223 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP

 

Bericht

des Finanzausschusses

über den Antrag 302/A der Abgeordneten Karlheinz Kopf, Hermann Brückl, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsu­mentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden

Die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Hermann Brückl, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 14. Juni 2018 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

Zu Z 1 bis 10 (§ 5b, § 165a, § 178) und Artikel 2:

Das vorgeschlagene einheitliche Rücktrittsrecht nach § 5c soll die bestehenden versicherungsvertragsrechtlichen Rücktrittsrechte nach den §§ 5b, 5c und 165a VersVG ersetzen, sodass § 165a und § 5b Abs. 2 bis 6 entfallen können. Das Rücktrittsrecht des neuen § 5c VersVG soll auch die Rücktrittsrechte nach den bisherigen §§ 3 und 3a KSchG ersetzen. Für Konsumenten ist damit kein Nachteil verbunden, weil das neue Rücktrittsrecht nach § 5c VersVG ebenso wie jenes nach § 3 KSchG von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig ist. Sowohl § 3 Abs. 1 letzter Satz als auch § 3a Abs. 3 letzter Satz KSchG sehen für Versicherungsverträge zudem schon bisher eine absolute, einen Monat ab dem Zustandekommen des Vertrags geltende Rücktrittsfrist vor.

Diese Regelung bewirkt im Ergebnis, dass Versicherer Versicherungsnehmer nur noch über das Rücktrittsrecht nach § 5c VersVG (und im Falle des Vertragsabschlusses im Fernabsatz: nach § 8 FernFinG) belehren müssen. Die damit bewirkte Vereinheitlichung und Vereinfachung der Rechtslage liegt im Interesse aller Beteiligten.

Zu Z 1 und 4 (§ 5a und § 15a):

Für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 5c wird im Hinblick auf die notwendige Beweisbarkeit für die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung die geschriebene Form vorgesehen. Die Vereinbarung einer strengeren Form soll nicht möglich sein. Damit werden die Voraussetzungen für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach Art. 186 Abs 1 Richtlinie 2009/138/EG gesetzlich geregelt.

Zu Z 3 (§ 5c):

Abs. 1: Dadurch, dass das Rücktrittsrecht an keine Begründung geknüpft ist, werden auch die konzeptionellen Schwächen der bisherigen Gestaltung des allgemeinen versicherungsvertraglichen Rücktrittsrechts gemäß § 5b VersVG (vgl. Fenyves in Fenyves/Schauer, VersVG § 5b Rz 2 mwN) beseitigt. Es ist – wie bisher in § 5b Abs. 1 – weiterhin vom Rücktritt „vom Versicherungsvertrag“ die Rede. Dies schließt wie bislang auch einen Rücktritt vom Antrag bzw. einer Vertragserklärung ein, sodass der Versicherungsnehmer auch bis zum Zustandekommen des Vertrags zurücktreten kann (vgl Fenyves in Fenyves/Schauer, VersVG § 5b Rz 27 mwN).

Abs. 2 regelt als Beginn der Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts grundsätzlich den Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande kommt. Für den Schutz des Versicherungsnehmers entscheidend ist, dass die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn er den Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen einschließlich der Bestimmungen über die Prämienfestsetzung oder ‑änderung sowie eine Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat. Die Regelung entspricht damit den Erfordernissen des Art. 186 der Richtlinie 2009/138/EG. Letztere normiert für Lebensversicherungsverträge ein Rücktrittsrecht für Versicherungsnehmer „von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist“. Das ist in Österreich regelmäßig der Tag, an dem der Versicherungsnehmer die Polizze (das ist der Versicherungsschein) erhält, weil dies entweder die konkludente Annahme des Antrags des Versicherungsnehmers ist oder, bei einem Antrag der Versicherers und einer Annahme durch den Versicherungsnehmer, die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags. Da die Rücktrittsfrist nicht vor Übermittlung des Versicherungsscheins (der Polizze) beginnt, ist die Regelung richtlinienkonform.

Abs. 3 soll in Anlehnung an § 8 Abs. 5 dVVG Rechtssicherheit schaffen, dass der in Anlage A enthaltene Belehrungswortlaut die Anforderungen an eine gesetzeskonforme Belehrung über das Rücktrittsrecht jedenfalls erfüllt. Es bleibt den Versicherern unbenommen, über den Mindestinhalt hinaus zusätzliche Erläuterungen (insbesondere zum Versicherungsprodukt selbst, zum Versicherer selbst und zu allfälligen Gruppenunternehmen des Versicherers, Werbematerialien) dem Versicherungsnehmer zu geben, ohne dass allein dadurch die Rechtssicherheit durch die Fiktion des Abs. 3 entfällt. Jedenfalls muss die Rücktrittsbelehrung in gut lesbarer Schrift in unmittelbarer Nähe vor der Unterschrift des Verbrauchers abgedruckt werden.

Abs. 4 erster Satz normiert analog zum bisherigen § 5b Abs. 5, § 5c Abs. 1, zu § 8 Abs. 2 FernFinG und zu § 8 Abs. 1 dVVO aus Gründen der Rechtssicherheit die geschriebene Form (§ 1b Abs. 1 zweiter Satz) der Rücktrittserklärung. Ein höheres Formerfordernis, wie etwa die Schriftform, kann nicht vereinbart werden. Für die Fristwahrung soll das Absenden der Rücktrittserklärung maßgebend sein.

Abs. 5 sieht vor, dass das Rücktrittsrecht – wie bisher (§ 5b Abs. 5 Satz 2, § 5c Abs. 3 Satz 2) – spätestens  einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht erlischt.

Abs. 6 regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts und entspricht dem versicherungsrechtlichen Grundsatz der zeitanteiligen Prämie, wie er schon bislang in § 1a Abs. 2, § 5b Abs. 5 letzter Satz, § 5c Abs. 1 zweiter Satz und § 165a Abs. 1 zweiter Satz VersVG enthalten war. In der Nichtlebensversicherung und in der Risikolebensversicherung ist daher die vereinbarte Prämie für eine vorläufige Deckung zeitanteilig abzugrenzen. Für die kapitalbildende Lebensversicherung werden die Rechtsfolgen in § 176 Abs. 1a VersVG neu geregelt.

Abs. 7 nimmt Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß § 5 Z 34 VAG 2016 vom Rücktrittsrecht nach § 5c aus.

Zu Z 6 (§ 176 Abs. 1a)

§ 176 Abs. 1a erster Satz regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist nach § 5c erfüllt sind (Spätrücktritt). Die Regelung der Rechtsfolgen soll in Anlehnung an § 152 Abs. 2 dVVG dahingehend erfolgen, dass der Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt im ersten Jahr nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien zurückerhalten soll. Bei einem Spätrücktritt ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss soll der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert nach § 176 Abs. 3 VersVG ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und ohne Abzug nach § 176 Abs. 4 erhalten. Bei einem Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss erhält der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert gemäß § 176 Abs. 1 VersVG.

§ 176 Abs. 1a zweiter Satz regelt den Fall, dass bei einer Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko trägt, Veranlagungsverluste eingetreten sind.

Derzeit ist durch höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, wie die Rückabwicklung bei einem Spätrücktritt erfolgt. Die Bandbreite der vertretenen Meinungen reicht vom Ersatz des Rückkaufwerts gemäß § 176 Abs 3 VersVG (vgl. Schauer, Spätrücktritt in der Lebensversicherung, VR 2017 H 1-2, 33) bis zur Rückabwicklung der Prämie zzgl. gesetzlicher Zinsen (vgl. Leupold, § 176 VersVG: (K)ein Nullsummenspiel, VbR 2016/135, 195). Wegen der vielen unterschiedlichen Voraussetzungen für den Rücktritt nach den bisherigen Bestimmungen könnten in einer Vielzahl von Fällen eine (wenn auch nur in Details) fehlerhafte Belehrung erfolgt sein, weshalb es geboten erscheint, hier für Rechtssicherheit zu sorgen.

Diese Regelung entspricht aus folgenden Gründen Art. 186 der Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) und dem europarechtlichen Wirksamkeitsgebot (effet utile):

Erstens bewirken die Rechtsfolgen bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung gemäß § 176 Abs. 1a VersVG einen höchst wirksamen Anreiz für die Versicherer, umfassend über das Rücktrittsrecht zu belehren.

Zweitens bleiben allfällige Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer auf den Ersatz von Schäden, die dem Versicherungsnehmer dadurch entstanden sind, dass die Rücktrittsbelehrung unterblieben ist (etwa weil der Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Belehrung zurückgetreten wäre und einen anderen, günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte), davon unberührt.

Drittens ist die in § 252 Abs. 1 Z 6 VAG 2016 normierte Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer über die Umstände, unter denen er den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann, gemäß § 319 Z 1 VAG 2016 durch Verwaltungsstrafen bis EUR 60.000 abgesichert.

Zu Z 7 (§ 176 Abs. 5 und Abs. 6)

Die Diskussionen zu kapitalbildenden Lebensversicherungen haben gezeigt, dass gerade im ersten Jahr Kunden teilweise Änderungen ihrer vertraglichen Situation wünschen. Um diese Situation zu verbessern, sollen bei kapitalbildenden Lebensversicherungen, die im ersten Jahr verändert werden, die Abschlusskosten vollständig zurückgezahlt werden. Wenn ein Kunde daher den Vertrag kündigt oder die Prämie anpasst, werden die Abschlusskosten vollständig zurückgezahlt bzw. auf den adaptierten Prämienwert angepasst. Damit haben Kunden ein Jahr lang die Möglichkeit im Falle von Fehlentscheidungen, ihre Vorsorge mit nur geringen finanziellen Nachteilen (Versicherungssteuer) aufzulösen. Den Kunden entsteht dadurch ein deutlicher Mehrwert in der Anfangsphase des Vertrages. Dies kann dazu führen, dass Kunden statt wie bisher 18 % der Abschlusskosten bei Auflösung im ersten Jahr, für diese Zeit gar keine Abschlusskosten bezahlen. Außerdem können negative Auswirkungen auf die ungebundene und unabhängige Vermittlerbranche vermieden und dadurch eine qualitative Beratung ihrer Kunden sichergestellt werden

Zu Z 9 (§ 191c):

Diese Bestimmungen regeln das In- und Außerkrafttreten der neuen und alten Vorschriften. Die Rechtsfolgen eines Spätrücktritts sollen für neu abgeschlossene aber auch für bestehende Verträge einheitlich geregelt werden. Die Regelung der Rechtsfolgen in § 176 Abs. 1a soll allfällige zukünftige Entscheidungen der Gerichte zu bislang höchstgerichtlich nicht abschließend geklärten Rechtsfragen bei einem bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung erklärten Spätrücktritt hingegen nicht präjudizieren.

Zu Z 11 (Anlage A)

Durch die vorgeschlagene Vereinheitlichung des Rücktrittsrechts und einem Mustertext für eine Belehrung über das Rücktrittsrecht soll in Zukunft vermieden werden, dass Versicherungsnehmer mangelhaft über ihr Rücktrittsrecht belehrt werden.

Zu Artikel 3:

Die Strafbarkeit von Verwaltungsübertretungen gemäß § 319 Z 1 und § 328 in der bis 30. September 2018 geltenden Fassung soll durch das Inkrafttreten des Versicherungsvertriebsgesetzes 2018, BGBl. I Nr. 16/2018, nicht berührt werden.“

 

Der Finanzausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 19. Juni 2018 erstmals in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen des Berichterstatters Abgeordneten Mag. Peter Weidinger die Abgeordneten Kai Jan Krainer, Mag. Bruno Rossmann und der Ausschussobmann Abgeordneter Karlheinz Kopf.

Gemäß § 40 Abs. 1 GOG-NR beschloss der Ausschuss bei der Debatte einstimmig eine Ausschussbegutachtung mit Frist bis 25. Juni 2018, 18.00 Uhr. Weiters beschloss der Ausschuss einstimmig, die im Rahmen der Ausschussbegutachtung einlangenden Stellungnahmen auf der Homepage des Parlaments zu veröffentlichen. Anschließend fasste der Ausschuss einstimmig den Beschluss, die Verhandlungen über den Antrag zu vertagen.

Die eingelangten Stellungnahmen wurden auf Grund des Beschlusses auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at veröffentlicht.

Der Finanzausschuss hat die Verhandlungen über die Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 26. Juni 2018 wieder aufgenommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Kai Jan Krainer, Mag. Bruno Rossmann, Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Hermann Brückl und Mag. Selma Yildirim sowie der Bundesminister für Finanzen Hartwig Löger und der Ausschussobmann Karlheinz Kopf.

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, dagegen: S, N, P) beschlossen.

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Dr. Maria Theresia Niss, MBA gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Finanzausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2018 06 19

                   Dr. Maria Theresia Niss, MBA                                                    Karlheinz Kopf

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann