Stellungnahme zum Bildungsreformgesetz 2017 (Schulautonomie-Paket)

 

Themenbereich SchülerInnenzahlen und Personalressourcen

Die Entkoppelung der Ressourcen-Bemessungsgröße (auf Basis der SchülerInnenhöchstzahl 25) von der am Standort real gebildeten Lerngruppen wird sehr begrüßt. Es ist insbesondere für Schulen, die einen ganzheitlichen, projektorientierten Lern-Ansatz mit variablen Vertiefungsgebieten und einem dynamischen Wechsel von Klein- und Großgruppenarbeit verfolgen, eine Unterstützung und Legalisierung.

Wunsch/Anliegen: Um den Anforderungen eines zeitgemäßen Unterrichts im Grundschulbereich im Lichte der Heterogenisierung , Individualisierung und Differenzierung und der besonderen Bedeutung der ersten Schuljahre für die weitere Schullaufbahn vor allem von Kindern mit schlechterer sozialer und individueller Ausgangslage gerecht zu werden, möge der Gesetzgeber mit ehestmöglicher Wirkung vorsehen:

Für Volksschulklassen auf Stufe 1 – 3 gilt statt des bisherigen Prinzips „Eine Klasse – ein/e LehrerIn“ eine Bemessungsgröße von 1,5 LehrerInnenstunden pro SchülerIn für Jahrgangsklassen, 2 LehrerInnenstunden pro SchülerIn für altersgemischte Klassen bzw. für Klassen mit mehr als 75% der SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache.

Themenbereich ganztägige Schulen

Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Verpflichtung der verschränkten ganztägigen Schulen zu zwei nicht-verschränkten Nachmittagen möge umgekehrt werden und der Intention von Schulautonomie folgend den einzelnen Standorten zur schulpartnerschaftlichen Beratung und Beschlussfassung übertragen werden. 

Wunsch/Anliegen: Für ganztägige Schulen in nicht-verschränkter Version soll es die Möglichkeit geben, mit Beschluss des Schulforums an 2 oder 3 Tagen einen verschränkten Schulbetrieb anzubieten. Für verschränkte Ganztagsschulen möge der Gesetzgeber vorsehen, dass wie bisher nur am Freitag ein verkürzter gemeinsamer Lernbetrieb angeboten oder allenfalls nach Beratung im Schulforum eine für den Standort passende Lösung gefunden und festgelegt werden kann.

Themenbereich Unterrichtseinheiten / Entkoppelung des 50-Minuten-Richtwerts von realen Lernzeitsequenzen

Die Entkoppelung der 50-Minuten-Unterrichtseinheit von der standortautonomen Definition realer Lernzeitsequenzen wird sehr begrüßt. Der in Begutachtung gebrachte Gesetzesvorschlag ist insbesondere für Schulen, die einen ganzheitlichen Lern-Ansatz verfolgen, also speziell für Volksschulen, Sonderschulen und reformpädagogisch orientierte Versuchsschulen der Sekundarstufe I sowie für ganztägige Schulen eine Unterstützung und Legalisierung der bisherigen Arbeit.

 

Wunsch/Anliegen: Konsequenterweise sollte – zunächst vielleicht nur für schulautonome Pilotschulen – die gesamte Lehrfächerverteilung und Diensteinteilung des pädagogischen Personals zwecks einfacherer Administration und Dokumentation in Richtung verpflichtender Anwesenheits- und Arbeitszeit geöffnet werden. In weiterer Folge sollte es möglich sein, an schulautonomen Standorten im Einvernehmen mit den Beschäftigten eine Rahmenanwesenheitszeit für alle (z.B. 30 Stunden) zu vereinbaren, innerhalb derer Teile der Jahresnorm Teil B (Unterrichts-Vor- und –Nachbereitung) gemeinsam am Standort absolviert werden. Dies ermöglicht am einzelnen Standort verbindliche Vereinbarungen über z.B. regelmäßige pädagogische Teambesprechungen, fachlichen Austausch usw.

Themenbereich Integration / Inklusion / ZIS

Die vorgesehene Streichung des erst 2014 eingeführten  27a (SchOG) führt zu großer Verunsicherung und Verwirrung bei den Betroffenen hinsichtlich der künftigen Gestaltung qualifizierter sonderpädagogischer und inklusiver Beratungs- und Begleitarbeit, vor allem im großstädtischen Bereich. 

Wunsch/Anliegen: Die Entflechtung der Vergabe Sonderpädagogischen Förderbedarfs von den Sonderschul-/ZIS-Standorten hin zu regionalen / bundesländerbezogenen Kommissionen wird begrüßt. Unabhängig davon soll es möglich sein, dass alle bewährten Formen einer inklusiven Beratungs- und Begleittätigkeit fortgeführt werden. Im Hinblick auf die inklusive Transformation des österreichischen Schulwesens möge der Gesetzgeber eine mittelfristige Perspektive festschreiben und im Zuge dessen den speziellen Schultyp Sonderschule in den nächsten 3 Jahren in allgemein zugängliche Schulen mit besonderen Schwerpunkten umwandeln. Im Zuge dessen sollen offensiv regionale / bezirksweise / grätzelbezogene Kooperationen zwischen Schulen (VS, NMS, ahS-Unterstufe, Schwerpunktschulen) möglich gemacht, unterstützt und forciert werden.

Themenbereich Cluster / Kooperation von Schulen

Eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Schulen ist in den letzten Jahren an zahlreichen Stellen bereits Realität geworden. Legistische Maßnahmen sollten daran gemessen und ausgerichtet werden, inwiefern sie solche Kooperationen forcieren und erleichtern helfen. Das Modell der Cluster ist insbesondere für den ländlichen Raum und niederorganisierte, kleine Schulen hilfreich, wenn es die Schließung von Standorten zu vermeiden hilft. Unter diesem Aspekt wird der Gesetzesvorschlag begrüßt. Im großstädtischen Bereich allerdings müssten auch andere Varianten der Zusammenarbeit in einer Region, in einem Bezirk, in einem Wohngrätzel seitens des Gesetzgebers explizit ermöglicht und unterstützt werden. Dies entspräche wiederum wesentlich besser dem Grundgedanken der Schulautonomie als im Entwurf vorgesehene Reduktion auf ein Cluster-Modell, das noch dazu eine viel zu große Zahl von SchülerInnen für eine einzige frei gestellte Leitungsfunktion vorsieht.

Wunsch/Anliegen:

Der Gesetzgeber möge alle Schulen einer Region / eines Bezirks / eines Wohngrätzels ermuntern, aktiv und offensiv gemeinsame Schulentwicklungsstrategien zu entwickeln und zu verfolgen und die dafür nötigen legistischen Grundlagen im mindestmöglichen Maß bereitstellen. Der Hauptgesichtspunkt für die Bildung von Kooperationen und Clustern soll hauptsächlich der Sicherstellung kontinuierlicher Schullaufbahnen und Bildungsangebote für alle SchülerInnen im Pflichtschulalter dienen, wozu auch die Einbeziehung elementarpädagogischer Einrichtungen wichtig erscheint.

Themenbereich gemeinsame Verantwortung aller aus öffentlichen Geldern finanzierter Schulen

Dieser Themenbereich scheint in der gegenständlichen Gesetzesnovelle aus nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeklammert. Im Sinne einer längerfristigen Strategie zur Schulautonomie in Österreich ist dies unbedingt mit zu denken.

Wunsch/Anliegen: Definition einer gemeinsamen Verantwortung aller Schulen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden, für eine bestmögliche Lern- und Lebensbegleitung ALLER SchülerInnen  einer Region / eines Bezirks / eines Wohngrätzels: also sowohl öffentliche wie auch private Schulen, sowohl Volksschulen wie auch Neue Mittelschulen, ahS-Unterstufen, Sonder- bzw. Schwerpunktschulen

Themenbereich Kooperation zwischen APS und ahS (-Unterstufe)

Im Sinne des vorigen Gedankens zur gemeinsamen Verantwortung ALLER Schulen ist es sehr bedauerlich, wenn zwischen bestimmten (öffentlichen) Schultypen, die beide schulpflichtige österreichische Kinder und Jugendliche umfassen, keine organisierte Kooperation möglich sein kann. Im Sinne der Inklusion ist auch die Zugangsbeschränkung an ahS-Unterstufen dringend reformbedürftig.

Wunsch/Anliegen: Kooperationen bzw. Clusterbildungen müssen zwischen allen Schultypen, die schulpflichtige Kinder und Jugendliche umfassen, möglich sein. In kürzestmöglicher Frist (September 2017) ist die Zugangsbeschränkung für ahS-Unterstufen (ebenso wie für Sonderschulen aufzuheben) – längerfristig können sich im Sinne der Schulautonomie Schwerpunktschulen mit differenziertem Angebot für alle SchülerInnen entwickeln.

Themenbereich Sozialindex

Wunsch/Anliegen:

Der Gesetzgeber möge die künftig optional vorgesehene Ressourcenzuteilung nach einem Sozialindex so definieren, dass diese in den nächsten 3 Jahren möglich wird unter der Prämisse, dass einerseits Schulen nicht bisherige Ressourcen verlieren, wohl aber besonders belastete Schulen mehr Ressourcen zusätzlich erhalten.

Themenbereich Schulleitung / Clusterleitung / Bereichsleitung

Der Gesetzesentwurf sieht sehr detaillierte Mechanismen für die Bildung von Clustern, die Einsetzung von ClusterleiterInnen sowie Bereichsleitungen vor. Leider wird die Erfahrung und Realität an vielen innovativen Schulen, die eigene Formen gemeinsamer Leitung entwickelt haben und entwickeln, gar nicht honoriert und abgebildet.

Wunsch/Anliegen: Soweit die Bestimmungen zur Bildung von Clustern und die Einsetzung von BereichsleiterInnen aufrecht bleiben, möge der Begriff „Bereichsleitung“ ersetzt werden durch einen Begriff, der die große Verantwortung der betreffenden Person für das gesamte pädagogische, personalpolitische und Krisen-Management am einzelnen, konkreten Schulstandort zum Ausdruck bringt (z.B. „StandortleiterIn“).

Die Zeit der Freistellung für eine ernsthafte Wahrnehmung dieser Funktion soll sich an der Zahl der SchülerInnen orientieren (z.B. pro 10 SchülerInnen 1 Stunde Reduktion der Unterrichtsverpflichtung).

Der Gesetzgeber möge Leitungsteams / Steuergruppen oder ähnliche Leitungsgremien an den Schulstandorten, die dies möchten oder schon praktizieren, ermöglichen und legalisieren und unterstützen, analog dazu auch Leitungsteams für vernetzt arbeitende Schulen ermöglichen (Cluster, Kooperationen, Grätzel). Die genaue Ausformung und Zusammensetzung dieser Gremien wird von Standort zu Standort variieren und  z.B. an ganztägigen Schulen die Freizeitleitung mit einbeziehen. Naheliegend wären auch einzelne oder alle SQA-KoordinatorInnen, Mitglieder von Abteilungsleitungen am Standort. Im Sinne der Schulautonomie ist die genaue Definition der Zusammensetzung dieser Gremien vertrauensvoll den Standorten zu übertragen. In einer ersten Etappe könnte dies an den Pilotschulen für Schulautonomie erprobt werden.

Themenbereich Schulpartnerschaft

Die bisherigen zentralen Regulative der Wahl von ElternvertreterInnen, das Abstimmungsprocedere beim Schulforum usw. sind unnötig detailliert und auch nicht mehr zeitgemäß: So finden bis heute die FreizeitpädagogInnen an ganztägigen Schulen kein organisiertes Abbild etwa im Schulforum. Es sollte vielmehr eine Möglichkeit geschaffen werden, dass Schulen autonom eine „Verfassung“ für ihre schulpartnerschaftlichen Kommunikations- und Aushandelungsprozesse entwerfen, die sie bei einer „Clearingstelle“  im BMB einreichen und auf ihre Kompatibilität mit den Rahmenvorschriften sowie demokratiepolitischen Standards überprüfen lassen.

Wunsch/Anliegen: Reduktion der zentralen Vorschriften bezüglich schulpartnerschaftlicher Vertretung von Eltern und SchülerInnen auf eine Rahmenbestimmung, innerhalb derer die Schulen autonom Regulative zugunsten einer Mitsprache durch Eltern, SchülerInnen und LernbegleiterInnen (LehrerInnen und FreizeitpädagogInnen und Assistenzpersonal) vor Ort entwickeln (Schule als Demokratie-Werkstatt) – dieses Regulativ wird bei einer dafür zu schaffenden „schuldemokratiepolitischen Clearingstelle“ beim BMB eingereicht).

Themenbereich Bildungsdirektion / Schulaufsicht

Wunsch/Anliegen: Im Sinne der Transformation des österreichischen Schulwesens zugunsten Schulautonomie und Inklusion mögen alle Vorgaben des Gesetzgebers hinsichtlich Schulaufsicht und Schulverwaltung unter vorrangiger Bedachtnahme auf folgende Gesichtspunkte erfolgen: auf die bestmögliche Begleitung der Schulen im pädagogischen Alltag und der standortspezifischen und regionalen Schulentwicklung sowie das Begleitmanagement zur Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung aller Schulen für alle SchülerInnen einer Region / eines Bezirks / eines Grätzels.

 

 

Ich erkläre mich ausdrücklich mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme auf der Homepage des Österreichischen Parlaments und mit dem Verweis auf meine Autorenschaft einverstanden.

Josef Reichmayr, Wien, 28.4.2017

Initiative „Schulautonomie Monitoring Österreich“

www.schaumonito.at