3239/AB XXVI. GP

Eingelangt am 28.05.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Am 16.07.2019 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung

 

BM für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

Anfragebeantwortung

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen haben am 28. März 2019 unter der Nr. 3201/J-NR/2019 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend „Selbstbestimmung im neuen Erwachsenenschutzrecht“ gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Zur Frage 1:

 

          N.N.1 ist im Therapiezentrums Ybbs a.d.Donau in der Persenbeuger Straße 1- 3, Wohngruppe 3, 3370 Ybbs a.d.Donau untergebracht, und möchte schon seit Jahren zu seiner Familie nach Wien, was auch seinem Recht auf Ortsbestimmung nach dem Erwachsenenschutzgesetz entspräche. Ist Ihnen diese Causa - die von der Mutter des Betroffenen an Sie herangetragen wurde - bekannt?

a. Wenn ja, was haben Sie diesbezüglich unternommen?

Das der Anfrage zu Grunde liegende gerichtliche (damals noch) Sachwalterschaftsverfahren ist im Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (BMVRDJ) aufgrund der Eingaben der Mutter des Betroffenen, N.N.2, erstmals im August 2012 bekannt geworden. Ihr wurde mit Schreiben vom 24. August 2012 (erstmals) geantwortet. Eine Überprüfung von Vorwürfen der Mutter durch die Staatsanwaltschaft Wien zu 32 UT 39/14g im Jahr 2014 erbrachte keine Hinweise für das Vorliegen eines strafrechtlich relevanten Anfangsverdachts. Eine Prüfung der Volkanwaltschaft im Jahr 2016 zu VA-BD-J/0518-B/1/2016 erbrachte keine Hinweise auf einen Missstand in der Justizverwaltung.

Zuletzt wurde vom BMVRDJ aufgrund einer Beschwerde von Herrn N.N.1 vom 1. Februar 2019 über den NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz eine Überprüfung durchgeführt, die keine Anhaltspunkte für im Rahmen der Fachaufsicht gemäß § 5 ErwSchVG wahrzunehmende Missstände beim Landesverein ergeben hat. Der Einschreiter wurde mit Schreiben vom 14. Februar 2019 über das Ergebnis der Überprüfung informiert.

Die Frage der Entscheidung über Wohnortänderungen von Personen mit einem Erwachsenenvertreter ist in § 257 ABGB geregelt: Über Wohnortänderungen kann demnach die entscheidungsfähige vertretene Person nur selbst entscheiden. Fehlt ihr die Entscheidungsfähigkeit, so hat der Erwachsenenvertreter, wenn er den entsprechenden Wirkungsbereich hat, die Entscheidung zu treffen. Dauerhafte Wohnortänderungen bedürfen der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts.

 

Zur Frage 2:

          Dem Genannten wurde seitens des Therapiezentrums Ybbs a.d.Donau der von ihm dringlich gewünschte Besuch seiner engsten Familienangehörigen in Wien ebenso wie die von ihm dringlich benötigte ärztliche Behandlung bei seinem Vertrauensarzt Dr. Lauda in 1080 Wien verweigert. Beide Verweigerungen greifen tief in seine Grundrechte ein, und zwar in sein Grundrecht auf Familienkontakt gemäß Artikel 8 EMRK, sowie in sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2 und 3 EMRK sowie in sein Grundrecht auf Gesundheit nach Artikel 8 EMRK. Was werden Sie tun, um Abhilfe zu schaffen?

Stimmt die vertretene Person einer medizinischen Behandlung zu und ist sie entscheidungsfähig, so kann der Arzt die Behandlung durchführen (§ 252 Abs. 1 erster Satz ABGB). Ist sie nicht entscheidungsfähig und kann sie auch nicht mit Unterstützung entscheidungsfähig gemacht werden, so muss ein gesetzlicher Vertreter zustimmen (§ 253 Abs. 1 erster Satz ABGB). Er muss sich dabei vom Willen der vertretenen Person leiten lassen (§ 253 Abs. 1 zweiter Satz ABGB). Wünscht die – wenn auch entscheidungsunfähige – vertretene Person eine Behandlung und lehnt der Vertreter sie ab, so kann das Pflegschaftsgericht (von jedermann) angerufen werden und muss hier eine Entscheidung treffen (§ 254 Abs. 2 ABGB).

 

Zur Frage 3:

 

          Der Genannte hatte seine Mutter N.N.2 als Erwachsenenvertreterin gewünscht, weil sie als seine leibliche Mutter die nächststehende Verwandte ist und sich stets um ihn gekümmert hatte und auch weiterhin kümmert. Als weitere Alternativen hatte er (für den Fall, dass nicht seine Mutter mit der Funktion betraut würde) einen ehemaligen Richter und Gerichtspräsidenten sowie einen Verein als Erwachsenenschützer benannt. Dennoch wurde stattdessen eine andere - ihm fremde - Person (Frau C. H. vom Niederösterreichischen Landesverein für Erwachsenenschutz Persenbeug) zur Erwachsenenschützerin bestellt. Seine Beschwerden dagegen wurden nicht erhört. Entspricht dies dem Sinn des Erwachsenenschutzgesetzes?

Bei der Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist auf die Wünsche der betroffenen Person Bedacht zu nehmen, aber auch auf die Eignung des potentiellen Vertreters (§ 273 Abs. 1 ABGB). Das Gericht muss daher eine andere als die von der betroffenen Person erwünschte Person zum Vertreter bestellen, wenn die erforderliche Eignung fehlt. Ob dies hier der Fall war, ist von der unabhängigen Rechtsprechung zu klären.

 

Zur Frage 4:

 

          Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen ohne inhaltliche Begründung zurück. Ist damit der aus Artikel 6 EMRK erfließenden Begründungspflicht für Gerichtsentscheidungen entsprochen?

Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangt, dass in Zivil- und in Strafsachen das Recht auf eine Entscheidung durch ein Gericht eingeräumt wird, welchem grundsätzlich volle Kognitionsbefugnis im Bereich der Tatsachen- und der Rechtsfragen zukommt.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert jedoch nicht die Einrichtung eines mehrstufigen gerichtlichen Instanzenzuges; wenn ein solcher vorgesehen ist, muss der effektive Zugang zu den Obergerichten sichergestellt sein.

Das mit Art. 6 EMRK garantierte Recht auf Zugang zu einem Gericht ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR jedoch nicht absolut. Beschränkungen sind zulässig, dürfen aber den Wesensgehalt der Garantie nicht beeinträchtigen und müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. Ist die Entscheidungsbefugnis eines Höchstgerichts auf Rechtsfragen beschränkt, kann das Verfahren formaler ausgestaltet sein (vgl. EGMR Bąkowska, 12. 1. 2010, 33539/02 Rz 45 f.).

Die Beschränkung des Zugangs zum OGH in Verfahren außer Streitsachen nach §§ 62 ff AußStrG und das in der Anfrage angesprochene formalisierte Verfahren bei der Prüfung eines außerordentlichen Revisionsrekurses durch den OGH sind vor dem Hintergrund obiger Ausführungen und des Umstandes, dass vorher bereits zwei gerichtliche Instanzen mit voller Kognitionsbefugnis in der Sache entschieden haben, aus grundrechtlicher Sicht völlig unbedenklich.

 

Zur Frage 5:

 

          Die Mutter des Betroffenen hatte der Pflegschafsrichterin W. vom Bezirksgericht Melk im April 2017 im Verfahren 17 P 24/16s einen USB-Stick mit wesentlichen Beweismitteln vorgelegt. Diese verweigerte dessen Annahme mit den Worten "Sie können mir ein Bilderbuch darüber machen. Aber den Stick nehme ich nicht an. " Dies erweckt den Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens, weil ein Richter nicht die Wahrheitsfindung und Sachaufklärung inhibieren darf. Werden Sie diesen Verdacht im Rahmen der Dienstaufsicht überprüfen?

a. Wenn ja: Inwiefern?

b. Wenn nein: Weshalb nicht?

Die Entscheidung, ob ein Gericht die von einer Partei beantragten Beweise oder vorgelegten Beweismittel für entscheidungsrelevant oder im Gerichtsverfahren verwertbar erachtet, liegt ausschließlich im Wirkungsbereich der unabhängigen Rechtsprechung. Allfällige Fehlentscheidungen in diesem Zusammenhang können unter Umständen einen Verfahrensmangel begründen, der im Wege eines Rechtsmittels aufgegriffen werden könnte. Dem Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz ist es nicht gestattet, zu Angelegenheiten im Wirkungsbereich der unabhängigen Rechtsprechung Stellung zu nehmen.

 

Zur Frage 6:

 

          Selbige Pflegschafsrichterin W. vom Bezirksgericht Melk wurde ebenfalls im Verfahren 17 P 24/16s bereits im März 2017 ein ärztliches Attest von Dr. Lauda betreffend N.N.1 übermittelt, das in medizinischer Hinsicht besorgniserregende Auffälligkeiten aufwies. Die Richterin reagierte darauf jedoch nicht. Im August 2018 ergab ein zweites Attest Dr. Laudas, dass sich die im ersten Attest geäußerten Befürchtungen bestätigt haben. Wieso hat die Richterin nicht darauf reagiert und die Sachwalterin und die Ybbser Anstalt darüber informiert?

Die Richterin hat bereits im Gefolge des am 20. März 2017 vorgelegten, mit April 2016 datierten Attests am 29. März 2017 den Betroffenen aufgesucht und ausführliche Gespräche mit ihm, der Stationsleitung weiteren Betreuungspersonen und der ärztlichen Leitung geführt und sich einen persönlichen Eindruck verschafft. Mit 26. April 2017 wurde ein Sachverständiger bestellt, der den Auftrag erhielt, unter anderem zu Fragen der Betreuungssituation, der Behandlungsbedürftigkeit und dazu, ob die von Dr. Lauda vorgeschlagene Behandlung anerkannt sei, Stellung zu nehmen. Dies wurde vom Sachverständigen und in der Folge auch vom Gericht verneint, diese Entscheidung auch im Instanzenzug bestätigt. Der Sachwalter war in Kenntnis dieses Gutachtens. Das im August 2018 erneuerte „ärztliche Attest“ von Dr. Lauda wurde umgehend dem – inzwischen neu- bzw umbestellten - gerichtlichen Erwachsenenvertreter zur Kenntnis gebracht. Weiters wurden laufend Berichte zur Situation des Betroffenen eingeholt, zuletzt Anfang 2019. Eine inhaltliche Bewertung der vom Gericht gesetzten Schritte kommt mir nicht zu, der Vorwurf der Untätigkeit ist jedoch unbegründet.

 

Zur Frage 7:

 

          Müssten gerichtlich bestellte Gutachter zur Klärung des tatsächlichen Zustandes eines zu begutachtenden Patienten nicht notwendigerweise dessen Gesamtzustand einbeziehen oder genügt es, dass sie sich auf Teilbereiche beschränken, die insofern kein Bild von der Persönlichkeit, dem Befinden und dem gesundheitlichen Gesamtzustand vermitteln?

Sowohl die Bestellung eines Sachverständigen im Gerichtsverfahren als auch der dem bestellten Sachverständigen erteilte Gutachtensauftrag (in welchem die vom Sachverständigen im jeweiligen Fall zu erörternden Fragen zu bezeichnen sind) ergehen in Form eines Gerichtsbeschlusses und sind folglich ebenfalls Angelegenheiten, die im Rahmen der unabhängigen Rechtsprechung im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und zu entscheiden sind. Dem Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz ist es demnach auch insofern nicht gestattet, das Vorgehen des Gerichts im gegenständlich angesprochenen Gerichtsverfahren zu kommentieren.

 

Zur Frage 8:

 

          Welcher Kontrolle unterliegen zum Verlust der Wohnung und anderen Beeinträchtigungen führende Handlungen von Erwachsenenvertretern zum Nachteil der betroffenen Person und welche Aufsichtsfunktionen nimmt das Gericht und welche nehmen Sie wahr?

Von der in § 257 ABGB geregelten persönlichen Entscheidung, wo man leben will, zu unterscheiden ist die vertragsrechtliche Umsetzung. Hier ist die Vermögenssorge des Erwachsenenvertreters angesprochen: Nach § 258 Abs. 4 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen eines Erwachsenenvertreters in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Für die Kündigung einer Mietwohnung trifft dies zu, sodass hier eine gerichtliche Genehmigung erforderlich war. Allgemein kann das Pflegschaftsgericht nach § 259 Abs. 4 jederzeit von Amts wegen die zur Sicherung des Wohls der vertretenen Person nötigen Verfügungen treffen, wenn das Wohl derselben gefährdet ist. Dazu können z.B. Aufträge des Gerichts zählen, in einer Vermögensangelegenheit in einer bestimmten Weise vorzugehen, oder auch die Umbestellung des Vertreters.

Die Erwachsenenschutzvereine unterliegen gemäß § 5 Abs. 1 ErwSchVG der fachlichen Beaufsichtigung durch das BMVRDJ.

 

Zur Frage 9:

          Über die Gültigkeit von N.N.1 Unterschrift wurden unterschiedliche Aussagen getroffen. Inwiefern hat eine betroffene Person das Recht, eigenständig behördliche und gerichtliche Schritte in beachtlicher Weise durch seine Unterschrift oder durch eigenhändige Eingaben zu setzen (insbesondere bei Konflikten mit dem Erwachsenenvertreter)?

Ich bitte um Verständnis, dass ich zu den Fragestellungen des konkreten Verfahrens keine Aussagen machen kann.

Generell gilt im gerichtlichen Verfahrens aber Folgendes: Damit Verfahrenshandlungen selbst oder durch einen selbst gewählten Vertreter wirksam gesetzt oder entgegengenommen werden können, muss die Person verfahrensfähig sein. In gerichtlichen Verfahren sind Volljährige verfahrensfähig, wenn sie geschäftsfähig sind. Ist für sie ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt oder eine gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertretung oder eine Vorsorgevollmacht wirksam, so sind sie im Rahmen des Wirkungsbereiches des Vertreters verfahrensunfähig. In Verfahren mit absoluter Vertretungspflicht bedarf es zur Vornahme wirksamer Verfahrenshandlungen der Vertretung durch eine hiezu befugte Person (zB. Rechtsanwalt).

Unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit kann die betroffene Person in Erwachsenenschutzverfahren Verfahrenshandlungen vornehmen; ihr sind auch alle Beschlüsse zuzustellen (§ 116a AußStrG). Stimmen ihre Anträge nicht mit jenen ihres Vertreters überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen.

 

Zur Frage 10:

 

          Der Mutter des Betroffenen wurde unterstellt, die Unterschrift ihres Sohnes gefälscht zu haben, was jedoch nicht zutraf. Ihr Ministerium vertrat zur Zahl BMVRDJ-4034109/0001-VI 5/2018 die Auffassung, es liege im Verhalten der Staatsanwaltschaft St. Pölten kein Missstand, obwohl diese ihr weiter unterstellte, sie hätte die Unterschrift gefälscht und würde dies leugnen. Leugnen ist kein Synonym für verneinen, sondern ein Synonym für Lügen (oder genauer: die Wahrheit abstreiten). Wenn eine Staatsanwaltschaft derartiges unterstellt, handelt sie pflichtwidrig, denn in einer Einstellungserklärung (und -begründung) ist im Sinne des Erlasses ZI. 64013/4-11 3/80 und des Urteils des Obersten Gerichtshofes SSt 51/8 die Unterstellung eines jeden unrechten Tuns zu vermeiden, da eine derartige Unterstellung gegen Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstieße. Warum also wurde der Vorwurf gegen die Mutter nicht zurückgenommen?

a. Was werden Sie tun, um diesen Missstand zu beseitigen?

Das hier angesprochene Ermittlungsverfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft St. Pölten gemäß § 190 Z 2 StPO im Zweifel zugunsten der Beschuldigten eingestellt, weil unter Berücksichtigung der leugnenden (im Sinne von: die gegen sie erhobenen Vorwürfe in Abrede stellenden) Verantwortung der Beschuldigten nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar war, dass diese das ihr zur Last gelegte Verhalten tatsächlich gesetzt habe. Die Behauptung, wonach die Staatsanwaltschaft St. Pölten die Beschuldigte der Lüge bezichtigt hätte bzw. ihr „weiter unterstellte, sie hätte die Unterschrift gefälscht“, ist unrichtig. Vielmehr entspricht das Vorgehen der Staatsanwaltschaft St. Pölten der Sach- und Rechtslage und ist sohin nicht zu beanstanden. Ein Missstand liegt sohin objektiv nicht vor.