2970/J XXVI. GP

Eingelangt am 27.02.2019
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Haftung der Zollspediteure für die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer im EU-Ausland

Nach der derzeitigen Vollzugspraxis der heimischen Zollbehörden zum sog. VC 42-Verfahren, das die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung im Anschluss an die Einfuhr (Art. 143 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 MwStSystRL iVm Art. 6 Abs. 3 UStG) regelt, haften die österreichischen Zollspediteure für Malversationen der von ihnen vertretenen Importeure ohne jedes eigene Verschulden.

Liefert z. B. der Importeur die Ware an einen anderen Empfänger als den in der Zollanmeldung genannten, wird dem Zollspediteur - nicht dem Importeur - die EUSt vorgeschrieben.

Im Lichte der EuGH-Rechtsprechung (EuGH C-226/14, Eurogate; C-228/14, DHL; C-154/16, Latvijas dzelzceļ; C-571/15, Wallenborn Transports; C-528/17, Milan Božičevič Ježovnik; C-108/17, Enteco Baltic und jüngst C-531/17, Vetsch) erscheint es fraglich, inwiefern eine solche Haftung des Zollspediteurs für Umsatzsteuerschulden im Ausland aus einem im Inland durchgeführten Zollabwicklungsverfahren hergeleitet werden kann und darf.

Dies ergibt sich aus folgenden drei Gesichtspunkten:

Erstens, der Zollspediteur, der de facto als indirekter Vertreter die Zollförmlichkeiten des VC 42 abzuwickeln hat, ist mangels Verfügungsmacht kein Importeur, sondern ein „außenstehender Dritter“ (so Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 06.09.2018 in der Rs. Vetsch, C-531/17). Der Grenzspediteur führt weder ein (erst recht nicht für sich) noch liefert er noch transportiert er. Er gibt lediglich die Zollanmeldung im eigenen Namen nach dem Verfahrenscode 4200 für Rechnung des Importeurs – ab. Das macht ihn zum Zollschuldner, nicht aber auch zum Steuerschuldner.

 

Zweitens, im VC 42-Verfahren ist ausschließlich nachzuweisen, dass die Ware Österreich in Richtung des Bestimmungsmitgliedstaats verlassen hat; dazu reicht der nicht empfangsbestätigte CMR-Frachtbrief.

 

Drittens, eine Haftung des Grenzspediteurs im VC 42-Verfahren für die EUSt ist nur dann zulässig, wenn er sich zumindest grobfahrlässig an einer vorsätzlich begangenen Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette beteiligt hat.


Die derzeitige österreichische Vollzugspraxis scheint der Rechtsprechung des EuGH in diesen drei Punkten zu widersprechen.

 

Ein Problem besteht darin, dass ein Zollspediteur die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung de facto nur mittels österreichischer Sonder-UID abwickeln darf.

Diese Sonder-UID ist an die indirekte Stellvertretung nach Art. 18 Abs. 1 UZK (Handeln im eigenen Namen für Rechnung des Importeurs) geknüpft, die der MwStSystRL unbekannt ist. Das bedeutet, dass der Spediteur zusammen mit dem Importeur Steuerschuldner wird, wobei der österreichische Spediteur vorrangig vor dem ausländischen Importeur in Anspruch genommen wird.

Aufgrund dessen sah sich die WKÖ 2012 auch veranlasst, den folgenden Warnhinweis zu veröffentlichen: „... Darüber hinaus wird auch der österreichische Spediteur verantwortlich gemacht, wenn der Empfänger im anderen Mitgliedstaat die Erwerbsbesteuerung nicht vornimmt. ...“. Diese Praxis widerspricht der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat keine Steuerbefreiungsvoraussetzung ist (so ganz deutlich EuGH C-277/14, PPUH Stehcemp).

Ein weiteres Problem besteht darin, dass eine angebliche Umsatzsteuerhinterziehungen im europäischen Ausland dem Spediteur automatisch ohne persönlichen Schuldvorwurf objektiv zugerechnet und die Steuerbefreiung versagt wird.

Folge dieser Rechtspraxis ist die existenzielle Gefährdung von heimischen Spediteuren im VC 42-Verfahren, die bisherige Nacheinhebung von EUSt in Höhe von rund 100 Mio EUR sowie der Rückzug großer österreichischer Logistikdienstleister aus dem VC 42-Verfahren.

Der EuGH hat sich im Urteil C-108/17, Enteco Baltic, mit der Frage auseinandergesetzt, ob einem gutgläubigen Importeur das Recht auf Umsatzsteuerbefreiung bei der Einfuhr versagt werden kann, wenn die Voraussetzungen wegen einer vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung nicht erfüllt sind. Das Gericht entschied, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit es verwehrt, einen gutgläubigen Importeur zur Zahlung der entfallenen Umsatzsteuer zu verpflichten. Dass der Importeur mit seinem Kunden elektronisch kommuniziert hat, schließe guten Glauben nicht aus, begründe keine Fahrlässigkeit und rechtfertige auch nicht die Vermutung, dass sich der Importeur an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat.

In der Rechtsache C-531/17 Vetsch, hat der EuGH in seinem Urteil vom 14. Februar 2019 auf ein Vorabentscheidungsersuchen des VwGH entschieden, dass die Einfuhrumsatzssteuerbefreiung des Zollspediteurs nicht verweigert werden darf, sofern die Ware korrekt in den anderen Mitgliedstaat verbracht wurde und dem Zollspediteur nicht nachgewiesen werden kann, dass dieser von der Hinterziehung der EUSt durch den Empfänger wusste oder hätte wissen müssen (siehe Rz 38ff).

Österreich braucht ein funktionierendes VC 42-Verfahren als Logistikdrehscheibe des internationalen Warenverkehrs.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende


Anfrage:

 

1.    Wird das BMF die oben geschilderte Vollzugspraxis der österreichischen Finanzbehörden trotz der zitierten EuGH-Rechtsprechung beibehalten?

a.    Wenn ja, weshalb sieht das BMF keinen Widerspruch zur EuGH Rechtsprechung (insb Enteco Baltic und Vetsch)?

b.    Wenn nein, welche Änderungen sind vorgesehen, um die österreichische Vollzugspraxis im VC 42-Verfahren europarechtskonform zu gestalten und der jüngsten Rechtsprechung (insb. Enteco Baltic und Vetsch) anzupassen.

 

                                  i.    auf gesetzlicher Ebene?

 

                                ii.    auf Verordnungsebene?

 

                               iii.    auf Erlassebene (insb. BMF-010313/0126-IV/6/2016 "ZK-4200, Arbeitsrichtlinie Steuerbefreiung gemäß Art. 6 Abs. 3 UStG 1994")?

 

2.    Wird das BMF Änderungen zum VC 42-Verfahren in den nächsten Wartungserlass aufnehmen?

 

a.    Wenn ja, welche Änderungen sind vorgesehen?

b.    Wenn nein, warum nicht?