1800/J XXVI. GP

Eingelangt am 03.10.2018
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Vorgehensweise des BMI bei öffentlich geäußerter Kritik

 

Am 07.05.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen Christoph Riedl (Diakonie Österreich) aufgrund kritischer Äußerungen bezüglich der Arbeit des BFA Strafanzeige wegen öffentlicher Beleidigung einer Behörde bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht. Die zwei Aussagen von Christoph Riedl, in denen das BFA eine strafrechtlich relevante Beleidigung erblickt hat, wurden in der Tageszeitung "Kurier" am 11.04.2018 und am 14.04.2018 veröffentlicht.

Am 11.04.2018 berichtete der Kurier über die Zahlen der Aufhebungen von erstinstanzlichen Asylentscheidungen des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl: "Am BVwG ging es 2017 in 11.550 Verfahren konkret um Anträge auf Schutz bzw. Aufenthaltstitel. Richter haben in 4900 Fällen die Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben oder abgeändert – das sind 42,4 Prozent der Verfahren." Zudem wurde weiter ausgeführt, dass in anderen Verfahren vor dem BVwG, die keine Asylagenden betreffen, die Aufhebungsquote bei lediglich rund 14 bis 15 Prozent liegt. In dem Artikel wurden dann noch Stellungnahmen von Experten angeführt und zwar sowohl von Kritikern als auch vom Direktor des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Weiters wird die Aussage des Experten Christoph Riedl von der Diakonie (z.T. indirekt) zitiert, wonach Afghanen vorwiegend negative Bescheide erhalten würden, seit Ende 2016 ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan geschlossen wurde: "Dabei hat sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert. Diese Entscheidungen sind falsch und politisch motiviert."

In einem weiteren Artikel vom 14.04.2018 berichtete der Kurier dann, dass Experten die mangelnde Qualität von Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl kritisieren. Diese seien voller Vorurteile und Fehler. In dem Artikel werden mehrere Experten zitiert, u.a. auch Christoph Riedl mit der Aussage: "Wenn man würfeln würde, wären die Entscheidungen richtiger".

Das Verfahren wurde mittlerweile von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dennoch stellt sich die Frage, wie der Innenminister und dessen nachgeordneten Behörden mit kritischen Meinungsäußerungen von Vertreter_innen der Zivilgesellschaft umgehen und ob die Vorgehensweise bei unliebsamer, öffentlich geäußerter Kritik an der Arbeit von Behörden eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verwirklichung von strafbaren Handlungen gegen die Ehre (§§ 111 ff StGB), insbesondere des Tatbestands der öffentlichen Beleidigung einer Behörde (§ 116 StGB), einzubringen, übliche Praxis ist. Darüber hinaus ist es aus Gründen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Verwendung von öffentlichen Mitteln notwendig zu erfahren, ob das Verfassen und die Einbringung solcher Strafanzeigen mit Steuergeld finanziert wurde.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

1.    Ist Ihnen die Sachverhaltsdarstellung (Strafanzeige) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2018 betreffend Äußerungen von Christoph Riedl über Entscheidungen des BFA, unterfertigt vom Direktor des BFA Wolfgang Taucher, bekannt?

2.    Seit wann ist Ihnen diese Sachverhaltsdarstellung bekannt?

3.    Seit wann ist Ihnen bekannt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen der Äußerungen von Christoph Riedl im Kurier vom 11.04.2018 und 14.04.2018 gegen diesen eine Anzeige (Sachverhaltsdarstellung) einbringen wird?

4.    Hat der Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vor der Einbringung der Sachverhaltsdarstellung übergeordnete Stellen und/oder den Bundesminister über den Sachverhalt bezüglich der medial verbreiteten Aussagen von Christoph Riedl informiert?

a.    Wenn ja, wann und wer wurde informiert?

b.    Falls das BMI vorab informiert wurde, welche weiteren Schritten wurden in Erwägung gezogen (z.B. Gespräch, Kontaktaufnahme mit Christoph Riedl)?

c.    Falls das BMI vorab informiert war, warum wurde kein Gespräch mit Christoph Riedl vor Einbringung der Sachverhaltsdarstellung (Strafanzeige) geführt?

5.    Hat der Direktor des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl eigenmächtig gehandelt ohne übergeordnete Stellen vom Sachverhalt und der Sachverhaltsdarstellung vorab in Kenntnis zu setzen?

a.    Falls ja, hat der Direktor des BFA dadurch seine Kompetenzen überschritten, Vorschriften oder Berichtspflichten verletzt?

                                  i.    Falls ja, welche Konsequenzen wurden gezogen?

6.    Ist die Initiative vom Direktor oder anderen Bediensteten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl oder vom Bundesminister selbst bzw. anderen Bediensteten des Bundesministeriums für Inneres ausgegangen?

a.    Wenn die Initiative vom BMI ausgegangen ist, warum wurde diese Vorgehensweise (Strafanzeige) gewählt?

7.    Wurde dem Direktor des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufgetragen bzw. eine Weisung erteilt, den gegenständlichen Sachverhalt zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu bringen?

a.    Wenn ja, wie lautete der Wortlaut der Weisung?


8.    Die Sachverhaltsdarstellung (Strafanzeige) des BFA vom 07.05.2018 weist Spezialwissen zur Rechtsprechung bezüglich Ehrenbeleidigungsdelikten auf (vgl. zitierte Rsp, Formulierungen). Wer hat diese Strafanzeige konkret entworfen und verfasst?

9.    Wurden zum gegenständlichen Sachverhalt (Äußerungen von Christoph Riedl im Kurier) eine oder mehrere Einschätzungen von Anwaltskanzleien eingeholt?

10. Wurde für das Verfassen der Sachverhaltsdarstellung (Strafanzeige) eine Anwaltskanzlei beauftragt? Wenn ja, welche?

11. Wie hoch waren die Kosten für etwaig in Anspruch genommene Dienstleitungen von einer (oder mehrerer) externen Anwaltskanzlei(en) (inkl. Einschätzungen, Beratung, Verfassen bzw. Einbringen von Strafanzeigen)? Bitte um Aufschlüsselung nach Anwaltskanzlei und Leistung.

12. Wurden in den Jahren 2015 bis 2018 vonseiten des BMI oder nachgeordneter Behörden bzw. Dienststellen weitere Strafanzeigen gegen andere Personen bzw. Vertreter_innen der Zivilgesellschaft wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung gegen die Ehre (§§ 111 ff StGB) eingebracht?

a.    Falls ja, wie viele? Bitte um Aufschlüsselung nach anzeigender Behörde, Datum der Strafanzeige und Staatsanwaltschaft.

b.    Falls ja, gegen Vertreter_innen welcher NGOs richteten sich die Strafanzeigen?

c.    Falls ja, wie viele dieser Strafanzeigen erfolgten aufgrund von Meinungsäußerungen in Medien?

d.    Falls ja, wie viele dieser Strafanzeigen wurden wegen des Verdachts der Verwirklichung des Tatbestands „Üble Nachrede“ (§ 111 StGB) eingebracht?

e.    Falls ja, wie viele dieser Strafanzeigen wurden wegen des Verdachts der Verwirklichung des Tatbestands „Beleidigung“ (§ 115 StGB) eingebracht?

f.      Falls ja, wie viele dieser Strafanzeigen wurden wegen des Verdachts der Verwirklichung des Tatbestands „Öffentliche Beleidigung einer Behörde“ (§ 116 StGB) eingebracht?

g.    Falls ja, wie viele dieser vom BMI bzw. von nachgeordneten Dienststellen eingebrachten Strafanzeigen haben zu einer Anklage, einer Verurteilung bzw. einer Einstellung des Verfahrens geführt?

h.    Falls ja, wie hoch waren die Kosten für etwaig in Anspruch genommene Dienstleitungen von externen Anwaltskanzleien (inkl. Einschätzung, Beratung, Verfassen bzw. Einbringen von Strafanzeigen)? Bitte um Aufschlüsselung nach anzeigender Behörde, Datum der Strafanzeige, Anwaltskanzlei und Leistung.

13. Ist dem BMI folgende ständige Rechtsprechung des EGMR zur in Österreich durch Art 10 EMRK verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit bekannt: „Grundsätzlich ist bei strafrechtlichen Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit Zurückhaltung geboten und bei der Prüfung solcher Eingriffe in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit schon wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit ein strenger Maßstab anzulegen.“?

a.    Wenn ja, warum wurde – trotz offenkundiger Aussichtslosigkeit der gegenständlichen Strafanzeige – diese bei der Staatsanwaltschaft eingebracht?


14. Gibt es eine Empfehlung seitens des Innenministeriums an nachgeordnete Dienststellen bei öffentlich geäußerter Kritik an Behörden eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Verwirklichung des Tatbestands „Öffentliche Beleidigung einer Behörde“ (§ 116 StGB) einzubringen oder ist eine derartige Empfehlung geplant?

15. Sind die gegenständlichen Artikel im Kurier vom 11.04.2018 und 14.04.2018, in denen Aussagen von Christoph Riedl zitiert werden, Grund dafür, dass vonseiten des BMI die Auffassung besteht, dass „seitens des Kuriers eine sehr einseitige und negative Berichterstattung über das BMI […] betrieben“ wird (vgl. medial kolportiertes Schreiben von Christoph Pölzl, Ressortsprecher des BMI, vom 19.09.2018)?