Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die angestrebten Veränderungen im Zuge des Umbaus der Schulorganisation in Richtung "Regionen" und "Clustern" gehen leider auch mit der Zerschlagung von fachlichen Kompetenzzentren in den verschiedensten Sonderpädagogischen Bereichen Hand in Hand.

 

Die Österreichische Gesellschaft für Sprachheilpädagogik steht diesen Veränderungen ablehnend gegenüber. Nicht aus grundsätzlichem Änderungswiderstand, sondern aus Sorge um die Folgen für die betroffenen Kinder. Die Auflösung fachlich orientierter Strukturen im Sonderpädagogischen Bereich, die quasi in "Heckenschützenart" durchgesetzt wird, zeugt von Desinteresse oder Unkenntnis.

 

Es bedarf einer besonderen Expertise, den Unterricht für die Schülerinnen- und Schülergruppe mit sprachheilpädagogischem Bedarf so zu gestalten, dass er dem inklusiven Ideal nahe kommt. Um diese Expertise auf hohem Niveau nachhaltig sicher zu stellen, sind nicht nur Aus- und Weiterbildungswege sicherzustellen, sondern auch Standards und Gütekriterien der entsprechenden Betreuung zu etablieren und weiter zu entwickeln. "Administratoren" werden nicht in der Lage sein, diese fachlichen Anforderungen zu erfüllen.

 

In Wien existiert seit 1920/21 eine Schule, die - auch ausgehend von der Qualifikation der Direktion - als vorbildliche Lösung für die angesprochene fachliche Rolle gilt. Es gab in dieser Einrichtung zu keinem Zeitpunkt ein Beharren auf Eingefahrenes und Wohlbekanntes, die unzähligen Schul- und Unterrichtsentwicklungen wurden nie verordnet, sondern sind im Kollegium entstanden. Das schloss stets Impulse für andere pädagogische Einrichtungen mit ein. Wir müssen davon ausgehen, dass den Verantwortlichen für die geplanten Zerschlagungen dieser funktionierenden Strukturen nicht bekannt ist, dass aus Deutschland neidvoll auf dieses Konstrukt geschaut wird. Denn dort hat man Reformen umgesetzt, gewachsene Strukturen zerschlagen und Expertise zerstreut und vernichtet, dabei leider übersehen, dass es um Kinder mit Sprachbehinderungen geht, die nicht automatisch dadurch sprechen/kommunizieren lernen, dass sie im Unterricht neben einem sprechenden Kind sitzen. Die Lehrerinnen und Lehrer der Wiener Sprachheilschule nehmen die Verpflichgung zur Individualisierung, Differenzierung, Integration und Inklusion sehr ernst und stehen den kommenen Pseudoreformen völlig verständnislos gegenüber. Die Maßnahmen bedrohen Qualitätsstandards und Expertise zum Nachteil der Schwächsten - der betroffenen Kinder.

 

Erfolgreiche Inklusion erfordert die Verfügbarkeit von vielen verschiedenen Spezialisiten, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder gezielt einzugehen in der Lage sind. Diese Spezialisitinnen und Spezialisten müssen untereinander eng  verbunden bleiben, um Standards und Expertise hoch halten zu können. Die bestehenden Zentren leisten das in hervorragender Art und Weise. Die Verankerung dieser fachlichen Ausrichtungen in der Schulorganisation - bis hin zu den Inspektoren - stellt eine unverzichtbare Voraussetzung für den Erhalt und die Steigerung der hohen Betreuungsqualität dar. Ihre Existenz ist durch die Reformen konkret bedroht.

 

Wir protestieren gegen diese Maßnahmen, die nicht von Sach- und Situationskenntnis getragen sind in der Hoffnung, dass - wie schon Kanzler Kreisky sagte - die Verantwortlichen die Größe haben "über Nacht gescheiter zu werden".

 

Mit freundlichen Grüßen,

Almuth Paier, BEd MA

Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik