2464/J XXVI. GP

Eingelangt am 13.12.2018
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Anfrage

 

der Abgeordneten Andreas Kollross, Genossinnen und Genossen an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

 

betreffend einer Folgeanfrage im Zuge eines Falles homophober Rechtsprechung in Österreich

 

LG Wiener Neustadt vom 29.2.2016, S. 13f.:

„Auch nach der Rechtsprechung stellt die Penetration des Mundes mittels Zunge mangels dessen Zugehörigkeit zur Geschlechtssphäre keine geschlechtliche Handlung dar, sondern ist auch bei sexueller Motivierung eine „sexuell neutrale Handlung“ (Philipp in Höpfl/Ratz, WK (2.Auflage), StGB § 201 Rz 28; § 207 Rz 8).

Das LG Wiener Neustadt beruft sich hierbei auf § 207 StGB und dessen Kommen­tierung durch Philipp in WK (2. Auflage).

Im Kommentar von Philipp in Höpf/Ratz, WK (2.Auflage), § 207 Rz 8 heißt es:

„Dagegen ist das Einführen der Zunge zwischen den Lippen eines unmündigen Opfers, mag dies auch sexuell motiviert sein, eine „sexuell neutrale Handlung“ (13 Os 84/92). Auch diese Entscheidung ist richtig; vor allem, weil sie klar herausstellt, dass die Sexualbezogenheit einer Handlung nicht allein durch die subjektive (Täter-) Motivation hergestellt werden kann. Wohl aber könnte ein Zungenkuss unter entsprechenden Begleitumständen ein Indiz für einen weitergehenden Tätervorsatz sein und daher einen versuchten Missbrauch darstellen. Gleiches gilt etwa für Streicheln an Oberschenkeln oder Lecken am Bauch des Opfers (15 Os 140/09s)“.


Der vom LG Wiener Neustadt zur Begründung des Beschlusses vom 29.2.2016 herangezogene § 207 StGB behandelt jedoch „Sexueller Missbrauch von Unmündigen“ und war weder Gegenstand der Anklage noch der Verurteilung.

Von daher ist dieser Verweis auf den Kommentar von Philipp formal nicht einschlägig, und somit fehlt ein Beleg für die Behauptung in der Sache. Dies ist als eine Verletzung des formellen Rechts zu bewerten.

Dagegen gibt es ein einschlägiges Urteil des deutschen BGH, das nicht berücksichtigt worden ist, jedoch grundsätzlich als gleich gelagerte Rechtslage zum Vergleich herangezogen werden kann.

Im Urteil des BGH vom 04.04.2017 zu - 3 StR 524/16  wird klar der Zungenkuss von einem einfach Kuss unterschieden und ein Zungenkuss wird ausnahmslos als sexuelle Handlung angesehen (§ 184h, Rz 10 mit Verweis auf BGH 6.7.1983-2StR 350/83, StV 1983, 415 (416); OLG Brandenburg 28.10.20 - 1 Ss 70/09, NStZ-RR 2010, 45.) Des Weiteren liegt laut dem Urteil des BGH vom 19. August 2015 zu 5 StR 275/15 „Eine sexuelle Handlung grundsätzlich vor, wenn die Handlung objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist.“

Das deutsche BGH trifft somit in der Sache – d.h. hinsichtlich der Materie – eine Tatsachenentscheidung aufgrund eigener Beweiswürdigung. Es darf vermutet werden, dass dabei sexual – und humanwissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt wurden.

Im Zeitraum vom Jänner 2016 bis Oktober 2016 wurden drei Wiederaufnah­meanträge nach StPO § 353 gestellt, die abgelehnt wurden. Einen Wiederaufnahmeantrag nach StPO § 353 bearbeitet derselbe Gerichtshof, an welchem auch das Urteil gesprochen wurde. In vielen europäischen Ländern, wie z.B. Deutschland, wurde dies aus Gründen der Rechtssicherheit geändert, wodurch nun ein anderer Gerichtshof für ein Wiederaufnahmeverfahren verantwortlich ist.

Nach dem Studium der zur Verfügung gestellten Unterlagen, steht der dringende Verdacht im Raum, dass innerhalb der österreichischen Justiz in Strafverfahren, bei denen homosexuelle Männer, die zugleich katholische Priester sind und einer Sexualstraftat angeklagt werden, a priori nicht mit einem fairen Verfahren gerechnet werden darf, sondern mit besonderer Härte auf eine Verurteilung hingearbeitet wird, um eine einmal erreichte Verurteilung aufrechtzuerhalten.

Als Abgeordnete des Nationalrates sehen wir es als unsere Pflicht an, eine in diesem Fall mutmaßlich erfolgte homophobe Rechtsprechung in Österreich sowie eine unzureichende Anfragebeantwortung seitens des Justizministers nicht zu dulden.

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher nachstehende

Anfrage

1.    Inwieweit müssen österreichische Gerichte bei Wiederaufnahmeverfahren, bei denen keine Gutachter herangezogen werden, Erkenntnisse der Human-, und Sexualwissenschaften in ihren Beschlüssen mitberücksichtigen?

 

2.    Haben antragstellende Bürgerinnen und Bürger nach § 23 StPO nicht das Anrecht auf eine Antwort ihrer Eingabe?

 

3.    Gibt es spezielle Schulungen bei den staatsanwaltschaftlichen Behörden, um homophoben Einstellungen vorzubeugen?

 

4.    Gibt es im Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Überlegungen, ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 353 StPO von einem anderen Gerichtshof als von jenem an dem das Urteil gesprochen wurde, entscheiden zu lassen?