1529/J XXVI. GP

Eingelangt am 20.08.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend „Tempo 140"

Begründung

Seit 1.8.2018 gilt auf 120 Kilometern der A1 Westautobahn Tempo 140. Die Erhöhung der erlaubten Maximalgeschwindigkeit auf Teilstrecken in Oberösterreich und Niederösterreich sorgt für heftige Debatten. Zahlreichen Medien ist zu entnehmen, dass völlig unklar sei, welche Geschwindigkeitsüberschreitungen tatsächlich zu einer Ahndung führen. Unterschiedliche Toleranzgrenzen und Toleranzregelungen wegen möglicher Messfehler können zu einer straffreien Maximalgeschwindigkeit von bis zu 159 km/h führen, bestätigt indirekt etwa auch Oberösterreichs Verkehrslandesrat Günther Steinkellner (FPÖ) im Ö1­Morgenjournal.[1] Die Tempoerhöhung stellt zudem ein erhöhtes Risiko für die Verkehrssicherheit dar. So verlängert sich laut Bericht auf „0RF.at" der Anhalteweg bei 140km/h im Verhältnis zu 130 km/h um 14 Meter, bei 159 km/h brauche man bereits 41 Meter mehr.[2] Dementsprechend groß ist auch der Unterschied der Aufprallgeschwindigkeiten bei einem Unfall. Ein Wagen, der bei 130 km/h vor einem Hindernis gerade noch zum Stehen käme, würde auf dasselbe bei 159 km/h noch mit mindestens 100 km/h aufprallen. Bei 140 km/h beträgt die Aufprallgeschwindigkeit immer noch 60 km/h.[3] Der VCÖ-Experte Markus Gansterer hat festgestellt, dass in jenen Staaten, in denen die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle im Verhältnis zur Bevölkerungszahl niedrig ist, auch die Tempolimits niedriger sind als in Österreich. Niedrigere Tempolimits gibt es etwa in der Schweiz, Belgien, Großbritannien, Finnland, in Schweden oder Norwegen. Nur in Bulgarien und in Polen gilt die höhere Maximalgeschwindigkeit von 140 km/h.[4] In Deutschland, wo es gar keine Tempolimits gibt, kamen im Schnitt der vergangenen drei  Jahre pro 1.000 Autobahnkilometer um 35 Prozent mehr Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben als auf Österreichs Autobahnen. Auch die Zahl der Unfälle und der Verletzten war in Deutschland deutlich höher, wie der VCÖ zum Thema Verkehrssicherheit erhoben hat.[5] 2016 sind auf deutschen Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung pro Autobahnkilometer 26 Prozent mehr Menschen tödlich verunglückt als auf Autobahnen mit Tempolimit. 2015 waren es 13 Prozent mehr Tote. Dieser Trend lässt sich auch bei der Anzahl der Schwerverletzten in Deutschland feststellen. Das geht aus einer Auswertung des

Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) hervor. Gesetzliche Tempoerhöhungen entscheiden also über Leben oder Tod.

Und dann ist da noch die Umweltbelastung. Die Toleranzwerte bei

Geschwindigkeitsmessungen führen im täglichen Verkehr auf Autobahnen bereits jetzt dazu, dass sehr häufig mit höherem Tempo als 130 km/h gefahren wird. Bei einer Erhöhung der erlaubten Geschwindigkeit wird es zu noch höheren real gefahrenen Geschwindigkeiten kommen, was zu exponentiell steigenden Abgasen führt. Österreich hat immer noch mit einem steigenden CO2-Ausstoß zu kämpfen. Die Emissionen des Verkehrs sind jetzt schon Klimakiller und im Verkehr wäre die größte Hebelwirkung für den Kampf gegen den Klimawandel zu erzielen. Zwar hat die Bundesregierung es sich zum Ziel gemacht, die CO2- Emissionen des Verkehrs um ein Drittel zu reduzieren, der Verkehrsminister setzt trotzdem auf Tempoerhöhungen auf Autobahnen, die zu erhöhten Abgasen führen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Klima, sondern belastet auch die Anrainer der betroffenen Autobahnabschnitte. Das Umweltbundesamt hat erhoben, dass die Partikel- und Stickoxidemissionen in diesen Geschwindigkeitsbereichen überproportional stark zunehmen. So hält das Umweltbundesamt fest: „Bei den Treibhausgasemissionen ist die Änderung von 100 auf 130 km/h etwa gleich hoch wie von 130 auf 140 km/h." Des Weiteren führt eine Tempoerhöhung von 130 auf 160 km/h zu einer Lärmzunahme, die in etwa
einer Verdoppelung des PKW-Verkehrsaufkommens gleichzusetzen ist.
[6] Außerdem sind Temporeduktionen ein probates Mittel, um den fließenden Verkehr aufrecht zu erhalten. Erhöhte Geschwindigkeiten führen im Gegensatz dazu zu vermehrten Bremsaktionen, was zu Staus und verstärkten Emissionen und Staubbelastungen führt.

Das Verkehrsministerium argumentiert mit einer Zeitersparnis als Grund für eine höhere Maximalgeschwindigkeit, aber auch hier scheinen Sie, Herr Minister, sich nicht über die tatsächlichen Zahlen im Klaren zu sein. Die Zeitersparnis beträgt pro Kilometer 2 Sekunden. Bei einer Strecke Wien - Salzburg wären das lächerliche 10 Minuten, vorausgesetzt, es könnte auf dieser Strecke konstant 140 km/h gefahren werden. Das Unfall- und Sterberisiko nimmt auf Straßen mit höheren Tempolimits dramatisch zu. Die Emissionen steigen überproportional, damit wenige Minuten gespart werden, die spätestens beim nächsten Stopp wieder verloren gehen.

Die unterfertigten Angeordneten stellen daher folgende

Anfrage

1.      Ab welcher Geschwindigkeit müssen AutofahrerInnen bei einer Überschreitung der maximal erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf den Teststrecken in Niederösterreich und in Oberösterreich mit einer Verwaltungsstrafe rechnen?

2.      Steht die erzielte Zeitersparnis von 2 Sekunden pro Kilometer im verantwortungsvollen Verhältnis zum erhöhten Unfallrisiko (Anhalteweg, Aufprallgeschwindigkeit, etc.)?

3.      Auf welche Studien, die das Verhältnis von Unfallrisiko (Anhalteweg, Aufprallgeschwindigkeit, etc.) und Zeitersparnis gegenüberstellen und abwägen, stützt sich die Tempoerhöhung?

4.      Nach welchen Kriterien wird das Testprojekt Tempo 140 evaluiert und welche Ergebnisse werden zu einer Ausweitung der Tempoerhöhung auf andere Streckenabschnitte führen?

5.      Um wie viel Prozent erhöhen sich die Emissionen (NOx, PM10, CO2) bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit von 130 auf 140 km/h?

6.      Um wie viel Prozent erhöhen sich die Emissionen (NOx, PM10, CO2) bei einer Erhöhung der (faktisch möglichen) Geschwindigkeit von 143 auf 159 km/h?

7.      Um wie viel Prozent erhöht sich der Lärm bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit  von 130 auf 140 km/h?

8.      Um wie viel Prozent erhöht sich der Lärm bei einer Erhöhung der (faktisch möglichen) Geschwindigkeit von 143 auf 159 km/h?

9.      Sind zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen für die Bereiche mit erhöhter Geschwindigkeitserlaubnis geplant?

a.      Wenn nein, weshalb nicht?

b.      Wenn ja, was werden diese Maßnahmen kosten?

10.  Um wie viel Prozent erhöht sich der Reifenabrieb bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit von 130 auf 140 km/h?

11.  Um wie viel Prozent erhöht sich der Reifenabrieb bei einer Erhöhung der (faktisch möglichen) Geschwindigkeit von 143 auf 159 km/h?

12.  Mit welchem erhöhten Emissionsausstoß (NOx, PM10, CO2) ist bei den Teststrecken für den Zeitraum eines Jahres zu rechnen (bitte in absoluten Zahlen und in Prozent)?

13.  Die Bundesregierung möchte die CO2-Emissionen des Verkehrs um ein Drittel senken. Welche Gesamtkompensationsmaßnahmen wurden gegen die erhöhten Emissionen durch Tempo 140 geschaffen, um das selbstgesteckte Ziel zu erreichen?

14.  Wurden vor Realisierung des Projekts Stellungnahmen von den unmittelbar an der Teststrecke wohnenden Anrainern eingeholt?

15.  Wurde vor Realisierung des Projekts eine Stellungnahme des Ministeriums für Nachhaltigkeit eingeholt und wenn ja, wie lautete diese?

16.  Welche weiteren Stellungnahmen wurden bezogen auf a) Umweltbelastungen und    b) Unfallrisiko zum Thema eingeholt?

17.  Welche Kosten für notwendige Umweltschutzmaßnahmen und Folgekosten entstehen durch das Projekt in Summe?



[1] Etwa https://orf.at/stories/2449117/2449118/ (abgefragt am 1.8.2018).

[2] https://orf.at/stories/2449117/2449118/ (abgefragt am 1.8.2018).

[3] Gerechnet bei Idealbedingungen und bei durchschnittlicher Reaktionszeit.

[4]  https://www.vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/tempolimits-europa-2018 (abgefragt am 7.8.2018).

[5]  https://www.vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/autobahnen-in-oesterreich-verkehrssicherer-als-in-deutschland (abgefragt am 7.8.2018).

[6] http://www.umweltbundesamt.at/umweltsituation/verkehr/fahrzeugtechnik/pkw/tempo/ (abgerufen am 1.8.2018).