113/J XXVI. GP

Eingelangt am 16.01.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz,

betreffend den „WEISUNGSBERICHT“ 2009 bis 2014 des Bundesministers für Justiz, Datumssignatur der Parlamentsdirektion: 22.12.2017.

Seit 2013 erfolgte kein Bericht des Justizministers an den Nationalrat über die von ihm erteilten Weisungen an die Staatsanwaltschaften, obwohl § 29a Abs 3 StAG ei­nen jährlichen Bericht über Weisungen in beendeten Verfahren verlangt. Erst nach der Anfrage der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Justiz, betreffend Keine Weisungsberichte des Justizministers seit 2013 (A56/J) vom 14.12.2017 wurde der erste Weisungsbericht seit der Zeit der Justizministerin Dr. Beatrix Karl erstattet.

1)   In den im Weisungsbericht aufgelisteten Verfahren Nr. 8 und Nr. 18 musste das BMJ intervenieren, um völlig verfehlte rechtliche und tatsächliche Beurtei­lungen durch die Staatsanwaltschaft Graz zu verhindern. In beiden Fällen, ersterer laut Bericht der Staatsanwaltschaft Graz vom November 2011, der Zweite laut Bericht der Staatsanwaltschaft Graz vom Juli 2012, ging es um Tatbestände im Lichte des Verbotsgesetzes 1947.

Im Verfahren Nr. 8 wollte die Staatsanwaltschaft Graz das Verfahren einstel­len, da angeblich die von § 3g Verbotsgesetz geforderte subjektive Tatseite nicht nachgewiesen werden könne. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft die Beschuldigte nicht einmal einvernommen. Außerdem wies das BMJ darauf hin, dass sich aus einer Zeugenvernehmung Hinweise auf eine Tatwiederho­lung ergeben hätten. Es erfolgte daher seitens des BMJ die Weisung, weitere Ermittlungen in diesem Sinne anzustellen. - Im November 2013 berichtete die Oberstaatsanwaltschaft Graz, dass nach erfolgter Einvernahme der Beschul­digten und weiterer Zeugen nicht eindeutig geklärt werden konnte, wer die Tathandlungen gesetzt habe. Daher sei das Einstellungsvorhaben der Staats­anwaltschaft Graz genehmigt worden; wenn auch mit einer Belehrung der Staatsanwaltschaft Graz über einen weiteren Irrtum in der Anwendung des § 3g VG.

Im Verfahren Nr. 18 wollte die Staatsanwaltschaft Graz mit Zustimmung der Oberstaatsanwaltschaft das Verfahren gemäß Verbotsgesetz wegen verhet­zender Postings auf facebook einstellen. Das BMJ wies jedoch richtig darauf hin, dass die Tathandlung als Ausdruck typischen NS-Gedankengutes sehr wohl nach § 3g Verbotsgesetz zu inkriminieren sei. Bestimmte Begründungen, weshalb Äußerungen nicht unter § 3g Verbotsgesetz fielen, seien laut BMJ nicht nachvollziehbar. Insgesamt überschritten die Ausführungen zur Nichtan­nahme des Tatbestandes nach dem Verbotsgesetz laut BMJ die Grenzen der freien Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Folgerichtig wurde die Ober­staatsanwaltschaft Graz im November 2012 vom BMJ angewiesen, Anklage wegen § 3g Verbotsgesetz zu erheben. Im Dezember 2013 erfolgte die Verurteilung nach § 3g Verbotsgesetz und § 283 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstra­fe von 15 Monaten, bedingt auf drei Jahre.

2)    Im Bericht über das Verfahren Nr. 36 wird über eine Strafsache aus 2013 der Staatsanwaltschaft Krems gegen zwei Beschuldigte berichtet, gestützt auf mehrere Paragrafen des StGB sowie des Waffengesetzes. Die Staatsanwalt­schaft Krems beabsichtigte in diesem Zusammenhang auch, ein Verfahren gegen eine weitere Person wegen § 3g Verbotsgesetz einzustellen. Das BMJ erteilte der Oberstaatsanwaltschaft Wien im Juni 2013 die Weisung, neben anderen auch weitere Ermittlungen zum Verdacht nach § 3g Verbotsgesetz anzustellen, da dem Akt nur unzureichende Ermittlungsschritte hinsichtlich dieses Tatbestandes zu entnehmen seien. Im Februar 2014 berichtete die Oberstaatsanwaltschaft Wien über die bevorstehende Einstellung aller Verfah­ren, auch desjenigen wegen § 3g Verbotsgesetz.

Dem Weisungsbericht ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen das BMJ die Einstellung der Verfahren ohne weiteres zur Kenntnis nahm.

3)    Im Verfahren Nr. 44 wollte die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck im August 2003 die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Inns­bruck nach § 3g Verbotsgesetz genehmigen. Das BMJ nahm dieses Vorhaben nicht zur Kenntnis und wies die Oberstaatsanwaltschaft an, das Verfahren insbesondere durch förmliche Vernehmung des Beschuldigten zu ergänzen. Das BMJ verwies darauf, dass bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite auch der vom Beschuldigten gewählte Rahmen der Veröffentlichung zu be­rücksichtigen sei. Der Tatverdacht war durch ein ,,!!! SIEG HEIL !!!“ Posting auf facebook entstanden, in Zusammenhang mit einem Zeitungsartikel wegen eines abgesagten Nikolausbesuchs in einem Kindergarten mit muslimischen Kindern.

Nach Durchführung weiterer Erhebungen und Einvernahme des Beschuldig­ten berichtete die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck dem BMJ im Oktober 2013 vom Vorhaben, das Verfahren einzustellen, da der in subjektiver Hinsicht erforderliche bedingte Vorsatz nicht nachweisbar sei. Das BMJ nahm den Be­richt zur Kenntnis.

Das Verbotsgesetz ist einer der wichtigsten Schutzmechanismen gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung. Daher ist Tendenzen einer Auf­weichung der Anklagebereitschaft gegenüber Tatbeständen des Ver­botsgesetzes mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln entge­genzutreten, insbesondere auch durch die Aufsichtspflicht des BMJ über die Staatsanwaltschaften. - Außerdem fallen im Weisungsbericht statis­tische Unregelmäßigkeiten auf.

Aus diesem Grund richten die unterzeichnenden Abgeordneten an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz fol­gende

Anfrage:

Zu den Verfahren Nr. 8 und 18:

a)    Wurden durch das BMJ Anstrengungen unternommen, die Ursachen für die Tendenz zur gesetzwidrigen Schonung von Beschuldigten nach dem Verbotsgesetz im Bereich der Oberstaatsanwaltschaft Graz zu erheben?

b)    Falls nicht, warum nicht?

c)    Wurden andere/weitere Maßnahmen gesetzt, um derartige Irrtümer bei der tatsächlichen und der rechtlichen Beurteilung nach dem Verbotsgesetz im Bereich der Oberstaatsanwaltschaft Graz zu vermeiden?

d)    Wurden durch das BMJ Anstrengungen unternommen, die Mitarbeiter der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft Graz in der Beurtei­lung der subjektiven Tatseite und in der Interpretation des Verbotsgesetzes weiterzubilden?

e)    Falls nicht, warum nicht?

f)     Wie viele Verfahren nach dem Verbotsgesetz wurden in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2014, 2015 und 2016 von der Staatsanwaltschaft Graz eröff­net? Wie viele davon wurden mit Verurteilungen, wie viele mit Freisprü­chen und wie viele mit Einstellung der Verfahren beendet?

Zum Verfahren Nr. 36:

g)    Aus welchen Gründen wurde die Einstellung der Verfahren Nr. 36 vom BMJ ohne weiteres zur Kenntnis genommen?

h)    Welche Gründe führten zur Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft Wien, die Einstellung des Verfahrens Nr. 36 bezüglich des Tatbestandes gemäß § 3g Verbotsgesetz zu befürworten?

Zum Verfahren Nr. 44:

i)     War das BMJ im Oktober 2013 nicht mehr der Meinung, dass der vom Be­schuldigten gewählte Rahmen für ein Posting von nationalsozialistischen Parolen für die Beurteilung der subjektiven Tatseite zu berücksichtigen sei?

j)    Wenn das BMJ doch der Meinung war, dass der vom Beschuldigten ge­wählte Rahmen für ein Posting von nationalsozialistischen Parolen für die Beurteilung der subjektiven Tatseite zu berücksichtigten sei, warum wurde der Bericht dann zur Kenntnis genommen?

k)   Wenn das BMJ seine Meinung geändert hat, dann warum?

Allgemeine Fragen zum Weisungsbericht:

I)    Warum waren im Bereich der Staatsanwaltschaft Wien mit 17 von 55 Ver­fahren (entspricht 31%) mehr Weisungen in Strafsachen notwendig, als es dem Bevölkerungsanteil Wiens entspräche?

m)  Warum waren im Bereich der Staatsanwaltschaft Innsbruck mit 10 Verfah­ren (entspricht 18%) signifikant mehr Weisungen in Strafsachen notwen­dig, als es dem Bevölkerungsanteil des Bundeslandes Tirol entspräche?

n)   Wurde durch das BMJ versucht, im Bereich der Staatsanwaltschaft Inns­bruck die Ursachen für die hohe Zahl der von Weisungen betroffenen Er­mittlungen zu erforschen?

o)   Wenn nicht, warum nicht?

p)   Wurde durch das BMJ versucht, im Bereich der Staatsanwaltschaft Wien die Ursachen für die hohe Zahl der von Weisungen betroffenen Ermittlun­gen zu erforschen?

q)   Wenn nicht, warum nicht?

r)    Wie viele Ermittlungsverfahren nach dem Verbotsgesetz wurden in den einzelnen Staatsanwaltschaften in den Jahren 2015, 2016 und 2017 einge­leitet?

s)   Wie viele davon wurden in den einzelnen Staatsanwaltschaften seitdem eingestellt?

t)    Wie viele davon wurden in den einzelnen Staatsanwaltschaften seitdem mit Freispruch abgeschlossen?

u)   Wie viele davon wurden in den einzelnen Staatsanwaltschaften seitdem mit einer Verurteilung abgeschlossen?

v) Wie viele davon wurden in den einzelnen Staatsanwaltschaften seitdem mittels Diversion beendet?

w)  In wie vielen davon wurde in den Zuständigkeitsbereichen der einzelnen Staatsanwaltschaften seitdem noch kein Strafverfahren eingeleitet?