82/A XXVI. GP
Eingebracht am 31.01.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Antrag
Der Abgeordneten Dr. Peter Kolba, Univ. Prof. Dr. Alfred J. Noll und KollegInnen
betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung,
das Gerichtsgebührengesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz, das Konsumenten-
schutzgesetz, das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz geändert werden (Verbandsmusterfeststellungsklagegesetz)
Der Nationalrat wolle beschließen
Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz, das Konsumentenschutzgesetz,
das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Arbeits- und
Sozialgerichtsgesetz geändert werden (Verbandsmusterfeststellungsklagegesetz)
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel I
Änderung der Jurisdiktionsnorm
Die Jurisdiktionsnorm, RGBl. Nr. 11111895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz
BGBl. I Nr. 130/2017, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 50 wird folgender § 50a samt Überschrift eingefügt:
„Verbandsmusterfeststellungsklage
§ 50a. (1) Für Verbandsmusterfeststellungsklagen ist in erster Instanz ohne Rücksicht
auf den Wert des Streitgegenstands das Handelsgericht Wien zuständig.
(2) Die Änderung des Gerichtsstands für die Verbandsmusterfeststellungsklage durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig."
Artikel II
Änderung der Zivilprozessordnung
Die Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz
BGBl. I Nr. 59/2017, wird wie folgt geändert:
1. Nach §189 wird folgende Bestimmung eingefügt:
„§ 189a. (1) Werden in einem Verfahren mehrere Ansprüche geltend gemacht oder
werden mehrere Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, so kann der Senat anordnen, dass die Verhandlung zunächst auf einzelne Ansprüche beschränkt wird und bis zu
deren Klärung mit der Behandlung der anderen Ansprüche innegehalten wird, wenn die zu
klärenden Tat- und Rechtsfragen bei den Ansprüchen im Wesentlichen gleichartig sind und
diese Maßnahme geeignet erscheint, das Verfahren zu vereinfachen oder zu beschleunigen
oder die Kosten der Prozessführung zu mindern.
(2) Der Beschluss, mit dem die Innehaltung angeordnet wird, ist selbstständig anfechtbar. “
2. Nach § 190 wird folgende Bestimmung eingefügt:
„§190a. (1) Sind in einem Rechtsstreit im Wesentlichen gleichartige Tat- und
Rechtsfragen zu klären wie in einem anderen, wenn auch nicht zwischen denselben Parteien,
anhängigen Rechtsstreit, so kann der Senat auf Antrag einer der Parteien das Verfahren bis
zur rechtskräftigen Entscheidung des anderen Verfahrens unterbrechen, wenn diese
Maßnahme geeignet erscheint, das vorliegende Verfahren zu vereinfachen oder zu
beschleunigen oder die Kosten der Prozessführung zu mindern und die Unterbrechung für die
Parteien nicht unbillig ist. Aus gerechtfertigten Gründen ist das Verfahren auf Antrag
fortzusetzen.
(2) Der Beschlussfassung hat die mündliche oder schriftliche Einvernehmung der
anderen Partei voranzugehen.“
3. § 227 Abs 1 wird geändert wie folgt:
„§ 227. (1) Mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten können auch
ohne Vorliegen eines tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhanges in derselben Klage
geltend gemacht werden, wenn
1. das Prozessgericht zuständig und
2. dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist.“
4. In § 464 wird nach Absatz (1) folgender Absatz (1a) eingefügt:
„(1a) Die Frist (Abs. 1) kann auf Antrag im Verbandsmusterfeststellungsverfahren
sowie im Fall großen Umfanges des Verfahrens - insbesondere im Hinblick auf eine Vielzahl Betroffener oder eine Vielzahl geltend gemachter Ansprüche - vom Gericht verlängert
werden.“
5. § 502 Abs 5 Z 3 wird abgeändert wie folgt:
„3. für Rechtsstreitigkeiten, in denen ein im § 29 KSchG genannter Verband einen ihm
zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch gegen eine Partei klagsweise geltend macht oder
mit Zustimmung des Verbrauchers im eigenen Namen Feststellungs- oder
Gestaltungsbegehren erhebt. § 631 gilt sinngemäß.“
6. In § 502 Abs. 5 wird am Ende der Z 4 der Punkt durch einen Strichpunkt ersetzt und
folgende Z 5 angefügt:
„5. Für Streitigkeiten, die im Verbandsmusterfeststellungsverfahren entschieden
werden.“
7. § 505 Abs 2 wird abgeändert wie folgt:
„(2) Die Revisionsfrist beträgt vier Wochen von der Zustellung des
Berufungserkenntnisses an; sie kann nur im Verbandsmusterfeststellungsverfahren sowie im
Fall großen Umfanges des Verfahrens - insbesondere im Hinblick auf eine Vielzahl
Betroffener oder eine Vielzahl geltend gemachter Ansprüche - auf Antrag vom Gericht
verlängert werden. §464 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden.“
8. Nach § 618 werden folgende Abschnitte samt Überschriften angefügt:
„Fünfter Abschnitt
Verbandsmusterfeststellungsklage
Zulässigkeit
§ 619. (1) Mit der Verbandsmusterfeststellungsklage kann die Feststellung des
Vorliegens oder Nichtvorliegens von Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen
eines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses zwischen einer Mehrzahl von potentiellen Klägern
und einem oder mehreren Beklagten begehrt werden.
(2) Die Verbandsmusterfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht
wird, dass von den Feststellungszielen nach Absatz 1 die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse
von mindestens 10 potentiellen Klägern abhängen.
Klagebefugnis
§ 620. (l) Klagebefugt sind Einrichtungen, die nach § 29 Abs. 1 Konsumenten-
schutzgesetz zu Verbandsklagen nach § 28 und § 28a Konsumentenschutzgesetz berechtigt
sind.
(2) Klagebefugt sind weiters Einrichtungen, die nachweisen, in das Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABI. L 110 vom 1.5.2009, S. 30), die zuletzt durch die Verordnung
(EU) Nr. 524/2013 (ABI. L 165 vom 18.6.2013, S. 1) geändert worden ist, in der jeweils
geltenden Fassung eingetragen zu sein.
(3) Klagebefugt sind weiters gemeinnützige Stiftungen, die gemäß ihrer Satzung gleichartige Interessen von anderen Personen als ihnen selbst wahrnehmen und für die
potentiellen Kläger repräsentativ sind.
(4) Die zur Verbandsmusterfeststellungsklage befugten Einrichtungen haben in der
Klage jene Merkmale zu bezeichnen, die das Verfahren als Verbandsmusterfeststellungs-
verfahren kennzeichnen, und die typischen Kriterien, die Ansprüche aufweisen müssen, um
vom Verbandsmusterfeststellungsverfahren betroffen zu sein, im Einzelnen genau anzugeben.
Bekanntmachung in Klageregister
§ 621. (1) Das Klageregister ist ein elektronisch geführtes Register mit Angaben zu Verbandsmusterfeststellungsverfahren. Das Handelsgericht Wien entscheidet nach Anhörung
des Beklagten durch unanfechtbaren Beschluss über die öffentliche Bekanntmachung der
folgenden Angaben im Klageregister:
1. die Bezeichnung der Parteien,
2. die Bezeichnung und das Aktenzeichen des Gerichts,
3. die Feststellungsziele,
4. eine knappe Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhaltes,
5. den Zeitpunkt der Bekanntmachung im Klageregister,
6. die typischen Kriterien, die Ansprüche aufweisen müssen, um vom Verbandsmusterfeststellungsverfahren betroffen zu sein
7. die Bedingungen der Hemmung der Verjährung von Ansprüchen nach § 622,
8. die Bedingungen für einen Austritt aus einem Vergleich nach § 625 Abs. 5 und
9. die Bedingungen für einen Austritt aus dem Verbandsmusterfeststellungsverfahren
nach § 624 Abs. 2.
(2) Die öffentliche Bekanntmachung soll spätestens binnen zwei Monaten nach
Eintritt der Rechtsanhängigkeit erfolgen. Verzögerungen sind mit der Entscheidung über die Bekanntmachung schriftlich zu begründen.
(3) Das Gericht veranlasst die öffentliche Bekanntmachung von Ladungen zu
Tagsatzungen und von Zwischenentscheidungen im Klageregister, wenn dies zur Information
der potentiellen Kläger über den Fortgang des Verfahrens erforderlich ist. Personenbezogene
Daten werden nicht öffentlich bekannt gemacht.
Hemmung der Verjährung
§ 622. Mit dem Tag der Rechtsanhängigkeit einer Verbandsmusterfeststellungsklage
wird die Verjährung der Ansprüche aller von der Klage umfassten potentiellen Kläger, soweit
diese Ansprüche zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt sind, bis zum Ablauf von neun
Monaten nach rechtkräftiger Entscheidung über die Verbandsmusterfeststellungsklage oder
nach Einlangen der Erklärung eines Austrittes nach § 625 Abs 5. gehemmt.
Klageregister; Verordnungsermächtigung
§ 623. (1) Das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und
Justiz führt das Klageregister für Verbandsmusterfeststellungsverfahren nach § 621 Absatz 1
Satz 1.
(2) Die im Klageregister gespeicherten Daten können
1. von jedermann abgerufen werden, soweit die Daten öffentlich bekannt gemacht
wurden,
2. vom zuständigen Gericht sowie von den Parteien des Verbandsmusterfeststellungs-
verfahrens abgerufen werden, soweit die Daten dieses Verfahren betreffen,
3. vom Anmelder abgerufen werden, soweit die Daten diesen betreffen.
Der Abruf ist unentgeltlich. Das Gericht hat die Verwendung der Daten auf das für die
Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben Erforderliche zu beschränken.
(3) Die im Klageregister gespeicherten Daten sind bis zum Schluss des dritten Jahres
nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zu speichern. Nach Ablauf der Speicherfrist
sind die Daten zu löschen.
(4) Das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz wird ermächtigt, durch Verordnung die näheren Bestimmungen über Inhalt und Aufbau des
Klageregisters, über Einreichung, Einstellung, Änderung, Löschung und Abruf der im
Klageregister gespeicherten Daten sowie über die Datensicherheit und Barrierefreiheit zu
treffen.
Besonderheiten des Verbandsmusterfeststellungsverfahrens
§ 624. (1) Mit der Rechtsanhängigkeit der Verbandsmusterfeststellungsklage kann
gegen den Beklagten keine andere Verbandsmusterfeststellungsklage erhoben werden, deren Feststellungsziele den gleichen zugrundeliegenden Lebenssachverhalt betreffen.
(2) Potentielle Kläger können jederzeit schriftlich ihren Austritt aus dem Verbandsmusterfeststellungsverfahren erklären. Mit Einlangen des Austrittes bei Gericht
endet die Hemmung der Verjährung gemäß § 622.
Vergleich
§ 625. (1) Ein gerichtlicher Vergleich kann auch mit Wirkung für und gegen die
potentiellen Kläger gemäß § 622 geschlossen werden.
(2) Der Vergleich soll Regelungen enthalten über
1. die auf die potentiellen Kläger entfallenden Leistungen,
2. den von den potentiellen Klägern zu erbringenden Nachweis der Leistungsberechtigung,
3. die Fälligkeit der Leistungen und
4. die Aufteilung der Kosten.
(3) Der Vergleich bedarf der Genehmigung durch das Handelsgericht Wien. Das
Gericht genehmigt den Vergleich, wenn es ihn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach-
und Streitstandes der Verbandsmusterfeststellungsklage als angemessene gütliche Beilegung
der betroffenen Ansprüche oder Rechtsverhältnisse erachtet. Die Genehmigung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Sie ist im Klageregister öffentlich bekannt zu machen.
(4) Das Handelsgericht Wien beauftragt den Kläger, den Vergleich sowie die
Bedingungen eines Austrittes als potentieller Kläger aus dem Vergleich in geeigneter Weise,
dem Umfang der Rechtssache angemessen zu veröffentlichen.
(5) Die potentiellen Kläger können innerhalb einer Frist von einem Monat nach Veröffentlichung des Vergleichs ihren Austritt aus dem Vergleich erklären. Der Austritt muss
bei dem Gericht schriftlich erklärt werden. Die potentiellen Kläger sind über die Wirkung des Vergleichs, ihr Recht zum Austritt aus dem Vergleich sowie über die einzuhaltende Form und
Frist zu belehren.
(6) Der genehmigte Vergleich wird wirksam, wenn weniger als 30 Prozent der
potentiellen Kläger ihren Austritt aus dem Vergleich erklären. Das Gericht stellt durch unan-
fechtbaren Beschluss den Inhalt und die Wirksamkeit des genehmigten Vergleichs fest. Der
Beschluss ist im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. Mit der Bekanntmachung des Beschlusses wirkt der Vergleich für und gegen die potentiellen Kläger, die nicht ihren Austritt
erklärt haben.
Urteil
§ 626. (1) Das Urteil ist nach seiner Verkündung im Klageregister öffentlich bekannt
zu machen.
(2) Die Einlegung eines Rechtsmittels ist im Klageregister öffentlich bekannt zu
machen. Dasselbe gilt für den Eintritt der Rechtskraft.
Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils; Aussetzung
§ 627. (1) Das rechtskräftige Verbandsmusterfeststellungsurteil bindet das zur
Entscheidung einer Streitigkeit zwischen einem potentiellen Kläger und dem Beklagten
berufene Gericht, soweit die Entscheidung von den Feststellungszielen abhängt, wenn sich
der nunmehrige Kläger auf die Bindungswirkung des Verbandsmusterfeststellungsurteils
beruft. Dies gilt nicht, wenn der potentielle Kläger nach Bekanntmachung der Angaben zur Verbandsmusterfeststellungsklage im Klageregister selbst eine Klage gegen den Beklagten
des Verbandsmusterfeststellungsverfahrens erhoben hat, die den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt wie die Verbandsmusterfeststellungsklage betrifft.
(2) Hat der potentielle Kläger bereits vor der Bekanntmachung der Angaben zur Verbandsmusterfeststellungsklage eine Klage im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 letzter Halbsatz
erhoben, so setzt das Gericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder
sonstigen Erledigung der Verbandsmusterfeststellungsklage oder Austritt aus dem Verbandsmusterfeststellungsverfahren aus.
Streitwertminderung
§ 628. (1) Macht eine Partei glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach
dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das
Gericht auf ihren Antrag anordnen, dass sich die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bemisst.
Die Anordnung hat zur Folge, dass
1. die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach die-
sem Teil des Streitwerts zu entrichten hat,
2. die begünstigte Partei, soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder
soweit sie diese übernimmt, die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die
Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten hat und
3. der Rechtsanwalt der begünstigten Partei, soweit die außergerichtlichen Kosten dem
Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, seine Gebühren von dem Gegner nach
dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben kann.
(2) Der Antrag ist vor der Verhandlung zur Hauptsache zu stellen. Danach ist er
nur zulässig, wenn der angenommene oder festgesetzte Streitwert später durch das
Gericht heraufgesetzt wird. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner zu hören.
Sechster Abschnitt Musterverfahren
§ 629. (1) Macht ein in § 29 Abs. 1 KSchG genannter Verband einen ihm zur
Geltendmachung abgetretenen Anspruch klagsweise geltend, so kann er beantragen, dass
dieses Verfahren als Musterverfahren im Klageregister bekanntgemacht wird. Voraussetzung
ist, dass der geltend gemachte Anspruch Rechtsfragen aufwirft, die für eine große Zahl von
Ansprüchen bedeutsam sein können und sich aus einem im Wesentlichen gleichartigen
Sachverhalt ergeben.
(2) Der Verband hat in seinem Antrag jene Merkmale zu bezeichnen, die das
Verfahren als Musterverfahren kennzeichnen und die typischen Kriterien, die Ansprüche
aufweisen müssen, um vom Musterverfahren betroffen zu sein, im Einzelnen genau
anzugeben.
(3) Das Gericht hat nach Prüfung des Antrags die Klage, den Antrag und den
rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. Die Bekanntmachung hat auf die Wirkung des § 630 hinzuweisen. Andernfalls ist der Antrag mit
Beschluss abzuweisen und das ordentliche Verfahren einzuleiten.
(4) Die im Klageregister gespeicherten Daten sind bis zum Schluss des dritten Jahres
nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zu speichern. Nach Ablauf der Speicherfrist
sind die Daten zu löschen.
(5) § 189a und 190a sind nicht anzuwenden.
§ 630. Von der Einbringung der Musterklage bis zum Ablauf von neun Monaten nach
der Veröffentlichung der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens ist die Verjährungsfrist
für alle Ansprüche im Sinne des § 629 Abs. 2 gehemmt.
§ 631. Die in § 29 Abs. 1 KSchG genannten Verbände können ihnen abgetretene
Ansprüche unbeschadet eines allfälligen vertraglichen Abtretungsverbotes im eigenen Namen
geltend machen.
§ 632. Dieser Abschnitt gilt sinngemäß, wenn ein in § 29 Abs. 1 KSchG genannter
Verband mit Zustimmung des Berechtigten im eigenen Namen Feststellungs- oder
Gestaltungsbegehren erhebt.
Artikel III
Änderungen des Gerichtsgebührengesetzes
Das Gerichtsgebührengesetz, BGBL Nr. 501/1984, zuletzt geändert durch das
Budgetbegleitgesetz 2007, BGBL I 130/2017, wird wie folgt geändert:
Nach § 18 wird folgender § 18a samt Überschrift eingefügt:
„Sonderregelungen für Verbandsmusterfeststellungsverfahren
§ 18a. (1) Die Bemessungsgrundlage für eine Verbandsmusterfeststellungsklage
(§ 620 ZPO) beträgt 4 000 Euro.
(2) § 19a ist nicht anzuwenden.“
Artikel IV
Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes
Das Bundesgesetz über den Rechtsanwaltstarif, BGBL Nr. 189/1969, zuletzt geändert durch
das Bundesgesetz BGBL. I Nr. 10/2017, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 9 wird folgender § 9a eingefügt:
„§ 9a. (1) In Verbandsmusterfeststellungsverfahren nach den §§ 619 ff ZPO können
die Parteien die Höhe des Streitwertes frei vereinbaren.
(2) Mangels einer entsprechenden Vereinbarung beträgt der Streitwert höchstens eine
Million Euro, sofern der Wert des Streitgegenstandes über dieser Bemessungsgrundlage
liegt.“
2. In § 15 erhält der bisherige Inhalt die Absatzbezeichnung „ (1) “ und wird folgender Abs. 2
angefügt:
„(2) Abs. 1 gilt nicht in Verbandsmusterfeststellungsverfahren nach den §§ 619 ff.
ZPO.“
Artikel V
Änderungen des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984, BGBl. Nr. 448/1984, zuletzt
geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 99/2016, wird wie folgt geändert:
1. § 14 Abs. 1 Satz 2 UWG wird geändert wie folgt:
„In den Fällen der §§ 1, 1a, 2, 2a und 9c kann der Anspruch auf Unterlassung auch von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, der Wirtschaftskammer Österreich, der Präsidentenkonferenz Landwirtschaftskammern Österreichs, vom Österreichischen Gewerk-
schaftsbund, von Bundeswettbewerbsbehörde oder vom Verein für Konsumenteninformation
geltend gemacht werden.“
2. § 14 Abs. 1 Satz 3 UWG entfällt.
Artikel VII
Änderungen des Konsumentenschutzgesetzes
Das Konsumentenschutzgesetz, BGBl. Nr. 140/1979, zuletzt geändert durch das
Bundesgesetz BGBl. I Nr. 50/2017, wird wie folgt geändert:
1. In § 28 KSchG werden folgende Absätze eingefügt:
„(1a) Der Anspruch auf Unterlassung umfasst auch das Recht, die Beseitigung des den
Vorschriften des Gesetzes widerstreitenden Zustandes vom Verpflichteten, soweit ihm die
Verfügung hierüber zusteht, zu verlangen.“
„(2a) Von der Einbringung der Verbandsklage bis zum Ablauf von zumindest neun Monaten
nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens sind alle Verjährungsfristen für aus einer verfahrensgegenständlichen Klausel resultierende Ansprüche berechtigter Personen
gehemmt.“
2. In § 28a KSchG wird folgender Absatz eingefügt:
„(1b) § 28 Abs. 1a und Abs. 2a gilt sinngemäß.“
3. Nach § 29 KSchG wird folgende Bestimmung eingefügt:
„Abschöpfung der Bereicherung
§ 29a. (1) Wer im Sinne von § 28, § 28a KSchG oder § 14 UWG gegen Ge- oder Verbote
verstößt und dadurch die allgemeinen Interessen des geschützten Personenkreises
beeinträchtigt, kann von den in § 29 Abs. 1 KSchG genannten Einrichtungen auf Leistung des
nach Maßgabe von Abs. 2 ermittelten Gewinns an die Republik Österreich geklagt werden.
Als Streitwert iSd §§ 54 ff JN gilt höchstens ein Betrag in Höhe von € 31.000. Machen
mehrere Stellen oder Organisationen diesen Anspruch geltend, entscheidet das
Zuvorkommen.
(2) Als Gewinn gilt ein Betrag in Höhe von 20 % des Jahresumsatzes des Vorjahres, sofern
der Unternehmer nicht beweist, dass er einen niedrigeren Gewinn erzielt hat. Auf den Gewinn
sind die Leistungen anzurechnen, die der Unternehmer bereits als Schadenswieder-
gutmachung oder als Geldbuße geleistet hat.
(3) Der Anspruch entfällt durch den Nachweis, dass den Unternehmer kein grobes
Verschulden trifft.
(4) Die Verbindlichkeit kann vom Richter gemäßigt oder auch ganz erlassen werden, wenn der Verstoß nicht vorsätzlich erfolgt ist und den Unternehmer die Vorteilsabschöpfung unter Berücksichtigung aller Umstände unbillig hart träfe. Für das Vorliegen dieser Umstände ist der Unternehmer behauptungs- und beweispflichtig.
(5) Dem Kläger gebührt zur Abgeltung seines Organisationsaufwandes ein Pauschalbetrag in Höhe von 30 % der festgesetzten Gewinnabschöpfung. Dieser Betrag ist vom Gericht gleichzeitig mit dem Gewinnabschöpfungsbetrag festzusetzen. Der restliche Betrag ist von der Republik Österreich für Maßnahmen für konsumentenrechtliche Projekte zu verwenden.
4. In § 41a wird folgender Absatz angefügt:
„(33) § 29a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XX/2017 tritt mit 1.6.2018 in Kraft und ist auf Verstöße anzuwenden, die nach diesem Zeitpunkt erfolgen.“
Artikel VIII Inkrafttreten
Dieses Bundesgesetz tritt mit 1.6.2018 in Kraft.
Begründung
In Massenschadensfällen, in denen eine Vielzahl Betroffener wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens geschädigt ist, sind die Schäden des Einzelnen oft gering und/oder eine Prozessführung lohnt aufgrund des Kosten- und Prozessrisikos nicht. Verbraucherinnen bleibt daher oftmals der Zugang zum Recht verwehrt und sie bleiben auf ihren Schäden sitzen. Nicht zuletzt der VW Skandal hat in aller Schärfe gezeigt, dass es ein eklatantes Rechtsschutzdefizit gibt. Während VW in den USA über 20 Milliarden Euro (!) an Schadenersatz und Strafen
zahlen muss, reicht es in Europa aus, dass VW ein Software-Update anbietet; Schadenersatz
in Geld wird verweigert. Es fehlt an effizienten Instrumenten, die Schadenersatzansprüche
aller Betroffenen geltend zu machen. Daher können Unternehmerinnen, die VerbraucherInnen durch rechtswidriges Verhalten geschädigt haben, damit rechnen, einen Gutteil des dadurch erwirtschafteten Unrechtsgewinnes zu behalten. Das führt aber dazu, dass das betroffene Unternehmen aber auch dessen Mitbewerber davon ausgehen könnten, dass sich in Europa Unrecht lohnen darf. Dem ist entschieden entgegenzutreten.
Eine Vielzahl von Einzelprozessen, die die gleichen Tat- und Rechtsfragen zum Gegenstand haben, belastet ferner die Justiz und führt auch zu der Gefahr, dass Gleiches in verschiedenen Verfahren ungleich entschieden wird, was das Vertrauen in den Rechtsstaat beeinträchtigt.
Erfolgreiche Modelle zur effektiven Bewältigung von Massenschadensfällen existieren mittlerweile in einer Reihe europäischer Staaten, ua in Belgien, Italien, Frankreich, England und Wales, Spanien und Portugal. In Deutschland ist im Lichte des VW-Skandals die Einführung eines Musterfeststellungsverfahrens geplant'[1]. In den Niederlanden hat sich das Modell eines Sammelvergleichs und einer Verbandsmusterfeststellungsklage auf „Opt out“- Basis[2] bewährt.
Massenverfahren sind auch in Österreich zunehmend zu beobachten. Beispiele sind Schadenersatzklagen wegen Hepatitis-Infektionen, Schadenersatzklagen von Urlaubern, Schadenersatzklagen von Anlegern.
Die herkömmlichen Möglichkeiten des österreichischen Zivilprozessrechts reichen zur Bewältigung von Massenverfahren nicht aus:
• Verbandsklagen nach KSchG und UWG[3] sind ein Mittel der präventiven Marktkontrolle, dienen aber nicht der Durchsetzung individueller Ansprüche.
• Verbandsmusterklagen, bei denen nach Abtretung eines Anspruchs an Verbände wie
den VKI oder die BAK ein erleichterter Zugang zum OGH besteht[4], leisten iS einer
strategic litigation einen wichtigen Beitrag zur Rechtsentwicklung und
Rechtssicherheit, sind aber für Massenschäden nicht geeignet: Urteilen kommt selbst bei
identer Sach- und Rechtslage keine Bindungswirkung für andere Fälle zu. Die
ökonomisch sinnvolle Lösung, Sach- oder Rechtsfragen musterhaft in einem
Testprozess klären zu lassen, hängt vielmehr von der Kooperationsbereitschaft des
Prozessgegners ab. Gibt er keinen Verjährungsverzicht ab, können nicht eingeklagte
Ansprüche zwischenzeitig verjähren. In den Jahren seit 2000 (mit Beginn des Führens
von Sammelklagen nach österreichischem Recht) gab es keinen Massenschaden, bei
dem der Beklagte sich auf einen entsprechenden Verjährungsverzicht eingelassen hätte.
• Die als Behelfslösung - vom VKI zusammen mit Rechtsanwalt Dr. Alexander Klauser
und dem deutschen Prozessfinanzierer FORIS AG entwickelte - „Sammelklage österreichischer Prägung“ basiert darauf, dass sich ein Verband oder eine natürliche
Person die Ansprüche der Geschädigten zum Inkasso abtreten lässt und sie dann
gebündelt in einer Klage geltend macht. Einwendungen des Beklagten - zur
Verzögerung des Verfahrens über die Verjährungsfrist (Schadenersatz: 3 Jahre) für
nicht geklagte Ansprüche hinaus - gegen die „Zulässigkeit“ der Sammelklage führen
in praxi allerdings zu zeit- und kostenaufwändigen Zwischenstreitigkeiten. Bei hohen Streitwerten kann ein Ausjudizieren durch die Instanzen zu einer für den Verlierer
potenziell existenzbedrohenden Kostenexplosion führen.
• Bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten scheidet die Sammelklage von vornherein
aus, weil durch die Zession sowohl an einen Verband[5], als auch an eine natürliche
Person[6] der Verbrauchergerichtsstand verloren geht. Aktuell zeigt sich dies gerade im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal. Eine Sammelklage gegen VW ist mit der „Sammelklage österreichischer Prägung“ in Österreich (!) schlicht nicht möglich.
• Konsequenz ist, dass Kläger vermehrt ins Ausland ausweichen[7] . Umgekehrt führt das
Fehlen geeigneter Instrumente in Österreich zum forum shopping und dazu, dass österreichische Unternehmen zunehmend in Großverfahren im Ausland hineingezogen
werden. Damit gehen auch negative Auswirkungen auf den heimischen
Justizstandort einher.
Vorteile der Verbandsmusterfeststellungsklage
und des Vergleiches in solchen Verfahren
• Der Zugang zur Justiz wird verbessert. Geschädigte scheuen oft wegen des Prozesskostenrisikos, der mangelnden Erfahrung im Umgang mit dem Gericht oder
wegen zu geringer Schadenshöhe den Gang zu Gericht. Die Folgen: Beklagte
Unternehmer versuchen musterhafte Entscheidungen durch Verfahrensverzögerungen möglichst bis zu einer Verjährung von nicht eingeklagten Ansprüchen
hinauszuzögern. Das bedeutet eine Belastung für Kläger, Gerichte und letztlich für
den Beklagten selbst, der Rückstellungen bilden muss und sich häufig einer NegativBerichterstattung gegenübersieht.
• Erhöhte Verfahrensökonomie: Die Entscheidung über viele gebündelte Fälle erfolgt
durch einen Richter, ggf ist nur ein Sachverständiger notwendig, und es ergeht ein
Urteil. Dies führt zu einer Ersparnis bei Verfahrenskosten für die Parteien und zu einer Ressourceneinsparung bei Gericht, da nur ein Richter und nicht mehrere Richter mit
ein- und derselben causa beschäftigt sind - und damit letztlich auch zu einer Ersparnis
für den Steuerzahler.
• Die Verbandsmusterfeststellungsklage kann nur von Verbänden gemäß § 29 Abs 1
KSchG, von ausländischen Verbänden und von adhoc gegründeten gemeinnützigen Stiftungen geführt werden. Das stellt die Seriosität dieses Instrumentes sicher und
führt dazu, dass die sich auf dem europäischen Markt ausbreitenden „amerikanischen Verhältnisse“ in Grenzen gehalten werden.
• Die Hemmung der Verjährung für alle Betroffenen und die Möglichkeit im
Verfahren einen „opt out“-Vergleich abzuschließen, fördern den Anreiz für einen
Beklagten, rasch (und nicht erst nach drei Jahren Prozessverzögerung) Vergleichsverhandlungen zu führen.
• Das Prozesskostenrisiko trägt der Verband oder die Stiftung und wird idR über Prozessfinanzierer abgedeckt. Diesen gegenüber haben Verbände oder Stiftungen
mehr Verhandlungsmacht, als das bei Einzelklägern der Fall wäre.
• Auch kleinere Schäden (Bagatell- und Streuschäden) können ökonomisch sinnvoll eingeklagt werden, etwa rechtswidrig verrechnete Mahnspesen.
• Marktbereinigung: Vorteil für gesetzeskonforme Unternehmen, da sich rechts-
widriges Verhalten weniger lohnt; wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken wird präventiv gegengesteuert.
Reform des kollektiven Rechtsschutzes
Um zu verhindern, dass Geschädigte leer ausgehen und sich rechtswidriges Verhalten lohnt,
weil Unrechtsgewinne behalten werden können, bedarf es einer Reform, die eine zügige und kostenökonomische Abwicklung von Massenschadensfällen ermöglicht.
Diese liegt nicht zuletzt auch im Interesse der österreichischen Unternehmerinnen. Sie sollen
als Mitbewerber vor den „schwarzen Schafen“ und deren wettbewerbsverzerrenden
Maßnahmen effektiv geschützt werden. Auf der anderen Seite soll bei Massenschäden auch
für den Schädiger eine endgültige Bereinigung mit kalkulierbarem Kosten- und Zeitaufwand
möglich sein.
Der vorliegende Gesetzesvorschlag verfolgt einen mehrspurigen Ansatz, der die Einführung
eines Verbandsmusterfeststellungsverfahrens ebenso umfasst wie punktuelle Änderungen des gegenwärtigen Verfahrensrechts. Dabei kann der Vorschlag in weiten Teilen auf den bereits vorhandenen Reformentwürfen aus 2007 und 2008 sowie einen Initiativantrag der
Abgeordneten Jarolim, Lueger und KollegInnen aus September 2017 aufbauen.
Im Einzelnen umfasst das vorgeschlagene Gesetz folgende Eckpunkte:
1. Verbandsmusterfeststellungsklage
Das in einem neuen Fünften Abschnitt zur ZPO geregelte
Verbandsmusterfeststellungsverfahren (§§ 619-628) dient zur effizienten Geltendmachung
einer Vielzahl gleichgelagerter Ansprüche.
· Der Anwendungsbereich ist breit ausgestaltet: Das Verfahren ist nicht auf Ansprüche von Verbrauchern beschränkt, da Massenschadensfälle insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen in gleicher Art und Weise betreffen können. So haben in
jüngerer Vergangenheit wiederholt Fälle von Kartellbildungen[8], aber etwa auch die Verwendung unzulässiger Zinsgleitklauseln in B2B-Kreditverträgen aufgezeigt, dass auch auf der unternehmerischen Marktgegenseite ein Bedarf nach geeigneten rechtlichen Instrumenten für die gebündelte Geltendmachung einer Vielzahl von Ansprüchen besteht.
• Die Beschränkung der Klagslegitimation auf Verbände und gemeinnützige
Stiftungen bietet Gewähr dafür, dass das Instrument mit erhöhter Seriosität genutzt
wird.
• Das Konzept folgt einem opt-out-Mechanismus. Dieser bietet Anreize für den
Beklagten, sich rasch auf Vergleichsverhandlungen einzulassen, da das Kalkül, dass
nicht geklagte Ansprüche verjähren könnten, nicht greift. Es werden also von einem
Vergleich oder einem Urteil alle potentiellen Kläger erfasst. Die potentiellen Kläger
können aber aus dem Vergleich ihren Austritt erklären bzw die Bindungswirkung des
Urteils in einem weiteren Verfahren nicht für sich in Anspruch nehmen.
• Die Eigenzuständigkeit des Handelsgerichtes Wien bietet Gewähr dafür, dass diese Verfahren bestmöglich geführt werden, hat doch dieses Gericht seit der Finanzkrise
mit einer Vielzahl von Massenschäden zu tun gehabt.
• Das Verbandsmusterfeststellungsverfahren entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber Individualverfahren, Musterverfahren, Sammelklagen österreichischer Prägung oder
anderen Gruppenverfahren.
• Die Rechtskraft der Entscheidung erstreckt sich auf alle potentiellen Kläger. Anders
als nach herkömmlichen Grundsätzen umfasst die Bindung alle rechtslogischen Voraussetzungen des Urteils, also auch Tatfragen.
• Für die Verfahrenskosten haftet nur der Verband oder die Stiftung. Begleitende Regelungen im RATG stellen sicher, dass die Kosten des Verbandsmusterfeststellungsverfahrens nicht zu hoch werden. Dies dient auch dem Schutz des Beklagten.
2. Verbandsmusterverfahren
Das im Sechsten Abschnitt zur ZPO geregelte Musterverfahren (§§ 629-632) dient der
Klärung strittiger Rechtsfragen, die für eine große Zahl von Ansprüchen von Bedeutung sein
können, und hemmt die Verjährung für gleichgelagerte Ansprüche. Die kostengünstige
Klärung der Rechtsfrage in einem einzelnen Musterprozess ist im Interesse aller Beteiligten.
Dadurch wird vermieden, dass Geschädigte klagen müssen, um die Verjährungsfrist zu
wahren.
• Das Verbandsmusterverfahren wird auf Antrag eines Verbands iSd § 29 Abs. 1
KSchG eingeleitet.
• Die Verjährungsfrist für alle betroffenen Ansprüche ist von der Veröffentlichung der Verbandsmusterklage bis zum Ablauf von neun Monaten nach rechtskräftiger
Beendigung des Verbandsmusterverfahrens gehemmt.
• Im Verbandsmusterverfahren ist nicht nur eine Geltendmachung abgetretener Ansprüche ieS möglich, sondern auch die Erhebung von Feststellungs- und Gestaltungsbegehren (§ 502 Abs. 5 Z 3, § 643 ZPO).
3. Gewinnabschöpfungsanspruch
Für vergleichsweise niedrige Schäden (insbesondere sog. Bagatell- und Streuschäden) besteht
trotz erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung kein Anreiz für eine individuelle
Rechtsverfolgung. Auch der Anreiz zur Organisation oder Teilnahme an einem Verbandsmusterfeststellungsverfahren ist gering. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit
betreffen zB unzulässige Zahlscheingebühren oder Kerosinpreiszuschläge, bei denen die
Schäden der einzelnen Betroffenen zumeist unter 10 Euro lagen. Dadurch kann das Recht
seine Steuerungsfunktion nicht ausreichend wahrnehmen. Dies führt auch zu
Wettbewerbsverzerrungen. Aus generalpräventiven Erwägungen ist daher sicherzustellen,
dass sich rechtswidriges Verhalten auch in jenen Bereichen nicht lohnt, wo Lenkungs- und Kompensationsfunktion des Haftungsrechts versagen. Daher soll in § 29a KSchG eine neue Gewinnabschöpfung vorgesehen werden.
Dabei ist eine Balance zu finden, die over- wie auch underdeterrence vermeidet, und sowohl
dem Abschreckungscharakter der Norm gerecht wird, als auch den Interessen des
Unternehmers angemessen Rechnung trägt. Die vorgeschlagene Regelung ist daher einerseits
um eine bestmögliche Gewährleistung der Funktionsfahigkeit des Anspruchs und der
Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung bemüht (Beweislastverteilung; Streitwertregelung; Pauschalierung der Gewinnermittlung; Abgeltung des Organisationsaufwands und Risikos des
Klägers). Auf der anderen Seite wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass die
Sanktionswirkung angemessen und die Regelung insgesamt verhältnismäßig ausgestaltet ist (Anrechnungsregel; Befreiungstatbestände; Härteklausel).
• Der durch Rechtsverstöße iSd §§ 28, 28a KSchG, § 14 UWG erzielte Gewinn soll
zugunsten der Republik Österreich abgeschöpft werden können. Diese Beträge sollen
für künftige konsumentenrechtliche Projekte verwendet werden.
• Der Anspruch setzt voraus, dass durch den Verstoß die allgemeinen Interessen des
geschützten Personenkreises beeinträchtigt worden sind und dem Unternehmer grobes Verschulden vorzuwerfen ist.
• Die Aktivlegitimation beschränkt sich auf bevorrechtete Verbände iSd 8 29 Abs. 1 KSchG.
• Als Gewinn gilt ein Betrag in Höhe von 20 % des Jahresumsatzes, wenn der Unternehmer nicht beweist, dass er nur einen niedrigeren Gewinn erzielt hat. Auf den Gewinn sind vom Unternehmer erbrachte Schadenersatzleistungen oder bereits geleistete Geldbußen abzuziehen.
• Dem Kläger gebührt ein Pauschalbetrag iHv 30 % des abgeschöpften Betrags zur Abgeltung seines Organisationsaufwands.
In formeller Hinsicht wird verlangt, eine erste Lesung innerhalb von drei Monaten gemäß
§ 69 Abs. 4 GOG-NR durchzuführen.
Zuweisungsvorschlag: Justizauschuss
[1] Für Anlegerfälle gibt es bereits seit 2005 ein Musterverfahren (KapMuG).
2 Sog WCAM-Verfahren. Das Opt-out-Modell basiert darauf, dass Ansprüche Betroffener automatisch von den Vergleichswirkungen erfasst sind, sofern sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist aktiv hinausoptieren..
[3] Gegen unzulässige Klauseln oder Geschäftspraktiken, §§ 28, 28a KSchG, § 14 UWG.
[4] § 502 Abs 5 Z 3 ZPO.
[5] EuGH vom 19.1.1993, C-89/91, Shearson Lehman Hutton.
[6] EuGH vom 25.1.2018, C-498/16, Schrems gegen facebook
[7] Der VKI unterstützte Klagen von geschädigten Frauen iS Brustimplantate in Frankreich, von Geschädigten
„geschlossener Fonds" in Deutschland und iS VW in den Niederlanden.
[8] LKW-Kartell, Aufzugs-Kartell, ...