3139/J XXVI. GP

Eingelangt am 26.03.2019
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Aktueller Stand - Medienerlass des BMI



Die Medien berichteten im September 2019 über ein brisantes Schreiben aus dem Innenministerium, in dem den Kommunikationschefs der Landespolizeidirektionen nahe gelegt wird, die Kooperation mit kritischen Medien "auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen ...". (https://diepresse.com/home/innenpolitik/5502089/Innenministerium-will-Informationssperre-fuer-kritische-Medien; https://www.derstandard.de/story/2000087988184/innenministerium-beschraenkt-infos-fuer-kritische-medien)

Außerdem werden die Landespolizeidirektionen in dem E-Mail, das dem "Standard" und dem "Kurier" zugespielt wurde, angehalten, verstärkt über Sexualdelikte zu informieren. Demnach wird gebeten, "vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden, besondere Modi Operandi (zum Beispiel Antanzen) aufweisen, mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigungen erfolgen oder wenn zwischen Täter und Opfer keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden".

Die Staatsbürgerschaft und der Aufenthaltsort von Verdächtigen soll ebenfalls in jeder Polizeiaussendung explizit vermerkt sein.

Zum Vergleich: Im aktuellen Medienerlass des Bundesministeriums für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz heißt es:

"Die freie Berichterstattung der Medien ist eine wichtige Grundlage einer demokratischen Gesellschaft. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein Grundrecht (Art. 10 EMRK, Art. 11 EU-GRC) und umfasst auch die Informationsbeschaffung durch die Medien."

Eine gute Zusammenarbeit mit den Medien (Presse, Hörfunk, Fernsehen, Film, elektronische und andere Massenmedien) fördert das Verständnis der Öffentlichkeit für die Rechtspflege und stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Einrichtungen der Justiz und ihre Entscheidungen.

(...)

Mit Ausnahme der Beantwortung von Einzelanfragen sind die Medien bei der Informationsvermittlung grundsätzlich gleich zu behandeln.

(...)

Bei der Informationserteilung soll auf die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe oder auf persönliche Merkmale (Hautfarbe etc.) nur hingewiesen werden, wenn dies für das Verständnis des berichteten Vorgangs unbedingt notwendig ist.

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates empfiehlt den Regierungen der Mitgliedsstaaten des Europarates:

Sicherzustellen, dass sich die Polizei gegenüber den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit in einer Weise äußert, die feindselige Haltung und Vorurteilen gegenüber Angehörigen von Minderheitsgruppen keinen Vorschub leistet“

Die Polizei darf weder den Medien noch der Öffentlichkeit Informationen über die Rasse, die Hautfarbe, die Sprache, die Religion, die Staatsangehörigkeit oder die nationale oder ethnische Herkunft eines Tatverdächtigen zukommen lassen. Der Polizei kann die Verbreitung solcher Informationen nur gestattet werden, wenn dies unbedingt erforderlich ist und damit ein rechtmäßiger Zweck verfolgt wird, was etwa bei einem Fahndungsaufruf der Fall ist.

Die Polizei hat auch – vor allem bei der Weitergabe statistischer Daten – sorgfältig darauf achten, dass sie nicht zur Verbreitung und Aufrechterhaltung des Mythos beiträgt, dem zufolge Kriminalität und ethnische Herkunft zusammenhängen; desgleichen darf sie nicht den Eindruck erwecken, dass der Anstieg der Kriminalität etwas mit zunehmender Einwanderung zu tun hat. Die Polizei muss darauf achten, nur objektive Informationen in einer Weise herauszugeben, welche die Vielfalt der Gesellschaft respektiert und den Gedanken der Gleichbehandlung aller stärkt."

(Quelle: Allgemeine Politik-Empfehlung Nr.11; Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit; Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates)

Der Pressekodex des deutschen Medienrates ist in diesem Punkt (Ziffer 12) noch genauer: "In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Der deutsche Pressekodex enthält kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Sie verpflichten die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt.

Reine Neugier – egal ob angenommen oder tatsächlich vorhanden, egal, ob individuell oder kollektiv – ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungsentscheidungen.

Vermutungen über den Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeiten und Taten müssen von Tatsachen gestützt sein. Bloße Spekulationen und Hörensagen sind insofern keine Grundlage für verantwortliche Berichterstattung.

Für ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Zugehörigkeit von Tätern oder Tatverdächtigen zu einer Gruppe oder Minderheit kann unter anderem jedoch sprechen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt:

·        Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.

·        Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.

·        Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung

·        Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.

·        Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.

·        Die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen hat eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zur Folge.

·        Während eines Strafverfahrens wird die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen durch Verfahrensbeteiligte in besonderem Maße thematisiert.

Auf der anderen Seite besteht das Risiko einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens durch die Nennung einer Zugehörigkeit, wenn zumindest eines der folgenden Kriterien zutrifft:

·        Durch die Nennung der Gruppenzugehörigkeit oder Herkunft oder durch die Verknüpfung mit abwertenden Begriffen oder Formulierungen werden lediglich diskriminierende Stereotype bedient oder Gruppen verunglimpft.

·        Die Gruppenzugehörigkeit wird unangemessen herausgestellt, etwa durch Erwähnung in der Überschrift oder Wiederholungen.

·        Die Gruppenzugehörigkeit wird als bloßes Stilmittel benutzt.

Schließlich kündigt das Innenministerium Ende 2018 in einer Stellungnahme an, eine "Leitlinie für transparente Medienkommunikation" an, die unter Aufsicht des Ressortsprechers erstellt werden soll. Die Kommunikationsverantwortlichen in den Landespolizeidirektionen sollen "eingebunden" werden. Was genau diese "Leitlinie" umfassen könnte, blieb in der Stellungnahme jedoch unbeantwortet.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Wurden die angekündigte "Leitlinie für transparente Medienkommunikation" bereits ausgearbeitet?

a.    Wenn ja, wie sieht diese Leitlinie im Detail aus, was umfasst sie inhaltlich? (Um Übermittlung bzw Veröffentlichung wird ersucht.)

b.    Wenn ja, welche Personen bzw welche Stellen des BMI haben bei der Erstellung der Leitlinien mitgearbeitet?

c.    Wenn ja, wurden bei der Erarbeitung der Leitlinie, die zitierten Empfehlungen des Europarates berücksichtigt?

                                  i.    Wenn ja, inwiefern?

                                ii.    Wenn nein, weshalb nicht?

d.    Wenn ja, wurde der zitierte Medienerlass des Bundesministeriums für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz zum Vorbild genommen?

                                  i.    Wenn ja, inwiefern?

                                ii.    Wenn nein, weshalb nicht?

e.    Wenn ja, orientierte man sich bei der Erarbeitung der neuen Leitlinie an der "Allgemeinen Politik-Empfehlung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit" der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates?

                                  i.    Wenn ja, inwiefern wurde die Politik-Empfehlung in der neuen Leitlinie berücksichtigt bzw umgesetzt?

                                ii.    Wenn nein, weshalb nicht?

2.    Wurden die angekündigte neue "Leitlinie für transparente Medienkommunikation" bereits BMI intern in Vollzug gesetzt?

a.    Wenn ja, wie erfolgte dies?

b.    Wenn ja, geschah dies mit behördeninternem Erlass?

                                  i.    Wenn ja, an welche Stellen wurde dieser Erlass gerichtet?

3.    Wie soll hinkünftig der Umgang mit "kritischen" Medien seitens des Ministeriums ausgestaltet sein?

4.    Wie soll hinkünftig der Umgang mit "unkritischen" Medien seitens des Ministeriums ausgestaltet sein?

5.    Wie soll hinkünftig allgemein der Umgang mit Medien seitens des Ministeriums ausgestaltet sein? (Um ausführliche Erläuterung wird ersucht.)

6.    Wie soll die Nennung von Tatverdächtigen, insbesondere die Nennung der Staatsbürgerschaft bzw die ethnische Herkunft hinkünftig gehandhabt werden?

a.    Soll es hier in Zukunft in jedem Fall zu einer Nennung der Staatsbürgerschaft bzw die ethnische Herkunft kommen?

b.    Soll es hier in Zukunft auf Basis von Einzelfallsentscheidungen zu einer Nennung der Staatsbürgerschaft bzw die ethnische Herkunft kommen?

c.    Wie wird mit dem Spannungsverhältnis zwischen diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens und dem berechtigten öffentlichen Interesse auf Information über die Strafrechtspflege umgegangen?

7.    Welche Parameter werden angeführt, die eine Nennung der Staatsbürgerschaft bzw der ethnischen Herkunft rechtfertigen bzw wo diese aus Sicht des Ministeriums geboten erscheint?

 

8.    Soll hinkünftig verstärkt über Sexualdelikte berichtet werden?

a.    Wenn ja, mit welcher sachlichen Begründung?

9.    Soll hinkünftig verstärkt über besondere "Modi Operandi" von Straftaten berichtet werden?

a.    Wenn ja, mit welcher sachlichen Begründung?

10. Sollte die Leitlinie noch nicht fertiggestellt sein, wann wird die Leitlinie fertiggestellt?

11. Sollte die Leitlinie noch nicht fertiggestellt sein, wird diese veröffentlicht?

12. Sollte die Leitlinie noch nicht fertiggestellt sein, wie wird diese in Vollzug gesetzt?

a.    Geschieht dies mit behördeninternem Erlass?