MMag. Dr. Wilfried Grießer

Friedrich Schiller-Straße 83

2340 Mödling

 

 

An das

Bundeskanzleramt - Verfassungsdienst

 

 

Betreff:  Stellungnahme zum Bundesgesetz, mit dem das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 und das Verwaltungsstrafgesetz 1991 geändert werden      

 

 

Als publizierender Philosoph und Buchautor sowie als Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Strafrecht erlaube ich mir, insbesondere zu dem die Meinungsfreiheit massiv tangierenden neuen Passus EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 Stellung zu nehmen:

 

 

Zu EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5

 

Ohne jede breitere vorangegangene öffentliche Diskussion sieht der Begutachtungsentwurf mit EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 eine über den in den letzten Jahren mehrfach (zuletzt erst mit 1.1.2016!) erweiterten Straftatbestand der Verhetzung (§ 283 StGB) hinausgehende Strafbarkeit „diskriminierender“ Äußerungen vor. Obwohl der als Vorbild genannte § 283 (4) StGB bislang kaum (falls überhaupt bereits) angewandt wurde und sohin keineswegs als zureichend evaluiert gelten kann, erfährt er in Gestalt von EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 eine Ausdehnung.

 

Die Erläuterungen sprechen davon, daß die „Verbreitung rassistischer und/oder fremdenfeindlicher Diskriminierungspropaganda“ verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert werden soll.

Daß sich der neue Straftatbestand im Gefolge des schon bestehenden Passus EGVG Art. III Abs. 1 Z. 3 auch auf die Merkmale des Religionsbekenntnisses sowie einer Behinderung bezieht, wird (übrigens auch in der kärglichen medialen Berichterstattung über die Novelle) verschwiegen. Mag die Religionszugehörigkeit in vielen Fällen mit dem Merkmal einer „Rasse“ oder eines „Fremdseins“ einhergehen, so ist dies beim Merkmal einer vorliegenden Behinderung gewiß nicht der Fall.

Gerade beim Merkmal einer Behinderung kann jedoch aus mitunter guten Gründen eine auch rechtliche Ungleichbehandlung (z.B. Erhalt bzw. hinkünftige Wiedereinführung von Sonderschulen) gefordert werden.

 

Internationale Vorgabe?

 

Daß mit EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 eine internationale Vereinbarung umgesetzt werde, suggeriert, daß Österreich zur Aufnahme eines solchen Passus verpflichtet gewesen sei. Dies ist unrichtig. Noch die Erläuterungen zum Ministerialentwurf zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (98/ME XXV. GP) hatten zu § 283 Abs. 4 StGB bemerkt: „Der Entwurf nimmt hier unter Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung sowie dem Ultima-Ratio-Gedanken des Strafrechts davon Abstand, auch die im erwähnten Zusatzprotokoll vorgesehene, aber vorbehaltbare Verbreitung „bloß“ diskriminierenden Materials zu kriminalisieren.“ (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00098/fname_389872.pdf ; Fettsetzung W.G.)

 

Es stellt also eine international nicht geforderte „Fleißaufgabe“ dar, auch bloß „diskriminierende“ Propaganda unter Strafe zu stellen. Die Motive hierfür wird man demnach eher in innenpolitischen Belangen bzw. im Ringen um ideologische „Deutungshoheit“ zu suchen zu haben. Von der Bedachtnahme auf die Meinungsfreiheit ist jetzt jedenfalls nicht mehr die Rede.

 

Unklares Tatbild

 

Kommen wir zum Kernproblem des neuen Passus: Was überhaupt „Diskriminierung“ sei und demnach unter die neue Verwaltungsstrafbestimmung fällt, bleibt auch in den Erläuterungen unpräzisiert.

 

Die Webseite http://www.duden.de bietet zu „diskriminieren“ die folgenden Grundbedeutungen: 

 

-         durch [unzutreffende] Äußerungen, Behauptungen in der Öffentlichkeit jemandes Ansehen, Ruf schaden; jemanden, etwas herabwürdigen

-         (durch unterschiedliche Behandlung) benachteiligen, zurücksetzen;

-         (durch Nähren von Vorurteilen) verächtlich machen

 

Das Bedeutungsfeld von „diskriminieren“ bzw. „Diskriminierung“ ist also äußerst weit und wird von manchen (teilweise aggressiv und feindselig) im öffentlichen Raum agitierenden Gruppen, die sich als „Opfer“ sehen bzw. die sich bemüßigt fühlen, bestimmte pauschal als „Opfer“ klassifizierte Gruppen zu „beschützen“, in einer nur weitergehenden Bedeutung gebraucht.

 

Wenn es nach EGVG Art. III Absatz 1 Z. 3 schon bisher verboten war, „einen anderen aus dem Grund der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung“ zu „diskriminieren“, so handelt es sich dort immerhin um ein konkretes Handeln an einer bestimmten anderen Person und nicht um allgemeine Aussagen über Gruppen bzw. allgemeine Einschätzungen bestimmter Phänomene (z.B. Massenmigration). Diese Deutung wird durch die weitere Formulierung von Z. 3: „oder ihn hindert, Orte zu betreten oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die für den allgemeinen öffentlichen Gebrauch bestimmt sind“ gestützt.

 

Zu befürchten ist, daß sich der neue Passus Z. 5 bei weitem nicht bloß auf solche „Propaganda“ bezieht, die darauf abzielt, bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen den Zugang zu bestimmten Orten oder Dienstleistungen zu verwehren (was übrigens bis 31.12.2011 in Gestalt der „sonstigen feindseligen Handlung“ auch als Inhalt von § 283 StGB gelten konnte).

Vielmehr droht mit dem nirgends näher präzisierten „Diskriminieren“ ein geradezu uferloses Tatbild geschaffen zu werden, was auch durch den Charakter eines Auffangtatbestandes erhärtet wird, alles das zu ahnden, was nicht unter den (ohnedies massiv erweiterten und keineswegs trennscharf formulierten!) § 283 StGB fällt.

Nimmt man die Definition aus dem Duden, so fällt unter „Diskriminierung“ jedenfalls auch sachlich Vorgetragenes, angeblich Gleiches ungleich behandeln zu sollen bzw. angeblich Ungleiches, Benachteiligtes, gleich (und nicht besser) behandeln zu sollen. Eine Beschränkung auf Beschimpfungen u.ä. (die entgegen § 283 StGB bloß nicht die Menschenwürde zu verletzen brauchen) ergibt sich aus der getroffenen Formulierung einer „Diskriminierung“ jedenfalls nicht.

 

Ansiedelung im Verwaltungsstrafrecht

 

Hinzu kommt die schlechtere Rechtsstellung des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren gegenüber einem gerichtlichen Strafverfahren. Die Tatsache, daß anstelle eines Richters ein weisungsgebundener (!) und auf dem sensiblen Gebiet der Sprache nicht näher geschulter Verwaltungsbeamter (der/die kein Studium der Rechtswissenschaften absolviert haben muß, ja nicht einmal Matura haben muß) über eingegangene Anzeigen entscheidet, läßt erwarten, daß Strafverfügungen rein „aus dem Bauch heraus“ ergehen, wenn nicht auf politischen Zuruf. Die Gefahr besteht, daß von medienwirksamen Gruppierungen als „Hetze“ qualifizierte Äußerungen, die strafrechtlich nicht unter den Verhetzungstatbestand fallen, auf bloße Anzeige hin von weisungsgebundenen Beamten unter den neuen Tatbestand subsumiert werden.

Allemal ist eine nähere Darlegung, wodurch genau eine getätigte Äußerung dem neuen Tatbestand entspricht, kaum zu erwarten. (Es heißt dann wohl nur: „Sie haben am ... folgende Äußerung verbreitet: „ ...“ Hierdurch haben Sie folgende Rechtsvorschrift verletzt: ...“ Punkt.)

 

Problematisch ist ferner, daß über Verwaltungsstrafverfahren im Gegensatz zu gerichtlichen Strafverfahren wegen Verhetzung oder NS-Wiederbetätigung kaum öffentlich berichtet wird. Keinerlei Öffentlichkeit erfährt, was genau tatsächlich unter „Diskriminierung“ subsumiert wird, um sich an ergangenen Entscheidungen orientieren zu können. (Ohnedies wird die Linie nicht einheitlich sein und ganz von der jeweiligen Behörde bzw. dem/der jeweiligen Strafreferent/in abhängen.)

Wer von dem neuen Passus belangt wird, wird in den meisten Fällen zähneknirschend 200 oder 400 Euro Verwaltungsstrafe bezahlen und nur selten vor Landesverwaltungsgerichte oder gar vor Höchstgerichte ziehen, um hierdurch Judikatur zu „produzieren“, die der Anwendung des neuen Passus möglicherweise Grenzen setzt. Auf der sicheren Seite ist hinkünftig nur, wer sich über bestimmte Personengruppen gar nicht erst kritisch äußert, denn eine verläßliche Abgrenzung zu zulässiger Kritik ist nicht mehr gegeben.

 

Rechtspolitisch gesehen, ist der neue Passus EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 schlimmer als alle Erweiterungen des Verhetzungsparagraphen: Der Bestrafte bezahlt eine zwar schmerzende, aber nicht existenzbedrohende Summe und staut seine Wut auf den Staat und die Behörden in sich auf. Zugleich werden Andere (oft gerade moderate Kritiker!) schon durch die Existenz dieses neuen Passus eingeschüchtert, um zu kontroversiellen Themen wie etwa der gegenwärtigen Massenmigration zu schweigen. Wer tatsächlich hetzen will, weicht indes jetzt schon zusehends von Facebook, Twitter & Co. auf US-amerikanische oder russische Social Media-Angebote aus, auf die der österreichische Staat keinen Zugriff hat.

 

Fazit: Es ist ausgesprochen gefährlich, einem ohnedies schon sehr weiten und keineswegs trennscharfen Straftatbestand (nämlich § 283 StGB) einen noch weitergefaßten Verwaltungsstraftatbestand vorzulagern, über dessen Anwendung zudem öffentlich kaum berichtet werden wird. Damit fehlt auch ein öffentliches Forum, Entscheidungen zu kommentieren. Jeder weiß, was „Diskriminierung“ sei und was nicht, doch nirgends steht dies nachvollziehbar festgeschrieben.

 

(Im Grunde genommen könnte man sich den neuen Passus EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 genausogut ersparen und „diskriminierende Propaganda“ unter „Störung der öffentlichen Ordnung“ oder Ähnlichem abhandeln. So, wie splitternacktes Auftreten im öffentlichen Raum oder ein öffentlich vollzogener Geschlechtsakt „sich nicht gehört“, ,gehört’ sich auch Diskriminierung nicht ...)

 

Offenbar fehlerhafte Formulierung

 

Blicken wir näher auf den Wortlaut von EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 und vergleichen wir mit dem explizit zum Vorbild genommenen § 283 (4) StGB, so müßte es in Anlehnung an § 283 StGB eigentlich heißen:

 

„schriftliche Materialien, Bilder oder andere Darstellungen von Ideen oder Theorien, die die Diskriminierung von Personen aus den in Z 3 genannten Gründen befürworten, fördern oder dazu aufstacheln, in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise, wodurch diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, in gutheißender oder rechtfertigender Weise verbreitet oder anderweitig öffentlich verfügbar macht“

 

Mit der getroffenen, im Singular gehaltenen Formulierung („befürwortet, fördert oder dazu aufstachelt“) hängt nicht nur (wie schon in der Stellungnahme 6/SN-320/ME bemerkt) der Passus „dazu aufstachelt“ sprachlich in der Luft (wozu werde aufgestachelt?), sondern es entsteht der Eindruck, daß das Befürworten und Fördern (Aufstacheln ergibt hier eben keinen Sinn!) diskriminierender Schriften usw. schon ohne eine breite Öffentlichkeit strafbar sei, und daß außerdem jedes öffentliche Verbreiten von Schriften usw., die Personen diskriminieren, strafbar sei, auch wenn in diesen Schriften selbst keine Befürwortung oder Förderung von Diskriminierung erfolgt, sondern eine Diskriminierung bloß objektiv (bei historischen Schriften womöglich erst aus heutiger Sicht) vorliegt.

Dieser sprachliche Fehler sollte auf jeden Fall bereinigt werden, denn ein Gesetz, das „keinen geraden Satz“ enthält, kann kaum umsichtig exekutiert werden.

 

Ausweitung auf weitere geschützte Gruppen?

 

Eine strikte Absage ist allen (in mehreren bereits eingegangenen Stellungnahmen geäußerten) Anliegen zu erteilen, auch das Merkmal des Geschlechts sowie der sexuellen Orientierung in den neuen Verwaltungsstraftatbestand mitaufzunehmen. Ohne Umschweife wäre es in diesem Fall strafbar, öffentlich für die Abschaffung der Fremdkindadoption durch homosexuelle Paare oder für die Abschaffung der Samenspende für lesbische Paare einzutreten, ja dies beides auch nur zu kritisieren und hierdurch „Diskriminierung“ zu befürworten. Nicht bloß völkisch-rassistische, sondern auch konservative Positionen wären hierdurch mit einem Mal strafbewehrt, obwohl es gute Gründe gibt, Kindern die Polarität gegengeschlechtlicher Elternteile nicht von Haus aus und gewollt vorzuenthalten.

Ein gleicher Schutz aller Gruppen wäre übrigens auch mit einer diesbezüglichen Angleichung an § 283 StGB nicht gegeben, darf doch z.B. gegen Unternehmer weiterhin auch offen zu Gewalt aufgerufen werden. Vor diesem Hintergrund die Samenspende für lesbische Paare nicht einmal mehr sachlich für falsch befinden zu dürfen, entbehrte jeder Verhältnismäßigkeit.

 

Verhältnis zu § 283 StGB

 

Was die künftige Anwendung von EGVG Art. III Abs. 1 Z. 5 betrifft, scheinen mit Blick auf den bestehenden Verhetzungstatbestand mehrere Szenarien denkbar:

 

Szenario eins: Es kommt tatsächlich zu einer uferlosen Ausweitung an Strafbarkeit, zusätzlich zu den schon bisher (und weiterhin) geführten Gerichtsverfahren wegen Verhetzung.

Szenario zwei: Handlungen, die bisher gerichtlich nach § 283 StGB geahndet wurden, fallen in vielen Fällen künftig ins Verwaltungsstrafrecht, was auch einer Entlastung der Staatsanwaltschaften und Gerichte dienen kann. Zwar scheinen Haß und Gewalt einerseits und bloße Diskriminierung andererseits klar voneinander abgegrenzt, doch liegt diese Klarheit in Bezug auf konkrete Anwendungsfälle oft nur in den Worten. Tatsächlich wird man in vielen Fällen von ein und derselben Äußerung veranschlagen können, daß sie zu Haß aufreize, wie auch, daß sie bloß diskriminiere.

Szenario drei: In Anbetracht dieser faktischen Abgrenzungsprobleme ist mit der Subsidiarität gegenüber § 283 StGB auch denkbar, daß der neue Verwaltungsstraftatbestand ein Schattendasein neben § 283 StGB führen wird, wie dies längst bei EGVG Art. III Abs. 1 Z. 4 (Verbreitung von NS-Gedankengut) der Fall ist. Hingegen steigt die Zahl der Anklagen und Verurteilungen nach dem NS-Verbotsgesetz stetig und betrifft immer öfter auch bislang unbescholtene und unauffällige Personen, die ohne jede rechtsradikale Vernetzung und ohne „einschlägigen“ Besitz – auch jenseits von Facebook & Co. – für eine einzige (nicht selten in Rage getätigte) singuläre Äußerung als Verbrecher verurteilt werden.

 

 

* * * *

 

 

Abschließend sei noch kursorisch auf weitere Punkte des Begutachtungsentwurfs eingegangen:

 

Zu § 34a VStG

 

Ist die Sicherstellung einer Identitätsfeststellung von „Schwarzfahrern“ das vordringliche Problem, könnte die Formulierung sich getrost auf genau diese Situation beschränken, um Bedenken in Richtung einer ausufernden Praxis polizeilicher Identitätsfeststellung Rechnung zu tragen.

 

Zu § 47 Abs. 2 VStG

 

Die Möglichkeit eines einheitlichen Strafenkatalogs läßt eine Orientierung an den jeweils höchsten bisherigen Strafen befürchten. Die Strafen z.B. für Verkehrsdelikte werden durch einen einheitlichen Strafenkatalog eher steigen.

 

Zu § 49a Abs. 10 VStG

 

Nicht wenige werden vermutlich hinkünftig 40,01 Euro, 70,01 Euro und ähnliche Beträge überweisen, um der Behörde als „Rache“ für eine ergangene Anonymverfügung möglichst hohen Arbeitsaufwand zu bescheren. Hier sollte eine Geringfügigkeitsgrenze eingezogen werden, um nicht Bagatellbeträge bis hinab zu 1 Cent zurückzahlen zu müssen.

(Oder gedenkt man, die Einzahlung von 40,01 Euro anstelle von 40 Euro hinkünftig als „staatsfeindlichen“ Akt nach § 246a StGB zu ahnden?)

 

 

 

 

Hochachtungsvoll,

Dr. Wilfried Grießer.