Stellungnahme

Als langjährige Volks- und Sonderschullehrerin  (mittlerweile im Ruhestand) habe ich sowohl in Volksschul- Integrationsklassen als auch in reinen Sonderschulklassen, zuletzt mit schwerst mehrfachbehinderten Kindern (auch in „Basalen Förderklassen“), unterrichtet. Deshalb ist es mir ein Anliegen, meine Meinung im Zusammenhang mit der geplanten Bildungsreform kundzutun:

Ich war eine engagierte Anhängerin der Integration und bin überzeugt, dass die Inklusion der richtige Schritt in die Zukunft ist. Allerdings möchte ich vor einer Eingleisigkeit warnen, denn eine strikte Inklusion ist nicht für alle Menschen, die bis jetzt sonderpädagogisch betreut wurden, möglich. Bei Lernschwierigkeiten, Sprachproblemen, vielen (leichteren) körperlichen und Sinnesbehinderungen sehe ich da keine Probleme, wenn genug Ressourcen (personell, räumlich….) vorhanden sind. Anders verhält es sich aber mit psychisch labilen und gestörten SchülerInnen, mit schwer körperlich behinderten oder schwer sinnesbehinderten Menschen, sowie mit vielen mehrfachbehinderten Menschen. Für diese kann der Unterricht in einer „allgemeine Klasse“ in vielen Fällen nur mit sehr großem Personal- und Sachaufwand möglich und sinnvoll sein, in manchen Fällen auch gar nicht. Meine Wunschvorstellung für diese Menschen wäre, dass sie in kleinen Gruppen (= Kleinklassen mit ausreichendem Personal, auch Pflegepersonal) an einer größeren „allgemeinen“ Schule unterrichtet werden können, wo eine tägliche und natürliche Kooperation mit einer „allgemeinen Klasse“ erwünscht und möglich  ist, zum Beispiel in einigen Unterrichtsstunden und in Freizeitsituationen.  Dafür sollten die Klassenräume nebeneinander liegen und idealerweise einen gemeinsamen Aufenthaltsraum haben. Wie immer ist die Voraussetzung  eine gute Ausstattung (je nach Behinderung: barrierefrei, Nebenräume, Lagermöglichkeiten für Geräte usw….), und die findet man zurzeit in den wenigsten Schulgebäuden. Die Öffnung von Spartensonderschulen (wie es in der ehemaligen SKÖ Hernalser Hauptstraße bereits geschehen ist) finde ich sehr sinnvoll, weil hier die nötige Infrastruktur schon vorhanden ist.

Ich glaube, man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es immer wieder Kinder gibt, die nicht in einer großen Gruppe gefördert werden können. Schwerst mehrfachbehinderte Menschen beispielsweise, die sich weder bewegen können, die nicht verbal kommunizieren können und große Probleme beim Essen und Trinken haben, aber dennoch oft nicht geistig behindert sind, brauchen eine intensive Förderung im basalen Bereich,  Kommunikationstraining, lebenspraktisches und motorisches Training, bevor man an einen herkömmlichen schulischen Unterricht auch nur denken kann. In einer „allgemeinen Klasse“ wären diese Kinder von den Lerninhalten und dem Tempo ihrer MitschülerInnen, auch unter besten Voraussetzungen, überfordert und frustriert.

Deshalb fordere ich Sie auf, die Möglichkeiten für Kleinklassen (Sonderschulklassen) mit ausreichender personellen Besetzung  und großzügiger Finanzierung des Sachbedarfs beizubehalten und nicht als Ausnahme zu sehen.

Auf gar keinem Fall darf es passieren, dass der Unterricht der „SPF“ SchülerInnen einem allfälligen Hilfspersonal übertragen wird und so zur reinen Betreuung wird. Jedes Kind hat das Recht auf einen Unterricht mit der bestmöglichen Förderung durch eine/n gut ausgebildete/n Pädagogin/en.

 

Bei den „Vorblatt und Wirkungsorientierte Folgenabschätzung“ habe ich eine Passage auf S 17 gefunden, die mich sehr nachdenklich gemacht hat:

Hand in Hand mit der Übernahme der Agenden der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik in die Bildungsdirektion wird auch das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs im Rahmen dieses Kompetenzzentrums effektiver gestaltet, was dazu führen wird, dass die Anzahl der Kinder, denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird, zurückgeht.

Mag schon sein, dass die Zahl der Kinder mit SPF dann zurückgeht.  Menschen, die Förderung brauchen, werden durch diese Maßnahme nicht weniger. Nur die Ressourcen anscheinend, dann das wird ja als Sparmaßnahme gewertet. Inklusion einzuführen, um Kosten zu sparen, ist für mich der falsche Ansatz.

Was ich im täglichen Leben immer wieder feststelle, ist, dass sowohl die Anzahl der  Kinder mit psychischen Problemen („Verhaltensauffälligkeit“) und die der schwer mehrfachbehinderten Kinder zunimmt- bei letzteren wegen des Fortschrittes der Medizin und der immer größer werdenden Überlebensrate bei Frühchen. Bei diesen Kindern ist es augenscheinlich, dass sie einen SPF brauchen. Das heißt aber für mich, dass für viele nicht so offensichtlich behinderte Kinder keine Förderressourcen da sein werden. 

In der Hoffnung, dass es nie so weit kommen möge

Anneliese Gaafar