen bis zu 14 Schuljahre absolvieren und anschließend noch viele Jahre - vom Staat gefördert - studieren.
2) Wahlrecht für ein zusätzliches Kindergartenjahr
Ein
Kind mit einer intellektuellen Beeinträchtigung (IB) wird bereits beim
Schuleintritt häufig völlig überfordert, wenn das
Entwicklungsalter noch Jahre darunter liegt.
Deshalb fordern wir:
Gesetzlicher Anspruch für ein zusätzliches Jahr im Kindergarten adäquat zum verpflichtenden letzten Kindergartenjahr ohne Reduktion
des Anspruchs auf Schuljahre. Anm.: Wenn für "sommergeborene Frühchen"eine
flexible Lösung angeboten wird, dann fordern wir auch für Kinder mit einer IB eine
entwicklungspassende Regelung.
3) Recht auf inklusive Nachmittagsbetreuung in der Sekundarstufe
Das Schulpaket soll um ein gesetzlich verankertes und durchsetzbares Recht auf Nachmittags- und Ferienbetreuung erweitert werden. Jedes Kind soll am Schulstandort auch am Nachmittag einen Platz bekommen, der dem Grundsatz von Inklusion entspricht. Entsprechende Rahmenbedingungen müssen bereitgestellt werden, um eine inklusive Haltung aller Beteiligten zu ermöglichen.
Lage derzeit: Selbst wenn die Inklusion am Vormittag gut gelingt, so gibt es dann am Nachmittag ein "großes Loch". Entweder gibt es gar kein Angebot, oder Kinder werden „exkludiert“ und mit einem Fahrtendienst weggebracht. Was würden Eltern von Kindern ohne Behinderung sagen, wenn man deren Kinder untertags „zwangsverschiebt“?
4) Inklusion braucht mehr Ressourcen
Vor allem im städtischen Bereich gibt es derzeit enorme zusätzliche Belastungen für Lehrerinnen und Lehrer (Stichwort: Flüchtlingskinder). Das längst beschlossene Konzept zur Inklusion kann nur gelingen, wenn es in den Regelklassen mehr Ressourcen für die Betreuung von Kindern mit einer IB gibt. Der Anspruch von ca. 5h Förderung /pro Kind pro Woche ist (wohl für alle nachvollziehbar) viel zu gering. Es werden dringend mehr bezahlte Fachkräfte gebraucht!
5) Schulautonomie nicht zu Lasten der Kinder mit Behinderungen
Die organisatorische Neustrukturierung in Form von Bildungsdirektionen darf nicht dazu führen, dass Kinder mit Behinderungen an den Rand gedrängt werden. Es muss gewährleistet sein, dass die Bildungsdirektionen weiterhin solche Schulplätze ermöglichen, die von den Eltern - nach entsprechender Beratung - beantragt werden. Es darf nicht der Fall eintreten, dass die Eltern künftig als Bittsteller selber von einer autonomen Schule zur nächsten autonomen Schule weitergeschickt werden. Die Eltern brauchen eine klardefinierte zentrale Kontaktstelle, die bei der Schulauswahl kompetent berät und danach auch den Schulplatz sicherstellen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Mag. Doris und Ing. Raimund Seidl
Preysinggasse 19/1
1150
Wien