89/SPET XXV. GP

Eingebracht am 12.02.2016
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Stellungnahme zu Petition

Univ.-Prof.in Dr.in

Barbara Leitl-Staudinger

Institutsvorständin

Institut für Multimediales Öffentliches Recht

 

T +43 732 2468 1930

F +43 732 2468 1939

barbara.leitl-staudinger@jku.at

 

 

 

 

 

 

 

 

An die

Parlamentsdirektion

 

Per E-Mail an

NR-AUS-PETBI.Stellungnahme@parlament.gv.at

 

 

 

Ausschussfeststellung vom 23.11.2015, Zl.: 17010.0020/49-L1.3/2015; Einholung einer Stellungnahme betreffend Petition 40 "Stimmrecht für Pensionisten in den Organen der Selbstverwaltung im Bereich der Krankenversicherung"

 

 

 

Mit Schreiben vom 23.11.2015, Zl.: 17010.0020/49-L1.3/2015 wurde ich vom Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen ersucht, eine schriftliche Stellungnahme zur Frage abzugeben, ob der Ausschluss der Mitbestimmung von einem Teil der Mitglieder der Selbstverwaltungskörper, die Leistungsempfänger und Beitragszahler sind, in den Organen der Krankenversicherungen verfassungswidrig ist.

 

Nach Art 120c Abs 1 B-VG sind die Organe der Selbstverwaltungsträger aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden. Der Rechtsprechung des VfGH (vgl insb VfSlg 17.023/2003) zu Folge kommt dem Gesetzgeber ein relativ weiter rechtspolitischer Spielraum bei der Frage zu, in welcher Weise die demokratische Legitimation jener Selbstverwaltungsorgane, denen entscheidungswichtige Aufgaben übertragen sind, sichergestellt werden


 

 

 

kann. Zusätzlich bestimmen auch die dem Selbstverwaltungskörper übertragenen Aufgaben sowie die potenziellen Auswirkungen seiner Tätigkeit auf die Rechtssphäre seiner Mitglieder die gebotene Intensität der Mitwirkung jener, deren Angelegenheiten in Selbstverwaltung geführt werden sollen, an der Kreation der Organe des jeweiligen Selbstverwaltungskörpers (VfSlg 17.023/2003). Der VfGH hat damit die Zulässigkeit einer gestuften Skala der Intensität demokratischer Legitimation bei der Bestellung der Organe der Selbstverwaltungsträger je nach deren Aufgaben anerkannt. An diesem weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat auch die Schaffung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der sonstigen Selbstverwaltung im Jahr 2008 nichts geändert, da die Art 120a ff B-VG in erster Linie den nach der Rechtsprechung des VfGH bereits bestehenden Rechtsbestand absichern und zusammengefasst ausdrücken wollten (VfSlg 19.017/2010, vgl auch AB 370 BlgNR 23. GP). Insbesondere ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten, Wahlen in Selbstverwaltungsorgane nach denselben Grundsätzen zu regeln, die bundesverfassungsgesetzlich für staatliche und kommunale Wahlen gelten. Auch dass die Mitwirkungsrechte bei der Organkreation zwischen verschiedenen Gruppen von Verbandsangehörigen – sachadäquat – unterschiedlich geregelt sind, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, hat doch der Bundesverfassungsgesetzgeber 2008 bei der Erlassung von Art 120 c Abs 1 B-VG diese Vielgestaltigkeit vorgefunden. Aus diesem Grund sind bei Einrichtungen der nichtterritorialen Selbstverwaltung auch Abstufungen in der demokratischen Mitwirkung verschiedener Gruppen von Verbandsangehörigen nicht schon per se ein Verstoß gegen das Erfordernis demokratischer Grundsätze, sofern diese vor dem Hintergrund der spezifischen Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers sachlich rechtfertigbar und sachgerecht ausgestaltet sind (vgl dazu Zellenberg, Mitgliederrepräsentation und Wahlrecht, in Eberhard/Zellenberg [Hrsg], Kammern in einem sich wandelnden Umfeld, 2014, 65 [85]). Neben der Bindung an demokratische Grundsätze hat die gesetzliche Ausgestaltung der Mitwirkung an der Organkreation freilich auch dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot zu entsprechen. Dieses allgemeine Sachlichkeitsgebot verlangt aber ebenfalls nicht zwingend eine gleichberechtigte Mitwirkung aller Verbandsangehörigen. Bei Vorliegen sachlicher Gründe darf verschiedenen Gruppen von Verbandsangehörigen ein unterschiedlich intensives Mitwirkungsrecht eingeräumt werden (vgl Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], in Rill-Schäffer-Kommentar [6. Lfg 2010], Art 120c B-VG, Rz 21). Das Vorliegen entsprechender sachlicher Gründe ist vom Gesetzgeber zu beurteilen und unterliegt der nachprüfenden Kontrolle durch den VfGH.

 

 

Auch wenn sich der VfGH bislang noch nicht explizit mit der Frage der Mitwirkung der Pensionisten an der Organbestellung der Krankenversicherungsträger auseinandergesetzt hat, hegte er in seiner bisherigen Judikatur (etwa aus Anlass der Prüfung der Krankenordnung oder der Satzung einer Gebietskrankenkasse) keine Bedenken an der sachgerechten Ausgestaltung der bisherigen Organkreation in der sozialen Selbstverwaltung. Auch in seinem Erkenntnis zum Hauptverband (Slg 17.023/2003) führte der VfGH aus, dass die Repräsentation der Versicherten durch von ihnen gewählte Organe ihrer gesetzlichen beruflichen Vertretungen bei der Entsendung der Versicherungsvertreter in die Sozialversicherungsträger angesichts deren besonderer Aufgaben noch in den Grenzen des dem Gesetzgeber zukommenden rechtspolitischen Spielraumes liege und somit an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken erwecke.

 

Auch wenn es im Hinblick auf Art 120c Abs 1 B-VG verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich ist, wäre eine Einbeziehung der Pensionisten bei der Organbestellung der Kranken­versicherungsträger umgekehrt verfassungsrechtlich zulässig. Es ist nämlich der demokratische Grundgedanke der Selbstverwaltung, dass alle jene, an die sich die Vollzugsakte der Organe der Selbstverwaltung wenden, als Selbstverwaltungs­angehörige an der Bestellung dieser Organe teilhaft sein sollen. Der Konstruktion der Sozialversicherung als Selbstverwaltung würde es daher besser entsprechen, wenn alle, die in einem Versicherungs- und/oder Leistungsverhältnis zur Sozialversicherung stehen, als sozialversicherungsangehörig qualifiziert und an der Organbestellung – wenn auch nur indirekt – beteiligt würden (vgl Korinek/Leitl-Staudinger, Organisation der Sozialversicherung, in Tomandl [Hrsg], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 4.1.3.C).

 

Linz, 8. Februar 2016