Stellvertreter des

Rechtsschutzbeauftragten nach der StPO

 

Hon.-Prof. Dr. Elmar Puck

Senatspräsident des VwGH i.R.

 

 

Wien, am 21. Juli 2017

 

Geschäftsstelle beim Obersten Gerichtshof

Justizpalast

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An das

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1070 Wien

 

 

Betrifft:               Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 geändert wird

                               (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2017)

                               Stellungnahme

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

 

Der Entwurf der oben genannten Änderungen der StPO gibt Anlass zu nachstehenden Bemerkungen:

 

1.) Zu § 147 Abs 3a erster Satz StPO:

 

Diese Bestimmung bringt die Rückkehr zu einer – ausdrücklichen – Verankerung der Befugnis des Rechtsschutzbeauftragten (im Folgenden auch: RSB) zu einer begleitenden Kontrolle bei der Durchführung eines großen Späh- und Lauschangriffes und nunmehr bei der Überwachung verschlüsselter Nachrichten.

In der StPO in ihrer Fassung aus 1998 war eine solche begleitende Kontrolle in § 149o Abs 1 wie folgt vorgesehen:

„(1) Dem Rechtsschutzbeauftragten obliegt die Prüfung und Kontrolle der Anordnung und Durchführung einer optischen oder akustischen Überwachung nach § 149d Abs. 1 Z 3 und eines automationsunterstützten Datenabgleichs nach § 149i. Zu diesem Zweck haben ihm Gerichte, Staatsanwaltschaften und Sicherheitsbehörden jederzeit Akteneinsicht zu gewähren und sind ihm auf sein Verlangen Abschriften (Ablichtungen) einzelner Aktenstücke unentgeltlich auszufolgen und alle Auskünfte zu erteilen. Es ist ihm Gelegenheit zu geben, die Durchführung der erwähnten besonderen Ermittlungsmaßnahmen zu überwachen, und es ist ihm jederzeit Zutritt zu allen Räumen zu gewähren, in denen Aufnahmen oder sonstige Überwachungsergebnisse aufbewahrt werden oder der Datenabgleich durchgeführt wird.“

Die StPO-Novelle BGBl I 2001/130 brachte in § 149o Abs 1a eine Ausdehnung dieser Befugnisse auf den sog. kleinen Lauschangriff, der gegen eine zur Aussageverweigerung berechtigte Person (nach StPO und MedienG) gerichtet war.

Durch die StPO-Novelle BGBl I 2002/134 wurden „im Sinne eines verstärkten Rechtsschutzes“ (so die ErläutRV 166 BlgNR 21. GP) die Kontroll- und Rechtsmittelbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten auf den Bereich der Überwachung der Telekommunikation eines Medienunternehmens und eines (tatverdächtigen) Berufsgeheimnisträgers ausgedehnt. § 149o Abs 1a StPO in der genannten Fassung lautete bis zum 31.12.2007:

„(1a) Gerichte, Staatsanwaltschaften und Sicherheitsbehörden haben dem Rechtsschutzbeauftragten zum Zweck der Wahrnehmung seiner Befugnisse nach Abs. 1“ [dieser enthielt den damaligen Aufgabenkatalog] „jederzeit Akteneinsicht zu gewähren und ihm auf sein Verlangen Abschriften (Ablichtungen) einzelner Aktenstücke unentgeltlich auszufolgen und alle Auskünfte zu erteilen. Es ist ihm Gelegenheit zu geben, die Durchführung der erwähnten besonderen Ermittlungsmaßnahmen zu überwachen, und es ist ihm jederzeit Zutritt zu allen Räumen zu gewähren, in denen Aufnahmen oder sonstige Überwachungsergebnisse aufbewahrt werden oder der Datenabgleich durchgeführt wird.“

 

Diese Umschreibung der Kontrollbefugnisse, im Besondren der begleitenden Kontrolle, war in der seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung der StPO nicht mehr enthalten.

Der Rechtsschutzbeauftragte hat sich nach dem 1.1.2008 in der Praxis darauf gestützt, dass ihm nach § 147 Abs 1 StPO ganz allgemein die Prüfung und Kontrolle nicht nur der Anordnung, Bewilligung und Genehmigung, sondern auch der Durchführung obliegt. Er hat sich durch den Wegfall des § 149o Abs 1a StPO in der bis zum 31.12.2007 gegoltenen Fassung in den Mitteln seiner Überprüfung und Kontrolle der normativen Akte wie auch der tatsächlichen Durchführungshandlungen nicht als eingeschränkt erachtet.

Eine Präzisierung und Außerstreitstellung einzelner Mittel dieser Kontrolle ist gewiss zu begrüßen. Es sollte aber im Sinne eines effizienten Rechtsschutzes klargestellt werden, dass die im Entwurf vorgeschlagene Gesetzesbestimmung nicht als eine einschränkende und abschließende Regelung der Kontrollbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten aufgefasst werden darf. Wenn es im vorgeschlagenen § 147 Abs 3a StPO heißt, dem RSB sei jederzeit Gelegenheit zu geben, sich von der Durchführung … einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, und nach einem Strichpunkt fortgefahren wird: „; dazu steht ihm die Einsicht in alle Akten, Unterlagen und Daten offen, die der Dokumentation der Durchführung dienen“, dann könnte dies als eine solche Einschränkung gelesen werden. Eine persönliche Kontrolle an Ort und Stelle (siehe die seinerzeitigen Vorgängerbestimmungen), im Besonderen auch unter Heranziehung eines Sachverständigen, sollte nicht ausgeschlossen sein.

Es wird daher die Einfügung des Wortes/der Worte „insbesondere“ oder „im Besonderen“ in den zweiten Halbsatz des § 147 Abs 3a erster Satz StPO nachdrücklich angeregt.

Jedenfalls sollte wohl auch der Datenabgleich in den ersten Halbsatz des § 147 Abs 3a StPO aufgenommen werden (siehe schon die Regelung aus 1998).

 

2.) Zu § 147 Abs 3a dritter Satz StPO

 

Nach dieser Bestimmung des Entwurfes soll der RSB zum Zweck der Durchführungs- und Ergebniskontrolle nach Maßgabe der §§ 126 und 127 StPO auch die Beiziehung eines Sachverständigen verlangen können. Der Sachverständige ist gemäß § 126 Abs 3 StPO im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft zu bestellen (Erläuterungen S. 12).

Zutreffend wird im Entwurf davon ausgegangen, dass eine effektive Durchführungs- und Ergebniskontrolle – letztere schließt eine Kontrolle der Vernichtung von Ergebnissen (Löschung von Daten) nach § 147 Abs 4 iZm § 139 Abs 4 StPO ein – in vielen Fällen eine sachverständige Befundung des tatsächlichen Geschehens und entsprechende Schlussfolgerungen voraussetzt.

Es erscheint nun aber mit einer wirksamen und in der Öffentlichkeit akzeptierten Kontrolle durch den unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten nicht vereinbar, wenn das Ob der Bestellung eines Sachverständigen, seine Auswahl und möglicher Weise auch der Umfang seiner Betrauung nicht dem Rechtsschutzbeauftragten selbst oder einem anderen unabhängigen Organ, sondern dem kontrollierten Staatsorgan obliegt. Letzteres hätte es faktisch in der Hand, in nicht unerheblichem Maß Einfluss auf die Art der Kontrolle und deren Ergebnisse zu nehmen. Da es sich (auch) um Maßnahmen der begleitenden Kontrolle handelt, kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass der RSB gegen die gänzliche oder teilweise Abweisung seines Verlangens (Antrages) Rechtsmittel ergreifen könne. Eine IT‑fachlich fundierte Kontrolle könnte diesfalls zu spät kommen.

Es wird daher vorgeschlagen, die Befugnis zur Bestellung eines Sachverständigen dem RSB selbst oder dem Gericht zu übertragen.

Einer Übertragung der Sachverständigenbestellung durch das Gericht auf Verlangen des RSB stünden zumindest nicht jene Bedenken entgegen wie einer Bestellung durch die Staatsanwaltschaft, wird das Gericht doch selbst als eine Kontrolleinrichtung bei der Bewilligung der Anordnung tätig (mag sich auch das Rechtsmittel der Beschwerde des RSB gegen die Bewilligung richten) und ist in die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme nicht involviert.

Es sei auf einen vergleichbaren Fall hingewiesen, in welchem der RSB als das zur Kontrolle berufene Organ von einer Entscheidung des kontrollierten Organs über Umstände der Kontrolle abhängig war: Nach § 194 Abs 3 letzter Satz StPO idF BGBl I 2010/108 sollte die StA dem RSB auf sein (innerhalb von 14 Tagen ab Einlangen des Ermittlungsaktes gestelltes) Verlangen für die Einbringung eines Fortführungsantrages eine angemessene, sechs Monate nicht übersteigende Frist setzen. Mit der StPO-Novelle BGBl I 2012/29 wurde diese Entscheidungsbefugnis der StA beseitigt und die Frist mit 6 Monaten ab Einlangen des Ermittlungsaktes bestimmt.

 

3.) Zu § 147 Abs 4 StPO

 

Was im § 147 Abs 3a erster Satz StPO idF des Entwurfes für die begleitende Kontrolle vorgesehen ist, wird nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle auf die Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahme erstreckt. Mit der Kontrolle der Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahme nach deren Beendigung befasst sich der bestehende § 147 Abs 4 StPO.

In diesem Zusammenhang soll nun nicht unerwähnt bleiben, dass der mit 1.1.2008 erfolgte Wegfall der Verpflichtung der Ermittlungsbehörden nach §149o Abs 4 StPO (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung), dem RSB zugleich mit der Eröffnung der Einsichts- und Anhörungsmöglichkeit der Ergebnisse einen Bericht nach § 149g Abs 2 zu übermitteln, die praktische Kontrolltätigkeit unnötig erschwert (notwendige Aufforderungen der StA zur Vorlage der entsprechenden Zwischen- oder Abschlussberichte, häufige Urgenzen).

Eine von den Staatsanwaltschaften aus eigenem zu beachtende Verpflichtung zur Vorlage eines den Kriterien des seinerzeitigen § 149g Abs 2 StPO entsprechenden Berichtes wäre zweckmäßig und zeitsparend; ihre Aufnahme in den § 147 Abs 4 StPO wurde vom RSB‑Stv auch bereits (in den JB betr die Auskünfte über Vorratsdaten) angeregt.

 

4.) Zu § 140 Abs 1 Z 2 StPO

 

Die Ergänzung der Aufzählung des § 140 Abs 1 Z 2 StPO durch § 135a (Überwachung verschlüsselter Nachrichten) wird begrüßt (Verwendungsverbot nicht ordnungsgemäß angeordneter und bewilligter Ermittlungsmaßnahmen). Es erscheint damit auch der Umfang der Befugnis des Rechtsschutzbeauftragten nach § 147 Abs 4 zweiter Satz StPO – hinsichtlich der gegenständlichen Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten ‑ klargestellt, wonach der RSB berechtigt ist, die Vernichtung von Ergebnissen oder Teilen von ihnen (§ 139 Abs 4 [betreffend Ergebnisse, die für ein Strafverfahren nicht von Bedeutung sein können oder als Beweismittel nicht verwendet werden dürfen]) zu beantragen und sich von der ordnungsgemäßen Vernichtung dieser Ergebnisse zu überzeugen.

 

5.) Zu § 138 Abs 1 Z 3 StPO

 

Durch die Streichung der Bezugnahme auf das „Endgerät“ in dieser Bestimmung wird der Gesetzgeber zur Klarheit der einfach-gesetzlichen Rechtslage, was die Zulässigkeit der „Funkzellenabfrage/Funkzellenauswertung“ anlangt, beitragen.

Die zu dieser Frage getroffene Entscheidung des OGH vom 15.3.2015, 12 Os 93/14i, erging erst nach Wegfall der Rechtsgrundlagen der Vorratsdatenspeicherung. Durch diesen Wegfall ist die Judikaturdivergenz, die aus Anlassfällen im Bereich der Vorratsdaten über Beschwerden des RSB im Jahr 2013 entstanden war (die OLG Linz, Wien und Graz waren dem Rechtsstandpunkt des RSB gefolgt), für diesen Anwendungsbereich obsolet geworden. In der Annahme, es hätte sich bei dem an den OGH mit Wahrungsbeschwerde nach dem 1.7.2014 herangetragenen Fall um keinen Fall einer Auskunft über Vorratsdaten gehandelt, hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass die Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung, die an der Standortkennung anknüpfe („Funkzellenabfrage“) unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes in § 135 Abs 2 StPO Deckung finde.

Schon aus dieser Entscheidung, nunmehr aber auch aus dem Entwurf-Text folgt, dass eine „Funkzellenabfrage“, deren Gegenstand Betriebsdaten sind, als eine zulässige Ermittlungsmaßnahme beurteilt wird und eine derartige Abfrage/Auswertung – nach Wegfall der Vorratsdatenauskünfte – in jedem Fall der Kontrolle durch den RSB entzogen ist. Dazu sei betont, dass die Beschwerden des RSB in keinem einzigen Fall zur Gänze abgewiesen worden waren, denn auch in den Fällen, in denen das OLG Innsbruck die Maßnahme – entgegen der Rechtsauffassung des RSB – grundsätzlich als zulässig ansah, gelangte es zur Aufhebung der erstgerichtlichen Bewilligungen wegen Unverhältnismäßigkeit, Verletzung der Konkretisierungspflicht oder krassen Begründungsmangels.

Der gefertigte RSB-Stellvertreter ist nach wie vor der Auffassung, dass die „Funkzellenabfrage“ ein rechtliches aliud im Verhältnis zu einer Rufdatenrückerfassung, die an eine konkrete (mit der Verdachtstat in einer unmittelbaren oder mittelbaren Verbindung stehende) technische Einrichtung anknüpft, die Ursprung oder Ziel der Übertragung von Nachrichten war oder sein wird (§ 138 Abs 1 Z 1 StPO), ist. Bei der „Funkzellenabfrage“ hingegen wird diese konkrete Einrichtung erst gesucht und erst aus einer sehr großen Zahl von erfassten Telekommunikationsvorgängen (hunderten, manchmal tausenden), die nur nach Ort und Zeitraum bestimmt sind und die möglicherweise zur Gänze mit der Tat und den Beschuldigten in überhaupt keiner (auch nicht mittelbaren) Beziehung stehen, durch Ausschlussmethoden herauszufiltern versucht.

Wohl um diesen sachlichen Unterschieden Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber in Deutschland dafür eine besondere gesetzliche Grundlage vorgesehen (§ 100g Abs 3 dt. Strafprozessordnung – strengere Voraussetzungen, hinsichtlich bestimmter Daten Straftatenkatalog).

Wegen der hervorgehobenen Besonderheit, des Gewichtes und der Reichweite der Ermittlungsmaßnahme der sog „Funkzellenabfrage“, sollte ihr Einsatz auch bei uns auf besonders schwere Straftaten beschränkt werden (etwa wie die Überwachung verschlüsselter Nachrichten nach § 135a Abs 1 Z 3 StPO idF des Entwurfes) und ihre Kontrolle durch den RSB nicht ausgeschaltet sein.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Elmar Puck, RSB-Stv, e.h.