611/A(E) XXVI. GP

Eingebracht am 30.01.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Stephanie Cox, BA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Datenerhebung zu Gewalt an Frauen

 

BEGRÜNDUNG

Am 1. August 2014 ist das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die Istanbul-Konvention, in Kraft getreten. Österreich hat die Konvention am 14. 11. 2013 ratifiziert und sich damit verpflichtet, Frauen vor Gewalt und insbesondere häuslicher Gewalt zu schützen.

 

Artikel 11 der Istanbul-Konvention verpflichtet Österreich dazu, „in regelmäßigen Abständen einschlägige genau aufgeschlüsselte statistische Daten über Fälle von allen in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu sammeln".

 

Der erläuternde Bericht zur Istanbul-Konvention konkretisiert diese Pflicht unter Punkt 76:

 

"Folglich müssen öffentliche Stellen wie Justizbehörden, die Polizei oder Dienste der sozialen Sicherung Datensysteme errichten, die sich nicht darauf beschränken, ihren internen Bedürfnissen gerecht zu werden. Um eine mögliche Verbesserung oder Verschlechterung der Wirksamkeit der Maßnahmen und politischen Ansätze zur Verhütung, zum Schutz und zur Strafverfolgung feststellen zu können, müssen wiederum regelmäßig einschlägige statistische Daten aus Justiz und Verwaltung erfasst werden."

 

Dennoch sind die Daten, die Österreich zu Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt erhebt, unzureichend, obwohl Gewaltschutzorganisationen bereits seit Jahren auf diesen Umstand hinweisen.

 

Besonders offensichtlich wird das Fehlen von Daten bei den Frauenmorden: Die polizeilichen und die gerichtlichen Kriminalstatistiken geben nicht genau an, in welchem Beziehungsverhältnis Täter (bzw. Tatverdächtiger) und Opfer zueinander standen. Auch weist die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) die geschlechtsspezifischen Tötungsdelikte an Frauen noch nicht explizit aus. Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt wird nicht als spezifisches Problem erfasst. Um auf politischer Ebene Maßnahmen zu setzen, die Frauen vor Tötung durch ihre Partner und Ex-Partner schützen, fehlen also Daten und eine spezifische Darstellung in der PKS.

 

Der Grevio Evaluierungs-Bericht über gesetzliche und weitere Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention (Grevio-Bericht) fasst auf den Seiten 24 ff. einige Empfehlungen auf verschiedenen Ebenen zur Verbesserung der Datenerhebung für den Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Auch der Schattenbericht, den zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs unter der Koordination des Vereins Autonome Frauenhäuser und der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie als Basis für die Grevio-ExpertInnen verfasst haben, führt viele Punkte an, bei denen die Regierung in Sachen Datenerhebung nachbessern sollte (S. 26 ff).

 

Die Forderungen aus dem Schattenbericht sind besonders beachtenswert: Sie gehen aus den Erfahrungen der NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen hervor, die sich tagtäglich für Gewaltschutzprävention und die Unterstützung betroffener Frauen und Kinder einsetzen, also die tatsächliche Lage im Bereich Gewaltschutz direkt miterleben.

 

Empfehlungen

Eine Empfehlung, die sich in den Berichten durchzieht, ist die Einführung institutionsübergreifend vereinheitlichter Datenkategorien, die insbesondere eine genaue Einordnung der Täter-Opfer-Beziehung ermöglichen. Der NGO-Schattenbericht empfiehlt darüber hinaus, dass diese einzelnen Variablen auch miteinander verknüpfbar sein sollen, um bestimmte Straftaten leichter aus den Datensammlungen herauslesen zu können. Die VerfasserInnen des Schattenberichts haben bereits Vorschläge für genaue Kategorien und insbesondere für die Darstellung der Beziehungen gemacht.

 

Sowohl Grevio- als auch Schattenbericht weisen darauf hin, dass die PKS häusliche Gewalt gegen Frauen und geschlechtsspezifische Frauenmorde im jährlichen Bericht sichtbarer machen muss. Der Schattenbericht betont, dass die Daten der Strafvollzugsverwaltung auch einen besonderen Abschnitt zu Inhaftierten enthalten sollten, die aufgrund von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt ihre Strafe erhielten.

 

Beide Berichte sprechen die Empfehlung aus, Informationen über sämtliche Interventionen und Maßnahmen der Exekutive zu sammeln und zu veröffentlichen, um evidenzbasierte politische Maßnahmen ergreifen zu können.

Sowohl Grevio-, als auch Schattenbericht empfehlen, die systematische und vergleichbare Datenerhebung in allen Spitälern zu verbessern, um genauere Informationen zu Opfern von häuslicher Gewalt und Gewalt an Frauen zu erhalten. Der Schattenbericht weist zudem explizit darauf hin, dass es eine entsprechende Datenerhebung braucht, um wiederholte Viktimisierung und Hochrisikofälle erkennen zu können.

 

Weitere Empfehlungen des NGO-Schattenberichts bestehen darin, Daten zu Weisungen zum Schutz der Opfer und zur Anordnung der Bewährungshilfe aufgrund von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt durch Strafgerichte, zur Zwangsunterbringung des Gefährders sowie zu allen anderen Formen der staatlichen Freiheitsentziehung zu erheben und zu veröffentlichen.

 

Sowohl Grevio-, als auch Schattenbericht wollen in der Zivilgerichtsbarkeit systematische, elektronische Datenaufzeichnung einführen, insbesondere um umfassenden Überblick über alle zivilrechtlichen Schutzverfügungen Exekutionsordnung zu erhalten.

 

Sowohl Grevio-, als auch Schattenbericht empfehlen dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, ein System zur Datenerfassung einzuführen, das erlaubt, Asylanträge auf Basis der geschlechtsspezifischen Verfolgung zu erfassen.

 

Beide Berichte fordern zudem eine verstärkte Evaluierung der politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt. Insbesondere sollte es Forschungsarbeiten zu jenen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt geben, die bislang unzureichend erfasst sind, wie weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat oder andere traditionelle, für die Frau nachteilige Praktiken, die bisher noch nicht miteinbezogen wurden. Der Schattenbericht mahnt zudem, dass es dafür einen Förderungsfonds mit mindestens drei Millionen Euro in den ersten drei Jahren braucht. Der Schattenbericht beschreibt die genauen Anforderungen an die Forschung zu Gewalt an Frauen.


Die ExpertInnen des NGO-Schattenberichts heben zudem hervor, dass es, um eine national harmonisierte Datenlage zu gewährleisten, bundesweiter Netzwerke von Frauenhäusern und Interventionsstellen bzw. Gewaltschutzzentren bedarf. Für die Koordinierung dieser Datensammlung und -harmonisierung braucht es eine verstärkte staatliche Finanzierung.

 

Auch im AMS sollen Daten gesammelt und veröffentlicht werden, die aufzeigen, wenn Frauen in AMS-Gleichstellungsprogrammen an auf Gewalt an Frauen spezialisierte Einrichtungen verwiesen werden. Ebenso brauche es mehr Daten und deren Veröffentlichung zur psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung, wie zu Wohnprogrammen für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder.

 

Zu den Kosten schreibt die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie: "Eine Verbesserung der Datenlage muss nicht kostenintensiv sein: Nach Auffassung der Fachleute aus der AG Gender-Stat würden bereits kleine Veränderungen in den vorhandenen Datensystemen qualitativ deutlich verbesserte Daten hervorbringen."[1]

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Regierung wird ersucht, Maßnahmen zu setzen, um die Erhebung und Veröffentlichung von Daten zu Fällen von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt, insbesondere (versuchten) Tötungsdelikten, in Übereinstimmung mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen auszuweiten. Sie wird in diesem Zusammenhang ersucht, die Empfehlungen des Grevio-Berichts, sowie die darüber hinausgehenden Empfehlungen des ihm zugrundliegenden NGO-Schattenberichts zur Datenerhebung über Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt zeitnah umzusetzen."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gleichbehandlungsausschuss vorgeschlagen.

 



[1] Tätigkeitsbericht der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie von 2013, 28.