2707/J XXVI. GP

Eingelangt am 25.01.2019
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Sonja Hammerschmid

Genossinnen und Genossen

 

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

 

betreffend „geplante Talente-Checks werden zur Mini-Matura für VolksschülerInnen“

Medienberichten zu Folge wollen Sie mit den auch im Regierungsprogramm bereits vereinbarten „Talente-Checks“ in der dritten und vierten Klasse Volksschule sowie der AHS-Unterstufe bzw. Neue Mittelschule die Schnittstellen für SchülerInnen wie Eltern und LehrerInnen „stressfreier“ gestalten. Diese Talente-Checks sollen neben den Noten als zusätzliche Entscheidungsgrundlage für die weitere Schullaufbahn zur Verfügung stehen. Geplant ist, dass diese Messungen auch die bisherigen Bildungsstandard-Testungen ablösen. Zudem wurde im Regierungsprogramm auch festgelegt, dass im Rahmen der Schulautonomie bei der Aufnahme von SchülerInnen mehr Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden, auch Eingangsverfahren sollen möglich werden. Damit ist klar wohin die Reise gehen soll: Aufnahmeprüfungen für AHS und BHS.

Mit den geplanten Vorhaben ergeben sich allerdings zwei Problemfelder: Zum einen ist zu befürchten, dass mit den zusätzlichen Testungen weitere Hürden aufgebaut werden, die die ohnehin schon tiefausgeprägte soziale Selektion im österreichischen Bildungssystem weiter verschärfen wird. Zum anderen geht mit der Abschaffung der Bildungsstandard-Testungen ein wichtiges und treffsicheres Feedbacksystem sowohl an das Ministerium als auch an die Schulleitungen und die LehrerInnen verloren. Die Bildungsstandard-Testungen geben dem Ministerium eine Sicht auf die Performanz des Schulsystems, für die Schulleitungen sind diese für die Schulentwicklung von zentraler Bedeutung.

Was in anderen Ländern mit 15 beziehungsweise 16 Jahren erfolgt, wird mit der geplanten Maßnahme nun bereits mit acht Jahren festgeschrieben: umfassende Individualmessungen sollen über den weiteren Bildungsweg entscheiden. Dabei ist es illusorisch anzunehmen, dass diese Testungen nur als Feedback an Eltern wie SchülerInnen gedacht sind. Vielmehr werden diese Testungen als weiteres Kriterium für die Aufnahme an eine AHS herangezogen werden. Talente-Checks werden damit zur Mini-Matura für den AHS Zugang: sowohl für die AHS Unterstufe, als auch für die Oberstufe der AHS beziehungsweise berufsbildende höhere Schulen. Dabei bestätigen ein Großteil der ExpertInnen, dass die frühe Trennung so überhaupt keinen Sinn macht. Michael Schratz, war Professor am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, derzeit Mitglied und Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises, sorgt sich um die Auswirkungen auf die Kinder:

„Das sehe ich momentan nicht, wenn schon in der Volksschule in der zweiten, dritten Klasse Interventionen anfangen, dass das Kind in die richtige Schule kommt. Es gibt Zehnjährige mit Magengeschwüren. Ist es das, was wir wollen?“

Der Standard, 10.12.2018

Eine zusätzliche Testung wird wohl daran kaum etwas ändern. Unklar bleibt wie und warum Eltern als auch SchülerInnen der Stress in Bezug auf die Bildungswahl genommen werden soll. Denn bekannterweise ist es ja nicht die Anzahl der Möglichkeiten und Schulen, die Stress bereiten, sondern primär die Frage, ob „mein Kind gut genug“ fürs Gymnasium ist. Je mehr Tests, desto mehr Hürden sind hierfür zu nehmen. Warum eine weitere Prüfung mehr Erkenntnisse bringt als eine Note bleibt ohnehin offen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage

 

1.      Auf Grundlage der Ergebnisse des Talente-Checks und der anderen Schulleistungen sollen Gespräche zwischen LehrerInnen und Eltern über den weiteren Schulweg stattfinden. Michael Schratz stellt wie zahlreiche andere BildungswissenschafterInnen fest, dass es aus wissenschaftlicher Perspektive nur wenig Sinn macht kognitive Fähigkeiten mit 8 Jahren zu testen. Teilen Sie diese Einschätzung?

a.      Wenn nein, auf welche ExpertInnen beziehen sich, um zu dieser Einschätzung zu kommen?

b.      Wenn ja, warum soll eine solche Testung dann sinnvoll sein, um Erkenntnisse daraus für weitere Bildungsweg Entscheidungen zu ziehen?

 

2.      Wie sollen diese Talente-Checks aufgebaut sein?

a.      Wann sollen diese umgesetzt bzw. zur Anwendung kommen?

b.      Welche Fähigkeiten werden abgefragt, die derzeit nicht von Schulnoten abgebildet werden?

c.       Welche Schwächen sehen Sie im derzeitigen System der Schulnoten?

d.      Wenn Schulnoten Ihrer Meinung nach nicht ausreichend Fähigkeiten und Kompetenzen erfassen können, warum schaffen Sie diese nicht gleich ab, sondern bauen seit Beschluss des Pädagogik-Pakets noch stärker auf Schulnoten?

e.      Sollen diese Talente-Checks als Eignung für die AHS Unterstufe bzw. die AHS Oberstufe, bzw. BHS herangezogen werden? Wenn ja, in welcher Form?

f.       Wird im Testergebnis eine klare Empfehlung für die Schulwahl abzulesen sein?

g.      Wie wirken sich diese Testungen auf die Kinder aus? Können Achtjährige mit diesen Testergebnissen umgehen?

h.      Ist geplant, dass sich der Test für die dritte Volksschule von jener für die dritte Mittelschule unterscheidet?

 

3.      Sie kündigen im Regierungsprogramm gleichzeitig an, dass den Schulen mehr Autonomie bei der Auswahl der SchülerInnen übertragen werden soll.

a.      Können SchulleiterInnen dann die Talente-Checks für die Aufnahme heranziehen?

b.      Wenn nein, wie wollen sie verhindern, dass diese informell herangezogen werden?

c.       Soll das Ergebnis der Talente-Checks als Entscheidungsgrundlage für die Aufnahme in eine AHS bzw. BHS herangezogen werden?

 

4.      Sie haben im Vorfeld immer davon gesprochen, dass den Eltern sowie den Kindern mit den so genannten Talente-Checks der Stress für weitere Bildungswegentscheidungen genommen wird. Welche Merkmale weisen diese Talente-Checks auf, die eine Benotung auf ein Unterrichtsfach bzw. auf eine Schularbeit nicht aufweist.

a.      Welche Indikatoren der Testung weisen darauf hin, dass damit der Stress minimiert wird?

b.      Der Entscheidungsdruck fällt wahrscheinlich dann weg, wenn das Testergebnis so klar ist, dass es wohl gar nichts zum Entscheiden gibt. Werden sich im Testergebnis Empfehlungsschreiben für die ein oder andere Schulform finden?

c.       Auf welche Art und Weise soll dieses Testergebnis den SchülerInnen kommuniziert werden?

d.      Stress verursacht bei den Eltern primär die Frage, ob „mein Kind gut genug“ fürs Gymnasium ist. Gibt es Überlegungen den Zugang zum Gymnasium zu lockern?

 

5.      Das österreichische Bildungssystem ist bereits jetzt stark sozial selektiv. Erwarten Sie von der Einführung der Talente-Checks eine Auswirkung auf die soziale Selektivität des Bildungssystems?

a.      Wenn ja, wie wollen Sie diese bekämpfen?

b.      Wenn nein, auf welchen externen BildungsexpertInnen beziehen Sie sich in Ihrer Einschätzung?

 

6.      Welche Maßnahmen trifft Ihr Ressort um die soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu bekämpfen? Bitte um detaillierte Auflistung sowie Zeitplan für die Umsetzung.

 

7.      Erwarten Sie sich durch die Einführung der Talente-Checks eine quantitative Auswirkung auf die Zahl der Anfängerzahlen in der 1. Klasse AHS sowie 1. Klasse Sekundarstufe II?

a.      Wenn ja, von welchen Prognosen der AHS AnfängerInnen in der Sekundarstufe I+II gehen Sie aus?

b.      Wenn nein, wozu führen Sie diese Maßnahmen dann ein?

 

Ersatz für Bildungsstandards

8.      Die derzeitige Zielsetzung der Bildungsstandards ist Evaluierung und Feedback an das System zu überliefern. Sie dienen vor allem dem Ministerium, aber auch den Schulleitungen und den LehrerInnen als Rückmeldung, um kompetenzorientierten Unterricht sowie kompetenzorientierte Förderung sicher zu stellen. Sie sind nicht geeignet Einzelleistungen von SchülerInnen zu beurteilen.

a.      Soll diese Zielsetzung auch für die Talente-Checks weiterhin gültig sein?

b.      Wenn nein, sollen die Talente-Checks in Zukunft für die Leistungsbeurteilung herangezogen werden?

 

9.      Mit den Bildungsstandards konnte neben den PISA Ergebnissen eine weitere Bildungsüberprüfung etabliert werden, die seit Jahren gutes Feedback an das System überliefern. Jede Änderung der Erhebung bedeutet allerdings, dass es keine Vergleichbarkeit mehr gibt.

a.      Sollen die Talente-Checks die Bildungsstandards ersetzen?

b.      Werden die neuen Ergebnisse, mit den Bildungsstandards vergleichbar sein?

c.       Wenn nein, warum nimmt man in Kauf, dass diese nicht mehr mit den Vorjahren vergleichbar sind? Damit wird wichtige Bildungsforschung negativ beeinträchtigt. Warum wird kein System etabliert, das vergleichbare Ergebnisse mit den Vorjahren liefert?

d.      In der Plenarsitzung vom 12. Dezember 2018 haben Sie gesagt, dass sie keine neuen Tests einführen wollen. Warum führen sie nun neue Testungen ein? Und was ist seither passiert, das bewirkt hat, dass sie diesbezüglich ihre Meinung ändern.