226 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (188 der Beilagen): Bundesgesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen

Hauptgesichtspunkte des Entwurfs:

Mit dem Entwurf soll die Richtlinie EEA für den Verwaltungsstrafrechtsbereich umgesetzt werden. Die Umsetzung für den Bereich des gerichtlichen Strafrechts erfolgt im Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004, und für den Bereich des Finanzstrafrechts im Bundesgesetz über die Zusammenarbeit in Finanzstrafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-FinStrZG), BGBl. I Nr. 105/2014.

Die Richtlinie EEA schafft auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Regelungen für die justizielle strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von justiziellen Entscheidungen in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union geht auf die Sondertagung des Europäischen Rates vom Oktober 1999 im finnischen Tampere zurück und wurde seitdem stetig ausgebaut. Mit Art. 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ausdrücklich im Primärrecht der Union verankert. Auf diese Rechtsgrundlage stützt sich die Richtlinie EEA.

Die Richtlinie EEA ist von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mit Ausnahme von Irland und dem Königreich Dänemark (siehe Erwägungsgründe 44 und 45 der Richtlinie EEA), anzuwenden und ersetzt im Rechtshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, BGBl. Nr. 41/1969 (EuRHÜ 1959), teilweise in der Fassung des Zusatzprotokolls zu diesem Übereinkommen, BGBl. Nr. 296/1983, und die nach Art. 26 EuRHÜ 1959 geschlossenen zweiseitigen Vereinbarungen, das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990, BGBl. III Nr. 90/1997, und das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. III Nr. 65/2005 (EU-RHÜ 2000), samt dem dazugehörigen Protokoll, BGBl. III Nr. 66/2005, in Bezug auf Rechtshilfeersuchen, die die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat zur Erlangung von Beweisen zum Gegenstand haben (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1 Richtlinie EEA).

Ziel der Richtlinie EEA ist eine Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Beweiserhebung in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union. Vorgesehen ist ein einheitliches Verfahren unter Vorgabe von Fristen und unter Verwendung von Formularen. Die Richtlinie EEA ist auch im Bereich des Verwaltungsstrafrechts anzuwenden; so ordnet Art. 4 der Richtlinie EEA an, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung (dh. eine Entscheidung zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat zur Erlangung von Beweisen gemäß der Richtlinie EEA) auch in Verfahren erlassen werden kann, die Verwaltungsbehörden (Justizbehörden) wegen Handlungen eingeleitet haben, die nach dem nationalen Recht des Ausstellungsstaates als Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften geahndet werden können, sofern gegen die Entscheidung ein insbesondere in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann. Ist die Behörde, die eine Ermittlungsmaßnahme anordnen möchte, keine Justiz-, sondern eine Verwaltungsbehörde, so ordnet die Richtlinie EEA darüber hinaus an, dass die Entscheidung der Verwaltungsbehörde vor ihrer Übermittlung von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt validiert werden muss (vgl. Art. 2 lit. c der Richtlinie EEA).

In Österreich soll die Validierung (dh. die Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung nach der Richtlinie EEA eingehalten worden sind) durch die Verwaltungsgerichte vorgenommen werden. Dies erfordert eine verfassungsrechtliche Grundlage.

Das Verfahren zur Erlassung einer Europäischen Ermittlungsanordnung und deren Vollstreckung (wobei unter dem Begriff Vollstreckung nicht die zwangsweise Durchsetzung der durch individuelle Normen begründeten Pflichten zu verstehen ist, sondern die Durchsetzung der Europäischen Ermittlungsanordnung, also des Ersuchens um Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen oder die Aufnahme von Beweisen in einem anderen Mitgliedstaat oder Übermittlung von Ermittlungsergebnissen oder Beweismitteln) soll für den Bereich des Verwaltungsstrafrechts in einem eigenen Bundesgesetz, dem Bundesgesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen – EAO-VStS, geregelt werden.

Das Verfahren nach der Richtlinie EEA stellt sich im Grundsatz wie folgt dar:

Die zuständige Behörde im Ausstellungsstaat erlässt unter Beachtung der erforderlichen Voraussetzungen sowie unter Verwendung der vorgesehenen Formblätter eine Europäische Ermittlungsanordnung und übermittelt diese dem Vollstreckungsstaat. Die zuständigen Behörden im Vollstreckungsstaat sind grundsätzlich verpflichtet, die Europäische Ermittlungsanordnung innerhalb von bestimmten Fristen (Art. 12 der Richtlinie EEA) und unter Beachtung der von der Ausstellungsbehörde erbetenen Verfahrens- und Formvorschriften (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie EEA) anzuerkennen und zu vollstrecken, sofern die Richtlinie EEA keine Zurückweisung ermöglicht. Andere Zurückweisungsmöglichkeiten als die, die in der Richtlinie EEA ausdrücklich zugelassen sind, darf der Vollstreckungsstaat nicht geltend machen. Die Vollstreckung erfolgt in derselben Weise und nach demselben Verfahren, als wenn die in der Europäischen Ermittlungsanordnung bezeichnete Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaates angeordnet worden wäre (Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie EEA). Greift ein Zurückweisungsgrund, kann der Vollstreckungsstaat die Anerkennung oder die Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung versagen. Darüber hinaus kann der Vollstreckungsstaat unter bestimmten Umständen auf eine andere als die in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebene Ermittlungshandlung zurückgreifen (Art. 10 der Richtlinie EEA) oder die Anerkennung und Vollstreckung aufschieben (Art. 15 der Richtlinie EEA). Wird die Europäische Ermittlungsanordnung anerkannt und vollstreckt, sind erlangte Beweismittel vom Vollstreckungsstaat grundsätzlich unverzüglich an den Ausstellungsstaat zu übermitteln (Art. 13 Abs. 1). In Bezug auf die in der Europäischen Ermittlungsanordnung bezeichneten Ermittlungsmaßnahmen stehen die Rechtsbehelfe zur Verfügung, die in der nationalen Rechtsordnung des jeweiligen Vollstreckungsstaates für einen vergleichbaren innerstaatlichen Fall vorgesehen sind.

Da die Möglichkeit einer audiovisuellen Einvernahme derzeit ausschließlich im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten besteht (vgl. § 25 Abs. 6a des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013), sieht der Entwurf auch für das behördliche Verfahren in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Einvernahme unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung vor.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Die im Entwurf enthaltene Verfassungsbestimmung (§ 3 Abs. 2) kann gemäß Art. 44 Abs. 1 B-VG vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

 

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 27. Juni 2018 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Mag. Harald Stefan die Abgeordneten Dr. Alfred J. Noll, Dr. Nikolaus Scherak, MA und Dr. Johannes Jarolim sowie der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Dr. Josef Moser.

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, dagegen: S, N, P) beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (188 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2018 06 27

                              Mag. Harald Stefan                                                           Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann