480/A(E) XXVI. GP

Eingebracht am 21.11.2018
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EntschlieSSungsantrag

 

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Zusammenführung der Mindestsicherung und Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei langen Bezugsdauern

 

Die Ausgestaltung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ist eine zentrale Frage, wenn es darum geht, Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einerseits entsprechend sozial abzusichern, andererseits diese Personen auch wieder rasch in Beschäftigung zu bringen und die Dauer der Arbeitslosigkeit kurz zu halten. Dazu wurden von wirtschaftswissenschaftlicher Seite unterschiedliche Einflussfaktoren beleuchtet und Lösungsvorschläge für etwaige Problemstellungen erarbeitet. Im Bereich der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergeben sich aufgrund dieser mikroökonomischen Überlegungen umfangreiche Vorschläge zu einer optimalen Ausgestaltung dieser, insbesondere in Bezug auf die zeitliche Ausgestaltung von Ersatzraten, Dauer und Verpflichtungen für den Erhalt der Versicherungsleistung selbst.

Wesentliche wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse - insbesondere aus einer europäischen Perspektive - ergeben sich aus Entwicklungen und umgesetzten Politiken in den 1990er-Jahren. Die Studien dazu sind relativ deutlich: "What we have learned the most about is unemployment insurance. The evidence is that limiting of benefits, as well as making them more contingent on job search and job acceptance, leads to more active search, a lower reservation wage, and lower duration of unemployment" (Blanchard (2006)). Vor diesem Hintergrund muss auch die österreichische passive Arbeitsmarktpolitik diskutiert werden.

Ziel sollte es sein, Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben, um ein möglichst eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das bedeutet, dass die Zeiten von Arbeitslosigkeit möglichst kurz sein sollten, um die negativen sozialen Folgen, aber auch die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren. Gerade im Hinblick auf die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich ein interessantes Bild: Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den internationalen Standards und vor allem nicht ökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht. International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf. In Österreich geschieht das nicht. So verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf nicht. Ein derartiges System gibt es, mit Ausnahme von Österreich und Belgien, in keinem anderen EU-Mitgliedsstaat.

Die "herausragende" Position Österreichs ergibt sich aus der Ausgestaltung der Notstandshilfe - die Versicherungsleistung im Falle einer längeren Arbeitslosigkeit. In den letzten Jahren sind die Ausgaben dafür aufgrund der angespannten Lage am Arbeitsmarkt drastisch in die Höhe gegangen. Diese Entwicklungen schlagen sich in den Bezugszahlen für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nieder: Im Jahresdurchschnitt 2017 bezogen 295.498 Personen Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Dabei gab es mehr Bezieher_innen von Notstandshilfe als Arbeitslosengeldbezieher_innen, wie die folgende Tabelle zeigt (Quelle: Statistik Austria):

 

Anzahl 2016

durchschnittlicher Tagessatz in € 2016

durchschnittlich pro Monat 2016

Anzahl 2017

durchschnittlicher Tagsatz 2017

durchschnittlich pro Monat 2017

Arbeitslosengeldbezieher_innen

145.976

30,95

941,3

138.015

31,68

963,6

Notstandshilfebezieher_innen

167.075

24,56

747,1

157.483

25,07

762,5

Die Ausgestaltung der Notstandshilfe bzw. generell der passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung beeinflusst die Dauer von Arbeitslosigkeitsphasen maßgeblich. Diese evidente Tatsache wurde in der österreichischen Diskussion lange Zeit völlig außer Acht gelassen. Abgesehen von der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft.

Das Versicherungsprinzip wird überspannt, wenn die Arbeitslosenversicherung Leistungen der Notstandshilfe zeitlich unbegrenzt ausbezahlt. Das überfordert die Solidarität der Versichertengemeinschaft, denn das Arbeitslosengeld und die ihr folgende Notstandshilfe stellen eine Geldleistung zur Kompensation des vorübergehenden Einkommensentfalls aufgrund eines Jobverlustes dar. Logisch folgt daraus eine Koppelung der Bezugsdauer an die Zeit, in der tatsächlich Beiträge in die Arbeitslosenversicherung bezahlt wurden, um so jenen, die mehr Beiträge bezahlt haben, auch längere Leistung zukommen zu lassen. Außerdem braucht es eine Überführung von Notstandshilfebezieher_innen in die Mindestsicherung nach einem länger andauernden Bezug.

Die Zahlen einer Anfragebeantwortung (143/AB) verdeutlichen, wie lange Personen tatsächlich passive Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und zeigen beispielsweise, dass 23% aller Notstandshilfebezieher_innen diese Leistung schon seit 5 Jahren oder länger beziehen. Über 11.000 Menschen in Österreich beziehen die Notstandshilfe schon mehr als sieben Jahre (Stand: 31.Oktober 2017):

Bezugsdauer (Arbeitslosengeld & Notstandshilfe)

Bezieher_innen

Durchschnittlicher Anspruch (in EUR, 12x jährlich)

> 1 Jahr

96.910

777,45

> 2 Jahre

62.012

773,49

> 3 Jahre

40.898

770,45

> 5 Jahre

17.671

756,16

> 7 Jahre

8.150

737,60

> 10 Jahre

2.500

705,06

> 15 Jahre

541

658,22

> 20 Jahre

139

633,88

 

Gerade im Hinblick auf Diskussionen über Reformen bzw. Weiterentwicklung im Bereich der Mindestsicherung muss auch die Wechselbeziehung von Mindestsicherung und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, insbesondere die Notstandshilfe genauer betrachtet werden.

 

Die Zahlen belegen eindrücklich, dass die Höhe der Notstandshilfe teils deutlich unter den Richtsätzen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung von 863,04 Euro für alleinstehende Personen (Wien, 2018) liegt. Für entsprechend viele Notstandshilfebezieher_innen ergibt sich dadurch auch ein Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung als sogenannte "Aufstocker".

 

Der Rechnungshof untersucht dies in seinem Bericht "Bedarfsorientierte Mindestsicherung" (Reihe Bund 2014/9), zeigt darin Ähnlichkeiten dieser beiden Leistungen auf und hält diesbezüglich fest:

 

"Der RH verkannte nicht die systembedingt unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen und Ziele und die sich daraus ergebenden Leistungsunterschiede der Mindestsicherung und der Notstandshilfe. Dessen ungeachtet hielt er es für zweckmäßig, insbesondere im Falle längerer Bezugszeiträume eine Harmonisierung beider Systeme zu erwägen. Der RH empfahl daher auf eine Harmonisierung bzw. Überführung in ein einziges Versorgungssystem für jene Fälle, in denen längere Notstandshilfe- bzw. Mindestsicherungsbezugsdauern vorlagen, hinzuwirken."

 

Diese Forderung hat sich auch im aktuellen Regierungsprogramm niedergeschlagen: Gefordert wird darin beispielsweise die "Harmonisierung, Neuausrichtung und Weiterentwicklung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Bedarfsorientierter Mindestsicherung − Arbeitslosengeld NEU: Degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe" (S.143).

Die Umsetzung dieser Forderung würde auch zu einem Abbau einer wesentlichen Doppelstruktur führen. Denn wie der Bericht des Rechnungshofes auch verdeutlicht, erhält ein großer Teil der Mindestsicherungsbezieher_innen die Mindestsicherung als eine Teilleistung und nicht als Vollleistung, d.h. die Mindestsicherung wird nur teilweise ausbezahlt, wenn ein anderer Sozialtransfer (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) unter dem Niveau der Mindestsicherung liegt.

 

Eine vom Rechnungshof geforderte Zusammenführung der Notstandshilfe mit der Mindestsicherung bei langer Bezugsdauer würde diese Problematik aufheben. Gerade der Übergang von Notstandshilfebezug in den Bezug der Mindestsicherung könnte einen zusätzlichen Anreiz darstellen, aufgrund eines weiter sinkenden Reservationslohnes eher eine Beschäftigung anzunehmen und damit die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verringern, langfristige Folgen zu verhindern und eine stabile Arbeitsmarktintegration zu ermöglichen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG


Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die vorsieht, dass die nicht unterbrochene Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und darauffolgender Notstandshilfe zeitlich limitiert und damit die Notstandshilfe langfristig von der Bedarfsorientierten Mindestsicherung abgegrenzt wird."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.