92 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (17 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem die Strafprozeßordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Telekommunikationsgesetz 2003 geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018)

Die vorliegende Regierungsvorlage beinhaltet folgende Schwerpunkte:

1.) Überarbeitung und Ergänzung des 5. Abschnitts des 8. Hauptstücks der StPO („Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung, Lokalisierung einer technischen Einrichtung, Anlassdatenspeicherung, Überwachung von Nachrichten, verschlüsselter Nachrichten und von Personen“) samt Bezug habender Änderungen im Staatsanwaltschaftsgesetz (im Folgenden „StAG“) und Telekommunikationsgesetz 2003 (im Folgenden „TKG“). Die vorgeschlagenen Änderungen sind zum Teil zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates, ABl. Nr. L 88 vom 15.03.2017 S. 6 (im Folgenden „RL Terrorismus“) erforderlich. Im Übrigen dienen sie der Umsetzung des Regierungsprogramms der Bundesregierung 2017 – 2022 „Zusammen. Für unser Österreich“ (S. 31). Inhaltlich beruhen die Vorschläge zu wesentlichen Teilen auf den Ergebnissen einer in der abgelaufenen Legislaturperiode im Bundesministerium für Justiz u.a. zur Thematik der Überwachung internetbasierter Kommunikation eingesetzten Expertengruppe und berücksichtigen auch im Lichte der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens zum Ministerialentwurf 325/ME 25. GP Bedürfnisse der Strafverfolgungsbehörden ebenso wie jene nach effektivem Rechtschutz. Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen insbesondere:

                a) Schaffung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für die seit Jahren eingesetzte Ermittlungsmaßnahme der Lokalisierung einer technischen Einrichtung ohne Mitwirkung eines Betreibers (sog. IMSI-Catcher);

               b) Schaffung einer eigenständigen und aussagekräftigen Definition der Überwachung von Nachrichten;

                c) Neuregelung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Beschlagnahme von Briefen unter Anpassung an jene der Überwachung der Telekommunikation und systemkonformem Ausbau des Rechtsschutzes der Korrespondenz mit Berufsgeheimnisträgern durch Kontroll- und Prüfungsbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz;

               d) Einführung einer neuen Ermittlungsmaßnahme zur Überwachung verschlüsselter Nachrichten unter Berücksichtigung der Beratungen einer Expertengruppe zur Überwachung internetbasierter Kommunikation sowie den Umsetzungserfordernissen aus der RL Terrorismus; Ergänzung des jährlichen Berichts über besondere Ermittlungsmaßnahmen, der vom Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz dem Nationalrat, dem Datenschutzrat und der Datenschutzbehörde vorzulegen ist, um die Ergebnisse der Anwendung dieser Ermittlungsmaßnahme;

                e) Einführung einer neuen Ermittlungsmaßnahme der Anlassdatenspeicherung (sog. Quick-freeze);

                f) Erweiterung der Möglichkeiten des Einsatzes der optischen und akustischen Überwachung von Personen um Straftaten nach §§ 278c bis 278e StGB in Umsetzung der RL Terrorismus.

2.) Die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/343 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung im Strafverfahren (im Folgenden: RL Unschuldsvermutung), ABl. Nr. L 65 vom 11.03.2016 S. 1.

Ad 1.)

a) Für die im Strafverfahren bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzte und in der Praxis unumgängliche Lokalisierung einer technischen Einrichtung durch die Kriminalpolizei mittels des sog. IMSI-Catchers (IMSI = die zur internationalen Kennung des Benutzers dienende Nummer) soll auch in der StPO eine exakte Rechtsgrundlage geschaffen werden. Diese gesetzliche Klarstellung erhöht die Rechtssicherheit (s. § 5 Abs. 1 StPO) und ordnet diese Ermittlungsmaßnahme in ein klares Rechtsschutzsystem ein (siehe im Detail II. Besonderer Teil).

b) und d) Zur Schließung entstandener Lücken in der Strafverfolgung aufgrund des technischen Fortschritts soll eine neue Ermittlungsmaßnahme zur Überwachung verschlüsselter Nachrichten mit einem der Grundrechtsintensität dieser zielgerichteten Maßnahme entsprechend umfassenden Rechtsschutzkonzept eingeführt werden. Dabei soll entgegen der in Stellungnahmen zum Ministerialentwurf, 325/ME 25. GP, vielfach geäußerten Besorgnis einer Massenüberwachung ausdrücklich klargestellt werden, dass die Ermittlungsmaßnahme nur in einem konkreten Strafverfahren wegen eines konkreten Verdachts von Straftaten und nicht zur Überwachung einer nicht bestimmten Anzahl von Personen angeordnet werden darf. Im Einzelnen ist stets eine begründete Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich, die einer gerichtlichen Bewilligung bedarf. Unabhängige gerichtliche Kontrolle soll nicht nur gegen die Bewilligung der Anordnung, sondern auch gegenüber Rechtsverletzungen bei der Durchführung der Ermittlungsmaßnahme deren Recht- und Verhältnismäßigkeit sichern. Umfassende Verständigungs- und Einsichtsrechte für Beschuldigte und Betroffene sollen Transparenz und Kontrolle ermöglichen. Umgehungs- und Beweisverwendungsverbote dienen dem Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie auch der genauen Einhaltung der Einsatzvoraussetzungen. Die engmaschige Einbindung des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz gewährleistet nicht nur „kommissarischen“ Rechtsschutz, sondern auch die Kontrolle der Durchführung unter Beiziehung von Sachverständigen. Schließlich soll Transparenz und parlamentarische Kontrolle durch Aufnahme dieser Ermittlungsmaßnahme in den jährlichen Bericht des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz über besondere Ermittlungsmaßnahmen an den Nationalrat, den Datenschutzrat und die Datenschutzbehörde ermöglicht werden. (siehe im Detail II. Besonderer Teil).

Die Vorschläge des Entwurfs können sich in weiten Bereichen auf die Ergebnisse einer im Sommer 2016 einberufen hochrangigen Expertengruppe stützen.

Im Zuge der Beratungen der Expertengruppe wurde die Technologieneutralität der Strafprozessordnung als wesentlicher Vorteil erkannt (siehe in diesem Sinn z. B. auch die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Eisenstadt zu 325/ME 25. GP), der durch die Schaffung eigenständiger Definitionen unter weitgehender Loslösung von Verweisen dauerhaft gewährleistet werden soll. In diesem Sinn soll daher die Definition der „Überwachung von Nachrichten“ in § 134 Z 3 StPO durch die Loslösung von § 92 Abs. 3 Z 7 TKG und die Schaffung einer eigenen Begriffsbestimmung klarer und transparenter formuliert werden, wodurch auch unmissverständlich klargestellt werden kann, dass der Begriff der „Nachricht“ die autonome Kommunikation zwischen zwei Geräten („M2M“-Kommunikation) ohne menschliches Zutun nicht umfasst.

Die Überwachung von Nachrichten wäre aufgrund der geltenden Rechtslage grundsätzlich auch im Fall ihrer Verschlüsselung zulässig, läuft aber eben aufgrund dieser Verschlüsselung ins Leere. Mit der Einführung einer neuen Ermittlungsmaßnahme zur Überwachung verschlüsselter Nachrichten soll den Strafverfolgungsbehörden ein dringend notwendiges, effektives Instrument zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zur Verfügung gestellt werden. Dadurch soll eine Lücke in der Strafverfolgung geschlossen werden, sodass es Beschuldigten künftig nicht mehr möglich sein soll, durch die Wahl verschlüsselter Telekommunikation (z. B. Skype und WhatsApp) jegliche Überwachung zu verhindern. So betont auch die RL Terrorismus, dass den für die Ermittlung oder strafrechtliche Verfolgung der dort bezeichneten Straftaten zuständigen Behörden wirksame Ermittlungsinstrumente, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder anderen schweren Straftaten verwendet werden, zur Verfügung stehen, wobei solche wirksamen Ermittlungsinstrumente auch die Überwachung des Kommunikationsverkehrs umfassen sollen (Art. 20 Abs. 1, Erw 21 der RL Terrorismus).

Mit der vorgeschlagenen Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten soll ausdrücklich auf einen Übertragungsvorgang abgestellt werden, sodass sie systemkonform in die StPO eingebunden werden kann und sich eindeutig von einer Online-Durchsuchung abgrenzt. Die vorgeschlagene Ermittlungsmaßnahme ist der herkömmlichen Überwachung von Nachrichten nach § 134 Z 3, § 135 Abs. 3 StPO nachgebildet und unterscheidet sich von dieser nur dahingehend, dass bei der Überwachung von Nachrichten unverschlüsselte, mit der neuen Ermittlungsmaßnahme hingegen verschlüsselte Nachrichten überwacht werden sollen. Damit soll ausdrücklich klargestellt werden, dass Straftäter durch die Wahl des technischen Kommunikationsmittels keinen wie immer gearteten Vor- oder Nachteil erlangen und die Strafverfolgungsbehörden unabhängig von der Wahl des technischen Kommunikationsmittels effizient reagieren können. Dieser Umstand erlangt umso mehr Bedeutung, als verschlüsselte Kommunikation herkömmliche Telefonie oder SMS bereits weitgehend verdrängt hat und die Strafverfolgung aufgrund dieser technologischen Entwicklung zunehmend erschwert und behindert wird.

Mangels anderer, insbesondere technischer Alternativen, sowie aufgrund des Umstandes, dass die Verschlüsselung der Kommunikation direkt auf dem Gerät erfolgt und daher auch nicht durch Mitwirkung des Betreibers umgangen werden kann, ist für die Überwachung verschlüsselter Nachrichten die (remote oder physikalische) Installation eines Programms in dem zu überwachenden Computersystem erforderlich, welches ausschließlich von einer natürlichen Person gesendete, übermittelte, oder empfangene Nachrichten und Informationen entweder vor der Verschlüsselung oder nach Entschlüsselung an die Strafverfolgungsbehörden ausleitet.

Da die Durchführung einer solchen Ermittlungsmaßnahme nach dem derzeitigen Stand der Technik quantitativ und qualitativ sehr ressourcenintensiv ist, wird vorgeschlagen, eine Legisvakanz bis 1. April 2020 vorzusehen, um dem Bundesministerium für Inneres ausreichend Zeit zur Beschaffung der erforderlichen Software und Treffen der erforderlichen technischen und personellen Vorkehrungen zur Durchführung der vorgeschlagenen neuen Ermittlungsmaßnahme zu ermöglichen. Aus Verhältnismäßigkeitserwägungen soll die Ermittlungsmaßnahme an höhere Zulässigkeitsvoraussetzungen als die Überwachung von Nachrichten nach § 135 Abs. 3 StPO gebunden werden. Schließlich soll sich die Ermittlungsmaßnahme bewähren müssen, weshalb sie vorerst nur für einen befristeten Zeitraum von fünf Jahren in Kraft gesetzt werden sowie rechtzeitig vor Ende der Befristung (auch im Hinblick auf einen voraussichtlich erfolgten technischen Fortschritt) einer Evaluierung unterzogen werden soll, wobei auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen neu zu überdenken sein werden.

Das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz hat dem Nationalrat, der Datenschutzbehörde und der Datenschutzkommission jährlich über den Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen (derzeit nach § 136 Abs. 1 Z 2 und 3 StPO oder nach § 141 Abs. 2 und Abs. 3 StPO) Bericht zu erstatten (vgl. Gesamtbericht über den Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen; § 10a Abs. 4 StAG). Aus den bisherigen Berichten ergibt sich in einer Gesamtschau, dass die Maßnahme der optischen und/oder akustischen Überwachung nach § 136 Abs. 1 Z 2 und 3 StPO in der Praxis maßvoll eingesetzt wird. Im Jahr 2014 kam es in sechs Verfahren zu einer optischen und akustischen Überwachung nach § 136 Abs. 1 Z 3 StPO („großer Späh- und Lauschangriff“), im Jahr 2015 in insgesamt fünf und im Jahr 2016 in insgesamt zwei Verfahren. Der sog. „kleine Späh- und Lauschangriff“ nach § 136 Abs. 1 Z 2 StPO gelangte im Jahr 2014 in sechs Verfahren, im Jahr 2015 in vier Verfahren und im Jahr 2016 in fünf Verfahren zur Anwendung. Anordnung und Durchführung der neuen Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten soll in diesen Gesamtbericht integriert werden (siehe Artikel 2, Änderungen im Staatsanwaltschaftsgesetz), wodurch in größtmöglicher Transparenz parlamentarische und datenschutzrechtliche Kontrolle nach Art einer „Gesamtüberwachungsrechnung“ gewährleistet werden soll.

c) Die Ermittlungsmaßnahme der Beschlagnahme von Briefen soll durch den Entfall der Voraussetzung, dass sich der Beschuldigte wegen einer vorsätzlichen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Tat in Haft befindet oder eine Vorführung oder Festnahme deswegen angeordnet wurde, insbesondere eine effektive Bekämpfung und Verfolgung des zunehmenden Versandes von Briefen mit im sog. Darknet angebotenen Suchtmitteln ermöglichen. Eine Einschränkung des Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden, weil die Beschlagnahme von Briefen weiterhin nur auf Anordnung der Staatsanwaltschaft nach gerichtlicher Bewilligung zulässig ist (vgl. § 137 Abs. 1 StPO), wogegen gerichtlicher Rechtsschutz besteht (Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung und Einspruch wegen Rechtsverletzung, § 87 StPO und § 106 StPO, siehe im Detail II. Besonderer Teil). Im Hinblick auf schriftliche Korrespondenz von und mit Berufsgeheimnisträgern, die grundsätzlich dem – unter Nichtigkeitssanktion stehenden – Umgehungsverbot des § 157 Abs. 2 StPO unterliegt, soll der Rechtsschutz durch Kontroll- und Prüfungsbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz systemkonform ausgebaut werden.

e) Das Regierungsprogramm der Bundesregierung 2017 – 2022 (s. S. 44) sieht die Einführung eines Quick-Freeze-Modells (Anlassdatenspeicherung) bei Vorliegen eines Anfangsverdachts bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen aufgrund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung und eine gerichtliche Bewilligung unter der Voraussetzung eines konkreten Tatverdachtes, um auf diese gespeicherten Daten zugreifen zu können, vor. Zur Umsetzung dieses Vorhabens sollen bei Vorliegen eines Anfangsverdachts bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen Telekommunikationsanbieter aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung verpflichtet werden, Telekommunikationsdaten (Verkehrsdaten, Zugangsdaten und Standortdaten) nach Ablauf der etwa für Verrechnungszwecke zulässigen Speicherung bis zu zwölf Monate weiter zu speichern (Anlassdatenspeicherung, sog. Quick-freeze). Im Falle, dass sich der Anfangsverdacht verdichtet, kann die Staatsanwaltschaft wie schon bisher nach § 135 Abs. 2 oder § 76a Abs. 2 StPO auf diese gespeicherten Daten zugreifen. Sollte sich der Anfangsverdacht nicht erhärten, so soll die staatsanwaltschaftliche Anordnung außer Kraft treten und der Verdächtige über den Vorgang zu informieren sein. In Artikel 3 sollen die notwendigen Folgeanpassungen im TKG vorgenommen werden. Damit sollen aber auch die grundrechtlichen Anforderungen im Lichte der jüngsten Judikatur des EuGHs (vgl. Urteil des EuGH vom 21.12.2016, verbundene Rechtssachen C-203/15 und C-698/15 Tele2 Sverige AB gegen Post- och telestyrelsen und Secretary of State of the Home Department gegen Tom Watson u.a., im Folgenden: Tele2 Sverige) umgesetzt werden.

f) Zur Umsetzung des Art. 20 der RL Terrorismus betreffend den Einsatz wirksamer Ermittlungsinstrumente (s. Erw 21) soll die optische und akustische Überwachung von Personen (§ 136 Abs. 1 Z 3 StPO) auch zur Aufklärung terroristischer Straftaten (§ 278c StGB) und weiterer besonders schwerwiegender Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten, nämlich Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) und Ausbildung für terroristische Zwecke (§ 278e StGB) zulässig sein. Hinsichtlich des geltenden Zulässigkeitskriteriums der Aufklärung oder Verhinderung von im Rahmen einer kriminellen Organisation oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278a und § 278b StGB) begangenen oder geplanten Straftaten, soll klargestellt werden, dass es sich bei solchen Straftaten um Verbrechen (§ 17 Abs. 1 StGB) handeln muss.

Ad. 2.) Zur Umsetzung der RL Unschuldsvermutung soll die bis zum 31.12.2007 in der StPO vorgesehene und in der Praxis nach wie vor erfolgende Belehrung eines Angeklagten über die Folgen des Nichterscheinens zur Hauptverhandlung ausdrücklich Eingang in den Gesetzestext finden und klargestellt werden, dass im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB Betroffene jedenfalls über die Verhandlung zu unterrichten sind.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage erstmals in seiner Sitzung am
1. März 2018 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Johanna Jachs der Abgeordnete Mag. Harald Stefan. Anschließend beschloss der Ausschuss, die Verhandlungen zu vertagen.

Der Verhandlungsgegenstand wurde einer Ausschussbegutachtung gemäß § 40 Abs. 1 GOG-NR unterzogen. Die eingelangten Stellungnahmen wurden auf der Homepage des Parlaments veröffentlicht.

Bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen am 5. April 2018 beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Dr. Alfred J. Noll, Mag. Harald Stefan, Mag. Friedrich Ofenauer, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Mag. Muna Duzdar, Petra Bayr, MA MLS, Mag. Klaus Fürlinger, Mag. Philipp Schrangl, Mag. Dr. Klaus Uwe Feichtinger und Karl Mahrer, BA sowie der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Dr. Josef Moser und die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker an der Debatte.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Harald Stefan einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Zu Z 1 (§ 94 letzter Satz StPO):

Wie vom Obersten Gerichtshof im Rahmen der Ausschussbegutachtung angeregt, werden Verweise auf § 236 Abs. 1 und § 236a StPO im Gesetzestext ergänzt. Hinsichtlich des Erfordernisses einer Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft soll keine Änderung zur geltenden Rechtslage erfolgen (vgl. Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2004] Rz 382, wonach die betreffenden Maßnahmen gegebenenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft und auf Initiative der Kriminalpolizei einer gerichtlichen Entscheidung bedürfen).

Zu Z 2 und 6 (§ 135 Abs. 2b, § 137 Abs. 3 StPO):

Anregungen aus Stellungnahmen im Rahmen der Ausschussbegutachtung aufgreifend soll klargestellt werden, dass es sich bei der Frist von längstens zwölf Monaten für die Ermittlungsmaßnahme der Anlassdatenspeicherung um eine echte (nicht verlängerbare) Höchstfrist handelt. Diese soll systemkonform in dem, die formellen Eingriffsvoraussetzungen regelnden, § 137 Abs. 3 StPO normiert werden. Festzuhalten ist auch, dass die Staatsanwaltschaft (bzw. das Gericht im Rahmen eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung) dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 5 StPO) entsprechend, die Frist individuell zu bestimmen haben. Eine regelmäßige Ausschöpfung der Höchstfrist ist insoweit mit diesem Grundsatz nicht vereinbar und muss in der Anordnung auch besonders begründet werden. Um Unklarheiten zu vermeiden, soll überdies in § 135 Abs. 2b StPO nicht der Begriff „Sicherstellung“ verwendet, sondern ausdrücklich gesetzlich klargestellt werden, dass die Maßnahme zur Sicherung einer der dort genannten Anordnungen erforderlich scheint (vgl. § 111 Abs. 4 und § 115 Abs. 5 StPO).

Zu Z 3 (§ 135a Abs. 2 StPO):

Durch diese Klarstellung soll dem Einwand Rechnung getragen werden, dass Staatsanwaltschaft und Gericht im Zeitpunkt der Anordnung bzw. Bewilligung einer konkreten Überwachung verschlüsselter Nachrichten nach § 135a StPO, also vor deren tatsächlichen Einsatz, das Vorliegen der in § 135a Abs. 2 StPO normierten Zulässigkeitskriterien regelmäßig nicht abschließend beurteilen können (z. B. Funktionsunfähigkeit des Programms nach Beendigung). Es soll allerdings klargestellt werden, dass die Ermittlungsmaßnahme nur dann angeordnet werden darf, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht im Zeitpunkt ihrer Entscheidung aufgrund bestimmter Tatsachen annehmen können, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Dieser Umstand wird rechtzeitig vor Inkrafttreten der Bestimmungen durch die Durchführung des technischen Audits (vgl. EBRV 17 BlgNR 26, GP, S. 13) und die entsprechende Information an Gerichte und Staatsanwaltschaften, dass ein die gesetzlichen Vorgaben erfüllendes Programm zur Verfügung steht, sichergestellt werden.

Zu Z 5, 7 und 8 (§ 137 Abs. 1, § 138 Abs. 1 und 5 StPO):

Im Rahmen der Ausschussbegutachtung wurde unter anderem unter Verweis auf die Reichweite des Grundrechtseingriffs und seine Nähe zu Eingriffen in Kommunikationsvorgänge Kritik an der formellen Voraussetzung lediglich einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung für die Ermittlungsmaßnahme der Lokalisierung einer technischen Einrichtung (§ 134 Z 2a, § 135 Abs. 2a StPO) geübt. Diese Kritik aufgreifend soll die Ermittlungsmaßnahme von der Staatsanwaltschaft nunmehr aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen sein.

Zu Z 10 (§ 147 Abs. 2 StPO):

Aufgrund zu Tage getretener Unklarheiten im Rahmen der Ausschussbegutachtung soll die Formulierung der „Überwachung nach § 135 oder nach § 135a“ im Gesetzestext präziser als „Überwachung von Nachrichten nach § 135 Abs. 3 oder Überwachung verschlüsselter Nachrichten nach § 135a“ formuliert werden.

Zu Z 4, 9, 11 und 12 (§ 136 Abs. 1 Z 3, § 145 Abs. 4, § 514 Abs. 37 Z 2, § 516a Abs. 7 StPO):

Die Änderungen dienen der Beseitigung von Redaktionsversehen.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Harald Stefan mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, dagegen: S, N, P) beschlossen.

Ferner beschloss der Justizausschuss mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, dagegen: S, N, P) folgende Feststellungen:

1. Zur Ergänzung der Sondereinheiten-Verordnung:

Der Ausschuss hält fest, dass eine Änderung der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Sondereinheiten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (Sondereinheiten-Verordnung), BGBl. II Nr. 207/1998, in Aussicht genommen ist, wodurch die neue Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten gemäß § 135a StPO in den Aufgabenbereich der Sondereinheit Observation (SEO) fallen soll.

Durch eine Ergänzung von § 6 Sondereinheiten-Verordnung soll sichergestellt werden, dass die ausschließliche Zuständigkeit für die technische Abwicklung der Ermittlungsmaßnahme der SEO - und nicht auch anderen Organisationseinheiten des Bundesministeriums für Inneres- zukommt. Aufgrund des Umstandes, dass der SEO unter anderem die ausschließliche Zuständigkeit für die Durchführung einer optischen oder akustischen Überwachung nach § 136 Abs. 1 Z 2 StPO, die gegen eine Person gerichtet ist, die gemäß § 157 Abs. 1 Z 2 bis 4 StPO berechtigt ist, die Aussage zu verweigern (§ 144 Abs. 3 StPO) und einer optischen oder akustischen Überwachung nach § 136 Abs. 1 Z 3 StPO zukommt (§ 6 Z 1 und 2 Sondereinheiten-Verordnung) erscheint die Festlegung der Zuständigkeit der SEO, bei der auch die Expertise für die Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahme vorhanden ist, zweckmäßig.

Durch diese legistische Zuordnung soll auch klargestellt werden, dass die SEO den Anschaffungsprozess der Software und die Programmierung, einschließlich des Quell-Codes im Sinne einer Zertifizierung überwachen und durchführen soll.

2. Zum Datenschutz:

In den Erläuterungen zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018 (17 der Beilagen) ist festgehalten, dass das Bundesministerium für Inneres, das die vorgeschlagene Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten gemäß § 135a StPO operativ durchführen und die ermittelten Daten verarbeiten wird, als datenschutzrechtlich Verantwortlicher (vgl. § 36 Abs. 2 Z 8 iVm §§ 46ff Datenschutzgesetz 2000 - DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017) für das Überwachungsprogramm ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten führen (vgl. § 4 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017 sowie § 49 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017), mit der Datenschutzbehörde zusammenarbeiten (§ 51 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017) und diese vorher konsultieren (§ 53 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017) wird.

Der Ausschuss hält fest, dass nach der Legaldefinition des § 36 Abs. 2 Z 8 iVm §§ 46ff DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017 die Staatsanwaltschaft als Verantwortlicher anzusehen sein wird, weil diese sowohl über Zweck (Aufklärung einer Straftat), als auch Mittel (in der StPO gesetzlich umschriebene Maßnahme) der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet.

Vor diesem Hintergrund wird das Bundesministerium für Inneres hinsichtlich der neuen Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten gemäß § 135a StPO nicht Verantwortlicher, sondern auf gesetzlicher Grundlage (§§ 98f StPO) Auftragsverarbeiter (§ 36 Abs. 2 Z 9 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017) sein. Für die Wahrnehmung der Verpflichtungen des Verantwortlichen soll im Einklang mit der im Materien-Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018 (65 d.B.) vorgeschlagenen Neuregelung im Staatsanwaltschaftsgesetz – StAG die verfahrensführende Staatsanwaltschaft zuständig sein, wobei das Bundesministerium für Inneres als Auftragsverarbeiter soweit unterstützend tätig werden muss, damit die Staatsanwaltschaft ihren datenschutzrechtlichen Verpflichtungen auch nachkommen kann (vgl. § 37 Abs. 3 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017 iVm § 48 DSG idF BGBl. I Nr. 120/2017).

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2018 04 05

                             Mag. Johanna Jachs                                                    Mag. Michaela Steinacker

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau