1449/J XXVI. GP

Eingelangt am 12.07.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Mario Lindner,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Gewalt gegen LGBTI Personen in Österreich.

In ihrem fünften Prüfbericht zur nationalen Situation der Menschenrechte stellte die „European Commission against Racism and Intolerance“ (ECRI) Österreich beim Schutz von Lesben, Schwulen, bisexuellen, transidenten und intergeschlechtlichen Personen (LGBTI) ein schlechtes Zeugnis aus. Die unabhängige ExpertInnen­Kommission des Europarates arbeitete dafür mit staatlichen VertreterInnen, NGOs, Wissenschaftlerlnnen und ExpertInnen zusammen und kam unter anderem zu folgenden Schlüssen:

„Es gibt keine offizielle Statistik über homophobe und transphobe Vorfälle (...) Es gibt nur wenig offizielle statistische Daten und Forschung zu LGBT- Personen, die ein vergleichsweise hohes Maß an Diskriminierung erleben. (...) Auf Bundesebene gibt es keine ganzheitliche Herangehensweise an LGBT- Angelegenheiten."[1]

„In Bezug auf Hassrede gibt es keine offiziellen Daten über homophobe und transphobe Gewalt."[2]

„ECRI empfiehlt den Behörden, Forschung und Datenerhebung zu den Lebensbedingungen von LGBT-Personen zu initiieren, die auch die Themen Diskriminierung und Intoleranz umfassen."[3]

„ECRI empfiehlt den Behörden, auf Bundesebene eine Stelle damit zu beauftragen, einen Aktionsplan oder ein umfassendes Programm für LGBT- Personen zu entwickeln und zu koordinieren, um sicherzustellen, dass LGBT- Personen gleichberechtigt mit anderen in Österreich leben können."[4]

Bis heute sind viele dieser wichtigen Vorschläge leider noch nicht umgesetzt worden. Insbesondere in Fällen von Gewalt gegen LGBTI-Personen, aber auch von Mobbing und subtileren Formen der Diskriminierung, fehlt es insbesondere an validem Datenmaterial. Eben jenes wird nicht nur von der ECRI-Kommission des Europarates, sondern seit Jahren auch von NGOs, Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlerlnnen in Österreich eingefordert.

In Antworten auf parlamentarische Anfragen bekannten die damaligen BundesministerInnen Johanna Mikl-Leitner (4674/J) und Wolfgang Brandstetter (4673/J) im Jahr 2015, dass die entsprechenden Daten über Gewalt und Straftaten gegen LGBTI Personen von ihren jeweiligen Ministerien bis dahin nicht gesammelt wurden:

Zum Sicherheitsbericht des Innenministeriums: „Entsprechende Statistiken werden nicht geführt.“[5]

Zur Anzahl von Anklagen im Zusammenhang mit Diskriminierung gegen LGBTI Personen: „Mir steht aus den elektronischen Registern der Verfahrensautomation Justiz (VJ) kein Datenmaterial zur Verfügung, das zur Klärung der in der Anfrage aufgeworfenen Fragen beitragen könnte."[6]

Damit fehlte zu diesem Zeitpunkt sowohl in Bezug auf die österreichische Kriminalstatistik, als auch in Bezug auf die Anzahl der Anklagen jegliches valide Datenmaterial. Selbiges gilt größtenteils für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Lebensrealität von LGBTI Personen in Österreich, sowie deren Entwicklung in den vergangenen Jahren. Abgesehen von vereinzelten Studien für spezielle Themenbereiche gibt daher nur die Erhebung der europäischen Agentur für Grundrechte aus dem Jahr 2013 Aufschluss über die Situation von LGBTI Personen in unserem Land: Nach dieser Befragung wurden 23% der Befragten in den letzten fünf Jahren körperlich oder sexuell angegriffen oder mit Gewalt bedroht. 54% der Betroffenen waren der Meinung, dass diese Übergriffe teilweise oder ganz auf ihre sexuelle Orientierung oder Identität zurückzuführen sei, nur 19% meldeten sich bei der Polizei. [7]

Eine der wenigen Studien, die sich mit dieser Thematik ausführlich beschäftigten, ist die Studie „LGBTI Gewalterfahrungen Umfrage“ der IG Soziologie Forschung mit Unterstützung der Gay Cops Österreich. Dort wurden von Betroffenen von strafrechtlich relevanten Übergriffen beispielsweise auch die Beweggründe abgefragt, die sie davon abhielten, sich an die Exekutive zu wenden.

„Die absolute Mehrzahl dieser Fälle wird niemals zur Anzeige gebracht. Der wichtigste Grund dafür ist mangelndes Vertrauen in die Polizei, im Besonderen die Sorge, dass diese das Anliegen nicht ernst nehmen würde. Dabei haben die meisten LGBTI keine schlechte Meinung von der Polizei, eher eine leicht positive. Sie scheinen ihr nur nicht zuzutrauen, ihre eigenen Fälle adäquat zu behandeln. (...) Die psychischen Auswirkungen auf die Opfer sind immens. Die meisten Opfer geben an, durch die Tat stark oder sehr stark psychisch belastet worden zu sein. Ein Test auf post-traumatische Belastungsstörungen (PTBS), welcher mit den Opfern durchgeführt wurde, hat ergeben, dass nach einem Jahr rund 33% der Opfer einer Körperverletzung an einer PTBS leiden; im Vergleich zu den klinisch beobachteten 25% unter der Allgemeinbevölkerung."[8]


Gerade vor diesem Hintergrund erscheint die Zusammenstellung aussagekräftigen Datenmaterials zur Lebenssituation von und insbesondere zu Diskriminierungen gegen LGBTI Personen in Österreich wichtiger denn je. Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachfolgende

Anfrage:

1.    Wie viele Anzeigen gab es in den Jahren 2012-2017 jeweils in Zusammenhang mit Diskriminierung von bzw. Gewalt gegen LGBTI-Personen in Österreich (aufgeschlüsselt nach Jahr, Bundesländern und Delikt)?

2.    In wie vielen der angezeigten Fälle in Zusammenhang mit Diskriminierung von bzw. Gewalt gegen LGBTI-Personen in Österreich konnten in den Jahren 2012-2017 jeweils Tatverdächtige ermittelt werden (aufgeschlüsselt nach Jahr, Bundesländern und Delikt)?

3.    Wenn es entsprechende Statistiken gibt: Welche Schlussfolgerungen ziehen das Bundesministerium für Inneres bzw. die nachgelagerten Dienststellen aus diesen Daten?

4.    Falls es keine entsprechenden Statistiken gibt: Woher ziehen das Bundesministerium für Inneres bzw. die nachgelagerten Dienststellen die nötigen Informationen, um die Situation von LGBTI-Personen in Hinblick auf Diskriminierung, Gewalt bzw. strafrechtlich relevante Vorgehen zu beobachten und gegebenenfalls darauf reagieren zu können?

5.    Steht dem Bundesministerium für Inneres bzw. den nachgelagerten Dienststellen inzwischen ein System zur Verfügung, das entsprechende Statistiken zur Auswertung von Fällen im Zusammenhang mit Diskriminierung von bzw. Gewalt gegen LGBTI-Personen in Österreich ermöglicht?

a.    Wenn ja, welches System ist das?

b.    Wenn nein, warum nicht? Planen Sie ein entsprechendes System einzuführen (wenn ja bis wann?), nachdem das Bundesministerium sowohl durch Anfragen von parlamentarischer Seite, als auch durch Aufforderungen wie z.B. jener von ECRI schon mehrmals dazu aufgefordert wurde. Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

6.    Plant das Bundesministerium für Inneres in Zukunft entsprechende Daten, Berichte oder Statistiken zu veröffentlichen, die die Situation von LGBTI- Personen in Österreich in Hinblick auf Diskriminierung, Gewalt und Intoleranz darstellen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

7.    Gibt es im Bundesministerium bzw. in den nachgelagerten Dienststellen institutionalisierte AnlaufsteIlen für den Bereich LGBTI? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

8.    Welche Schulungen, Fortbildungen etc. werden insbesondere im Polizeidienst bzw. in der Ausbildung von Polizistlnnen, sowie im Bereich der Justizwache zur Sensibilisierung in Hinblick auf die Situation von LGBTI-Personen in Österreich angeboten?

a.   Planen Sie derartige Angebote zu verändern bzw. auszubauen? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht?

9.    Die LGBT-Umfrage der Europäischen Grundrechteagentur zeigte, dass es LGBTI-Personen nicht nur überdurchschnittlich von Hassverbrechen betroffen sind, sondern dass auch nur 19% der Betroffenen diesen Vorfall der Polizei meldeten. Welche Schritte planen das Bundesministerium bzw. die nachgelagerten Dienststellen, um gerade in dieser Gruppe das Vertrauen in die Polizei zu stärken?

a.    Wenn Maßnahmen geplant sind, welche? Welche Stelle ist dafür zuständig?

b.    Wenn nein, warum nicht? Begründen Sie bitte Ihre Antwort.

 

 

 

 

 


 



[1] ECRI-Bericht über Österreich (fünfte Prüfungsrunde), 2015; Seite 10

[2] ECRI-Bericht über Österreich (fünfte Prüfungsrunde), 2015; Seite 28

[3] ECRI-Bericht über Österreich (fünfte Prüfungsrunde), 2015; Empfehlung Nr. 17

[4] ECRI-Bericht über Österreich (fünfte Prüfungsrunde), 2015; Empfehlung Nr. 19

[5] Anfragebeantwortung 4453/AB vom 22.06.2015 zu 4674/J (XXV.GP)

[6]  Anfragebeantwortung 4541/AB vom 23.06.2015 zu 4673/J (XXV. GP)

[7]  EU LGBT Survey, FRA - European Union Agency for Fundamental Rights; 2013

[8]  LGBTI Gewalterfahrungen Umfrage, Eine Studie zu Hassverbrechen in Österreich, 2015; Seite 3 ff.