96/A XXVI. GP

Eingebracht am 31.01.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Ing. Markus Vogl Kolleginnen und Kollegen

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz, das Konsumentenschutzgesetz, das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Arbeits- und Sozialgerichtgsetz geändert werden (Gruppenverfahrengesetz)

Der Nationalrat wolle beschließen

Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz, das Konsumentenschutzgesetz, das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz geändert werden (Gruppenverfahrengesetz)

Der Nationalrat hat beschlossen:

Artikel I

Änderung der Jurisdiktionsnorm

Die Jurisdiktionsnorm, RGBl. Nr. 111/1895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 130/2017, wird wie folgt geändert:

1.  Nach § 50 wird folgender § 50 a samt Überschrift eingefügt:

„Gruppenverfahren

§ 50a. (1) Für Gruppenverfahren ist in erster Instanz ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands der sachlich zuständige Gerichtshof erster Instanz ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist, in dessen Sprengel der hauptsächliche Schadensort liegt, oder in dessen Sprengel die beklagte Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. Fehlt ein solcher Ort im Inland, ist der sachlich zuständige Gerichtshof erster Instanz ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der erste Wiener Gemeindebezirk liegt.

(2)    Die Änderung des Gerichtsstands für das Gruppenverfahren durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig.“

2.  § 51 Abs. 2 Z 10 JN wird geändert wie folgt:

„10. Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs - sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt-, nach dem Urheberrechtsgesetz, nach den §§ 28 bis 30 des Konsumentenschutzgesetzes - sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt -, und nach Artikel V des Zinsenrechts- Änderungsgesetzes, BGBl. I Nr. 118/2002;“

Artikel II

Änderung der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 59/2017, wird wie folgt geändert:

1.  § 75 Z 1 wird folgender Satz angefügt:

„Kommt auf einer Seite mehr als drei Personen Parteistellung zu, so kann die namentliche Bezeichnung dieser Personen durch die allgemeine Bezeichnung ihrer Rechtsstellung oder die Anführung einer Partei mit dem Zusatz „und andere“ ersetzt werden. Der Klage ist in diesem Fall ein gesondertes Verzeichnis dieser Personen anzuschließen.“

2.  Nach § 189 wird folgende Bestimmung eingefügt:

,,§ 189a. (1). Werden in einem Verfahren mehrere Ansprüche geltend gemacht oder werden mehrere Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, so kann der Senat anordnen, dass die Verhandlung zunächst auf einzelne Ansprüche beschränkt wird und bis zu deren Klärung mit der Behandlung der anderen Ansprüche innegehalten wird, wenn die zu klärenden Tat- oder Rechtsfragen bei den Ansprüchen im Wesentlichen gleichartig sind und diese Maßnahme geeignet erscheint, das Verfahren zu vereinfachen oder zu beschleunigen oder die Kosten der Prozessführung zu mindern.

(2)   Der Beschluss, mit dem die Innehaltung angeordnet wird, ist selbstständig anfechtbar.“

3.  Nach § 190 wird folgende Bestimmung eingefügt:

,,§ 190a. (l) Sind in einem Rechtsstreit im Wesentlichen gleichartige Tat- und Rechtsfragen zu klären wie in einem anderen wenn auch nicht zwischen denselben Parteien anhängigen Rechtsstreit, so kann der Senat auf Antrag einer der Parteien das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des anderen Verfahrens unterbrechen, wenn diese Maßnahme geeignet erscheint, das vorliegende Verfahren zu vereinfachen oder zu beschleunigen oder die Kosten der Prozessführung zu mindern. Aus gerechtfertigten Gründen ist das Verfahren auf Antrag fortzusetzen.

(2)   Vor der Entscheidung ist den anderen Parteien des Verfahrens eine Stellungnahme Antrag zu ermöglichen.“

4.   § 227 Abs. 1 wird geändert wie folgt:

,,§ 227 (1) Mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten können auch ohne Vorliegen eines tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhangs in derselben Klage geltend gemacht werden, wenn

1.  das Prozessgericht zuständig und

2.   dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist.“

5.  § 393 Abs. 1 ZPO wird folgender Satz angefügt:

„Dabei kann auch über die maßgeblichen Grundsätze für die Bemessung der Schadenshöhe abgesprochen werden.“

6.  § 417 Abs. 1 Z 2 wird folgender Satz angefügt:

,,§ 75 Z 1 ist sinngemäß anzuwenden.“

7.  In § 464 Abs. 1 wird nach Absatz (1) folgender Abs. (1a) eingefügt:

,,(1a) Die Frist (Abs. 1)kann auf Antrag einer der Parteien im Gruppenverfahren sowie im Fall großen Umfangs des Verfahrens - insbesondere im Hinblick auf eine Vielzahl geltend gemachter Ansprüche- vom Gericht verlängert werden.“

8.  § 502 Abs. 5 Z 3 wird abgeändert wie folgt:

,,3. für Rechtsstreitigkeiten, in denen ein im § 29 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch gegen eine Partei klagsweise geltend macht oder mit Zustimmung des Verbrauchers im eigenen Namen Feststellungs- oder Gestaltungsbegehren erhebt. § 643 gilt sinngemäß.“

9.    In § 502 Abs. 5 wird am Ende der Z 4 der Punkt durch einen Strichpunkt ersetzt und folgende Z 5 angefügt:

,,5. Für Streitigkeiten, die im Gruppenverfahren entschieden werden.“

10.   § 505 Abs. 2 wird abgeändert wie folgt:

,,(2) Die Revisionsfrist beträgt vier Wochen von der Zustellung des Berufungserkenntnisses an; sie kann nur im Gruppenverfahren sowie im Fall großen Umfangs des Verfahrens - insbesondere im Hinblick auf eine Vielzahl geltend gemachter Ansprüche - auf Antrag einer der Parteien vom Gericht verlängert werden. § 464 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden.“

 


11.   Nach § 618 werden folgende Abschnitte samt Überschrift angefügt:

„Fünfter Abschnitt Gruppenverfahren

Voraussetzungen

§ 619. (1) Ein Gruppenverfahren kann durchgeführt werden, wenn

1.  zumindest 10 Personen Ansprüche geltend machen,

2.   alle Ansprüche gleichartige Tat- oder Rechtsfragen aufwerfen,

3.   die Ansprüche gegen dieselbe Person oder dieselben Personen gerichtet sind,

4.   die Verfahrensführung als Gruppenverfahren voraussichtlich eine Vereinfachung und Verbilligung gegenüber Einzelverfahren bewirkt.

(2)  Macht eine Person ihr abgetretene Ansprüche geltend, so ist jede Person, die ihr Ansprüche abgetreten hat, bei der Prüfung der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 mitzuzählen.

Antrag

§ 620. (1) In der Klage kann der Antrag auf Einleitung eines Gruppenverfahrens gestellt werden. Der Antrag hat zu enthalten:

1.  Namen und Anschrift der Gruppenkläger und des vorläufigen Gruppenvertreters,

2.   Angaben zu den in § 619 angeführten Voraussetzungen sowie

3.   ein bestimmtes Vorbringen zu den gleichartigen Tat- oder Rechtsfragen (§ 619 Abs. 1 Z 2 ZPO).

(2)   Über Verlangen des Gerichts sind die Voraussetzungen der Z 1 und 2 zu bescheinigen.

(3)  Im Gruppenverfahren gilt Anwaltspflicht; in Arbeits- und Sozialrechtssachen sind zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz auch qualifizierte Personen gemäß § 40 ASGG befugt.

Prüfung durch das Gericht

§ 621. Das Gericht kann den Antrag wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 619 Abs 1 ohne Anhörung des Beklagten zurückweisen. Dabei ist das Gericht nicht an die vom Antragsteller beigebrachten Bescheinigungsmittel gebunden. Andernfalls hat das Gericht den Antrag gemeinsam mit der Klage dem Beklagten zuzustellen.

Vorläufiges Gruppenverfahren

§ 622. (1) Nach Einlangen der Klagebeantwortung oder Verstreichen der dafür gesetzten Frist leitet das Gericht mit Beschluss das vorläufige Gruppenverfahren ein. Der Beschluss hat zu enthalten:

1.  den Gegenstand des angestrebten Gruppenverfahrens in tatsächlicher oder rechtlicher Sicht;

2.   die Erklärung, dass eine Gruppenklage eingebracht wurde, der man sich durch Beitritt anschließen kann;

3.   eine Belehrung über die Voraussetzungen, den Ablauf und die Wirkungen eines Gruppenverfahrens;

4.   den vorläufigen Gruppenvertreter;

5.   die Frist zum Beitritt zum Gruppenverfahren (§ 623),

6.   Eine Wiedergabe des bestimmten Vorbringens zu den gleichartigen Tat- oder Rechtsfragen (§ 620 Abs 1 Z 3);

7.   Ort, Zeit und Zweck der ersten Gruppenversammlung.

(2)   Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen. Den Parteien ist der Beschluss zuzustellen.

(3)   Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(4) In der öffentlichen Bekanntmachung der Gruppenklage und der Klagebeantwortung sind Name und Anschrift der Gruppenkläger zu anonymisieren. Die Parteien haben entsprechende Ausfertigungen in geeigneter elektronischer Form beizubringen.

(5)   Die öffentliche Bekanntmachung hat durch Aufnahme des Inhalts des Edikts sowie der Gruppenklage und der Klagebeantwortung in die Ediktsdatei zu erfolgen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist auch darauf hinzuweisen, dass die Richtigkeit der Behauptungen der Klage vom Gericht noch nicht überprüft wurde. Die Daten in der Ediktsdatei sind nach Ablauf der Beitrittsfrist zu löschen.


(6) Erforderlichenfalls kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen auch die Veröffentlichung in Medien anordnen. Die Kosten sind vorläufig aus Amtsgeldern zu tragen. Im Fall des Unterliegens des Beklagten sind diesem im Urteil auch die Kosten der Veröffentlichung aufzuerlegen.

Beitrittsantrag

§ 623. (1) Für den Beitrittsantrag zur Gruppenklage ist ein vom Gruppenvertreter erstelltes Formblatt (§ 630 Abs. 7) zu verwenden und beim Gericht der Gruppenklage einzubringen. Einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedarf es für den Beitritt nicht. Der Beitrittsantrag hat den Inhalt einer Klage aufzuweisen. Der Antragsteller hat darzutun, dass der Anspruch die Voraussetzungen des § 619 Abs. 1 Z 2 und 3 erfüllt und der Rechtsgrund des Anspruchs das bestimmte Vorbringen zu den gleichartigen Tat- oder Rechtsfragen (§ 620 Abs 1 Z 3) umfasst. Der Beitrittsantrag hat die Wirkungen einer Klage.

(2)   Ist über den Anspruch zwischen denselben Parteien bereits ein Verfahren anhängig, so kann der Beitritt unter den Voraussetzungen des Abs. 1 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz dieses Verfahrens beantragt werden. Das Verfahren ist mit Antragstellung bis zur Entscheidung über den Anspruch im Gruppenverfahren oder dem Ausscheiden aus dem Gruppenverfahren unterbrochen. Der Beitrittsantrag ist unter Anschluss einer Kopie der Klage beim Prozessgericht einzubringen, welches die beiden Schriftstücke an das für die Gruppenklage zuständige Gericht weiterleitet.

(3)   Der Beitrittsantrag ist rechtzeitig, wenn er binnen 4 Monaten ab der Veröffentlichung nach § 622 beim Gericht der Gruppenklage (Abs. 1) oder beim Prozessgericht (Abs. 2) einlangt.

(4)     Verspätete Anträge und Anträge, die offensichtlich nicht den Anforderungen des Abs. 1 entsprechen sind mit Beschluss zurückzuweisen. Über die Berechtigung rechtzeitiger Beitrittsanträge entscheidet das Gericht erst mit der Entscheidung über die Durchführung des Gruppenverfahrens.

(5)     Die beitretende Partei hat den Rechtsstreit in der Lage anzunehmen, in der er sich zur Zeit des Beitritts befindet.

Erste Gruppenversammlung

§ 624. (1) In der ersten Gruppenversammlung belehrt das Gericht die Gruppenkläger über den Gegenstand und das Ziel des Gruppenverfahrens.

(2)     Das Gericht holt Vorschläge zur Person des Gruppenvertreters sowie eines allenfalls zu bestellenden Gruppenbeirats ein. Das Gericht ist jedoch bei der Auswahl der zu bestellenden Personen nicht an die Beschlüsse der Gruppenversammlung gebunden.

(3)   In der oder im Anschluss an die erste Gruppenversammlung fasst das Gericht den Beschluss über die Person des Gruppenvertreters nach § 630.

Entscheidung über die Durchführung des Gruppenverfahrens

§ 625. (1) Das Gericht hat nach Ablauf der Beitrittsfrist dem Gruppenvertreter und der beklagten Partei alle Beitrittsanträge zuzustellen und ihnen unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Über die Durchführung des Gruppenverfahrens hat das Gericht nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

(2)   Erklärt das Gericht die Durchführung für zulässig, so hat es in dieser Entscheidung zu bestimmen, welche Ansprüche am Gruppenverfahren teilnehmen und welche der Tat- oder Rechtsfragen behandelt werden. Werden Ansprüche geltend gemacht, die sich im Umfang der gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen unterscheiden, so hat das Gericht auch zu entscheiden, ob die und bejahendenfalls welche der nicht allen Ansprüchen gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen behandelt werden. Dabei hat es die voraussichtlich zu erzielende Vereinfachung und Verbilligung gegenüber Einzelverfahren gegen die zu erwartende Erschwerung und Verteuerung des Gruppenverfahrens abzuwägen.

(3)   Das Rechtsmittelverfahren ist zweiseitig; die Frist beträgt vier Wochen.

(4)    Für Ansprüche, die nicht in das Gruppenverfahren einbezogen werden, gilt § 636 Abs. 2 bis 5 sinngemäß. Die Frist des § 636 Abs. 5 beginnt mit Rechtskraft des Beschlusses über die Durchführung des Gruppenverfahrens.

(5)   Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen.

(6)   Lehnt das Gericht die Einleitung des Gruppenverfahrens ab, so gilt § 636 sinngemäß.

Gruppenkläger

§ 626. (1) Gruppenkläger ist jede Person, die durch Klage am Gruppenverfahren teilnimmt, oder deren Beitritt zum Gruppenverfahren vom Gericht zugelassen wurde. Die Parteirechte der Gruppenkläger werden im Gruppenverfahren ausschließlich durch den Gruppenvertreter vertreten. Sie selbst haben das Recht an den öffentlichen Tagsatzung des Gruppenverfahrens teilzunehmen. Prozesshandlungen des Gruppenvertreters können Gruppenkläger jedoch nur im Wege des § 630 Abs. 3 anregen.

(2)    Alle Gruppenkläger sind vom Gericht in ein nach dem Familiennamen alphabetisch geordnetes Verzeichnis einzutragen. Anzuführen sind der Vor- und Familienname, die Zustelladresse, der geltend gemachte Anspruch und dessen Wert. Das Verzeichnis ist aktuell zu halten.


(3)   In Schriftsätzen und gerichtlichen Entscheidungen kann statt der Anführung aller Parteien auf das Verzeichnis der Gruppenkläger verwiesen werden.

(4)    Tritt hinsichtlich eines Gruppenklägers ein Unterbrechungsgrund nach § 155 oder § 158 ein oder wird über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet, so wird das Gruppenverfahren dessen ungeachtet nicht unterbrochen.

(5)   Die Gruppenkläger haben den Gruppenvertreter in der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Sie haben ihm insbesondere Auskünfte zu erteilen, Unterlagen zur Verfügung zu stellen und Vorschüsse fristgerecht zu erlegen.

Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Gruppenverfahren

§ 627. (1) Jeder Gruppenkläger kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz durch einseitige Erklärung dem Gericht gegenüber aus dem Gruppenverfahren austreten. Einer Vertretung bedarf es für den Austritt nicht.

(2)    Auf Antrag des Gruppenvertreters hat das Gericht einen Gruppenkläger aus dem Verfahren auszuschließen, wenn er Mitwirkungspflichten grob verletzt. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

(3)     Scheidet ein Gruppenkläger vorzeitig aus dem Verfahren aus, so gilt § 636 Abs.4 und 5 sinngemäß. Die Frist des § 636 Abs. 5 beginnt mit jenem Tag, an dem die Austrittserklärung bei Gericht einlangt oder die Rechtskraft des Ausschlusses eintritt.

(4)    Sinkt durch vorzeitiges Ausscheiden aus dem Gruppenverfahren die Anzahl der Gruppenkläger unter die in § 619 Abs. 1 Z 1 genannte Mindestanzahl herab, so hat das Gericht zu entscheiden, ob das Gruppenverfahren fortgesetzt wird. Das Verfahren ist fortzusetzen, wenn die fortgesetzte Verfahrensführung als Gruppenverfahren nach dem Verfahrensstand weiterhin eine Vereinfachung und Verbilligung gegenüber Einzelverfahren bewirkt. Andernfalls sind die Gruppenklage und die Beitritte zurückzuweisen. § 636 Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß. Die Frist des § 636 Abs. 5 beginnt mit jenem Tag, an dem die Zurückweisung rechtskräftig wird.

Gruppenversammlung

§ 628. (1) Die Gruppenversammlung wird vom Gericht einberufen und geleitet. Sie ist insbesondere einzuberufen, wenn dies vom Gruppenvertreter, von zwei Mitgliedern des Gruppenbeirats oder von zumindest 10 % der Gruppenkläger beantragt wird. § 619 Abs. 2 gilt sinngemäß.

(2)   Die Einberufung ist unter Angabe des Verhandlungsgegenstandes öffentlich bekannt zu machen.

(3)   Zur Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit von zumindest 30 % der Gruppenkläger erforderlich, wobei sich Gruppenkläger durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen können. § 619 Abs. 2 gilt sinngemäß.

(4)    Zu Beschlüssen und Anträgen auf Enthebung des Gruppenvertreters bedarf es der einfachen Mehrheit der Stimmen. Dabei sind nur die Stimmen der bei der Gruppenversammlung erschienenen Gruppenkläger zu zählen. Die Mehrheit berechnet sich nach Köpfen. § 619 Abs. 2 gilt sinngemäß.

(5)   Soweit ein Stimmrecht bestritten wird, entscheidet nach vorläufiger Prüfung und Einvernehmung der Beteiligten das Gericht. Dabei kann das Gericht insbesondere auch die Erfolgsaussichten der jeweiligen Forderungen berücksichtigen. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist unzulässig, doch kann die Entscheidung auf Antrag abgeändert werden.

Gruppenbeirat

§ 629. (1) Soweit es Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens erfordern, kann das Gericht auf Antrag der Gruppenversammlung (§ 628 Abs.4), des Gruppenvertreters oder von Amts wegen dem Gruppenvertreter einen Gruppenbeirat von drei bis sieben Mitgliedern beiordnen. Hierbei ist, wenn tunlich, auf Vorschläge der Gruppenkläger sowie, sofern dies nach dem Gegenstand des Verfahrens in Betracht kommt, einer einschlägigen gesetzlichen oder freiwilligen Interessenvertretung Bedacht zu nehmen.

(2)   Zu Mitgliedern des Gruppenbeirats können auch natürliche sowie juristische Personen, die nicht Gruppenkläger sind, bestellt werden.

(3)      Der Gruppenbeirat hat den Gruppenvertreter zu überwachen und zu unterstützen. Der Gruppenvertreter hat vor wichtigen Verfahrensschritten die Äußerung des Gruppenbeirats einzuholen.


Gruppenvertreter

§ 630. (1) Der Gruppenvertreter wird von Amts wegen vom Gericht bestellt.

(2)   Dem Gruppenvertreter obliegt die Wahrnehmung sämtlicher Parteirechte der Gruppenkläger im Gruppenverfahren, im Vergleichsverfahren (§ 635) und einem allfälligen Exekutionsverfahren zur Durchsetzung der im Gruppenverfahren ergangenen Entscheidung. Er vertritt die Gruppenkläger in der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte und Pflichten im Gruppenverfahren.

(3)  Der Gruppenvertreter hat die gemeinsamen Interessen der Gruppenkläger zu wahren. Die einfache Mehrheit der Gruppenkläger kann dem Gruppenvertreter Weisungen erteilen (§ 628 Abs.4); einzelne Gruppenkläger können lediglich Anregungen erstatten. Sachdispositionen über die Ansprüche erfordern die Zustimmung des jeweiligen Gruppenklägers. Diese kann auch vorab erteilt werden.

(4)  Gruppenvertreter kann jede volljährige und entscheidungsfähige natürliche oder juristische Person sein, die verlässlich und imstande ist, die im Gruppenverfahren wahrzunehmenden Aufgaben zu erfüllen. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist auf Verlangen zu bescheinigen. Ein in § 29 Abs. 1 KSchG genannter Verband bedarf keiner Bescheinigung. Der Gruppenvertreter kann auch eine Partei oder ein Parteienvertreter des Verfahrens sein.

(5)   Sofern sich mehrere Personen um das Amt des Gruppenvertreters bewerben, hat das Gericht den Gruppenvertreter nach Maßgabe der Eignung und Erfahrung der betreffenden Personen auszuwählen. Dabei gebührt Verbänden im Sinne des § 29 Abs. 1 KSchG der Vorzug.

(6)   Lehnt der Bestellte die Übernahme der Tätigkeit ab, wird er seines Amtes enthoben oder wird ein sonstiger Wechsel iSd § 631 notwendig, so hat das Gericht von Amts wegen eine andere Person zum Gruppenvertreter zu bestellen. Die Bestellung eines anderen Gruppenvertreters ist öffentlich bekannt zu machen und wird mit öffentlicher Bekanntmachung wirksam.

(7)   Der Gruppenvertreter hat für den Beitritt ein Formblatt zur Verfügung zu stellen, das auch eine Belehrung über die Voraussetzungen, den Ablauf und die Wirkungen eines Gruppenverfahrens und die voraussichtlichen Kosten zu enthalten hat. Er hat die Gruppenkläger in geeigneter Form über den Stand des Verfahrens zu informieren.

Wechsel des Gruppenvertreters

§ 631. Stirbt der Gruppenvertreter, verliert er seine Entscheidungsfähigkeit oder Rechtspersönlichkeit oder wird über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet, oder ersucht er aus begreiflichen Gründen um Beendigung seiner Tätigkeit, so ist er vom Gericht zu entheben. Gleiches gilt, wenn dies die Gruppenversammlung (§ 628 Abs. 4) oder der Gruppenbeirat mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen beantragt.

Vorbereitende Tagsatzung

§ 632. Hat das Gericht das Gruppenverfahren eingeleitet, so hat es nach Rechtskraft dieses Beschlusses eine vorbereitende Tagsatzung (§ 239) anzuberaumen. Im Rahmen dieser Tagsatzung hat das Gericht insbesondere

1.  die Fassung des Klagebegehrens;

2.   die Möglichkeit der vorläufigen Beschränkung auf ein Feststellungsbegehren;

3.   die Ermittlung von streitigen Tatsachen und Rechtsfragen sowie

4.   erforderlichenfalls die Bildung von Untergruppen zu erörtern.

Prozessleitung

§ 633. (1) Das Gericht kann nach seinem Ermessen das Verfahren zunächst auf die Klärung einzelner Tatsachen oder Ansprüche bzw. Anspruchsvoraussetzungen beschränken. Das Gericht kann über derartige Fragen ein Zwischenurteil (§ 393 ZPO) fallen.

(2)  Wenn dies voraussichtlich zur Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens beiträgt, kann das Gericht in sinngemäßer Anwendung des § 625 Untergruppen bilden.

Entscheidung

§ 634. (1) Das Gericht entscheidet in der Sache mit Urteil. Das Gericht hat über alle gestellten Begehren zu entscheiden, sofern dies ohne erheblichen zusätzlichen Verfahrensaufwand möglich ist. Andernfalls kann sich das Gericht auf die Entscheidung der gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen (Abs. 2) beschränken.


(2)    Auch die Entscheidung über die Tat- oder Rechtsfragen ergeht mit Urteil. In diesem kann auch über einzelne Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere über Tatsachen, abgesprochen werden. Kann das Urteil durch ein Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden, so erwächst es in diesem Umfang zwischen den Parteien in Rechtskraft.

(3)    Nach seinem Ermessen kann das Gericht mit Teil- oder Zwischenurteil entscheiden, wenn dies voraussichtlich zur Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens beiträgt. Bei der Fällung eines Zwischenurteils ist das Gericht nicht an die Voraussetzungen des § 393 gebunden.

(4)    Soweit das Gericht nach Abs. 2 Tatsachen zum Gegenstand eines Urteils macht, kann sich das Gericht im Spruch (§ 417 Abs. 1 Z 3) auf den Ausspruch beschränken, dass von den in den Entscheidungsgründen (§ 417 Abs. 1 Z 4) angeführten Feststellungen auszugehen ist.

Vergleichsversuch

§ 635. § 204 ist in jeder Lage des Verfahrens anzuwenden. Das Gericht kann von Amts wegen und hat auf Antrag des Gruppenvertreters oder des Beklagten auch nach Rechtskraft eines Urteils, sofern mit diesem nicht alle Ansprüche endgültig erledigt sind, eine Tagsatzung zur Vornahme eines Vergleichsversuchs anzuberaumen.

Beendigung des Gruppenverfahrens

§ 636. (1) Hat das Gericht mit Urteil über alle geltend gemachten Begehren der Gruppenkläger abgesprochen, so gilt das Verfahren mit Rechtskraft des Urteils als beendet.

(2)   Andernfalls hat das Gericht nach Rechtskraft der Entscheidung über die gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen und Vornahme eines Vergleichsversuchs (§ 635) mit Beschluss die Beendigung des Gruppenverfahrens auszusprechen.

(3)     Nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens sind die bisher darin gemeinsam verfolgten Ansprüche einzeln geltend zu machen, sofern sie im Gruppenverfahren nicht vollständig erledigt wurden.

(4)      Wird die Verfolgung eines Anspruchs gehörig fortgesetzt, so bleibt dessen Verjährung unterbrochen.

(5)    Die Verfolgung eines Anspruchs gilt als gehörig fortgesetzt, wenn binnen sechs Monaten ein Fortsetzungsantrag eingebracht wird. Der Fortsetzungsantrag ist bei dem Gericht, bei dem das Gruppenverfahren geführt wurde, wenn jedoch bereits zuvor ein Verfahren anhängig war, bei dem Gericht dieses Verfahrens zu stellen. § 27 ist anzuwenden. Für Zwecke der Geschäftsverteilung und Gerichtsbesetzung gilt ein beim Gericht des Gruppenverfahrens gestellter Fortsetzungsantrag als neue Klage.

(6)      Die rechtskräftige Entscheidung, mit der das Gruppenverfahren beendet wird, ist unter Anonymisierung von Name und Anschrift der Gruppenkläger in der Ediktsdatei bekanntzumachen. Die Frist des Abs. 3 beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung zu laufen. Die Daten in der Ediktsdatei sind nach Ablauf von einem Jahr nach Ende der Frist des Abs. 3 zu löschen.

Öffentliche Bekanntmachung

§ 637. Die Information der Gruppenkläger über den Fortgang des Verfahrens erfolgt durch öffentliche Bekanntmachung des Protokolls der Verhandlung und der ergehenden Sachentscheidungen. Auch die Erhebung von Rechtsmitteln gegen Sachentscheidungen sowie gegen die Einleitung des Gruppenverfahrens ist öffentlich bekannt zu machen. Auf Antrag des Gruppenvertreters hat das Gericht auch die öffentliche Bekanntmachung zusätzlicher Umstände zu verfügen, sofern diese für eine größere Zahl von Gruppenklägern bedeutsam sind.

Entlohnung des Gruppenvertreters

§ 638. (1) Der Gruppenvertreter hat nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens den Gruppenklägern gegenüber Anspruch auf eine Entlohnung in der Höhe von 30% der nach den Vorschriften des RATG zu ermittelnden Verdienstsumme des Rechtsanwalts der Klägerseite. Er kann von den Gruppenklägern einen angemessenen Vorschuss verlangen.

(2)    Kommt es während des Verfahrens zu einem Wechsel des Gruppenvertreters, so gebührt die Entlohnung nach Abs. 1 anteilig.

(3)    Die Gruppenkläger schulden die Entlohnung des Gruppenvertreters anteilig im Verhältnis ihrer Beteiligung am Streitwert.

(4)   Scheidet ein Gruppenkläger vorzeitig aus, so entsteht der Anspruch diesem gegenüber mit jenem Tag, an dem die Austrittserklärung bei Gericht einlangt oder die Rechtskraft des Ausschlusses eintritt.

(5)     Wurde einem Gruppenkläger Verfahrenshilfe nach § 64 Abs. 1 Z 3 gewährt, so ist er dem Gruppenvertreter gegenüber nicht zur Zahlung des auf ihn entfallenden Anteils der Entlohnung verpflichtet; ein allfälliger Kostenersatzanspruch bleibt davon unberührt. Der Gruppenkläger ist zur Zahlung verpflichtet, soweit und sobald er ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts dazu imstande ist.


Entlohnung des Rechtsanwalts

§ 639. (1) Die Entlohnung des Rechtsanwalts der Klägerseite schulden ausschließlich die Gruppenkläger anteilig im Verhältnis ihrer Beteiligung am Streitwert. Ein allfälliger Kostenersatzanspruch bleibt davon unberührt.

(2) Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 64 Abs. 1 Z 3 gilt für das Gruppenverfahren als einstweilige Befreiung von der Entrichtung desjenigen Teils der Entlohnung des Rechtsanwalts der Klägerseite, der auf den Verfahrenshilfe genießenden Gruppenkläger entfällt; diese Befreiung ersetzt für das Gruppenverfahren die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts nach § 64 Abs. 1 Z 3. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 64 Abs. 1 Z 1 lit. f umfasst im Gruppenverfahren auch den Teil der Barauslagen des Rechtsanwalts, der auf den Verfahrenshilfe genießenden Gruppenkläger entfällt.

Kosten

§ 640. (1) Nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens hat das Gericht erster Instanz über den Kostenersatz zu entscheiden. Wurden die im Gruppenverfahren geltend gemachten Ansprüche nicht vollständig erledigt, so hat es die Kosten der Gruppenkläger einschließlich der Entlohnung des Gruppenvertreters sowie die Kosten der beklagten Partei der Höhe nach zu bestimmen und auf die Gruppenkläger anteilig im Verhältnis ihrer Beteiligung am Streitwert aufzuteilen.

(2)    Die Kosten des Beitrittsantrags sowie die durch die Behandlung von Tat- oder Rechtsfragen unterschiedlichen Umfangs verursachten Kosten sind Kosten nur der jeweiligen Gruppenkläger.

(3)    Scheidet ein Gruppenkläger vorzeitig aus dem Verfahren aus, so hat das Gericht die Parteien zur Verzeichnung ihrer Kosten binnen 14 Tagen aufzufordern und sodann die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Kosten und den Anteil des ausscheidenden Klägers im Sinne der Abs. 1 und 2 zu bestimmen.

(4)    Wird binnen sechs Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Gruppenverfahrens oder nach vorzeitigem Ausscheiden eines Gruppenklägers ein bereits anhängiges Verfahren fortgesetzt oder eine Klage eingebracht, so sind die Kosten des Gruppenverfahrens nach Abs. 1 bis 3 weitere Kosten des einzelnen Verfahrens. Andernfalls hat das Gericht erster Instanz auf Antrag der beklagten Partei den betreffenden Gruppenkläger zum Ersatz des auf ihn entfallenden Teils der Kosten der beklagten Partei zu verpflichten.

Sechster Abschnitt Musterverfahren

§ 641. (1) Macht ein in § 29 Abs. 1 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch klagsweise geltend, so kann er beantragen, dass dieses Verfahren als Musterverfahren bekanntgemacht wird. Voraussetzung ist, dass der geltend gemachte Anspruch Rechtsfragen aufwirft, die für eine große Zahl von Ansprüchen bedeutsam sein können und sich aus einem im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalt ergeben.

(2)     Der Verband hat in seinem Antrag jene Merkmale zu bezeichnen, die das Verfahren als Musterverfahren kennzeichnen und die typischen Kriterien, die Ansprüche aufweisen müssen, um vom Musterverfahren betroffen zu sein, im Einzelnen genau anzugeben.

(3)   Das Gericht hat nach Prüfung des Antrags die Klage, den Antrag und den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Ediktsdatei öffentlich bekanntzumachen. Die Bekanntmachung hat auf die Wirkung des § 642 hinzuweisen. Andernfalls ist der Antrag mit Beschluss abzuweisen und das ordentliche Verfahren einzuleiten.

(4)   Die Daten sind nach Ablauf von drei Jahren nach Veröffentlichung der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zu löschen.

(5)   § 189a und § 190a sind nicht anzuwenden.

§ 642. Von der Veröffentlichung der Musterklage bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Veröffentlichung der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens ist die Verjährungsfrist für alle Ansprüche im Sinne des § 641 Abs. 2 gehemmt. Der Eintritt eines mehr als sechsmonatigen Ruhens ist der Verfahrensbeendigung gleichzuhalten.

§ 643. Die in § 29 Abs. 1 KSchG genannten Verbände können ihnen abgetretene Ansprüche unbeschadet eines allfälligen vertraglichen Abtretungsverbots im eigenen Namen geltend machen.

§ 644. Dieser Abschnitt gilt sinngemäß, wenn ein in § 29 Abs. 1 KSchG genannter Verband mit Zustimmung des Berechtigten im eigenen Namen Feststellungs- oder Gestaltungsbegehren erhebt.


Artikel III

Änderung des Gerichtsgebührengesetzes

Das Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984, zuletzt geändert durch das Budgetbegleitgesetz 2007, BGBl. I Nr. 130/2017, wird wie folgt geändert:

Nach § 18 wird folgender § I8a samt Überschrift eingefügt:

„Sonderregelungen für Gruppenverfahren

§ 18a. (1) Die Bemessungsgrundlage für eine Gruppenklage (§ 620 ZPO) beträgt 4 000 Euro, soweit nicht - sei es in einem Leistungs- oder in einem sonstigen Begehren - ein niedrigerer Geldbetrag ausschließlicher Gegenstand der Klage ist. Ein Beitrittsantrag gemäß § 623 ZPO ist gerichtsgebührenrechtlich einer Gruppenklage gleichzuhalten.

(2) § 19a ist nicht anzuwenden.“

Artikel IV

Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes

Das Bundesgesetz über den Rechtsanwaltstarif, BGBl. Nr. 189/1969, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 10/2017, wird wie folgt geändert:

1.  Nach § 9 wirdfolgender §9a eingefügt:

,,§ 9a. (1) In Gruppenverfahren nach den § § 619 ff. ZPO können die Parteien die Höhe des Streitwerts frei vereinbaren.

(2)  Mangels einer entsprechenden Vereinbarung beträgt der Streitwert höchstens zwei Millionen Euro, sofern der Wert des Streitgegenstandes über dieser Bemessungsgrundlage liegt.

(3)   Die Gruppenklage (§ 620 ZPO), Beitrittsanträge (§ 623 ZPO), Austrittserklärungen (§ 626 ZPO) und Äußerungen des Beklagten dazu sind nach der sich für den jeweiligen Schriftsatz ergebenden Bemessungsgrundlage zu entlohnen, soweit diese unter der für das Gruppenverfahren maßgeblichen Bewertung beziehungsweise der sich für das Gruppenverfahren nach § 12 ergebenden Bemessungsgrundlage liegt.“

2.  In § 15 erhält der bisherige Inhalt die Absatzbezeichnung ,,(1)“ und wird folgender Abs. 2 angefügt:

,,(2) Abs. 1 gilt nicht in Gruppenverfahren nach den §§ 619 ff. ZPO, dies einschließlich der Gruppenklage (§ 620 ZPO), der Beitrittsanträge (§ 623 ZPO) und der Austrittserklärungen (§ 626 ZPO).“

Artikel V

Änderungen des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes

Das Bundesgesetz über die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, BGBl. Nr. 104/1985, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 44/2016, wird wie folgt geändert:

§ 50 ASGG wird folgender Absatz angefügt:

,,(3) Ferner sind Arbeitsrechtssachen Streitigkeiten nach §§ 28, 29 und 30 des Konsumentenschutzgesetzes, die Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 51 Abs. 3) betreffen, sowie nach § 14 UWG, die das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 51 Abs. 3) betreffen.“

Artikel VI

Änderungen des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb

Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984, BGBl. Nr. 448/1984, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 99/2016, wird wie folgt geändert:

1.  § 14 Abs. 1 Satz 2 UWG wird geändert wie folgt:

„In den Fällen der §§ 1, 1a, 2, 2a und 9c kann der Anspruch auf Unterlassung auch von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, der Wirtschaftskammer Österreich, der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, vom Österreichischen Gewerkschaftsbund, von der Bundeswettbewerbsbehörde oder vom Verein für Konsumenteninformation geltend gemacht werden.“

2.   § 14 Abs. 1 Satz 3 UWG entfällt.


Artikel VII

Änderungen des Konsumentenschutzgesetzes

Das Konsumentenschutzgesetz, BGBl. Nr. 140/1979, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 50/2017, wird wie folgt geändert:

1.  In § 28 KSchG werden folgende Absätze eingefügt:

,,(1a) Der Anspruch auf Unterlassung umfasst auch das Recht, die Beseitigung des den Vorschriften des Gesetzes widerstreitenden Zustandes vom Verpflichteten, soweit die Verfügung hierüber zusteht, zu verlangen.“

,,(2a) Von der Einbringung der Verbandsklage bis zum Ablauf von zumindest sechs Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens sind alle Verjährungsfristen für aus einer verfahrensgegenständlichen Klausel resultierende Ansprüche berechtigter Personen gehemmt. War die ursprüngliche Frist kürzer, so steht dem Berechtigten nur diese Frist offen. Der Eintritt eines mehr als sechsmonatigen Ruhens ist der Verfahrensbeendigung gleichzuhalten."

,,(4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden auf Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 51 Abs. 3 ASGG).“

2.   In § 28a KSchG wirdfolgender Absatz eingefügt:

,,(1b) § 28 Abs. 1a und Abs. 2a gilt sinngemäß."

3.  Nach § 29 KSchG wird folgende Bestimmung eingefügt:

„Abschöpfung der Bereicherung

§ 29a. (1) Wer im Sinne von § 28, § 28a KSchG oder § 14 UWG gegen Ge- oder Verbote verstößt und dadurch die allgemeinen Interessen des geschützten Personenkreises beeinträchtigt, kann von den in § 29 Abs. 1 KSchG genannten Einrichtungen auf Leistung des nach Maßgabe von Abs. 2 ermittelten Gewinns an die Republik Österreich geklagt werden. Als Streitwert iSd §§ 54 ff JN gilt höchstens ein Betrag in Höhe von € 31.000. Machen mehrere Stellen oder Organisationen diesen Anspruch geltend, entscheidet das Zuvorkommen.

(2)    Als Gewinn gilt ein Betrag in Höhe von 10 % des Jahresumsatzes des Vorjahres, sofern der Unternehmer nicht beweist, dass er einen niedrigeren Gewinn erzielt hat. Auf den Gewinn sind die Leistungen anzurechnen, die der Unternehmer bereits als Schadenswiedergutmachung oder als Geldbuße geleistet hat.

(3)   Der Anspruch entfällt durch den Nachweis, dass den Unternehmer kein grobes Verschulden trifft.

(4)  Die Verbindlichkeit kann vom Richter gemäßigt oder auch ganz erlassen werden, wenn der Verstoß nicht vorsätzlich erfolgt ist und den Unternehmer die Vorteilsabschöpfung unter Berücksichtigung aller Umstände unbillig hart träfe. Für das Vorliegen dieser Umstände ist der Unternehmer behauptungs- und beweispflichtig.

(5)   Dem Kläger gebührt zur Abgeltung seines Organisationsaufwandes ein Pauschalbetrag in Höhe von 10 % der festgesetzten Gewinnabschöpfung. Dieser Betrag ist vom Gericht gleichzeitig mit dem Gewinnabschöpfungsbetrag festzusetzen. Der restliche Betrag ist von der Republik Österreich für Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung sowie für konsumentenrechtliche Projekte zu verwenden.

4.  In § 41a wirdfolgender Absatz angefügt:

„(33) § 29a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XX/2017 tritt mit 1 Juli 2018 in Kraft und ist auf Verstöße anzuwenden, die nach diesem Zeitpunkt erfolgen.“

Artikel VIII Inkrafttreten

Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Juli 2018 in Kraft.

 


 


Begründung

In Massenschadensfällen, in denen eine Vielzahl Betroffener wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens geschädigt ist, sind die Schäden des Einzelnen oft gering und eine Prozessführung lohnt aufgrund des Kosten- und Prozessrisikos nicht. KonsumentInnen bleibt daher oftmals der Zugang zum Recht verwehrt und sie bleiben auf ihren Schäden sitzen. Nicht zuletzt der VW Skandal hat in aller Schärfe gezeigt, dass es ein eklatantes Rechtsschutzdefizit gibt. Dieses trifft VerbraucherInnen wie UnternehmerInnen gleichermaßen. Eine Vielzahl von Einzelprozessen, die die gleichen Tat- und Rechtsfragen zum Gegenstand haben, belastet ferner die Justiz.

Erfolgreiche Modelle zur effektiven Bewältigung von Massenschadensfällen existieren mittlerweile in einer Reihe europäischer Staaten, ua in Belgien, Italien, Frankreich, England und Wales, Spanien und Portugal. In Deutschland ist im Lichte des VW-Skandals die Einführung eines Musterfeststellungsverfahrens geplant[1]. In den Niederlanden hat sich das Modell eines Sammelvergleichs auf Opt out-Basis[2] bewährt, dem nunmehr das Instrument einer Verbands-Schadenersatzklage (collective action) zur Seite gestellt werden soll.

Massenverfahren sind auch in Österreich zunehmend zu beobachten. Beispiele sind Schadenersatzklagen wegen Hepatitis-Infektionen, Schadenersatzklagen von Urlaubern, Schadenersatzklagen von Anlegern, aber auch arbeitsgerichtliche Streitigkeiten wie im Zusammenhang mit Betriebspensionen.

Die herkömmlichen Möglichkeiten des österreichischen Zivilprozessrechts reichen zur Bewältigung von Massenverfahren nicht aus:

·         Verbandsklagen nach KSchG und UWG[3] sind ein Mittel der präventiven Marktkontrolle, dienen aber nicht der Durchsetzung individueller Ansprüche.

·          Musterklagen, bei denen nach Abtretung eines Anspruchs an Verbände wie den VKI oder die BAK ein erleichterter Zugang zum OGH besteht[4], leisten iS einer strategic litigation einen wichtigen Beitrag zur Rechtsentwicklung und Rechtssicherheit, sind aber für Massenschäden nicht geeignet: Urteilen kommt selbst bei identer Sach- und Rechtslage keine Bindungswirkung für andere Fälle zu. Die ökonomisch sinnvolle Lösung, Sach- oder Rechtsfragen musterhaft in einem Testprozess klären zu lassen, hängt vielmehr von der Kooperationsbereitschaft des Prozessgegners ab. Gibt er keinen Verjährungsverzicht ab, können nicht eingeklagte Ansprüche zwischenzeitig verjähren. Die Verjährungsproblematik hat etwa bei den Schäden im Zusammenhang mit fehlerhaften Brustimplantaten der Firma Poly Implant Prothese (PIP) dazu geführt, dass alle Fälle österreichischer Frauen mit Unterstützung des VKI einzeln in Frankreich eingeklagt werden mussten, da die Gegenseite nicht bereit war, einen Verjährungsverzicht abzugeben.

·          Die als Behelfslösung von der Praxis entwickelte „Sammelklage österreichischer Prägung“ basiert darauf, dass sich ein Verband die Ansprüche der Geschädigten zum Inkasso abtreten lässt und sie dann gebündelt in einer Klage geltend macht. Einwendungen des Beklagten gegen die „Zulässigkeit“ der Sammelklage führen in praxi allerdings zu zeit- und kostenaufwändigen Zwischenstreitigkeiten. Bei hohen Streitwerten kann ein Ausjudizieren durch die Instanzen zu einer für den Verlierer potenziell existenzbedrohenden Kostenexplosion führen.

·          Bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten scheidet die Sammelklage von vornherein aus, weil durch die Zession der Verbrauchergerichtsstand verloren geht. Aktuell zeigt sich dies gerade im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal. Eine Sammelklage gegen VW ist mit der „Sammelklage österreichischer Prägung“ schlicht nicht möglich.

·          Konsequenz ist, dass Kläger vermehrt ins Ausland ausweichen[5]. Umgekehrt führt das Fehlen geeigneter Instrumente in Österreich zum forum shopping und dazu, dass österreichische Unternehmen zunehmend in Großverfahren im Ausland hineingezogen werden. Damit gehen auch negative Auswirkungen auf den heimischen Justizstandort einher.


Vorteile eines Gruppenverfahrens

·          Der Zugang zur Justiz wird verbessert. Geschädigte scheuen oft wegen des Prozesskostenrisikos, der mangelnden Erfahrung im Umgang mit dem Gericht oder wegen zu geringer Schadenshöhe den Gang zu Gericht. Durch die Möglichkeit der Teilnahme bei einer Gruppenklage fällt diese Hemmschwelle weg.

·          Erhöhte Verfahrensökonomie: Die Entscheidung über viele gebündelte Fälle erfolgt durch einen Richter, ggf ist nur ein Sachverständiger notwendig, und es ergeht ein Urteil. Dies führt zu einer Ersparnis bei Verfahrenskosten für die Parteien und zu einer Ressourceneinsparung bei Gericht, da nur ein Richter und nicht mehrere Richter mit ein- und derselben causa beschäftigt sind - und damit letztlich auch zu einer Ersparnis für den Steuerzahler.

·          Die Gruppenklage ist auch möglich, wenn keine Organisation den Fall aufgreift. Eine Abtretung von Ansprüchen ist nicht zwingend erforderlich.

·          Das Prozesskostenrisiko trägt nicht ein einziger Kläger, sondern ist auf mehrere verteilt, daher wird nicht immer ein Prozesskostenfinanzierer nötig sein.

·          Die Rechtsverfolgung gegen ausländische Beklagte ist möglich. Die inländische Gerichtsbarkeit geht nicht verloren.

·          Auch kleinere Schäden können ökonomisch sinnvoll eingeklagt werden, etwa rechtswidrig verrechnete Mahnspesen.

·          Die Gerichte werden entlastet, da nicht viele gleichartige Prozesse und Sammelklagen nebeneinander geführt werden müssen.

·       Die Gruppenklage bringt Rechtssicherheit durch ein einziges Urteil.

·          Marktbereinigende Wirkung: Vorteil für gesetzeskonforme Unternehmen, da sich rechtswidriges Verhalten weniger lohnt; wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken wird präventiv gegengesteuert.

 

Reform des kollektiven Rechtsschutzes

Um zu verhindern, dass Geschädigte leer ausgehen und sich rechtswidriges Verhalten lohnt, weil Unrechtsgewinne behalten werden können, bedarf es einer Reform, die eine zügige und kostenökonomische Abwicklung von Massenschadensfällen ermöglicht.

Diese liegt nicht zuletzt auch im Interesse der österreichischen UnternehmerInnen. Sie sollen als Mitbewerber vor den „schwarzen Schafen“ und deren wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen effektiv geschützt werden. Auf der anderen Seite soll bei Massenschäden auch für den Schädiger eine endgültige Bereinigung mit kalkulierbarem Kosten- und Zeitaufwand möglich sein[6]

Der vorliegende Gesetzesvorschlag verfolgt einen mehrspurigen Ansatz, der die Einführung eines Gruppenverfahrens ebenso umfasst wie punktuelle Änderungen des gegenwärtigen Verfahrensrechts. Dabei kann der Vorschlag in weiten Teilen auf den bereits vorhandenen Reformentwürfen aus 2007 und 2008 aufbauen, die seinerzeit nach ausführlicher Diskussion in einer breit angelegten Arbeitsgruppe entwickelt wurden. Der Gesetzesvorschlag baut die seinerzeitigen Vorschläge teilweise aus, nimmt behutsame Anpassungen an den jetzigen Stand der Diskussion vor, und berücksichtigt dabei die zwischenzeitig zahlreicher gemachten Erfahrungen der Praxis mit der Abwicklung von Massenschäden. Flankierende Maßnahmen sollen sicherstellen, dass der Praxis effiziente und praxistaugliche Instrumentarien an die Hand gegeben werden.

Im Einzelnen umfasst das vorgeschlagene Gesetz folgende Eckpunkte:

1.  Gruppenverfahren

Das in einem neuen Fünften Abschnitt zur ZPO geregelte Gruppenverfahren (§§ 619-640) dient zur effizienten Geltendmachung einer Vielzahl gleichgelagerter Ansprüche.

·          Der Anwendungsbereich ist breit ausgestaltet: Das Verfahren ist nicht auf Ansprüche von Verbrauchern beschränkt, da Massenschadensfälle insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen in gleicher Art und Weise betreffen können. So haben in jüngerer Vergangenheit wiederholt Fälle von Kartellbildungen, aber etwa auch die Verwendung unzulässiger Zinsgleitklauseln in B2B-Kreditverträgen aufgezeigt, dass auch auf der unternehmerischen Marktgegenseite ein Bedarf nach geeigneten rechtlichen Instrumenten für die gebündelte Geltendmachung einer Vielzahl von Ansprüchen besteht.

·          Der Zugang zum Gruppenverfahren ist niederschwellig: Die Einleitung des Verfahrens erfolgt auf Antrag eines Klägers, wenn zumindest 10 Personen Ansprüche geltend machen, die gleiche Tat- oder Rechtsfragen aufwerfen.


·          Das Konzept folgt einem opt-in-Mechanismus. Dieser fügt sich friktionsfreier in das geltende System des österreichischen Zivilprozessrechts ein und vermeidet Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung in Hinblick auf das weitgehend europarechtlich vorgegebene Regime der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts.

·          Die Zuständigkeit verknüpft die Vorteile einer an Beweisnähe orientierten flexiblen Regelung

(hauptsächlicher Schadensort, Ort der schädigenden Handlung oder Sitz des Beklagten im Inland) mit der Gewährleistung einer Klagemöglichkeit auch gegenüber ausländischen Beklagten (subsidiäre ausschließliche Zuständigkeit des sachlich zuständigen Gerichtshofes 1. Instanz in Wien).

·          Der Beitritt zum Gruppenverfahren ist niederschwellig ausgestaltet: Betroffene können sich der Gruppenklage binnen vier Monaten ab öffentlicher Bekanntmachung des Verfahrens mittels eines Formblatts anschließen. Es besteht keine Anwaltspflicht.

·          Der Austritt aus dem Verfahren ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich.

·          Das Gruppenverfahren entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber Individualverfahren, Musterverfahren, Sammelklagen österreichischer Prägung oder anderen Gruppenverfahren. Allerdings können auf Antrag des Klägers zur Gerichtsentlastung Individualverfahren während eines anhängigen Gruppenverfahrens unterbrochen werden. Gruppenverfahren zu denselben Tat- oder Rechtsfragen können zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden.

·          Der Gruppenvertreter wird vom Gericht nach Abhaltung einer Gruppenversammlung von Amts wegen bestellt. Er. muss verlässlich und imstande sein, die im Gruppenverfahren wahrzunehmenden Aufgaben zu erfüllen und wird vom Gericht nach Maßgabe seiner Eignung und Erfahrung ausgewählt. Der Gruppenvertreter ist nicht auf Verbände iSd § 29 KSchG beschränkt. Verbänden gebührt allerdings in Hinblick auf ihre in der bisherigen Praxis bewiesene Expertise und Erfahrung bei der Abwicklung von Massenschadenfällen der Vorzug.

·          Das Gericht überwacht den Gruppenvertreter und kann ihn von Amts wegen oder auf Antrag der Gruppenversammlung abberufen. In schwierigen Fällen kann das Gericht dem Gruppenvertreter einen Gruppenbeirat zur Seite stellen.

·          Gegenstand des Verfahrens: Das Gericht entscheidet, welche Ansprüche am Gruppenverfahren teilnehmen und welche der gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen behandelt werden. Damit können gemeinsame Tat- oder Rechtsfragen gewissermaßen „vor die Klammer gezogen“ werden. In Erweiterung der Möglichkeiten des derzeitigen Zwischenurteils und Feststellungsurteils kann im Urteil bindend über alle Fragen abgesprochen, die für alle oder mehrere Gruppenmitglieder von Bedeutung sind. Dazu gehören auch Tatfragen, aber auch Teilaspekte des Grundes oder der Höhe des Anspruchs.

·          Die Rechtskraft der Entscheidung erstreckt sich auf alle Gruppenkläger. Anders als nach herkömmlichen Grundsätzen umfasst die Bindung alle rechtslogischen Voraussetzungen des Urteils, also auch Tatfragen.

·          Die Erfahrung lehrt, dass die meisten Gruppenverfahren letztlich verglichen werden. Daher soll auch nach Rechtskraft der Entscheidung über die gemeinsamen Tat- oder Rechtsfragen noch eine Tagsatzung zur Vornahme eines Vergleichsversuchs ermöglicht werden, bevor eine endgültige Entscheidung der übrigen Fragen in Form von Einzelverfahren erfolgt.

·          Für die Verfahrenskosten haften die Gruppenkläger anteilig. Der Organisationsaufwand des Gruppenvertreters wird mit einem Pauschalbetrag in Höhe von 30% der Anwaltskosten abgegolten. Begleitende Regelungen im RATG stellen sicher, dass die Kosten des Gruppenverfahrens nicht zu hoch werden. Dies dient auch dem Schutz des Beklagten.

2.  Musterverfahren

Das im Sechsten Abschnitt zur ZPO geregelte Musterverfahren (§§ 641-643) dient der Klärung strittiger Rechtsfragen, die für eine große Zahl von Ansprüchen von Bedeutung sein können, und hemmt die Verjährung für gleichgelagerte Ansprüche. Die kostengünstige Klärung der Rechtsfrage in einem einzelnen Musterprozess ist im Interesse aller Beteiligten. Dadurch wird vermieden, dass Geschädigte klagen müssen, um die Verjährungsfrist zu wahren.

·          Das Musterverfahren wird auf Antrag eines Verbands iSd § 29 Abs. 1 KSchG eingeleitet.

·          Die Verjährungsfrist für alle betroffenen Ansprüche ist von der Veröffentlichung der Musterklage bis zum Ablauf von sechs Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Musterverfahrens gehemmt.

·          Im Musterverfahren ist nicht nur eine Geltendmachung abgetretener Ansprüche ieS möglich, sondern auch die Erhebung von Feststellungs- und Gestaltungsbegehren (§ 502 Abs. 5 Z 3, § 643 ZPO).

 

3.   Gewinnabschöpfungsanspruch

Für vergleichsweise niedrige Schäden (insbesondere sog Bagatell- und Streuschäden) besteht trotz erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung kein Anreiz für eine individuelle Rechtsverfolgung. Auch der Anreiz zur Organisation oder Teilnahme an einem Gruppenverfahren ist gering. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit betreffen zB unzulässige Zahlscheingebühren oder Kerosinpreiszuschläge, bei denen die Schäden der einzelnen Betroffenen zumeist unter 10 Euro lagen. Dadurch kann das Recht seine Steuerungsfunktion nicht ausreichend wahrnehmen. Dies auch zu Wettbewerbsverzerrungen. Aus generalpräventiven Erwägungen ist daher sicherzustellen, dass sich rechtswidriges Verhalten auch in jenen Bereichen nicht lohnt, wo Lenkungs- und Kompensationsfunktion des Haftungsrechts versagen. Daher soll in § 29a KSchG eine neue Gewinnabschöpfung vorgesehen werden.

Dabei ist eine Balance zu finden, die over- wie auch underdeterrence vermeidet, und sowohl dem Abschreckungscharakter der Norm gerecht wird, als auch den Interessen des Unternehmers angemessen Rechnung trägt. Die vorgeschlagene Regelung ist daher einerseits um eine bestmögliche Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Anspruchs und der Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung bemüht (Beweislastverteilung; Streitwertregelung; Pauschalierung der Gewinnermittlung; Abgeltung des Organisationsaufwands und Risikos des Klägers). Auf der anderen Seite wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass die Sanktionswirkung angemessen und die Regelung insgesamt verhältnismäßig ausgestaltet ist (Anrechnungsregel; Befreiungstatbestände; Härteklausel).

·          Der durch Rechtsverstöße iSd §§ 28, 28a KSchG, § 14 UWG erzielte Gewinn soll zugunsten der Republik Österreich abgeschöpft werden können. Diese Beträge sollen für künftige Maßnahmen der Rechtsdurchsetzung sowie konsumentenrechtliche Projekte verwendet werden.

·          Der Anspruch setzt voraus, dass durch den Verstoß die allgemeinen Interessen des geschützten Personenkreises beeinträchtigt worden sind und dem Unternehmer grobes Verschulden vorzuwerfen ist.

·          Die Aktivlegitimation beschränkt sich auf bevorrechtete Verbände iSd § 29 Abs. 1 KSchG.

·          Als Gewinn gilt ein Betrag in Höhe von 10 % des Jahresumsatzes, wenn der Unternehmer nicht beweist, dass er nur einen niedrigeren Gewinn erzielt hat. Auf den Gewinn sind vom Unternehmer erbrachte Schadenersatzleistungen oder bereits geleistete Geldbußen abzuziehen.

·          Dem Kläger gebührt ein Pauschalbetrag iHv 10 % des abgeschöpften Betrags zur Abgeltung seines Organisationsaufwands.

4.   Ergänzende Regelungen

·          Der in §§ 28, 28a KSchG normierte Unterlassungsanspruch der Verbände wird nach dem Vorbild des § 15 UWG um einen verbandsrechtlichen Beseitigungsanspruch ergänzt, der sicherstellt, dass rechtswidriges Verhalten nicht nur pro futuro unterlassen werden muss, sondern der rechtswidrige status quo nicht beibehalten werden kann.

·          Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten wird klargestellt, dass die Verbandsklage des § 28 KSchG auch in Bezug auf Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder arbeitnehmerähnlichen Personen eingebracht werden kann und dafür die fachlich spezialisierten Arbeits- und Sozialgerichte zuständig sind (§ 50 ASGG, § 51 Abs. 2 Z 10 JN, § 28 Abs. 4 KSchG).

·          Für Unterlassungsansprüche nach § 14 UWG erfolgt eine Angleichung des Umfangs der Aktivlegitimation der Verbände.

·          Eine Reihe von Bestimmungen soll im Interesse der Gerichtsentlastung die effiziente Bewältigung von Massenverfahren auch dann ermöglichen, wenn kein Gruppenverfahren eingeleitet wird. Dies soll ermöglicht werden durch eine Flexibilisierung der Prozessleitung (§§ 189a, 190a, 393 ZPO) und die Erstreckbarkeit der Rechtsmittelfristen (§§ 464, 505 ZPO).

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird gemäß §69 Abs 4 GOG die Durchführung einer Ersten Lesung innerhalb von drei Monaten verlangt.

Zuweisungsvorschlag: Justizausschuss



[1] Für Anlegerfälle gibt es bereits seit 2005 ein Musterverfahren (KapMuG).

[2] Sog WCAM-Verfahren. Das Opt-out-Modell basiert darauf, dass Ansprüche Betroffener automatisch von den Vergleichswirkungen erfasst sind, sofern sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist aktiv hinausoptieren.

[3] Gegen unzulässige Klauseln oder Geschäftspraktiken, §§ 28, 28a KSchG, § 14 UWG.

[4]  § 502 Abs 5 Z 3 ZPO.                                                   ''                              '

[5]  So hat der VKI bei Geschlossenen Fonds und iZm VW zuletzt eine Rechtsverfolgung in Deutschland bzw den Niederlanden unterstützt.

[6] Das ist mit ein Grund, warum es in den Niederlanden die Wirtschaft war, die eine gesetzliche Lösung auf „opt out“- Basis gefordert hat.