Ich erkläre mich mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme auf der Homepage des Österreichischen Parlaments ausdrücklich einverstanden. 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großem Erschrecken habe ich den neuen Gesetzesentwurf zum Schulautonomiepaket gelesen.

Ein Entwurf, in dem ich leider keinerlei Verbesserung des Schulsystems für unsere Kinder erkenne, sondern nur Verschlechterungen für alle Beteiligten. Kinder, Schüler, Eltern sowie Direktoren.

In den letzten Jahren gab es viele schulpolitische Veränderungen. Einige brachten Verbesserungen, viele brachten Verschlechterungen und bei einigen Dingen wurde einfach nur der Name geändert, vieles versprochen, aber alles blieb gleich.

In diesen Jahren haben Lehrer und Direktoren immer versucht für die Kinder das Beste herauszuholen, auch wenn es ihnen mit den meisten Reformen laufend schwieriger gemacht wurde.

Es wurde auf Bildungsexperten gehört, deren Expertendasein darauf beruht, dass Sie selbst einmal in der Schule gewesen sind. Es wurde auch manchmal auf Lehrerstimmen gehört. Es waren aber nur jene, die besonders aufdringlich schrien, und das sind eigentlich immer jene Lehrer, die in Wirklichkeit versuchen auf einer reformpädagogischen Welle ihren Posten zu verändern, da sie in ihrem Beruf todunglücklich sind, und die Kinder auch mit ihnen als Lehrer.

Es wirkte oft als würde absichtlich gegen Lehrer und Kinder statt für sie entschieden werden.

So wie die meisten Lehrer jedoch sind, haben sie bei fast allen Reformen zwar den Kopf geschüttelt aber gleichzeitig gesagt, sie schaffen das, sie machen halt das Beste daraus.

Dieses Paket ist aber nicht zum Kopfschütteln. In Wirklichkeit ist es zum Heulen, da es unfair gegenüber Menschen ist, besonders jenen gegenüber, die mehr Unterstützung benötigen.

So sollen beispielsweise Klassenschülerzahlen nicht mehr begrenzt werden.

Im ersten Moment klingt das in Ordnung, doch wir wissen alle, dass es in beispielsweise in Wien zu wenige Lehrer und zu wenig Räume gibt und jetzt geburtenstärkere Jahrgänge kommen. Es ist also eine Milchmädchenrechnung, dass dann natürlich pro Lehrer mehr Kinder in einer Klasse sitzen werden, als die eigentlich angestrebte Höchstzahl von 25.

Das ist schwierig, denn es wird unter anderen Umständen unterrichtet als vor 50 Jahren.

Es gibt in vielen Wiener Bezirken Schulen, an denen über 90% der Schüler eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Viele dieser Kinder dort stehen seit dem Moment ihrer Zeugung am Rande unserer Gesellschaft. Ihre Familien hatten und haben nämlich leider andere Interessen als sich um sie zu kümmern, ihnen ein gutes Leben zu schaffen, beispielsweise Alkohol, Drogen, Videospiele, „chillen“ etc.

Viele dieser Kinder haben Erfahrungen gemacht, die Sie sich vermutlich nicht vorstellen können.

Es gibt Kinder die ohne Heizung und Strom leben, oder die in der Einzimmerwohnung anwesend sind wenn ihre Mutter, die als freischaffende Prostituierte arbeitet, jede Nacht mehrere Männer empfängt. Bei manchen Kindern sind die Eltern tagelang nicht anwesend, sie kümmern sich dann um ihre Geschwister, kochen, etc…. Natürlich kennt das Jugendamt diese Fälle, doch meistens vertreten sie die Ansicht (aus Spargründen, Unterbesetzung?) eine schlechte Familie ist besser als keine Familie.

Viele dieser Kinder haben kein einziges Buch zu Hause und wurden als Säuglinge schon vor den Fernseher gesetzt, und einige kennen nur das Grätzel in dem Bezirk in dem sie wohnen. In einem anderen Bundesland waren sie höchstens einmal bei einem Schulausflug.

Im Unterricht stehen die Probleme die aus der totalen Überforderung und dem häufig immensen Desinteresse Ihrer Eltern entstanden sind oft im Vordergrund und nicht das Unterrichten an sich.

Es ist schwierig genug eine Klasse zu fördern und zu unterrichten in der 16 Kinder in einem Alter von teilweise vier Jahren Unterschied sitzen. Es Schüler gibt, die mit 12 Jahren noch nicht sauber sind, und Kinder, die nicht wissen, dass Milch nicht auf Bäumen wächst. Unter Umständen sind dann auch Schüler in dieser Klasse die einen erhöhten Förderbedarf haben. Es gibt Kinder die aufgrund ihrer Behinderung beispielsweise mit ihrem Kopf, sobald es lauter wird, solange gegen den Tisch schlagen bis Blut ihr Gesicht herunterläuft.

Unterrichtet wird in diesen Schulen nur nebenbei.

Wie soll ein Lehrer das in einer Klasse mit 30 und mehr Kindern schaffen? Es ist ein Sparpaket auf Kosten aller Beteiligten!

Diese Schulen sind auch nicht unbedingt jene Schulen an denen sich besonders viele Junglehrer bewerben. Wer will sich schon ständig mit Krätzmilbe, zu wenig Geld für Klassenausflüge und schwierigen Kindern beschäftigen, wenn er für den selben Lohn auch an einer netten Schule in Zwettl unterrichten kann, wo er als Lehrer sogar noch ein gewisses Ansehen hat und nicht der Buhmann der Nation ist?

Dementsprechend ist es zwar nett, wenn Direktoren Mitspracherecht in dieser Reform bei der Auswahl ihrer Lehrer erhalten, aber wenn es einfach keine Bewerbungen gibt dann werden sie nehmen müssen was übrig bleibt. Ob das dann die besten Lehrer sein werden?

Sonderschulen sollen in ihrer Reform abgeschafft, alle Kinder inklusiv unterrichtet werden (also ein Integrationslehrer wird stundenweise in verschiedenen Klassen eingesetzt, auch in verschiedenen Schulen im Cluster).

Können Sie sich vorstellen, wie es ein Mathematiklehrer schaffen soll während er eine Quadratfunktion erklärt, nebenbei mit dem Mädchen mit Trisomie 21 eine Binde wechseln zu üben da sie gerade das erste Mal ihre Tage bekommen hat?

Können Sie sich vorstellen wie die Werklehrerin, während 15 Kinder das erste Mal mit der Nähmaschine nähen, nebenbei darauf achtet, dass der Junge mit Entwicklungsverzögerung auf der Toilette auch Toilettenpapier benützt und nicht mit seinen Exkrementen zu zeichnen beginnt?

In beiden aufgezeichneten Stunden sitzt übrigens währenddessen auch immer der autistische Junge verzweifelt unter seinem Tisch, weint in sich hinein, und beißt jeden der ihm zu nahe kommt, da seine Sinne so überfordert werden und ihm alles zu viel ist.

Ist es solchen Kindern gegenüber wirklich fair Kleinklassen in Sonderschulen abzuschaffen, in denen alles auf ihr Wohlbefinden und ihr Lernen und Erfahren in ihrem selbstbestimmtenTempo ausgerichtet ist?

Ist es den anderen Kindern ohne Behinderung gegenüber fair, ihnen die Möglichkeit zu nehmen in Ruhe zu lernen?

Wissen Sie, Integration ist gut und wichtig, aber schwerbehinderte Menschen haben auch das Recht so zu sein wie sie sind, und es ist diskriminierend sie ständig in eine Form zu drängen in der sie vielleicht gar nicht glücklich sind nur weil wir wollen, dass sie es sind. 

Schauen Sie sich doch bitte Ihren eigenen Freundeskreis an. Sie werden merken, alle ihre Freunde sind ihnen ähnlich. Ähnliche Hobbys, ähnliche Intelligenz.

Ich kann ihnen versichern, es ist bei Menschen mit Behinderung nicht anders. Die Kinder in Integrationsklassen kümmern sich wirklich liebevoll um beispielsweise den Jungen mit Trisomie 21 und das autistische Mädchen, aber es ist ein Kümmern. Wahre Freundschaften entwickeln sich fast immer unter Menschen die sich in irgendeiner Weise ähnlich sind.

Es ist die Frage, was wird den Menschen mit Behinderung am Ende seines Lebens glücklicher gemacht haben? Das er Texte fehlerfrei abschreiben und im Zahlenraum 20 rechnen kann, oder, dass er in seiner vielleicht sehr eigenen Sprache seine Freunde, die er in der Sonderschulklasse kennengelernt hat, anruft und zu seiner Geburtstagsfeier einlädt?

Niemand kennt sein Kind besser als bemühte Eltern, Lehrer und Direktoren. Sie wissen, ob ein Kind mit Behinderung in der Integration aufgehen wird, oder ob eine Sonderschule, in der es weit mehr Fördermöglichkeiten durch spezielle Räume, Angebote und in der Schule dauerhaft anwesende Spezialisten etc. gibt, und in der ihr Kind viele gute Freunde auf Augenhöhe findet, vielleicht doch besser für es ist.

Warum wird diesen Menschen diese Wahlmöglichkeit genommen. Haben sie kein Recht auf freie Wahl? Sonderschulen müssen zum Wohle vieler Kinder erhalten bleiben!

Der Austausch der ZIS Direktoren gegen Bildungsdirektionen ist ein weiterer besonders kritisch zu betrachtender Punkt dieser Reform.

Die Direktoren sind jene Menschen, die sich um große als auch kleine Anliegen von großen als auch kleinen Menschen tagtäglich kümmern. Es stehen ununterbrochen Lehrer, Eltern und Kinder mit aktuellen Problemen vor ihren Türen. Probleme bei denen der Direktor oft, wenn er eine Kinderseele nicht sterben lassen möchte, sofort und nicht erst zwei Tage später wenn ein Termin frei ist, handeln muss. Es gibt Tage an denen 20 solcher Fälle ohne Anmeldung vor der Direktion stehen und auf Hilfe warten.

Die Direktoren leiten und führen dann in die richtigen Bahnen. Sie erklären wohin man sich wenden kann und muss. Das können sie deshalb besonders gut, da sie die Situation genau einschätzen können. Sie kennen nämlich jedes einzelne Kind bei seinem Namen mit all seinen Stärken und seinen Schwächen. Sie wissen welchen Rucksack mit Problemen das Kind herumschleppt und sind die Vertrauensperson vieler Eltern und Lehrer. Eine übergeordnete Direktion mag fachlich kompetent sein, aber wie sollen ohne einer ständig anwesenden Direktion im Haus menschliche Probleme, Bedürfnisse von Kindern Eltern und Lehrern abgedeckt werden?

Es ist wie in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Wohnhäusern, einfach in allen sozialen Systemen. Je größer diese sind, desto weniger Menschlichkeit gibt es da es anonym, unpersönlicher wird. Es kann nur unpersönlich sein, denn niemand kann sich 1300 Menschen genauso gut annehmen wie 300.

Wenn man das in seine Überlegungen einbezieht, ist auch die Sinnhaftigkeit der Einführung von Clusterschulen und dem Einsetzen einer einzigen Clusterleitung für so viele Kinder, Eltern und Lehrer zu bezweifeln.

Es darf also auf gar keinen Fall möglich sein, dass Schulen dazu gezwungen werden sich zu „verclustern“ da sie aus weniger als 1300 Schülern bestehen.

Ich bitte Sie im Sinne unserer Kinder diese Reform noch einmal zu überarbeiten!

Es ist keine Schande einen eigentlich gutgemeinten Gedanken, der vermutlich schon sehr viel Geld, Zeit und Arbeit gekostet hat über Bord zu werfen und noch einmal von Neuem zu beginnen, weil man ihn als fehlerhaft erkannt hat. Es wäre eine Schande ihn trotzdem durchzusetzen!

Bitte zeigen Sie Größe indem Sie diesen Fehler nicht ausführen, nur um vermeintlich Ihr Gesicht zu bewahren!

 

Mit hoffnungsvollen Grüßen, Marie-Christine Brauneis