Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments; Genehmigung

 

Die rechtliche Grundlage für die Direktwahlen zum Europäischen Parlament ab 1979 bildet der „Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 20. September 1976“ (76/787/EGKS, EWG, EURATOM), im folgenden Direktwahlakt (kurz: DWA). Dieser Akt verankert die Direktwahlen und stellt eine primärrechtliche Rahmengesetzgebung für diese dar.

 

Gemäß Art. 223 Abs. 1 AEUV iVm Art. 106a Abs. 1 Euratom-Vertrag erstellt das Europäische Parlament einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen. Der Rat erlässt die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird. Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

 

Das Europäische Parlament verabschiedete am 11. November 2015 eine Entschließung zu der Reform des Wahlrechts der Europäischen Union mit einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Annahme der Bestimmungen zur Änderung des DWA (ABl. Nr. C 366 vom 27.10.2017 S. 7). Nach der politischen Einigung im Rat und der Zustimmung des Europäischen Parlaments vom 4. Juli 2018 beschloss der Rat den vorliegenden Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 am 13. Juli 2018 (ABl. Nr. L 178 vom 16.07.2018 S.1). Damit wurde der DWA folgendermaßen geändert bzw. neu gefasst:

 

       In jedem Mitgliedstaat werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments nach dem Verhältniswahlsystem auf der Grundlage von Listen oder von übertragbaren Einzelstimmen gewählt. Die Mitgliedstaaten können eine Vorzugsstimmenvergabe auf Grundlage innerstaatlicher Vorschriften zulassen.

       Für die Sitzvergabe können die Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle von maximal 5 % der abgegebenen Stimmen festlegen. Mitgliedstaaten mit Wahlkreisen von mehr als 35 Sitzen legen eine Mindestschwelle zwischen mindestens 2 und maximal 5 % der im betreffenden Wahlkreis abgegebenen Stimmen fest.

       Wenn innerstaatliche eine Frist für die Einreichung von Bewerbungen für die Wahl zum Europäischen Parlament vorgesehen ist, muss diese mindestens 3 Wochen vor dem festgelegten Wahltermin enden.

       Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Stimmzettel den Namen oder das Logo der europäischen politischen Partei, der die nationale politische Partei oder der Einzelbewerber angehört, tragen.

       Die Mitgliedstaaten können die Möglichkeit der vorzeitigen Stimmabgabe, der Briefwahl sowie der elektronischen Stimmabgabe und der Stimmabgabe über das Internet vorsehen.

       Maßnahmen zur Sicherstellung, dass keine doppelte Stimmabgabe erfolgt, werden von den Mitgliedstaaten getroffen.

       Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen treffen, damit ihre Staatsangehörigen in Drittstaaten bei der Wahl ihre Stimme abgeben können.

       Jeder Mitgliedstaat benennt eine Kontaktstelle für den Austausch der Daten. Für die Übermittlung der Daten von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die in einem anderen Mitgliedstaat in das Wählerverzeichnis eingetragen sind, wird eine Mindestfrist von 6 Wochen festgelegt.

 

Der vorliegende Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 macht in Österreich keinerlei Anpassungen innerstaatlicher Rechtsnormen notwendig.

Unionsrechtliche Grundlagen:

Gem. Art. 223 Abs. 1 AEUV sowie Art. 106a Abs. 1 Euratom Vertrag erstellt das Europäische Parlament einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen. Das Europäische Parlament verabschiedete am 11. November 2015 eine entsprechende Entschließung mit einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates (ABl. C 366 vom 27.10.2017, S. 7.). Gem. Art. 223 Abs. 1 AEUV erlässt der Rat die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Nach der politischen Einigung im Rat und der Zustimmung des Europäischen Parlaments vom 4. Juli 2018 beschloss der Rat den vorliegenden Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 am 13. Juli 2018.

Ein derartiger Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Verfassungsrechtliche Grundlagen:

Gemäß Art. 23i Abs. 4 B-VG ist auf andere (als im Art. 23i Abs. 3 B-VG genannte) Beschlüsse des Europäischen Rates oder des Rates, die nach dem Recht der Europäischen Union erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten, Art. 50 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden. Danach bedürfen solche Beschlüsse der Genehmigung des Nationalrates und der Zustimmung des Bundesrates, jeweils in Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, also mit erhöhten Quoren.

 

Nach erfolgter Genehmigung wird der Beschluss des Nationalrates und des Bundesrates gemäß Art. 23i Abs. 5 B‑VG unter Anwendung des § 5 Abs. 1 Z 4a des Bundesgesetzblattgesetzes im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden.


Besonderer Teil

Zu den Erwägungsgründen (Präambel):

 

Einleitend werden die rechtlichen Grundlagen (Art. 223 Abs. 1 AEUV und Art. 106a Abs. 1 Euratom-Vertrag) genannt, auf die der vorliegende Beschluss gestützt ist, sowie dessen rechtliche Basis, der DWA. Weiters wird Bezug genommen auf den Entwurf des Europäischen Parlaments, die Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente und die Zustimmung des Europäischen Parlaments.

 

In sieben Erwägungsgründen legt der Rat die Entstehungsgeschichte und die Zielsetzung des Beschlusses dar.

 

In Erwägungsgrund 4 wird die Wichtigkeit der Transparenz des Wahlprozesses und des Zugangs zu verlässlichen Informationen für die Schärfung des europäischen politischen Bewusstseins und die Sicherstellung einer regen Wahlbeteiligung betont. Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sollten eine angemessene Zeit vor der Wahl zum Europäischen Parlament über die Bewerberinnen und Bewerber für diese Wahl und über die Zugehörigkeit der nationalen politischen Parteien zu einer europäischen politischen Partei informiert werden.

 

In Erwägungsgrund 5 zählt der Rat Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur Förderung der Wahlbeteiligung bei Europawahlen demonstrativ auf. Eine Verpflichtung eines Mitgliedstaates, diese Möglichkeiten zu nutzen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Während E-Voting sowie „Vorwahltage“ in Österreich auf nationaler Ebene bislang nicht verankert sind, handelt es sich bei der Briefwahl um ein durch die Bundesverfassung verbrieftes Recht zur Stimmabgabe.

 

Nach Erwägungsgrund 6 ist es das Recht der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, insbesondere indem sie bei der Wahl zum Europäischen Parlament ihre Stimme abgeben oder kandidieren.

 

In Erwägungsgrund 7 ermutigt der Rat die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um ihren Staatsangehörigen mit Wohnsitz in einem Drittstaat zu gestatten, bei der Wahl zum Europäischen Parlament ihre Stimme abzugeben. Österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern mit Wohnsitz in einem Drittstaat ist es seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gestattet, die österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments zu wählen. § 4 Abs. 1 des Europa-Wählerevidenzgesetzes stellt auf „Österreicher mit Hauptwohnsitz im Ausland“ schlechthin ab, gleichgültig, ob diese innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union wohnen. In der Praxis können sich Personen des betroffenen Personenkreises im Weg der Stimmabgabe mittels Briefwahl bei Europawahlen an der Wahl beteiligen.

 

Zu Art. 1 des Änderungsbeschlusses:

Art. 1 Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 ändert die folgenden Bestimmungen des DWA:

 

Zu Art. 1 DWA:

 

Die Vorgaben des Änderungsbeschlusses werden durch Artikel 23a Abs. 1 B-VG sowie den darauf basierenden einschlägigen Bestimmungen des Europawahlrechts vollinhaltlich erfüllt. Art. 23a Abs. 1 B-VG sieht vor, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments in Österreich auf Grund des gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechts gewählt werden. Die Wahl der österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments erfolgt nach dem Verhältniswahlrecht, die Wählerinnen und Wähler wählen die Bewerberinnen und Bewerber auf Grund eines Listenwahlrechts und haben durch die Möglichkeit der Vergabe von Vorzugsstimmen Einfluss auf die Reihung dieser Listen.

 

Zu Art. 3 DWA:

 

In der österreichischen Europawahlordnung (§ 77 Abs. 2) ist eine so genannte Vier-Prozent-Klausel verankert, der gesetzlich vorgegebene Schwellwert liegt somit unter den Vorgaben des gegenständlichen Beschlusses. Aus wahlarithmetischer Sicht kommt der verankerte Schwellwert mit Blick auf die geringe Anzahl der österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments mit denkbar geringer Wahrscheinlichkeit zum Tragen. Eine Wahlkreis-bezogene Mindestschwelle kommt in Österreich nicht in Betracht, da auf Grund der Zahl der zur Vergabe gelangenden Mandate keine Wahlkreise festgelegt werden können, erscheint es doch denkunmöglich, dass für Österreich im Europäischen Parlament jemals mehr als 35 Sitze zur Vergabe gelangen.

 

Zu Art. 3a DWA:

 

Die in dieser Bestimmung festgelegte Frist von mindestens drei Wochen vor dem Wahltag für die Einreichung von Bewerbungen für die Wahl zum Europäischen Parlament wird in Österreich nicht ausgeschöpft. Wahlvorschläge müssen in Österreich bereits spätestens sechs Wochen und zwei Tage vor dem Wahltag vorgelegt werden (§ 30 Abs. 1 der Europawahlordnung).

 

Zu Art. 3b DWA:

 

Der Name einer europäischen politischen Partei darf bei Europawahlen in Österreich schon seit Inkrafttreten der Europawahlordnung in der Parteibezeichnung einer wahlwerbenden Partei enthalten oder mit dieser Bezeichnung identisch sein (§ 31 Abs. 1 Z 1 der Europawahlordnung). Nach dieser Bestimmung kann die Parteibezeichnung bei Europawahlen völlig frei gewählt werden. Die – optionale Wiedergabe von Logos ist im österreichischen Wahlrecht generell nicht vorgesehen, dies gilt auch für Europawahlen.

 

Zu Art. 4a DWA:

 

Bei dem in Rede stehenden Artikel ist die Zulässigkeit der vorzeitigen Stimmabgabe (in Österreich oft als „Vorwahltag“ bezeichnet), der Briefwahl sowie der elektronischen Stimmabgabe via Internet verankert. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, solche Möglichkeiten vorzusehen. Während es sich bei der Stimmabgabe mittels Briefwahl seit 2007 um ein durch die österreichische Bundesverfassung verbrieftes Recht handelt (für Europawahlen durch Art. 23a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 6 B-VG), sind in der österreichischen Bundesverfassung Vorwahltage (für bundesweite Wahlereignisse) sowie E-Voting-Lösungen nicht vorgesehen.

 

Zu Art. 9 DWA:

 

In Österreich ist durch umfangreiche gesetzliche und administrative Regelungen und Maßnahmen (Zentrales Wählerregister, Wählerverzeichnisse, Berichtigungs- und Beschwerdeverfahren, detaillierte Regelungen über Wahlkarten) sichergestellt, dass Wahlberechtigte für eine Wahl nicht zweimal eine Stimme abgeben können. Neben diesen administrativen Maßnahmen soll auch eine Strafandrohung (§ 266 Abs. 1 StGB) eine Doppelstimmabgabe verhindern. Um eine Stimmabgabe von Personen zu verhindern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat wohnen, demnach also die Wahlmöglichkeit haben, die Mitglieder des Europäischen Parlaments einer der beiden Staaten zu wählen, kommt zusätzlich der Datenaustauschmechanismus der Europawahlrichtlinie 93/109/EG des Rates zum Tragen.

 

Zu Art. 9a DWA:

 

Auf die Hinweise zu Erwägungsgrund 7 wird verwiesen.

 

Zu Art. 9b DWA:

 

In Umsetzung der Europawahlrichtlinie 93/109/EG des Rates ist bereits eine durch diesen Artikel geforderte Kontaktstelle im Bundesministerium für Inneres, Abteilung III/6, angesiedelt. Auch die nunmehr vorgegebene Frist (6 Wochen vor dem Wahltag) stellt für die österreichische Vollzugspraxis kein Problem dar, findet der Datenaustausch in der Praxis doch schon wenige Tage nach dem Stichtag (75. Tag vor der Wahl) statt. In § 13 Abs. 3 des Europa-Wählerevidenzgesetzes ist der Zeitpunkt lediglich mit dem Ausdruck „rechtzeitig vor jeder Wahl“ definiert.

 

Zu Art. 2 des Änderungsbeschlusses:

Art. 2 Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 betrifft die mitgliedstaatliche Zustimmung im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretär des Rates den Abschluss des innerstaatlichen Verfahrens mit. Der Beschluss tritt am ersten Tag nach dem Empfang der letzten Mitteilung eines Mitgliedstaats in Kraft. Das Datum des Inkrafttretens des Beschlusses wird vom Generalsekretär des Rates im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.