An das

Präsidium des Nationalrates

 

im Wege der

Oberstaatsanwaltschaft Wien

 

 

 

Betrifft:          Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 geändert wird                                  (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2017) – Begutachtungsverfahren;

                        Erlass der Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 11.7.2017,

                        Jv 6202/17v-02.

 

 

 

 

 

            Zu ausgewählten Punkten des im Betreff genannten Gesetzesvorhabens wird wie folgt Stellung genommen:

            Vorweg darf festgehalten werden, dass von ha. den in den Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf dargestellten, umfassenden und - nach ha Auffassung - überzeugenden Ergebnissen der in der Zeit von August 2016 bis Februar 2017 mit der rechtlichen Zulässigkeit und rechtsvergleichenden Aspekten der nunmehr in Aussicht genommenen Adaptierungen der Ermittlungsbefugnisse nach der StPO befassten Expertengruppe nichts hinzugefügt werden kann und im Folgenden lediglich auf praktische Bedarfsfragen und deren Relevanz für die Handlungsfähigkeit der staatlichen Ermittlungsbehörden eingegangen werden soll.

            Allgemein bemerkt wird vorab weiters, dass die bisher geübte und zulässige Überwachung der Telekommunikation  (§ 134 Z. 2 und Z. 3 StPO) in der Wahrnehmung der der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht gemäß § 3 Abs. 1 StPO übertragenen Aufgaben gerade bei  Aufklärung von Straftaten im Bereich der organisierten und/oder schweren Kriminalität einen wesentlichen - aktuell aber sinkenden - Beitrag leistete. Ein maßgeblicher Grund für diese rückläufigen Erfolge der herkömmlichen „Telefonüberwachung“ liegt nach ha. Wahrnehmung auch darin, dass Beschuldigte ihre Kommunikationsstrategien nunmehr auf den attraktiven Möglichkeiten der internetbasierten Kommunikation (Internettelefonie, Messengerdienste) aufbauen. Dieser Umstand zeigt sich nach ha. Wahrnehmung schon klar darin, dass organisierte Tätergruppen (im ha. Bereich vor allem Mitglieder von Schlepperorganisationen) für die tatbegleitende Kommunikation nur mehr im „Notfall“ auf die herkömmliche Telefonie, nämlich dann, wenn Empfangssicherheit der Internettelefonie und entsprechender Messengerdienste nicht gewährleistet ist (zB. Schlepperfahrt auf einer Route mit nicht durchgehendem Internet-Empfang), zurückgreifen. Hingegen ergeben sich aus zahlreichen Verfahren wegen organisierter Kriminalität im Bereich des Suchtmittelhandels und der Schlepperei massive Hinweise darauf, dass die verdächtigen Tätergruppen für die zur Tatvorbereitung und -abwicklung erforderliche Kommunikation in der Regel  internetbasierte Plattformen (Whatsapp, Facebook Messenger, Threema, Viber,....) verwenden. Ein Gefühl für die Qualität der den staatlichen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden durch die bislang nicht gegebene Befugnis zu einer zeitnahen (wie in § 135 Abs. 2 und 3 StPO für die herkömmliche Telekommunikation vorgesehenen) Überwachung dieser Kommunikation entgangenen Verdachts- und Ermittlungsansätze lässt sich vor allem in den Fällen gewinnen, wo im Nachhinein Endgeräte, über die eine solche Kommunikation abgewickelt wurde (zB Mobiltelefone oder Tabletts), sichergestellt und – nach Überwindung der Zugangsverschlüsselung – die entsprechenden - bis dahin nicht gelöschten - Threads ausgewertet werden können; daraus lassen sich in der Regel für die Beweisführung (insbesondere auch zur subjektiven Tatseite) sehr gehaltvolle Ergebnisse herausdestillieren. Berücksichtigt man dabei aber überdies den Umstand, dass eine technische Überwindung der Zugangsverschlüsselung der Endgeräte in vielen Fällen (zB I-Phone) gar nicht möglich und eine ex-post Sicherung verdachtsrelevanter Kommunikationsdaten zumeist nur auf individuelle Fehlleistungen tatverdächtiger Personen zurückzuführen ist, ergibt sich nach ha. Einschätzung, dass die aktuellen Ermittlungsbefugnisse nach der StPO eine zuverlässige und nachhaltige Wahrnehmung staatlicher Ermittlungsbefugnisse im Bereich der internetbasierten Kommunikation (Internettelefonie und Messengerdienste) – von den bereits dargestellten Ausnahmefällen abgesehen – kaum (jedenfalls nicht in einer mit der herkömmlichen Telefonie vergleichbaren Intensität) zulassen und somit in diesem Bereich eine umfassende Wahrnehmung der gemäß § 3 Abs. 1 StPO vorgesehenen Aufgaben praktisch unmöglich ist.

            Dieses im nunmehrigen Gesetzesentwurf (neuerlich) erkannte und und nach ha. Auffassung einer ausgewogenen Lösung zugeführte staatliche Ermittlungsdefizit reduziert - in den ha. zu bearbeitenden Fällen vor allem im Bereich der organisierten und/oder schweren Schlepper- und Suchtmittelkriminalität - die Handlungsfähigkeit der Ermittlungsbehörden - und damit mittel- und langfristig insbesondere wohl auch die öffentliche Wahrnehmung betreffend die Konsequenz der staatlichen Rechtsdurchsetzung - maßgeblich.

            Dem entsprechend wird von ha. das mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2017 unternommene Vorhaben einer zeitgemäßen (gleichzeitig aber möglichst technikneutralen) Ausgestaltung der staatlichen Ermittlungsbefugnisse ausdrücklich und uneingeschränkt begrüßt und auf einzelne Punkte unter Bezugnahme auf ihre Benennung in den Erläuterungen ergänzend eingegangen wie folgt:

 

zu 1)a) PUK-Code:

            Wie bereits dargestellt, zählt ein möglichst zeitnaher Zugang zu sichergestellten Mobiltelefongeräten und deren rasche Auswertung zu den Herausforderungen eines konzentrierten Ermittlungsverfahrens. Allein die Tatsache, dass nach aktueller Rechtslage für in ihrer Eingriffsintensität vergleichbare Abfragen an die Provider betreffend Stammdaten und betreffend den PUK unterschiedliche Anordnungen an denselben Betreiber zu richten sind, führt zu einem - der Sache nach nicht gerechtfertigten - Mehraufwand in den Ermittlungen sowie zu einem - durch die in der Anordnung gem. § 110 StPO betreffend den PUK gebotene Offenlegung des Tatverdachtes an die Provider eröffneten – massiven Rechtsschutzdefizit für den von der Maßnahme betroffenen Anschlussinhaber, dem nach ha. Auffassung kein Mehrwert (betreffend Verfahrenseffizienz oder Rechtsschutz Betroffener) gegenübersteht.

            Die Aufnahme des PUK in die von den Providern unter den Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 StPO zu beauskunftenden Daten wird daher von ha. ausdrücklich begrüßt. Die Eingriffsintensität einer solchen (in Aussicht genommenen) Gesetzesänderung wäre nach ha. Auffassung aber auch schon deshalb äußerst begrenzt, weil damit ohnedies lediglich der seitens der Provider bereitgestellte  Schutzmechanismus der SIM-Karte, nicht aber vom Geräteinhaber anderwärtig gesetzte Schutzmaßnahmen durchbrochen werden können.

 

zu 1)b) IMSI-Catcher:

            Seit Entwicklung des Mobiltelefonnetzes erwies sich in der Ermittlungstätigkeit betreffend schwere Straftaten (zB wg. §§ 142f StGB) die Lokalisation von Mobiltelefonanschlüssen mittels ihrer IMSI-Daten, insbesondere durch eine sogenannte „Funkzellenabfrage“, als äußerst erfolgreiches Ermittlungsinstrument. So trug nach der Erinnerung des Verfassers dieser Stellungnahme diese Maßnahme ganz wesentlich zur Klärung mehrerer schwerer Raubtaten bei. Die über die Zulässigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme nach 2008 aufgetretene (insbesondere durch im Lichte des § 5 Abs. 1 StPO ausgelöste unterschiedliche Interpretationen zum Umfang der in §§ 134 Z 2, 135 Abs. 2 StPO eingeräumten Ermittlungsbefugnisse entstandene) Rechtsunsicherheit wurde durch die Rechtssprechung eindeutig geklärt (12 Os 93/14i, 12 Os 94/14m) und die Lokalisation von technischen Geräten mittels Einrichtungen des Mobiltelefonnetzes unter den ohnedies sehr strengen Voraussetzungen der StPO für zulässig erklärt.

            Die nunmehr angestrebte Schaffung eines eigenen - sich nicht mehr auf die Einrichtungen von Mobilnetzbetreibern beschränkenden - Tatbestandes „Lokalisierung einer technischen Einrichtung“ in § 134 Z. 2a StPO samt den entsprechenden Durchführungs- und Rechtsschutzbestimmungen wird von ha. ausdrücklich begrüßt. Dem dadurch der Effizienz der staatlichen Ermittlungsarbeit nachhaltig zukommenden Mehrwert stehen nach ha. Auffassung aufgrund der für sämtliche Ermittlungsmaßnahmen nach § 134 StPO langjährig bewährt geltenden und von den Ermittlungsbehörden angewandten hohen Rechtsschutzstandards (siehe insbesondere §§ 137ff StPO) keinerlei Rechtsschutzbeeinträchtigungen gegenüber.

 

zu 1) c) und e) Überwachung verschlüsselter Nachrichten:

            Hiezu darf zunächst auf die dieser Stellungnahme vorangestellten allgemeinen Überlegungen hingewiesen und vertiefend auf die bisherigen praktischen Erfahrungen zur – in ihrem Ermittlungsziel faktisch - inhaltsgleichen Überwachung von Nachrichten wie folgt eingegangen werden. Daraus ergibt sich nämlich, dass trotz der den langjährigen Bestand der StPO bildenden Möglichkeit zur „Telefonüberwachung“ von dieser Möglichkeit nach ha. Wahrnehmung seit je her nur äußerst maßhaltend Gebrauch gemacht wurde. Die aus ha. Sicht dafür maßgeblichen Gründe lagen insbesondere in dem Bestreben, diese Ermittlungsbefugnisse unter Bedachtnahme auf die verfügbaren Ressourcen möglichst effizient unter strenger Wahrung der Grundsätze der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit auszuüben. Dazu verdeutlichend ist auszuführen, dass die synchrone Überwachung mehrerer Telefonanschlüsse, die zeitnahe Erfassung und Auswertung der Gespräche (allenfalls unter Beiziehung von Dolmetscher*innen), deren Dokumentation und Umsetzung in den weiteren Ermittlungen, die Wahrung aller Informations- und Einsichtsrechte sowie die besonderen Modalitäten der Aktenführung (§ 145 StPO) den gesamten Ermittlungsapparat in einem  Ausmaß belasten, das diese Anordnung und Durchführung dieser Maßnahmen wirklich nur in besonderen (allen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit in der Regel jedenfalls entsprechenden) Fällen erlaubt. Trotz dieser äußerst selektiven Ausübung der Befugnisse nach § 134 Z. 3 StPO wurde neben den dadurch erzielten Ermittlungserfolgen schon allein durch die Zulässigkeit von deren Einsatz auch in generalpräventiver Hinsicht der Erfolg erzielt, dass wegen des damit verbundenen Betretungsrisikos die reguläre, herkömmliche  Telekommunikation als Kommunikationsmittel von Tätergruppen zunehmend gemieden und auf andere Kommunikationsmittel „ausgewichen“ wurde (Wertkartentelefon, verschlüsselte Telefone, Cloud-Dienste,....).  All diesen Ersatzkommunikationsmitteln war gemein, dass ihr Einsatz mit beträchtlichem organisatorischen oder auch finanziellen Zusatzaufwand verbunden war, die die „administrativen Kosten“ von Tätergruppen zum Teil beträchtlich erhöhten.  Demgegenüber sind die im Fokus der nunmehr angestrebten Gesetzesänderung stehenden Internet-Kommunikationsdienste zumeist gratis und schnell downloadbar. Mit einer unfassbaren globalen Erreichbarkeit (Facebook mehr als 2 Milliarden, Whatsapp mehr als 1 Milliarde, Viber 800 Millionen Nutzer*innen) eröffnen diese internetbasierten Kommunikationsdienste Tätergruppen eine günstige und - aufgrund der geltenden Rechtslage - praktisch mit keinem strafrechtlichen Entdeckungsrisiko kontaminierte Kommunikationsalternative, die wie bereits dargestellt, auch tatsächlich zur Planung, Organisation und Durchführung schwerer Straftaten genutzt wird. Nicht nur aus ermittlungstechnischer sondern auch aus – allerdings nicht im Kern des ha. Aufgabenbereichs stehender - kriminalpolitischer Sicht erschiene nach ha. Auffassung die dauerhafte Fortschreibung des aktuellen Zustandes, wonach die Überwachung eines für massiv kriminelle Zwecke verwendeten Endgerätes nur in Ansehung der herkömmlichen Telefonieanwendungen, nicht aber in Bezug auf andere internetbasierte Kommunikation zulässig sein könnte, kaum nachvollziehbar.

            Es ist dem Verfasser dieser Stellungnahme bewusst, dass bei Umsetzung dieses Gesetzesvorhabens die verfügbaren Ressourcen lediglich eine äußerst selektive Durchführung dieser Maßnahme in nur wendigen Verfahren zulassen würden; dennoch könnte unter Berücksichtigung der bereits dargestellten präventiven Effekte mit der Schaffung auf die internetbasierte Telekommunikation zielender Ermittlungsbefugnisse der Handlungsspielraum von kriminellen Organisationen maßgeblich eingeschränkt, überdies in konkreten  Anwendungsfällen die staatliche Beweissicherung und -führung maßgeblich unterstützt sowie fallbezogen sogar auch Schäden bei im Fokus von der Überwachung betroffener Beschuldigter stehender Opfer abgewendet werden.

            Aufgrund der im Gesetzesentwurf angestrebten Beschränkung dieser Maßnahmen auf äußerst massive Verdachtsfälle, der mit der (zuletzt auch im Bereich der Kronzeugenregelung und der Whistleblower-Regelung erfolgreich eingesetzten) Befristung und Evaluierung ohnedies vorgesehenen Qualitätssicherung sowie des für die Überwachungsmaßnahmen umfassenden geregelten und bei anderen Maßnahmen bereits bewährten Rechtsschutzes stehen nach ha. Auffassung den mit der Umsetzung dieses Gesetzesvorhabens angestrebten positiven Effekten keine zu befürchtenden nachteiligen Auswirkungen entgegen. Exemplarisch für den umfassenden Rechtsschutz aller Betroffener darf hier auf die in Aussicht genommene strenge Regelung betreffend den Umgang mit Zufallsfunden gemäß § 140 Abs. 1 StPO sowie den besonderen Schutz von Berufsgeheimnisträgern hingewiesen werden.

            Zusammenfassend wird somit das - für die nachhaltige Absicherung einer effizienten staatlichen Strafverfolgung und einer zeitgemäßen Handlungsfähigkeit der Ermittlungsbehörden nach ha. Auffassung im Grunde alternativlos erscheinende - Gesetzesvorhaben der Erweiterung der Überwachungsbefugnisse auch auf internetbasierte Telekommunikation ausdrücklich begrüßt.

 

Zu 1)d) Beschlagnahme von Briefen:

            Die dem Gesetzesentwurf zugrunde liegende Annahme, wonach Briefsendungen zunehmen auch für kriminelle Zwecke missbraucht werden, wird von ha. ausdrücklich bestätigt; es wurden mehrere Fälle bekannt, in denen via Internet bestellte verbotene Substanzen nach dem SMG oder dem Anti-Doping-Bundesgesetz 2007 auf diese Weise zur Versendung gelangten. Die mit dem Gesetzesvorhaben angestrebte Erleichterung der Beschlagnahme solcher Sendungen wird von ha. daher ausdrücklich begrüßt.

 

Zu 1)f) akustische Überwachung von Personen in Fahrzeugen:

            In einigen ha. in Zusammenarbeit mit deutschen Behörden geführten Ermittlungsverfahren wurden durch die in Deutschland unter dort weniger strengen gesetzlichen Voraussetzungen durchgeführten akustischen Überwachungsmaßnahmen in Fahrzeugen Ermittlungserfolge erzielt, weshalb die mit dem Gesetzesentwurf angestrebte Anpassung der mit dieser Maßnahme verbundenen Rechtsschutzstandards an die Qualität der damit verbundenen Grundrechtseingriffe (Hausrecht wird damit nicht tangiert) und die dadurch erleichterte Anwendbarkeit dieser im Praxiseinsatz bewährten Maßnahme von ha. ausdrücklich begrüßt wird.

 

 

Staatsanwaltschaft Eisenstadt

Eisenstadt, 09.08.17

Mag. Johann Fuchs LL.M. (WU), Leitender Staatsanwalt

 

Elektronische Ausfertigung
gemäß § 79 GOG