„Nur das, was gezählt werden kann, zählt auch! Dass dabei der Gegenstand und die Aufgabe der Pädagogik preisgegeben werden, wird billigend in Kauf genommen“ (Hechler, 2016, S. 80).

 

 

Mit der Einführung der Bildungsstandards wollte der Gesetzgeber für das österreichische Schulsystem eine Verbindlichkeit für grundlegende Kompetenzen bei allen SchülerInnen sicherstellen. Die Einführung von allgemeinen Kompetenzen,  Fähigkeiten und Fertigkeiten bedeutete einen Paradigmenwechsel, der Nachhaltigkeit und Ergebnisorientierung ins Zentrum der Betrachtung von Unterrichtsentwicklung stellte.

„Die Autonomisierung von Schulen ist eines der zentralen Reformthemen der letzten 20 Jahre sowohl in Österreich als auch weltweit (siehe z. B. Arbeitsgruppe Internationale Vergleichsstudie 2007). Die Stärkung der Schule als Handlungseinheit bei zeitgleicher Einführung von Bildungsstandards, Monitoring- und Anreizstrukturen wird als Leitstrategie einer Steigerung der Qualität im Bildungswesen hervorgehoben. Insbesondere international vergleichende OECD-Berichte (OECD 1993) verweisen seit Anfang der 1990er Jahre darauf, dass ein stärker schulbasiertes Management oder eine freiere Schulwahl zu einer Verbesserung von Schulqualität beitragen können.“ [WWW Dokument].https://www.bifie.at/buch/1024/c/2 [Datum des letzten Zugriffs: 27.4.2017].

 

Welche Verbesserungen sind wohl dabei gemeint? In welchen Bereichen und unter welchen Rahmenbedingungen sollen künftig Schulen ihre Autonomie spüren, leben oder organisieren dürfen?  Bei dem vom Bildungsministerium vorgelegten „Autonomiepaket handelt es sich meist um ein Struktur- und Verwaltungspaket, das einerseits keine zusätzlichen Kosten bereiten darf und andererseits auf dem Rücken von LehrerInnen, Kindern und Eltern ausgetragen wird. Außerdem werden die Positionen der SchulleiterInnen im geplanten Cluster reduziert auf „BereichsleiterInnen“, wobei der Begriff mehr an ein wirtschaftliches Unternehmen als eine pädagogische Bildungseinrichtung erinnert! Bereits die Verwendung verschiedener anderer  Termini wie Chancenindex, Ressourcenpool, Verclusterung, aufkommensneutral, Kostenneutralität oder  Bildungsdirektion lassen eine „Reform“ zur Bildungsarmut oder Dekonstruktion sichtbar machen. Unter dem Deckmantel der Reform und der Clusterbildung, die alles andere als Freiwilligkeit darstellt (§8f Abs. 3 und Abs.4 SchOG) werden willkürliche Interpretationen zukünftig Tür und Tor geöffnet, denn auf schwammige Begrifflichkeit verbunden mit Kostenneutralität kann es in der Praxis nur Verlierer geben.

Artikel 9 „Schulorganisationsgesetz“

§8f Abs. 4: „Für den Fall, dass eine oder mehrere Schulkonferenzen gemäß Z 1 der Schulclusterbildung nicht zustimmen, kann die Schulclusterbildung dennoch erfolgen, wenn die für die Schulclusterbildung in Betracht kommenden Schulen im selben baulichen Verbund oder nur einen kurzen Fußweg voneinander entfernt angesiedelt sind und sowohl pädagogische als auch organisatorische Gründe die Schulclusterbildung zweckmäßig erscheinen lassen.“

è Keine verbindliche Zuteilung von Stunden

è  BereichsleiterInnen haben den Schulalltag neben ihrer gering reduzierten Unterrichtstätigkeit in vollem Ausmaß zu organisieren und zu koordinieren, sowie präsenter Ansprechpartner für alle anfallenden Belange eines Schulstandortes zu sein – außerdem alle anstehenden Konflikte und Probleme kompetent zu lösen

è Eingesparte SchulleiterInnenstunden könnten von den Clusterleitungen in administratives Personal umgewandelt werden bei gleichzeitiger Mehrbelastung der KlassenlehrerInnen durch noch mehr administrative Arbeiten

è Clusterbildungen erwirken einen Zentralismus – der auf Kosten der Individualität der einzelnen Schulen als Qualitätsmerkmal geht 

è Bei all den bevorstehenden Erneuerungen: ergibt sich nun die brisante Frage:

 

Zählt die Schule nun als Handlungseinheit mit eigener Individualität, wie im Eingangszitat erwähnt wird, oder wird die Individualität tatsächlich einer Aufkommensneutralität untergeordnet?

 

è Folgen daraus: Ständiger Wechsel der LehrerInnen zu den verschiedenen clusterzugehörigen Schulstandorten, zeitlicher und finanzieller Mehraufwand -  verwaltungstechnische und pädagogische Verkomplizierung – Scheinlösungen statt echter und authentischer auf den Menschen und die Person bezogene Reform

 

All die genannten „Erneuerungen“ mögen vielleicht für Firmenstandorte Rationalisierung erwirken, anscheinend wird jedoch in der geplanten „Bildungsreform“ darauf vergessen, dass es sich in der Pädagogik, der die Schulen ja verpflichtet sind – in der Erziehung zum Wahren, Guten und Schönen -  noch immer um humanistisches Bildungsgut für Menschen und nicht um Menschen als Humankapital handelt.

 

Ferner bringt die Reform zukünftig über- bzw. unterrangige Schulstandorte – also eine (Be)Wertung und Schwächung kleiner Schulen (Kleinschulen sind laut Reformpaket Schulen mit weniger als 200 SchülerInnen). . Die wahrscheinlich dahinterstehende Intention der Schwächung und Zentralisierung hat sicher in unserer Wahrnehmung die Schließung vieler solcher „Kleinschulen“ zur Folge. Artikel 9 „Schulorganisationsgesetz“

 §8f Abs. 2: „Schulcluster gemäß Abs. 3 und 4 haben mindestens 200 und dürfen höchstens 2 500 Schülerinnen und Schüler umfassen.“

 

Dies hätte auch die Schließung unserer Schule zur Folge!

Auch unser Salzburger Schulraum (Stadt und Land) liefe Gefahr von Schließungen  betroffen zu sein und sämtlichen Umstrukturierungen zum Opfer zu fallen.

Zwischen 201 und 260 SchülerInnen kann erreicht werden, dass die Clusterleitung voll freigestellt wird. Mit weniger als 200 SchülerInnen darf der Zentralausschuss auch für eine Clusterbildung zustimmen – ist um seine Meinung gefragt. Welches Mitspracherecht hat der Zentralausschuss bei wirklich wichtigen Belangen?!

 

è Die künftige Interpretation der  Beaufsichtigung (§ 3 Abs.3) lässt  Willkür zu – Vorgesehen sind die Beaufsichtigung vor Beginn und nach dem Ende des Unterrichtes sowie an schulautonomen (schulfrei erklärten) Tagen nach §2 Abs.5 durch geeignete Personen nach §44a SCHUG, wer immer das sein soll – und all dies  ohne zusätzliche Kosten! Dies bedeute für LehrerInnen einen unbezahlten Mehreinsatz.

 

è Artikel 12 „Änderung des Schulzeitgesetzes“

§3 Abs. 3: „Der Schulleiter oder die Schulleiterin kann nach den beruflichen Erfordernissen der Erziehungsberechtigten und nach infrastrukturellen Gegebenheiten vorsehen, dass vor Beginn des Unterrichts und nach dem Ende des Unterrichts sowie an den gemäß § 2 Abs. 5 schulfrei erklärten Tagen eine Beaufsichtigung von Schülerinnen und Schülern in der Schule durch geeignete Personen gemäß § 44a des Schulunterrichtsgesetzes erfolgt.“

 

 Der Begriff des Schulleiters der Schulleiterin ist als Terminus verwirrend! Wer ist damit gemeint? Die Clusterleitung oder die Bereichsleitung?

 

è Die Aufhebung der Klassenschülerhöchstzahlen und  die Eröffnungs- und Teilungszahlenverordnung §8a SchOG soll mit 1.9.2018, also mit dem neuen Schuljahr in Kraft treten ohne legistische Vorkehrungen, was in Kreisen von LehrerInnen als Überrumpelung gedeutet werden kann. Deregulationsmaßnahmen bringen neue Abhängigkeiten  von der Clusterleitung – anstelle der Eigenverantwortung und Autonomie vor Ort. Willkürliche Einteilungen können jederzeit getroffen  und verändert werden!

è Clusterleitungsorgane oder –funktionäre leiten wohl zukünftig Schulen wie Konzerne – der Gedanke der Rationalisierung bewirkt auch Anonymisierung! Dadurch kann nicht auf die Bedürfnisse des Einzelnen, eines Klassenverbandes und des Schulverbandes adäquat eingegangen werden.

è Schwierige herausfordernde Situationen können nicht top-down gelöst werden.

è Die qualifizierte Ansprechpartnerin, der qualifizierte Ansprechpartner vor Ort, die/der  die Gegebenheiten und auch die Besonderheiten aller kennt und einschätzen kann (BeratungslehrerIn oder DirektorIn) kann Konflikte, die bislang unkompliziert gelöst werden konnten, somit nicht mehr direkt lösen.

è In der Presseunterlage vom 17.3.2017- Autonomiepaket und Bildungsdirektion  wird unter Punkt 4.7 im Aufgabenprofil der Bereichsleitung der Pädagogische Support für alle Schulpartner am Standort im akuten Krisenmanagement genannt. Es sei darauf hingewiesen, dass es vorgesehen ist, dass die Bereichsleiter auch unterrichten werden und nur in akuten Krisen intervenieren können – wobei zu definieren ist, was unter akuter Krise zu verstehen ist – wiederum eine schwammige Formulierung!

 

Zum Thema ganztägige Schulform wäre zu sagen, dass strikte vorgegebene Zeiten im Widerspruch zu einem Autonomiepaket stehen (vorgesehene Änderung in §5 Abs.6 Schulzeitgesetz).

 

Zum Thema Schulversuche Punkt 8  in der Presseunterlage vom 17.3.2017 (siehe oben) heißt es: „Von rund 5.300 Schulversuchen wurden durch die erste Etappe der Bildungsreform bereits mehr als die Hälfte überflüssig (v.a. zur alternativen Leistungsbeurteilung). Mit dem Autonomiepaket wird die überwiegende Mehrzahl der weiteren Schulversuche hinfällig. […] Dadurch wird das Bildungssystem endbürokratisiert“. Die „Endbürokratisierung“ verweist wohl auf die End-wahrheit!

 

Neuordnung der Behörden – die Bildungsdirektionen

 

Dabei geht es um die Schaffung einer Mischbehörde – in der Landes- und Bundesbedienstete tätig sind. Bund und Länder werden im Bereich der Bildungsbehörde als Bildungsdirektionen  zusammengeführt. Schulaufsicht nimmt von nun an der Pädagogische Dienst wahr. Schulaufsicht hätte hinkünftig  die Aufgabe des Qualitätsmanagements, die Mitarbeit am Bildungscontrolling und die Mitwirkung an der Lehrpersonalbewirtschaftung. Dem Pädagogische Dienst wäre auch die Schulpsychologie und das ZIS ( dem späteren Zentrum für Inklusive Pädagogik) zugeordnet. Die Auflösung dieser Zentren ist vorgesehen (Wegfall §27a SchOG).

è Die Erhaltung der Kompetenzzentren in ihrer jetzigen Form stellt eine Betreuung der betroffenen Kinder durch extra dafür ausgebildete Fachkräfte aus dem Bereich der Sonderpädagogik sicher. Ein Schließen entspräche einem Verlust an Fachpersonal und an Professionalität. Die erwünschte Senkung der SPF-Kinderzahl durch Änderung und Verschlankung des Feststellungsverfahrens würde somit zu einem juristischen Belang und ginge an der Realität vollkommen vorbei! Die Zahl der Kinder mit besonderen Bedürfnissen erhöht sich fortwährend und darauf muss professionell und den Bedürfnissen entsprechend aller Beteiligten reagiert werden. Neue Zahlen ändern nichts an der sich zeigenden Realität!

 

Zusammenfassung

 

„Die Welt des Bildungsexperten ist eine, in der alle Menschen nur mehr in ihrer Besonderheit gleich sind. Alle sind hochbegabt, aber jeder auf seine Weise“ (Liessmann, 2014, S.35).

 

Die Tendenzen des neu vorgesehenen Autonomiepakets bewirken durch Zentralisierung und Rationalisierung in Kombination mit einer streng ökonomischen Ausrichtung einen Verlust der Individualität, der Identität sowohl auf Mikro- wie Mesoebene gesteuert durch die Makroebene. Der Einzelne wird als Humankapital mit speziellen Kompetenzen gehandelt – wobei der Mensch als ganze  Person nicht mehr gefragt ist. Im Clusterdenken stehen wirtschaftliche Interessen derart im Vordergrund, dass Kostenneutralität, Aufkommensneutralität oder Chancenindex allem anderen übergeordnet sind. Dies gilt auch auf der Schulebene (Mesoebene) – die Einzelschule als Handlungseinheit wird zugunsten von Rationalisierungspaketen, die als Autonomiepakete gehandelt und verkauft werden, geschwächt, ebenfalls in ihrer Identität und Individualität. Der Einzug  einer ökonomisch geführten Wortwahl und des darunterliegenden ökonomischen Handelns zerstört sukzessive das über Jahrhunderte aufgebaute humanistische Bildungsideal. Durch zunehmende  organisatorische Überfrachtung tritt das Pädagogische Geschehen in den Hintergrund. Wir wünschen uns eine Bildung im Sinne eines humanistisch geprägten Welt- und Menschenbildes wie es zum Beispiel von Dr. Konrad Paul Liessmann vertreten wird.

Durch das Autonomiepaket entstehen zusätzliche Belastungen der ohnehin schon sehr geforderten LehrerInnen und Lehrer – Ausweitung des Schulzeitgesetzes, der Aufsichtspflicht, der Abschaffung der Klassenschülerhöchstzahlen bzw. die zentralistisch durch Cluster  gelenkte Neuorganisation, Personalpolitik und die Umsetzung der Inklusion, fehlende Ansprechpartner durch unterrichtende BereichsleiterInnen und aller daraus entstehenden Folgen. Außerdem wäre es nicht mehr möglich, in herausfordernden Situationen zeitgerecht und adäquat auf Bedürfnisse von Eltern oder Kindern einzugehen.

Ein als Autonomie verkauftes Konzept dient der Schwächung aller beteiligten AkteurInnen und der versteckten Stärkung einer zentralisiert gesteuerten Bildungspolitik, die top-down agiert und damit am Auftrag der österreichischen Schule vorbei geht.

 

„In der österreichischen Schule geht es darüber hinaus um die Entwicklung jener persönlichen und sozialen Kompetenzen, die eine aktive Teilhabe an Gesellschaft, Kultur und Beruf ermöglichen.“ So hält die Aufgabenbeschreibung der österreichischen Schule in §2 SchOG fest: ‚Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlage der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen. Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigen Urteil und sozialen Verständnis geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken‘ “ [WWW Dokument] http://www.sqa.at/mod/page/view.php?id=246 [Datum des letzten Zugriffs: 27.4. 2017].

 

Ein SQA-Thema unserer Schule ist die Existentielle Pädagogik nach Dr in Eva Maria Waibel, die sich aus der  Existenzanalyse nach Dr. Alfried Längle (Schüler von Dr.Viktor Frankl) entwickelt hat. Wir haben als Leitbild dieser Pädagogik, die ja unser Auftrag ist, die Person ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. In unserer Arbeit haben wir ein Leitbild entwickelt, das die Person (den ganzen Menschen) in seiner Ganzheit wahrnimmt und ernst nimmt. An der Umsetzung dieses Menschenbildes arbeiten wir konsequent in der SQA. Zentralisierung und Verallgemeinerung sind dem entgegengesetzt. Wir plädieren für einen bottom-up Ansatz, die Stärkung der Einzelschule als Handlungseinheit, die Stärkung der einzelnen Person und aller beteiligten AkteurInnen auf authentischer Basis.

 

Der vorliegende Entwurf entspricht insgesamt daher für uns als existentiell pädagogisch ausgerichtete Schule nicht im Geringsten den Ansprüchen eines seriös humanistisch geprägten Bildungsgedankens und einer wirklichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für alle dem  System Schule  zugehörigen Personen und wird daher von uns abgelehnt.

 

Für eine direkte Darlegung unserer personalen Stellungnahme sind wir gerne bereit nach Wien zu Ihnen zu kommen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Das Kollegium der VS-Josefiau

Billrothstraße 4

5020 Salzburg