Sehr geehrte Damen und Herren,

 

aus dem Wenigen, das bisher hinsichtlich des Schulautonomiepakets an die Öffentlichkeit gedrungen ist, lassen sich aus bildungswissenschaftlicher und pädagogischer Sicht einige markante Auslassungen und gesellschaftliche Rückschritte ablesen:

 

Zunächst bleibt fraglich, wie die angedachte Verwaltungsreform durch die Schaffung von "Schulclustern", für die sich 2-8 Schulen zusammenschließen "können" (wie auf der Homepage des BMB zu lesen ist), sowie personelle Verschiebungen hin zu Bildungsdirektionen zu wirklichen Einsparungen im komplexen Verwaltungsapparat führen sollen - aber zB die Länderautonomie nicht angegriffen werden soll.

Weiters ist eine clustermäßige inhaltliche Schwerpunktsetzung gerade im ländlichen Bereich fragwürdig, weil ebendiese die Breite des Bildungsangebotes und damit die Vielfalt der Bildungschancen für Kinder aus infrastrukturell schwachen Gebieten deutlich beschränken würde.

 

Die politische Entscheidung, Sonderschulen bis 2020 zur "Ausnahme" zu machen (Aussage von BMin Hammerschmid im Standard-Interview vom), gleicht einer Farce. Sämtliche nationale und internationale Studien der vergangenen Jahre sehen zwar riesiges Potential in der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne besonderem Bedarf, allerdings stets unter der Prämisse eines hohen Betreuungsschlüssels, entsprechender räumlicher Gegebenheiten und vor allem: speziell geschulten Personals! All diese Anforderungen können derzeit nicht gewährleistet werden, die Ausbildungswege von Menschen im sonder- und integrativpädagogischen Bereich wurden in der LehrerInnenbildung zuletzt gar beschnitten. Ein Blick in den Finanzausgleich für 2017-2021, der den sonderpädagogischen Bereich mit 2,7% statt den derzeit bereits benötigten 5% deckelt (vgl. Paul Kimberger im Standard vom 23.01.2017), lässt keine Investitionen zur Verbesserung der strukturellem Voraussetzungen vermuten.

 

Hinzu kommt, dass Österreich auf dem besten Wege scheint, sich in Kürze weitgehend von der erst 2008 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention zu entfremden, in der festgehalten ist, dass ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen gewährleistet werden soll. Schon heute ist das Bildungssystem nur in den unteren Ebenen durchlässig, zumeist landen Jugendliche nach dem Pflichtschulbereich in anderen Ausbildungs- oder Beschäftigungsnischen. Das Recht auf Beschulung, das "normalen" Kindern durchaus bis zum 18., respektive 19. Lebensjahr gewährt wird, wird den meisten Kindern mit besonderem Bedarf schon heute verwehrt. Stehen zukünftig weniger Ressourcen zur Verfügung, um speziellem Bedarf zu begegnen, ist eine weitere "Verkürzung" von Bildungswegen und in Folge zwangsläufig ein "Parken" von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Pseudobeschäftigungsverhältnissen zu befürchten.

 

Noch dramatischer sehe ich, was als Unter-der-Hand-Information hinsichtlich der Entwicklungen im sonder- und integrativpädagogischen Bereich umgeht - wie sollen Personen, die selbst nicht im pädagogischen Feld arbeiten - wie Juristen und Mediziner - adäquat über Möglichkeiten der Beschulung von Kindern und Jugendlichen entscheiden? Aus bildungswissenschaftlicher Sicht ist gleichermaßen wie aus pädagogischer darauf zu bestehen, dass Beratung zu und Bewertung von bspw pädagogischem Förderbedarf im Kompetenzbereich jener zu verbleiben hat, die ausgebildete und ausgewiesene ExpertInnen für Menschen mit besonderem Bedarf (und zwar durchlässig von Minder- bis Höchstbegabung) sind: Sonder- und IntegrativpädagogInnen!

Sehr geehrte EntscheidungsträgerInnen, bitte "basteln" sie nicht willfährig an einer neuen Bildungsreform - lassen Sie eine solche (wohlüberlegt und besonnen) zu einem Kunstwerk werden, das der Vielfalt der Herausforderungen im Bildungssystem würdig ist!


In diesem Sinne schließe ich mich in Bezug auf: AZ BMB-12.660/0001-Präs.10/2017 folgender Forderung an:

"ZIS und Sonderschulstandorte müssen wegen ihrer administrativen und pädagogischen
Agenden in sonderpädagogischer Kompetenz autonom bleiben und dürfen daher nicht in
einem Clusterverband aufgelöst werden. (§ 27) Im vorliegenden Gesetzesentwurf sehen
wir keine markante, beim einzelnen Kind ankommende Verbesserung, sondern die
Vernichtung der effizienten und hochwertigen Arbeit, die bisher geleistet wurde."

Beste Grüße

Sophie Brodicky