1687/J XXVI. GP

Eingelangt am 17.09.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Mario Lindner, Genossinnen und Genossen,

an den Bundesminister für Inneres

betreffend der Situation von LGBTI Geflüchteten in Österreich.

Gerade die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie schwierig die Situation für lesbische, schwule, bisexuelle, Trans*- und intergeschlechtliche Geflüchtete (LGBTI) in Österreich ist. Zahlreiche Berichte über teils schockierende und vorurteilsbeladene Asylbescheide erreichten über die Sommermonate die Öffentlichkeit und deuten auf massive Missstände in der Verfahrensführung i.B. im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hin. Erstinstanzlich wurden dabei Flüchtlinge mit Begründungen wie „Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten", Hinweisen auf das „stereotypische(n), jedenfalls überzogene(n) 'mädchenhaften' Verhalten(s) (Gestik und Mimik)“ oder fehlendes pornographisches Material auf dem Handy des Befragten abgelehnt. Schon davor sorgte ein negativer Bescheid wegen des Unwissens des Antragsstellers über die Bedeutung der einzelnen Farben der Regenbogenfahne für Empörung, der inzwischen zweitinstanzlich aufgehoben wurde.

Diese stereotypen Bescheide brachten Österreich international in die Schlagzeilen, könnten besonders für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben und lassen eine Dunkelziffer in Hinblick auf andere Entscheide befürchten, die nicht in die Öffentlichkeit kommen. Besonders in Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben ist vor diesem Hintergrund die Sicherstellung der Rechte von LGBTI-Geflüchteten in Österreich zu hinterfragen: So erklärte der EuGH bereits 2014 Prüfungen für unzulässig, die sich auf Stereotypen wie jenem der Konfliktscheuheit oder Geselligkeit von Homosexuellen stützen (EuGH-Entscheid C-148/13 - C-150/13). Weitere EuGH-Bestimmungen betreffen auch den Schutz der Privatsphäre von Geflüchteten, beispielsweise also Fragen nach sexuellen Praktiken oder Bildmaterial zur Beweisführung.

Vor welchen Herausforderungen LGBTI-Geflüchtete auch ohne zusätzliche Hürden und stereotype Beurteilungen im Zuge des Asylverfahrens stehen, macht beispielsweise die Richtlinie 9 der UNHCR zur „Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität" aus dem Jahr 2012 klar, die auch für Österreich zu beachten ist:

"Diskriminierung, Hass und Gewalt in all ihren Formen können den Antragstellenden die Begründung ihres Antrags erschweren. Manche sind vielleicht tief von Schamgefühlen oder internalisierter Homophobie und Trauma betroffen, wodurch die Fähigkeit einen Antrag zu begründen stark beeinträchtigt sein kann. Wenn Antragstellende gerade dabei sind, Klarheit über ihre Identität zu erlangen, oder davor Angst haben, sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität zu bekennen, könnten sie davor zurückschrecken, das wahre Ausmaß der erlittenen oder befürchteten Verfolgung zu erkennen zu geben. (...) Interviewer/innen und Entscheidungsträger/innen müssen eine objektive Herangehensweise bewahren, damit ihre Schlüsse nicht auf stereotypen, ungenauen oder unzutreffenden Vorstellungen von LGBTI-Personen beruhen. Aus dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter stereotyper Verhaltensweisen oder Äußerlichkeiten darf nicht geschlossen werden, dass Antragstellende eine bestimmte sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität besitzen oder nicht besitzen. Es gibt keine allgemeingültigen Merkmale oder Eigenschaften, die für LGBTI-Personen typischer wären als für Heterosexuelle. Ihre Lebenserfahrungen können sich erheblich voneinander unterscheiden, selbst wenn sie aus demselben Land kommen. (...) Eine fachliche Ausbildung der Entscheidungsträger/innen, Interviewer/innen, Dolmetscher/innen, Anwält/innen und Rechtsbeistände, bei der die besonderen Aspekte der Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft von LGBTI-Personen behandelt werden, ist von besonderer Bedeutung. “[1]

In Ihrer Beantwortung auf die parlamentarische Anfrage 711/J vom Juni 2018 gaben Sie auf viele diesbezügliche Fragestellungen Antworten, die insbesondere in Hinblick der medialen Berichte der letzten Monate weiterer Klarstellungen bedürfen.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher die folgende

Anfrage:

1.    Wird es Ihrerseits bzw. seitens Ihres Ministeriums Schritte geben, um die bekanntgewordenen strukturellen Probleme im Umgang mit LGBTI- Geflüchteten seitens des BFA zu beheben?

2.    Sind bez. Frage 1 besondere Schulungen o.ä. geplant? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

a.    Wenn ja, ab wann und in welcher Form?

b.    Wenn nein, warum sehen Sie angesichts der Herausforderungen, die gerade in diesem Bereich öffentlich wurden, dazu keine Notwendigkeit?

3.    Hinsichtlich der Frage nach Statistiken über die Anzahl von Asylanträgen auf Grund der Angehörigkeit zur sozialen Gruppe (i.B. jener der LGBTI Geflüchteten) gaben Sie an, dass „entsprechende Statistiken (...) nicht geführt" werden. Ist in Hinblick auf die aktuellen Berichte geplant, künftig derartige Statistiken zu führen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

a.    Wenn ja, ab wann?

b.    Wenn nein, warum sehen Sie angesichts der Herausforderungen, die gerade in diesem Bereich öffentlich wurden, dazu keine Notwendigkeit?

c.    Gibt es solche Statistiken für andere „vulnerable Gruppen"? Wenn ja, für welche Gruppen werden Statistiken geführt?

4.    Hinsichtlich der Frage nach Regelungen oder Anleitung zur Feststellung der Richtigkeit des Fluchtgrundes im Fall von LGBTI-Geflüchteten gaben Sie an, dass „vor dem Hintergrund einer jedenfalls notwendigen Einzelfallprüfung (...) es keine speziellen Regeln oder Anleitungen" gibt. Ist in Hinblick auf die aktuellen Berichte geplant, derartige Regelungen (z.B. in Form von Leitfäden für BFA-Mitarbeiterlnnen) zu treffen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

a.    Wenn ja, ab wann?

b.    Wenn nein, warum sehen Sie angesichts der Herausforderungen, die gerade in diesem Bereich öffentlich wurden, dazu keine Notwendigkeit?

c.    Gibt es in anderen EU-Ländern Ihres Wissens nach derartige Regelungen im Umgang mit LGBTI-Geflüchteten, die für Österreich als Vorbild dienen können? Wenn ja, welche?

5.    Ihrer Antwort auf die Anfrage 711/J zufolge wird „das Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität (...) im Rahmen der Einvernahme- Schulungen (vor allem „Einvernahme vulnerable Gruppen“) sowie im Zuge eines eigenen Moduls im Rahmen des Ausbildungslehrgangs für auszubildende MitarbeiterInnen behandelt. Welche Inhalte werden dabei genau vermittelt bzw. welche Curricula werden dabei verwendet?

a.    Wie viele und weiche Schulungen sind für alle MitarbeiterInnen verpflichtend? Wie wird sichergestellt, dass das Gelernte angewendet wird?

b.    Welcher Modus wird die Qualitätssicherung verwendet?

c.    Werden LGBTI-Organisationen bzw. ExpertInnen aus diesem Bereich in diese Schulungen einbezogen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

6.    Medial wurde in Hinblick auf die aktuellen Fälle insbesondere der Mangel an Schulungen für BFA-MitarbeiterInnen kritisiert.

a.    Wie viele MitarbeiterInnen waren in den Jahren 2015-2017 im BFA mit der Führung von Asylinterviews befasst?

b.    Welche Schulungen bzw. Fortbildungsangebote wurden in den Jahren 2015-2017 im BFA angeboten und von wie vielen BFA MitarbeiterInnen wurden diese besucht? Bitte nach Thema, Anzahl der Angebote pro Jahr und Anzahl der BFA MitarbeiterInnen pro Jahr aufgeschlüsselt?

7.    Im Fall viel diskutierten Fall eines Geflüchteten, dessen erstinstanzlicher Bescheid negativ ausfiel, weil sein „Gang“, sein „Gehabe“ und seine „Kleidung“ nicht homosexuell genug erschienen, wurde der zuständige BFA- Mitarbeiter suspendiert. Mit welcher Basis wurde diese Suspendierung vollzogen?

a. Ist der zuständige Mitarbeiter schon wieder im Dienst und kam die Suspendierung auf Intervention des BMI zustande?

8.    Der in Frage 8 besprochene Fall wirft außerdem Fragen nach dem internen Beschwerde-Management des BFA auf: Besteht die Möglichkeit zu Beschwerden wegen der Verfahrensführung abseits eines zweitinstanzlichen Verfahrens vor dem BVwG?

a.    Gibt es insbesondere die Möglichkeit, direkt beim BFA Beschwerden einzulegen, beispielsweise in Hinsicht auf Dolmetscher, Sachverständige etc.?

b.    Wenn ja, wie viele wurden in den Jahren seit 2015 eingereicht und welche Bereiche gliedern sich diese? Bitte beschreiben Sie, nach welchem Prozdere mit Beschwerden innerhalb des BFA umgegangen wird.

9.    Bildet Ihrer Meinung nach die UNHCR Richtlinie Nr. 9 die Basis für Asylverfahren aufgrund der Fluchtgründe der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität seitens des BFA?

10.  Welche     anderen rechtlichen Grundlagen gelten Ihrer Meinung nach insbesondere im Umgang mit LGBTI-Geflüchteten?

11. Wie wird sichergestellt, dass Befragungen von Geflüchteten durch das BFA nicht das Recht auf Schutz der Privatsphäre zum Beispiel durch Fragen nach sexuellen Praktiken o.ä. verletzen?

a. Welche entsprechenden Leitlinien gibt es dafür seitens des BFA?



[1] http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reIdoc=y&docid=56caba174