1012/J XXVI. GP

Eingelangt am 11.06.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim
Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz

betreffend Vorwürfe gegen die Tiroler Festspiele Erl

In den vergangenen Wochen ist es zu zahlreichen Vorwürfen gegen die Tiroler Festspiele Erl - rund um Lohn- und Sozialdumping sowie persönliches Fehlverhalten des künstlerischen Leiters - gekommen, die, im Sinne einer verantwortungsvollen Verwendung von Steuermitteln, einer Aufklärung bedürfen.

In der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage (vgl.: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB_00513/index.shtml) bestätigte bereits Bundesminister Blümel, dass im Dienstverhältnis beschäftigte Musikerlnnen im selben Zeitraum gleichzeitig selbständig für die Tiroler Festspiele Erl tätig waren bzw. sind.

Die gleichzeitige Beschäftigung eines Arbeitnehmers in einem Dienstverhältnis und in einem Werkvertragsverhältnis im gleichen Unternehmen ist sozialversicherungsrechtlich nach der Verwaltungspraxis und der ständigen Judikatur nicht statthaft, insbesondere wenn die Inhalte beider Tätigkeiten sich nicht voneinander abgrenzen lassen.

Im Dienstgeberportal der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wurde unter dem Titel „Ein Dienstgeber - mehrere Tätigkeiten“ folgender Beitrag veröffentlicht (NÖDIS, Nr. 5/April 2014):

Wie ist es aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu beurteilen, wenn ein Dienstnehmer für seinen Dienstgeber mehrere Tätigkeiten ausübt: Mit dieser Frage hat sich der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bereits mehrmals auseinandergesetzt, so z. B. in seinem Erkenntnis vom 2.4.2008, Zl. 2005/08/0132.

Ein Dienstnehmer vereinbarte mit seinem Dienstgeber, neben seiner Tätigkeit als Tischler auch verschiedene Produkte der Tischlerei Kunden anzubieten und zu verkaufen. Dafür erhielt er getrennt von seinem Gehalt Provisionen für jeden vermittelten Verkauf auf Basis eines diesbezüglich abgeschlossenen Werkvertrages. Auf der Homepage des Dienstgebers wurde er als Teil von dessen "Team" und als Kundenberater auch bildlich dargestellt.

Weiters war der Dienstgeber damit einverstanden bzw. daran interessiert,

dass der Tischler während seiner Arbeitszeit von potentiellen Kunden erreicht werden konnte. Zudem warb der Tischler nicht nur Neukunden an, sondern er vermittelte auch an bestehende Kunden Zubehör, Pflegemittel und sonstige Accessoires.

Verschränkung

Nach Ansicht des VwGH konnten die beiden Tätigkeiten als Tischler und Verkäufer schon allein wegen der zeitlichen, aber auch auf Grund der inhaltlichen Verschränkung der Vermittlungstätigkeit mit dem Dienstverhältnis nicht getrennt beurteilt werden.

Gestattet der Dienstgeber einem Dienstnehmer (abweichend von bestehenden dienstvertraglichen Regelungen) mit dem Dienstverhältnis selbst in innerem Zusammenhang stehende Aktivitäten nicht nur außerhalb seiner Arbeitszeit, sondern auch innerhalb derselben, liegt eine zeitliche und inhaltliche Verschränkung vor. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung für die Annahme einer zeitlichen und inhaltlichen Verschränkung, wenn ein Dienstnehmer einen zwar nicht abschätzbaren, aber jedenfalls nicht bloß geringfügigen Teil seiner Dienstzeit mit Zustimmung des Dienstgebers für eine Tätigkeit verwendet, die vom selben Dienstgeber durch Zahlung von Provisionen zusätzlich honoriert wird.

Im konkreten Fall waren somit die Provisionen, die der Tischler dafür erhielt, dass er in seiner Freizeit den Verkauf von Einrichtungsgegenständen vermittelte, von seiner herkömmlichen Tätigkeit als Tischler nicht zu trennen und daher der Beitragspflicht nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) zu unterziehen.

Eine ähnliche Entscheidung hat der VwGH im Fall der Vermittlung von Bausparverträgen durch Sparkassenangestellte getroffen (siehe VwGH vom 13.6.1995, Zl. 94/08/0107). Auch in diesem Fall sah der VwGH eine zeitliche (Vermittlungstätigkeit innerhalb der Arbeitszeit) und inhaltliche (Leistungsinteresse des Arbeitgebers an der Vermittlung) Verschränkung zwischen dem abhängigen Arbeitsverhältnis und der Vermittlungstätigkeit und stellte daher das Vorliegen eines einheitlichen Vertragsverhältnisses (abhängiges Arbeitsverhältnis) fest.

Entgelte, die ein Arbeitnehmer demnach aus zwei nicht trennbaren Tätigkeiten im Betrieb von ein und demselben Arbeitgeber erhält, sind zu addieren; es sind also nicht zwei sozialversicherungspflichtige echte Beschäftigungsverhältnisse gemäß § 4 Abs. 2 ASVG zu ein und demselben Arbeitgeber möglich (siehe VwGH vom 28.4.1988, ZI. 87/08/0032).

Werkvertrag

Allerdings schließt der VwGH das Nebeneinanderbestehen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses und eines Werkvertragsverhältnisses zu einem Dienstgeber nicht aus.

Erbringt ein Dienstnehmer daher zusätzlich zu seinem Dienstverhältnis nach § 4 Abs. 2 ASVG eine weitere, völlig getrennte und andersartige Tätigkeit auf

Grund eines separaten freien Dienstvertrages oder Werkvertrages und besteht zwischen den Tätigkeiten überhaupt kein Zusammenhang, stellen beide Tätigkeiten aus Sicht der Sozialversicherung keine Einheit dar und sind somit getrennt zu behandeln.

Für die Bejahung einer rechtswirksamen Trennung mehrerer gleichzeitig bestehender Rechtsverhältnisse zu einem Arbeitgeber kommt es somit entscheidend auf den Parteiwillen, die objektive Trennbarkeit und auf Überlegungen unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Schutzprinzipien an (siehe VwGH vom 17.12.2002, ZI. 99/08/0047 -Autor: Mag. Franz Gruber/NÖGKK).

Die Wirtschaftskammer Österreich veröffentlichte im Jänner 2018 eine Broschüre mit dem Titel „Arbeitsvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag - die richtige Beschäftigungsform“ und führt zur Beschäftigungsform von KünstlerInnen auf Seite 15 Folgendes aus:

4.3. Künstler

Auch für die Beurteilung, ob Künstler Dienstnehmer oder Unternehmer sind, ist zu prüfen ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit überwiegen. Demnach spricht für das Vorliegen echter Dienstverhältnisse, wenn Künstler also etwa Sänger, Musiker oder Choristen nach festgelegten Proben- und Spielplänen tätig werden müssen, sich zu Leistungen im Rahmen einer Spielsaison verpflichten und an Weisungen der Regisseure, des Dirigenten, des Chordirektors in Bezug auf Probeanzahl, Probezeit sowie Art der Wiedergabe der Arbeitsleistung gebunden sind.

Eine Beschäftigung als freie Dienstnehmer wird meist nicht in Frage kommen, weil sie durch die Eingliederung im Bühnengeschehen, zum Beispiel im Orchester, persönlich abhängig sind. Aus diesen Gründen sind Orchester-, Chor- sowie Ballettensemblemitglieder grundsätzlich als echte Dienstnehmer zu qualifizieren.

Dennoch ist für Künstler eine Tätigkeit als Unternehmer denkbar Sie müssen dazu eine eigene unternehmerische Infrastruktur besitzen, also zum Beispiel ein Büro, eine Homepage, einen Probenraum, ein Aufnahmestudio, eigene Instrumente und eigenes Equipment. Darüber hinaus sollten sie regelmäßig wechselnde Auftraggeber haben, künstlerische Gestaltungsfreiheit bei den Darbietungen genießen und bei eintägigen oder mehrtägigen geblockten Veranstaltungen auftreten.

(Quelle: https://www.wko.at/service/arbeitsrecht-sozialrecht/ArbeitsvertragfreierDienstvertragWerkvertrag-DierichtigeBesc.pdf, Seite 15)

Der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien erklärt in seiner Anfragebeantwortung 512/Ab vom 18.05.2018 zu 520/J (XXVI.GP) betreffend die Vorwürfe gegen die Tiroler Festspiele Erl wie folgt:

Zu Frage 4:

Haben Sie zur Aufklärung der Vorwürfe weitere Unterlagen und Auskünfte ange-fordert oder werden Sie das tun?

Ja. So wurde u.a. eine Bestätigung darüber verlangt und auch

erhalten, dass sämtliche arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachverhalte mit der Tiroler Gebietskrankenkasse, dem Finanzamt Kufstein Schwaz und der Finanzpolizei geklärt wurden.


Zu Frage 6:

Wurde seitens Ihres Ressorts eine arbeitsrechtliche und kollektivvertragliche Überprüfung der Dienstverträge hinsichtlich der Vorwürfe bezüglich Lohn- und Sozialdumpings vorgenommen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

Dieses Thema war Gegenstand einer Diskussion in der letzten Vorstandssitzung. Tiroler Gebietskrankenkasse, Finanzamt Kufstein Schwaz und Finanzpolizei haben im März 2018 bestätigt, dass die Gebarung der Festspiele Erl vollinhaltlich den gesetzlichen Erfordernissen entspricht. Dazu darf auch auf die Beantwortung zu Frage 4 verwiesen werden.

Zu Frage 9:

Trifft es zu, dass im Dienstverhältnis beschäftigte MusikerInnen im selben Zeitraum auch gleichzeitig selbständig für die Tiroler Festspiele Erl tätig waren bzw. sind?

Es gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gleichzeitig einen Dienst- und einen Werkvertrag haben, was mit der Tiroler Gebietskrankenkasse akkordiert wurde. Dieser Einigung folgend können 2/3 eines Künstlerhonorars als Dienstvertrag und1/3 als Werkvertrag ausbezahlt werden. So ist es möglich, die Künstlerinnen und Künstler vom ersten Probentag an bis zum letzten Vorstellungstag anzustellen. Der Werkvertrag deckt hierbei die Vorstellungen ab und wird - im Gegensatz zum Dienstvertrag - auch nur dann ausbezahlt, wenn die Künstlerin/der Künstler auch tatsächlich auftritt.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz nachstehende:

Anfrage

Sind Ihnen die Vorwürfe rund um die Tiroler Festspiele Erl bekannt?

Welche Schritte haben Sie seitens Ihres Ressorts bezüglich der Vorwürfe gegenüber den Tiroler Festspielen Erl gesetzt und welche sind noch geplant?

Besteht seitens Ihres Ressorts Handlungsbedarf bzgl. gleichzeitiger Anstellung und Werkverträgen von KünstlerInnen wie oben erläutert?

Hat die Tiroler Gebietskrankenkasse in den Jahren 2017 und 2018 eine sozialversicherungsrechtliche Prüfung der Dienst- und Werkverträge der Tiroler Festspiele Erl Betriebs GmbH mit den von ihr engagierten KünstlerInnen durchgeführt?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis und gab es Konsequenzen?

Wurde seitens der TGKK im Rahmen ihrer Prüfung festgestellt, dass die sozialversicherungsrechtliche Gebarung der Festspiele Erl vollinhaltlich den gesetzlichen Erfordernissen entspricht?

Wenn ja,

welche Sachverhaltsfeststellungen wurden getroffen?

welche gesetzliche Bestimmung wurde dieser Feststellung zu Grunde gelegt?

wie wurde die Entscheidung begründet?

wurde die ständige Judikatur zur Frage, ob ein Dienstnehmer mehrere Beschäftigungsformen beim selben Unternehmer ausüben darf bei der Feststellung der Gesetzmäßigkeit herangezogen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

Wurden im Rahmen der Prüfung von Kultureinrichtungen (vgl. 577 AB https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB_00577/imfname_695654.pdf) auch die Tiroler Festspiele Erl geprüft? Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wie viele drittstaatsangehörige KünstlerInnen wurden in den Jahren 2017 und 2018 beschäftigt?

Hat die Tiroler Festspiele Erl Betriebs GmbH die erforderlichen Beschäftigungsbewilligungen vom Arbeitsmarktservice eingeholt?

Wenn ja, für wie viele drittstaatsangehörige KünstlerInnen wurden Beschäftigungsbewilligungen beantragt und erteilt?

Wenn nein, welche rechtlichen Konsequenzen ergaben sich daraus?

Wurden Kontrollmitteilungen an das zuständige Arbeitsmarktservice weitergeleitet?

Haben Sie eine Prüfung des Vollzugs zu den obgenannten Sach- und Rechtsfragen vornehmen lassen?

a.           Wenn ja, zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

b.           Wenn nein, warum nicht?

Laut Kunstförderungsgesetz §1. 1 ist die Verbesserung von

Rahmenbedingungen sowie der sozialen Lage der KünstlerInnen anzustreben. Sehen Sie seitens Ihres Ressorts diese Vorgabe bezogen auf die Tiroler Festspiele Erl erfüllt?

Wurde seitens Ihres Ressorts eine arbeitsrechtliche und kollektivvertragliche Überprüfung der Dienstverträge hinsichtlich der Vorwürfe bezüglich Lohn- und Sozialdumpings vorgenommen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

Die Festspiele Salzburg und Bregenz unterliegen dem Festspiel­Kollektivvertrag. Warum ist das bei den Tiroler Festspielen Erl nicht der Fall?

Wird die Bezahlung eines Mindestlohnes für MusikerInnen und KünstlerInnen von Seiten Ihres Ressorts angestrebt? Wenn ja, in welcher Höhe und sind Sie in dieser Frage bereits aktiv geworden?