Betrifft: Persönliche Stellungnahme zum Bildungsreformgesetz 2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Bildungsverantwortliche!

Ausgehend von Berichten der Informationsveranstaltung des ZA in der Stadthalle und vorangegangenen Gerüchten zur geplanten Abschaffung des § 27a/derzeitiges Schulorganisationsgesetz möchte ich folgende Stellungnahme abgeben.

Ich bin eine Anhängerin von „Sowohl als auch“ und NICHT von „entweder-oder“.

Insofern begrüße ich den Gedanken der Integration/Inklusion von behinderten, verhaltensauffälligen, physisch oder psychisch kranken, lernschwachen und entwicklungsverzögerten Kindern. In der alltäglichen Praxis sehe ich aber, dass manche dieser Kinder nur oder besser in besonderen Schulen oder Klassen (Sonderschulen, Sondererziehungsschulen, Förderklassen, Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik, Sonderpädagogischen Zentren – egal welchen Namen man ihnen gibt!) sinnvoll unterrichtet werden können.

Insofern bereitet mir die geplante Abschaffung des § 27a große Sorge!

Es gibt zwar Stimmen, die sagen, dass diese Spezialeinrichtungen oder Spezialangebote für die erwähnten Kinder eh nicht (gänzlich) abgeschafft werden. Sie sollen nur anders organisiert werden, nämlich direkt von der Bildungsdirektion aus. Ich frage mich allerdings, wie der/die dortige Verantwortliche für ganz Wien und die verschiedensten Sparten der Sonderpädagogik den Überblick behalten kann, ohne Informationen von Direktor/innen, die sich in der Region auskennen und eine der jeweiligen Sparte entsprechende qualitativ hochwertige pädagogische Ausbildung haben, zu erhalten.

Da noch keine Informationen bis zu mir durchgedrungen sind, wie die zukünftige Bildungsdirektion die Organisation, Strukturierung, Diensteinteilung und Qualitätssicherung der sonderpädagogischen Maßnahmen plant, kann ich als Bürgerin und Beratungslehrerin eines Zentrums für Inklusiv- und Sonderpädagogik nur zu dem Schluss kommen, dass die geplante Streichung des § 27a aus Einsparungsgründen vorgenommen werden soll. Und diese Einsparungen scheinen am leichtesten am Rücken von benachteiligten Kindern vorgenommen werden zu können, die keine ausreichende Lobby haben.

Manche Verantwortlichen führen an, dass Inklusion ein Menschenrecht ist.
Das sehe ich auch so! Aber es gibt verschiedene Wege dorthin!

Viele Kinder können sofort integrativ oder inklusiv beschult werden, wenn sie vor Ort die nötigen sonderpädagogischen Unterstützungsmaßnahmen vorfinden. Für den Bereich der sozial und emotional benachteiligten Kinder sind das vor allem die Beratungslehrer/innen und Psychagog/innen sowie Schulsozialarbeiter/innen.

Manche Kinder brauchen allerdings für kürzere oder längere Zeit den Schutz einer Spezialeinrichtung (Förderklassen, Sonderschulen, Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik).

Die wichtigsten Faktoren, die diese Einrichtungen notwendig machen sind:
- Diese Schüler/innen brauchen überschaubare Strukturen in Form von kleineren Klassen.
- Diese Schüler/innen brauchen ein stabiles Beziehungsangebot durch eine überschaubare Anzahl von Lehrer/innen. (Sich oft stündlich auf eine neue Lehrer/in einstellen zu müssen, überfordert diese Kinder.)
- Diese Schüler/innen fühlen sich mit ihrer Problematik in Gruppen mit „Gleichgesinnten“ nicht so alleine und dadurch besser verstanden und gehalten.
- Diese Schüler/innen brauchen Lehrer/innen, die eine hohe Reflexionsbereitschaft besitzen. Diese kann im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Teambesprechungen, Supervision und persönlichkeitsbildenden Fortbildungsangeboten erworben und gefördert werden.

Außerdem sollte den Bildungsverantwortlichen klar sein, dass die schulischen Strukturen in einer Millionenstadt anderes ausschauen müssen als in einer ländlichen Umgebung. Insofern trete ich auch hier ein für ein „Sowohl als auch“ und nicht für ein „Entweder-Oder“. Selbstverständlich befürworte ich eine Begründung, Offenlegung und Transparenz der verschiedenen sonderpädagogischen Maßnahmen. Hilfreich wären auch seriöse Studien von Bildungs- und Sozialwissenschaftler/innen sowie Historiker/innen, die dann auch wirklich in die Veränderungsprozesse mit einfließen.

 

Im Sinne der Wiener Kinder plädiere ich nochmals für die Beibehaltung des § 27a.

Sollte es notwendig sein, die bewährten Strukturen zu verändern, ersuche ich, dass die direkt Betroffenen von Beginn an in den Veränderungsprozess mit einbezogen werden; also die Direktor/innen dieser sonderpädagogischen Einrichtungen und die Lehrer/innen, die tagtäglich diese anspruchsvolle Arbeit machen.

 

Ich erkläre mich mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme auf der Homepage des Österreichischen Parlaments ausdrücklich einverstanden.

 

Mit freundlichen Grüßen                                                                 Wien, 29.4.2017

Mag. Regina Aigner