18/J XXVI. GP

Eingelangt am 17.11.2017
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Anfrage

der Abgeordneten Sepp Schellhorn, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Versteckte Schulden und Haftungen des Landes Niederösterreich

Das ESVG 2010 (Europäisches System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene) sollte Transparenz bei Schulden der öffentlichen Hand schaffen. Dennoch kam es speziell in Österreich in jüngster Vergangenheit immer wieder zu Zwischenfällen, die nahelegen, dass öffentliche Schulden noch immer ausgelagert und vor der Öffentlichkeit versteckt werden.

So hat die EU-Kommission Anfang des Jahres eine Geldbuße von 29,8 Mio. Euro gegen die Republik Österreich wegen falscher Schuldenangaben des Landes Salzburg verhängt. Die Brüsseler Behörde hatte bemängelt, dass die "falsche Darstellung"  und „schwerwiegende Nachlässigkeit“ dazu geführt habe, "dass das Defizit und der Schuldenstand Österreichs im Zeitraum von 2008 bis 2012 in den statistischen Datenmeldungen an EUROSTAT von 2012 und 2013 falsch dargestellt wurden.

Die Strafe fiel damit höher aus als vom Land Salzburg erwartet. Die Landesfinanzabteilung hatte noch im Dezember 2016 mit rund 19 Mio. Euro Bußgeld gerechnet. Theoretisch wäre eine Strafe von bis zu 0,2 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts möglich gewesen. Würde man dies auf das Jahr 2016 anrechnen, käme man damit auf bis zu 700 Mio. Euro Strafgeld.

Nach Worten der zuständigen EU-Kommissarin Marianne Thyssen habe sich die Salzburger Landesregierung „schwerer Fahrlässigkeit“ bei den Finanzstatistiken schuldig gemacht. Die österreichischen Behörden hätten von den falschen Statistiken seit mindestens Dezember 2012 gewusst, sagte Thyssen. Aber erst im April 2014 sei die falsche Darstellung korrigiert worden.

In Brüssel wurde der Sachverhalt sarkastisch schon  als „Greek Statistics“ bezeichnet.

Eine ähnlich „griechische“ Budgetpolitik ist auch schon aus dem Land Kärnten bekannt.

Die 2009 notverstaatlichte Hypo Alpe Adria ist durch politische Misswirtschaft zum Milliardengrab und einem Fall für die Justiz geworden. Diese Schulden zahlen nicht nur die Kärtner_innen, sondern alle Österreichischen Steuerzahler_innen noch heute ab.

Diese Intransparenz der Schuldenstände der Länder und Gemeinden hat System. Denn während der Bund bereits auf die zeitgemäße doppelte Buchführung umgestellt hat, verwenden Österreichs Länder und Kommunen teilweise nach wie vor die sogenannte Kameralistik. Diese macht es leichter als in einer doppelten Buchführung, Schulden über das Instrument „Ausgliederungen“ zu verstecken. So etwa geschehen, als Hohenems die Wasserversorgung ausgliederte – ein Fall, der auch vom Rechnungshof kritisiert wurde.

Obwohl seit dem ESVG 2010 auch zahlreiche ausgegliederte Einheiten dem Sektor Staat zugeordnet werden, schleppt die Republik einen Berg an Verbindlichkeiten mit, der nach wie vor nicht in die Statistik einfließt. Es geht dabei um Staatsbetriebe, die als "Marktproduzenten" klassifiziert werden. Sie kamen Ende 2013 laut einer Berechnung der Statistik Austria auf Schulden im Ausmaß von 116,76 Milliarden Euro oder 36,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Was fast noch aufschlussreicher als die Gesamtzahl erscheint: Mit 57 Milliarden Euro entfällt der größte Teil dieser Unternehmensschulden auf die Länder. Bundesunternehmen kommen auf 44 Milliarden, Gemeindefirmen auf 15 Milliarden Euro. Auch wenn die Statistik aus Datenschutzgründen keine einzelnen Unternehmen nennt, wird aus einer Untergliederung klar: Bei den Ländern entfallen 44 Milliarden Euro der Verbindlichkeiten auf finanzielle Kapitalgesellschaften, also vor allem Banken. Sie halten sich nämlich fast flächendeckend Hypobanken.

Die Schulden der Nichtbanken sind in den Bundesländern mit 13,6 Milliarden Euro aber ebenfalls hoch. Bei den Gemeinden zeichnen für die Verbindlichkeiten fast zur Gänze Nichtbanken verantwortlich, was mit deren Hang zur Ausgliederung wirtschaftlicher Aktivitäten aus dem Hoheitsbereich zu erklären ist. Beim Bund entfallen 23,1 Milliarden Euro der Verbindlichkeiten auf Banken, 20,9 Milliarden auf andere Unternehmen. Als öffentliche Akteure gelten Betriebe, wenn sie zu mehr als 50 Prozent im Eigentum des Sektors Staat stehen oder dieser über andere Wege die Kontrolle ausübt. Neben den Landesbanken gelten die Energieversorger sowie eben die Gemeindeunternehmen als wichtige Posten.

Andere Betriebe wie ÖBB, KA Finanz, Bundesimmobiliengesellschaft, Wiener Linien oder Krankenanstalten werden seit der Statistikrevision ohnehin in die offiziellen Staatsschulden eingerechnet und finden sich nicht in dieser Auflistung. Grund der neuen Publikation ist der sogenannte Six-Pack, mit dem der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt Ende 2011 geschärft wurde.

Nach wie vor hoch, wenn auch deutlich rückläufig, sind die Risiken, die sich aus öffentlichen Haftungen ergeben. Der Stand betrug Ende 2016 knapp 101 Milliarden Euro oder 29 Prozent des BIPs. Zum Vergleich: 2010 machten die Haftungen noch 156,9 Milliarden Euro aus. In dieser Kategorie liegt der Bund mit knapp 54 Milliarden Euro voran, die Länder kommen auf 45,6 Milliarden, die Gemeinden auf 13,3 Milliarden Euro. Der größte Rückgang ergibt sich durch die abreifenden Haftungen der Länder für die Hypobanken - seit 2007 dürfen aus EU-rechtlicher Sicht für neue Verbindlichkeiten keine Ausfallsbürgschaften mehr gewährt werden. Beim Bund sind sowohl die Haftungen für Banken als auch jene für andere Unternehmen rückläufig. Bei den Gemeinden sind hingegen kaum Veränderungen sichtbar

Die Vermögensaufstellungen der Länder sind völlig intransparent und untereinander zudem nicht vergleichbar. Manche Länder bewerten ihre Gebäude, Grundstücke oder Beteiligungen nach ihrem Anschaffungs-, andere nach ihrem Verkehrswert, Wien bewertet sie gar nicht – zumindest nicht für die Öffentlichkeit. Nur Vorarlberg legt eine echte Bilanz vor. Alle anderen Länder jonglieren wild herum: Etwa mit 15 verschiedenen Schulden-Begriffen, die nirgends exakt definiert sind – oder mit Auslagerungen der Gesundheitsversorgung oder Investitionen aus den ordentlichen Budgets.

Und genau hier liegt das Problem. Für den Schaden zahlen nämlich nicht die Politiker, die diesen Schaden anrichten und die diesen Schaden ihren persönlichen Ambitionen unterordnen, nein die Schulden bleiben nicht einmal im Bundesland, sondern werden von allen Österreichern getragen.

Es ist zu befürchten, dass in Niederösterreich ähnliche Verhältnisse herrschen. Der Bürger hat ein Recht darauf zu erfahren, für was der Staat haftet etc. wo Schulden geparkt sind.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

1.    Können Sie ausschließen, dass das Land Niederösterreich Schulden an die Hypo Niederösterreich oder die RLB-Wien-Niederösterreich ausgelagert hat?

2.    Können Sie ausschließen, dass das Land Niederösterreich, ähnlich wie in Salzburg, gegen Regelungen, wie die ESVG 2010 und ähnliche Transparenz-und Bewertungsregeln, verstößt und inkorrekte Finanzstatistiken veröffentlicht?

3.    Was werden Sie tun, um die Schulden und Haftungen der Länder endlich transparent zu machen und österreichweite, verbindliche und einheitliche Rechnungslegungsvorschriften für die öffentliche Hand durchzusetzen?

4.    Die Hypo Niederösterreich weist 2016 sogenannte Watch Loans (werthaltige Kredite mit erhöhten Risikomerkmalen) in Höhe von 116 Mio. Euro aus. Wie ist die Kundenstruktur bei diesen Krediten aufgebaut? Welcher Anteil davon fällt auf private Kunden, welcher auf Unternehmen, welcher auf die öffentliche Hand? Welche öffentlichen Einrichtungen sind hier beteiligt? Wie hoch wird das Ausfallrisiko beziffert? Gibt es alternative Schätzungen über die Bewertung dieser Kredite, gibt es Negativszenarien, in denen die Ausfallshöhe die 116 Mio. Euro übersteigt?

5.    Anfang des Jahres 2016 war die Hypo Niederösterreich an 36 Unternehmen mit über 20% beteiligt. 11 davon hatten ein negatives Eigenkapital. In welchem Umfang haftet die Bank für diese Unternehmen? Wurden Patronatserklärungen oder ähnliche Haftungserklärungen abgegeben? Wenn ja, was sehen diese vor?

6.    Von den 36 Unternehmen, an denen die Hypo Niederösterreich Anteile über 20% der Anteile hat, sind 34 Unternehmen im Immobilienbereich tätig, fast ausschließlich Grundstücksvermietungen. Wie hoch ist der Wert der Aktiva und der Immobilien-und Grundstücksvermögen, über die die gelisteten Unternehmen verfügen?

7.    Aus den genannten Unternehmensbeteiligungen fällt eine besonders heraus. Eine Beteiligung von 26,66% am „Psychosozialen Zentrum Schiltern“ (GmbH). Obwohl diese Gesellschaft nur ein Eigenkapital von 600.000 Euro hat, wies sie 2015 einen Jahresfehlbetrag von 800.000 aus. Warum ist die Bank an dieser Gesellschaft beteiligt, was ist die strategische Begründung? Übernimmt die Bank Haftungen oder Garantien für diese Gesellschaft? Über welches Immobilienvermögen verfügt diese Gesellschaft? Wer sind die anderen großen Anteilseigner dieser Gesellschaft?

8.    Im Geschäftsbericht 2016 der Hypo Niederösterreich steht, dass das ökonomische Risikodeckungspotenzial im Wesentlichen aus (1) Kernkapital und (2) Stillen Reserven/Lasten vor allem aus Beteiligungen und Wertpapieren besteht. Wie hoch sind insgesamt die Stillen Lasten in der gesamten Bilanz?

9.    Der Wert der Wertpapiere im Anlagevermögen ist in einem Jahr von 306. Mio. Euro auf 230 Mio. Euro gesunken. Es sind zusätzliche Stille Lasten in Höhe von 14 Mio. Euro bei den Wertpapieren entstanden. Die Stillen Reserven in diesem Bereich sind von 210 Mio. Euro auf 170 Mio. Euro gefallen. Bei vielen weiteren Posten sieht es ähnlich aus. Wie kann es zu diesen Verlusten im Wertpapiergeschäft kommen? Sind weitere Verluste für das Jahr 2017 zu erwarten? Nach welchen Kriterien investiert die Bank am Kapitalmarkt?

10.  Können Sie ausschließen, dass das Land Österreich für Haftungen, Garantien oder Schulden des Bundeslandes Niederösterreich aufkommen muss, die sich ausgelagert bei der Hypo Niederösterreich befinden? Auf welche Höhe schätzen Sie die ausgelagerten Schulden des Landes Niederösterreich insgesamt? Auf welche Höhe belaufen sich die Haftungen, Garantien und Schulden des Landes Niederösterreich insgesamt nach Information des Bundesministeriums für Finanzen?