Ich bin mit einer Veröffentlichung meiner Stellungnahme auf der Parlamentshomepage einverstanden

 

Sehr geehrte Damen, Sehr geehrte Herren!

Nach einer Woche intensiver Auseinandersetzung mit der Ideologie und Wirklichkeit des Nationalsozialismus und der Beschäftigung mit Euthanasie und Behindertenpolitik im 3. Reich beim diesjährigen Helmut Langbein Symposium in Linz blieb mir erneut ein Bild ganz klar in Erinnerung, das ich bereits Jahre zuvor bei der Ausstellung Topographie des Terrors in Berlin das erste Mal sah!

 

Ein Mann im weißen Kittel steht hinter einem sichtlich behinderten , auf einem Stuhl sitzenden jungen Mann. Seine Rechte Hand ruht auf den Schultern des Sitzenden. 

Darüber steht geschrieben : 60 000 Reichsmark kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit! Volksgenosse das  ist auch dein Geld!

 

Es ist ein verständlich kurzer Weg von den besonderen Bedürfnissen mancher kranker oder behinderter Menschen hin zu einem Aufrechnen, was uns das alles kostet!

Auch heute! 

 

Dass wir seit wenigen Jahrzehnten zu einer gemeinsamen erfolgreichen Beschulung aller Kinder in Integrationsklassen kommen durften, hat uns etwas gekostet: Etablierung von bereits leider wieder auslaufenden Sonderschullehrerausbildungen an den Pädagogischen Akademien, dann Pädagogischen Hochschulen, Einrichtung von Integrationsberatungsstellen an den SPZ, jetzt ZIS und natürlich den Willen, die I- Klassen durchgehend mit 2 Lehrern zu bestücken!

Gelebte Solidarität und vorbildhaft!

 

Menschen mit stark unterschiedlichem Leistungsniveau in einer dem gesellschaftlichen Zusammenhalt fördernden Art und Weise zu unterstützen bedarf personaler und fachspezifischer Ressourcen!

Und zwar auf Seiten der Organisation (SPZ/ZIS),

und auf Seiten der Aktion (Ausgebildete Lehrer)!

Der Plan, statt eine Integrationsklasse mit 2 Lehrern zu belassen, jetzt ein System mit einem Lehrer und eventuell stundenweise unterstützenden Hilfskräften zu etablieren, würde, wie wir es jetzt bereits in unseren Nebenklassen sehen, zu einer chronischen Überforderung der Lehrer einerseits und einer dadurch dauerhaften bruchstückhaften Förderung aller Kinder andererseits führen!

Warum?

Der Lehrer, der in diesem Konzept der "Inklusion" alleine für alle zuständig ist, muss einen Teil seiner Arbeit und Aufmerksamkeit den behinderten Kindern widmen, Zeit die ihm zur Förderung der anderen Kinder natürlich wieder fehlt!

Das gesamtgesellschaftliche Ziel einer nicht segregierenden Beschulung, die es ermöglicht, auch den Schwachen als Teil der Gesamtheit, den Behinderten als legitimes, selbstverständliches Mitglied der Gesellschaft wahrzunehmen, wird so langsam ausgehebelt!

Eltern der behinderten Kinder sagen zurecht: hier wird mein Kind nicht mehr ausreichend gefördert!

Eltern der nicht behinderten Kinder sagen ebenso zurecht: wegen der (behinderten Kinder) wird mein Kind  nicht ausreichend gefördert!

Dass man, dieses "einen Keil zwischen behinderte und nicht behinderte Kinder treiben" dann euphemistisch Inklusion nennt, tut mir weh!

Die Folge scheint mir auf lange Sicht unausweichlich: eine Rückentwicklung zum alten System der Sonderbeschulung an Sonderschulen und somit Aufgabe der gesellschaftspolitischen so heilenden Dimension des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern. 

Meiner tiefsten Überzeugung nach sind die Kosten, die wir jetzt zu sparen scheinen, nur geliehen, da wir sehr genau wissen, was aus Gesellschaften werden kann, die sich gegen Solidarität mit Randgruppen und gegen ein Miteinander entscheiden.

Nicht geförderte ASo Schüler bedeuten mehr Sozialhilfeempfänger in 10 Jahren!

Nicht geförderte Volksschüler bedeuten erfolglosere Arbeitskarrieren unserer Kinder!

Nicht gelebte Solidarität bedeutet ein weiteres Auseinanderbrechen unserer ohnehin so labilen Gesellschaft!

Zu sagen, die Sonderpädagogik und Integrationsarbeit ist uns soviel Wert, dass dies auch weiterhin in Strukturen (SPZ/ZIS) sichtbar bleibt, anstatt sie zu einem Anhängsel der Allgemeinen Pädagogik zu degradieren, scheint mir deswegen als Ausdruck unseres Bekenntnisses zu einer Wertschätzung der Vielfalt und Individualität unserer Schüler unabdinglich!

In diesem Sinne bitte ich Sie um Rücknahme des Schulautonomiepaketes, das in der vorgelegten Form einige der von mir skizzierten negativen Entwicklungen erst ermöglichen würde !

 

Mit freundlichen Grüßen 

Martin Schuh

Dipl. Päd. an einer ersten Integrationsvolksschulklasse