2863/J XXVI. GP

Eingelangt am 18.02.2019
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz

betreffend Notstand im gerichtlichen Dolmetschwesen

 

Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK schließt das Recht auf Unterstützung durch Dolmetscher mit ein, wenn Angeklagte die Verfahrenssprache nicht verstehen. Die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verlangt, dass Dolmetschleistungen „eine für die Gewährleistung ei- nes fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen“.

In diesem Sinn sieht der Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 14.02.2008 über einen Leitfaden für die Zusammenarbeit zwischen Justiz und GerichtsdolmetscherInnen vor, dass für den Einsatz in der Justiz ausgezeichnete Sprachkenntnisse und entsprechende Dolmetsch- und Übersetzerkompetenz sowie das für die korrekte Ausübung der Tätigkeit unbedingt erforderliche Berufsethos notwendig sind.

Es bedarf keiner Begründung, dass in einer Zeit zunehmender Internationalisierung und Personenfreizügigkeit qualifizierte Dolmetschleistungen für das Funktionieren des Rechtsstaats und die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs unabdingbar sind.

Die Gebührensätze des GebAG, nach denen die Leistungen der Gerichtsdolmetscher/Gerichtsdolmetscherinnen in der Mehrzahl der Gerichts- und Behördenverfahren berechnet werden, wurden seit dem Jahr 2007 nicht mehr erhöht; nicht nur das: sie wurden 2014 sogar herabgesetzt.

Derzeit erhalten Dolmetscher etwa für eine Stunde Arbeit im Rahmen einer gerichtlichen Verhandlung gem § 54 GebAG eine Gebühr von rund 24 € brutto. In Deutschland erhalten Dolmetscher für dieselbe Arbeit das dreifache Entgelt.

Der niedrige Verdienst und die langen Zahlungsfristen (im Regelfall mehrere Monate bis mehrere Jahre) führen dazu, dass sich immer weniger Dolmetscherinnen und Dolmetscher in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher eintragen lassen. Das Durchschnittsalter der eingetragenen Dolmetscher und Dolmetscherinnen liegt bereits über 60 Jahre.

Derzeit stellt sich die Altersstruktur der eingetragenen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher etwa im Sprengel des Landesgerichts Wien, Stand Sommer 2018, wie folgt dar:

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Im Jahr 2006 waren noch etwa 1.400 Dolmetscherinnen und Dolmetscher  eingetragen, Anfang 2019 waren es nur noch 720 (abgefragt am 10.01.2018, https://sdg-

liste.justiz.gv.at/edikte/sv/svliste.nsf/welcoma?Openform=).

Der Österreichische Gerichtsdolmetscherverband hat das Justizministerium wiederholt auf die prekäre Lage der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher und Dolmetscherinnen aufmerksam gemacht. Bisher ohne konkretes Ergebnis.

In seiner Anfragebeantwortung 1658/AB vom 12.11.2018 zur Anfrage 1665/J äußerte der Herr Bundesminister Verständnis für die Anliegen der Dolmetscherinnen und Dolmetscher:

"...Dolmetscherinnen und Dolmetschern kommt sowohl im Zivil- wie auch im Strafverfahren eine besondere Bedeutung für den Verfahrensverlauf und den Ausgang der jeweiligen Rechtssache zu. Daher ist mir die Sicherstellung der Qualität der in den gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (...) erforderlich werdenden Übersetzungen ein besonderes Anliegen, dies gerade auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Justiz und das Vertrauen in die Rechtsprechung.

...es ist klar, dass eine wesentliche Voraussetzung für die Entscheidung, sich für eine Tätigkeit als Gerichtssachverständiger oder -dolmetscher zur Verfügung zu stellen, eine hinreichende Entlohnung der Tätigkeit ist."

Offen blieb, ob und wann mit entsprechenden Maßnahmen zu rechnen ist. Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

1.    Welche Maßnahmen sind geplant, um der Überalterung der eingetragenen Dolmetscher und Dolmetscherinnen entgegenzuwirken?

2.    Welche Maßnahmen sind geplant, um der Verringerung der Zahl der Dolmetscher und Dolmetscherinnen entgegenzuwirken?

3.    Welche Maßnahmen sind geplant, um kurz-, mittel- und langfristig die Versorgung der Justiz mit Dolmetschern und Dolmetscherinnen mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen, entsprechender Dolmetsch- und Übersetzerkompetenz und dem für die korrekte Ausübung der Tätigkeit unbedingt erforderlichen Berufsethos sicherzustellen?

4.    In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2018

a.    in Strafverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?

b.    in Zivilverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?

c.    in sozialgerichtlichen Verfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?

d.    in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Dolmetscher/Dol-metscherinnen beigezogen?

5. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2018

a.    in Strafverfahren eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezo-gen?

b.    in Zivilverfahren eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezo- gen?

c.    in sozialgerichtlichen Verfahren eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherin-nen beigezogen?

d.    in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG eingetragene Dolmetscher/Dolmetscherinnen beigezogen?

5.    In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2018 

a.    in Strafverfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?

b.    in Zivilverfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbtreuungsagentur beigezogen?

c.    in sozialgerichtlichen Verfahren Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?

d.    In verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur beigezogen?

 

6.    In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2018 

a.    in Strafverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?

b.    in Zivilverfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc beeidet?

c.    in sozialgerichtlichen Verfahren Dolmetscher/Dolmetscherinnen ad hoc be-eidet?

d.    in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem BVwG Dolmetscher/Dol-metscherinnen ad hoc beeidet?

7.    Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2018 insgesamt durch die Beiziehung von Dolmetscher und Dolmetscherinnen in der Justiz (einschließlich BVwG)?

a.    Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2018 durch die Beiziehung von eingetragenen Dolmetscher/Dolmetscherinnen?

b.    Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2018 durch die Beiziehung von Amtsdolmetscher/Amtsdolmetscherinnen der Justizbetreuungsagentur?

c.    Welche Kosten entstanden dem Bund im Jahr 2018 durch die Beiziehung von ad-hoc beeideten Dolmetschern/Dolmetscherinnen?

8.    In wie vielen Fällen konnte 2018 der Bedarf an Dolmetschern/Dolmetscherinnen nicht durch die Beiziehung von eingetragenen Dolmetschern gedeckt werden (einschließlich BVwG)?

9.    In wie vielen Fällen konnte 2018 der Bedarf an Dolmetschern/Dolmetscherinnen nicht durch die Beiziehung von Amtsdolmetschern/Amtsdolmetscherinnen gedeckt werden (einschließlich BVwG)?

10. In wie vielen Fällen mussten 2018 ad hoc beeidete Dolmetscher/Dolmetscherin-nen beigezogen werden (einschließlich BVwG)?

11. Beabsichtigt der Herr Bundesminister, die Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes für Dolmetscher/Dolmetscherinnen zu erhöhen?

a.    Wenn ja, in welcher Höhe?

b.    Wenn nein, warum nicht?

12. In seinem Bericht (Reihe Bund 2014/7, Seiten 398-402) kritisierte der Rechnungs-hof (damals noch unter seinem Präsidenten Dr. Josef Moser) die Organisa-     tion der Justizbetreuungsagentur in Bezug auf die Amtsdolmetscher/Amtsdolmet-scherinnen: 

a.    Wurde der Empfehlung des Rechnungshofs Rechung getragen, in hoch relevanten Sprachen eine ausreichende Zahl von Dolmetschern bereitzustellen?  

b.    Wurde der Bedarf an Amtsdolmetschern entsprechend den tatsächlichen Erfordernissen erhoben und wurden die Ergebnisse der Personalplanung zugrunde gelegt?

c.    Wird in der Justizbetreuungsagentur dokumentiert, wenn Aufträge wegen fehlender Ressourcen abgelehnt werden müssen?

d.    Wurden die Gerichte in einem Erlass angewiesen, die maßgeblichen Gründe schriftlich festzuhalten, wenn ein freiberuflicher Dolmetsch beigezogen wird, obwohl ein Amtsdolmetsch zur Verfügung stünde?