73/J XXVI. GP

Eingelangt am 20.12.2017
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Anfrage

 

der Abgeordneten Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Famlie und Jugend

betreffend Versorgung und Obsorge unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

 

Im Jahr 2016 sind laut Asylkoordination Österreich 4.551 Jugendliche ohne ihre Eltern oder eine Betreuungsperson nach Österreich geflüchtet. 400 von ihnen waren sogar unter vierzehn Jahre alt. Bis Ende Oktober 2017 wurden in diesem Jahr laut dem Bundesministerium für Inneres schon 1.549 Asylanträge von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) gestellt; fast die Hälfte davon von Jugendlichen aus Afghanistan. Laut BMI werden unbegleitete Minderjährige in speziellen Unterkünften untergebracht und erhalten besondere Betreuung und Versorgung. Sollte ein Asylverfahren zugelassen werden, so gilt die jeweilige Kinder- und Jugendhilfe des Bundeslandes in dem das Kind untergebracht ist als gesetzlicher Vertreter.

In Österreich gibt es für UMF keine automatische Übertragung der Obsorge an die Kinder- und Jugendhilfe qua Gesetz, sondern es bedarf immer erst einer pflegschaftsgerichtlichen Übertragung der Obsorge, die Berichten zufolge oft zu spät eingeleitet wird. Es wurden zahlreiche Missstände gemeldet, die die Versorgung von UMF betreffen: So klagen Kinder- und Jugendhilfeträger über Personalmangel, um den durch die Flüchtlingsbewegung 2015 verursachten Mehraufwand zufriedenstellend bearbeiten zu können, die Finanzierung wird in jedem Bundesland anders geregelt und es gibt keine einheitlichen Ausbildungsstandards in den Bundesländern. Diese Umstände lassen darauf schließen, dass den speziellen Bedürfnissen von besonders vulnerablen Gruppen, denen UMF definitiv angehören, nicht Rechnung getragen wird.

Der Suizid eines elfjährigen Jungen, der aus Afghanistan geflüchtet ist, hat in den letzten Wochen die österreichische Medienlandschaft beschäftigt und stellt den traurigen Höhepunkt einer Reihe von Vorfällen und Versäumnissen in der Betreuung von UMF dar. Vor allem der Umstand, dass einem 23-Jährigen die Obsorge für den 11-Jährigen und seine fünf minderjährigen Geschwister (ein Junge davon mit Down-Syndrom) übertragen wurde, wurde von vielen Seiten heftig kritisiert (z.B.: Medienberichte im Kurier, 21.11.2017; der Standard, 20.11.2017). Die Volksanwaltschaft kündigte ein Prüfverfahren in diesem Fall an, um zu klären, ob im Sinne des Kindeswohls gehandelt wurde, oder ob es Hinweise gab, die ein Einschreiten der Behörden wegen Überforderung des obsorgeberechtigten Bruders notwendig gemacht hätten.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

 

1.    Zentrale Aufgaben der Österreichischen Kinder- und Jugendhilfe sind nach § 3 Abs. 4 und 6 B-KJHG 2013 die Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung, sowie die Zusammenarbeit mit Einrichtungen, Behörden und öffentlichen Dienststellen. Laut dem Sonderbericht "Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen" der Volksanwaltschaft (2017, S. 48) dauert es aber häufig monatelang, bis die zuständigen KJHT einen Antrag auf Übertragung der Obsorge stellen, nachdem ein UMF von Erstaufnahmestellen oder Grundversorgungseinrichtungen der Länder bzw. reguläre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe überstellt wurde. Wie erklärt sich das Bundesministerium für Familie und Jugend diesen Umstand?

a.    Welche Maßnahmen werden von Seiten des Bundesministeriums für Familie und Jugend ergriffen, um den Zeitraum zwischen Überstellung eines UMF und einem Antrag auf Obsorge durch den zuständigen KJHT so gering als möglich zu halten?

 

2.    Wie viele Anträge auf Obsorge für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge durch die Kinder- und Jugendhilfe wurden seit 2012 eingebracht? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

a.    Wie vielen dieser Anträge wurde stattgegeben bzw. wie viele wurden abgelehnt? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

b.    In wie vielen Fällen dauerte es weniger als drei Monate bis die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung einen Antrag auf Übernahme der Obsorge für die Betroffenen stellte? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

c.    In wie vielen Fällen dauerte es weniger als sechs Monate bis die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung einen Antrag auf Übernahme der Obsorge für die Betroffenen stellte? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

d.    In wie vielen Fällen dauerte es sechs oder mehr Monate bis die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung einen Antrag auf Übernahme der Obsorge für Betroffene stellte? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

 

3.    In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2012 Familienangehörige von UMF mit der Obsorge für diese betraut? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

a.    In wie vielen Fällen wurden Geschwister oder Halb-Geschwister, die unter 30 Jahren alt waren, mit der Obsorge von UMF betraut? (Bitte um Auflistung der Fälle nach Jahr ab 2012, Alter der jeweiligen Obsorgeberechtigten und Bundesland)

b.    In wie vielen dieser Fälle wurde eine solche Entscheidung revidiert und die Obsorge im Anschluss daran an die Kinder- und Jugendhilfe übertragen? (Bitte um Auflistung der Fälle nach Jahr ab 2012, Alter der jeweils Obsorgeberechtigten und Bundesland)

c.    In wie vielen Fällen wurden andere Verwandte, die unter 30 Jahren alt waren, mit der Obsorge von UMF betraut? (Bitte um Auflistung der Fälle nach Jahr ab 2012, Alter der jeweiligen Obsorgeberechtigten und Bundesland)

d.    In wie vielen dieser Fälle wurde eine solche Entscheidung revidiert und die Obsorge im Anschluss daran an die Kinder- und Jugendhilfe übertragen? (Bitte um Auflistung der Fälle nach Jahr ab 2012, Alter der jeweils Obsorgeberechtigten und Bundesland)

 

4.    Wie viele UMF mit laufendem Asylverfahren wurden zwischen 2012 und 2017 in Einrichtungen der Österreichischen Kinder- und Jugendhilfe betreut? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

 

5.    In wie vielen Fällen lehnten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen mit dem Hinweis auf einen kürzeren Aufenthalt als sechs Monaten des UMF die Verantwortung ab, die Obsorge für UMF zu beantragen?

a.    Wie erklärt sich das Bundesministerium für Familie und Jugend den Eindruck der Volksanwaltschaft (vgl. Sonderbericht "Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen" 2017, S. 48), dass es derartige Argumentationen seitens der Kinder- und Jugendhilfeträger gibt, und sie somit nicht im Interesse des Kindswohls handeln?

b.    Welche Strategien und Maßnahmen werden seitens des Bundesministeriums für Familien und Jugend gesetzt, um die Kinder- und Jugendhilfeträger zu ermuntern, frühestmöglich tätig zu werden?

 

6.    Die Kinder- und Jugendhilfestatistik 2016 zeigt, dass die Anzahl der Gefährdungsabklärungen, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe neu eingeleitet wurden, im Vergleich zum Jahr 2015 rückläufig war; in Niederösterreich gab es beispielsweise 228 weniger Gefährdungsabklärungen als im Jahr 2015. Welche Erklärung gibt es dazu von Seiten des Bundesministeriums für Familie und Jugend?

a.    In wie vielen Fällen wurde eine Gefährdungsabklärung für ein Kind seit 2015 mehrmals im Jahr durchgeführt? (Bitte um Auflistung nach Jahr und Bundesland)

b.    Welche Maßnahmen ergreift das Bundesministerium für Familie und Jugend, um für Sensibilisierung unter mitteilungspflichtigen Berufsgruppen zu sorgen?

c.    Wurden spezielle (Aus-)Bildungsprogramme geschaffen, die in diesem Bereich Tätige speziell auf die Arbeit mit UMF vorbereiteten? Wenn ja, welche, und von wie vielen Menschen wurden sie in Anspruch genommen?

 

7.    Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfestatstik 2015 werden keine Personalkosten ausgewiesen. In einer Anfragebeantwortung (11406/AB) gab das BMFJ an, dass an einer Verbesserung der Datenlage in den nächsten Jahren gearbeitet würde und die Personalkosten noch nicht erfasst werden konnten. Wieso sind diese auch in der aktuellen Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht angeführt?

a.    Welche Schritte wurden von Seiten des Bundesministeriums für Familie und Jugend gesetzt, um valide Daten in diesem Bereich zu erheben?

8.    Im Rahmen der Fluchtbewegung 2015 kam es durch eine Vielzahl von UMF zu erheblichem Mehraufwand für die Kinder- und Jugendhilfeträger in Österreich. Wurde diesem Umstand Rechnung getragen, indem personelle Mittel aufgestockt wurden?

a.    Ist Ihnen bekannt, wie viele vollzeitäquivalente Personalposten es in der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in den einzelnen Bundesländern gibt? (Bitte um Auflistung nach Bundesland und Jahr ab 2012)

 

9.    Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe können auf keine bundesweit gültigen standardisierten Verfahren hinsichtlich der Obsorge von UMF zurückgreifen. Ist es von Seiten des Bundesministeriums für Familie und Jugend geplant, derartige Standards zu erarbeiten, um eine schnellere und treffsichere Betreuung zu gewährleisten?

 

10. Welche Schritte werden seitens des Bundesministeriums für Familie und Jugend ergriffen, um die Umsetzung von Mindeststandards für Kinderschutzkonzepte in Einrichtungen, die asylsuchende Kinder betreuuen, sicherzustellen?

 

11. Aufgrund ihrer traumatischen (Flucht)Erfahrungen benötigen viele UMF häufig besondere Aufmerksamkeit und spezielle psychologische Betreuung. Wie viele Plätze für stark traumatisierte oder aus anderen Gründen betreuungsintensive UMF gibt es innerhalb der österreichischen Kinder- und Jugendhilfe?

 

12. Gibt es seitens des Bundesministeriums für Familie und Jugend Schätzungen bezüglich der Folgekosten nicht adäquater Betreuung von betreuungsintensiven UMF und wie hoch werden diese eingeschätzt?

 

13. Wie viele UMF wurden im Rahmen der vollen Erziehung in Pflegefamilien aufgenommen und untergebracht? (Bitte um Auflistung nach Bundesland und Jahr ab 2012)

a.    Wie hoch sind die Kosten für von der KJH erbrachte Leistungen pro Jahr und betreutem UMF, der im Rahmen der Vollen Erziehung in Pflegefamilien untergebracht ist?

 

14. Wie viele UMF wurden im Rahmen der vollen Erziehung in sozialpädagogischen Einrichtungen untergebracht? (Bitte um Auflistung nach Bundesland und Jahr ab 2012)

a.    Wie hoch schätzt das Bundesministerium für Familie und Jugend die Kosten pro Jahr und betreutem UMF, der im Rahmen der Vollen Erziehung in sozialpädagogischen Einrichtungen untergebracht ist?

 

15. Inwieweit es von Seiten des Bundesministeriums für Familie und Jugend angedacht, die ungleiche Verteilung der finanziellen und personellen Ressourcen in den Bundesländern zu harmonisieren und anzugleichen?

 

16. Gibt es Bestrebungen seitens des Bundesministeriums für Familie und Jugend die Ausübung der Obsorge für UMF durch die Kinder- und Jugendhilfe ab dem ersten Tag, und die Ausübung der vollen Erziehung wie vom B-KJHG vorgesehen, umzusetzen?

 

17. Laut Sonderbericht der Volksanwaltschaft wurde eine eigene Arbeitsgruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Inneres und dem Bundesministerium für Justiz eingerichtet. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?

a.    Gab und gibt es regelmäßige Treffen der Arbeitsgruppe? Wenn ja, wie oft wurden diese schon abgehalten?

b.    Welche Inhalte wurden bisher im Rahmen dieser Arbeitsgruppe besprochen?

c.    Ist es geplant, Ergebnisse der Arbeit innerhalb der Arbeitsgruppe öffentlich bekannt zu machen? Und wenn ja, wann ist mit einer derartigen Präsentation der Ergebnisse zu rechnen?